Protokoll der Sitzung vom 27.09.2018

Wenn Sie solche Behauptungen aufstellen, kann das Auditorium erwarten, dass Sie Ross und Reiter nennen.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei den FREI- EN WÄHLERN – Horst Arnold (SPD): Also Leute, das ist ein Berufsgeheimnisträger! Seit wann muss ein Abgeordneter seine Petenten benennen? Das ist doch Verfassung!)

Das ist doch selbstverständlich.

(Zuruf von Abgeordneten der CSU: Genau! – Horst Arnold (SPD): Sagt einmal!)

Als Nächste hat die Kollegin Schulze das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Söder, während Ihrer Rede musste ich an manchen Stellen schmunzeln. Ich fand es sehr bezeichnend, dass sich der Mann, der mit Horst Seehofer unsere Nerven in den letzten Monaten sehr stark strapaziert hat und die Spaltung in unserem Land vorangetrieben hat, nun als der hinstellt, der das Land zusammenhält. Das tun Sie 17 Tage vor der Wahl. Ich kann Ihnen nur zurufen: Das glauben die Menschen in Bayern nicht mehr, weil sie wissen, was Sie in den letzten Monaten und Wochen getan, gemacht und gesagt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Anhand Ihrer Rede kann man wunderbar den Unterschied zwischen Schamanismus und Wissenschaft erklären. Schamanismus ist, zu glauben, dass die CSU für politische Stabilität sorgt. Wissenschaft dagegen kümmert sich um die Fakten und die Realität. Die bittere Realität hat nämlich einen Namen: Horst Seehofer. Das ist Ihr CSU-Parteivorsitzender. Sein Name steht für Chaos.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Er sorgt dafür, dass unsere Bundesregierung in einer politisch schwierigen Lage am Rande der Handlungsunfähigkeit steht. Wahrscheinlich ist es den Wahl

kampfzeiten geschuldet, dass darüber in der CSU nur hinter vorgehaltener Hand geredet und Kritik geübt wird.

Herr Söder, ich würde gerne Antworten von Ihnen hören: Wie können Sie und die CSU ernsthaft behaupten, für Stabilität und Verlässlichkeit zu stehen, während Ihr Vorsitzender ständig die Bundesregierung sabotiert?

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Zeiten, in denen viele Menschen verunsichert sind, brauchen diese eins mehr denn je, nämlich Orientierung. Die Menschen merken und sehen, dass sich die Welt und auch unser Land verändern. Die Menschen beschäftigen folgende Fragen: Was tun wir gegen die Klimakrise? Was tun wir gegen den Tod Tausender Menschen täglich im Mittelmeer? Nehmen uns die Maschinen bald die Arbeit weg? Wie verhindern wir, dass es in den Ozeanen bald mehr Plastik als Fische gibt? Vielen Menschen erscheint es so, als sortiere sich die Welt gerade etwas neu. Menschen stellen sich die Frage: Wie können wir die Veränderung politisch gestalten? Wie können wir unsere Demokratie und unseren liberalen Rechtsstaat schützen und – das ist mir persönlich ganz wichtig – ein menschliches Land bleiben? Wie können wir die Menschen ermutigen, statt ihnen jeden Tag den Untergang des Abendlandes zu prophezeien?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich gebe Ihnen eines mit: Auf all diese Fragen ist die Antwort sicherlich nicht Anker-Zentrum, bayerische Kavallerie, Erhöhung der Durchgriffsmöglichkeiten der Polizei auf Kosten der Bürgerrechte oder ein ausgrenzendes Gerede von Leitkultur.

Die Mehrheit der Menschen in unserem Land schätzt es eben nicht, wenn ihre Regierung die Nähe zum Autoritären sucht. Die CSU sieht das gerade an ihren sinkenden Umfragewerten. Wir, die GRÜNEN, sehen das seit einigen Monaten in allen Teilen Bayerns. Ich bin sehr froh darüber, dass die Bürger Bayerns so klar sind und die Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft eben nicht in den Rezepten aus der Vergangenheit sehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft liegen auch nicht in den Scheinlösungen, die Sie uns in den letzten Wochen und Monaten ständig präsentiert haben.

Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen: In Bayern fehlen Betreuungsplätze für Kinder. Das Angebot

passt nicht mehr zum Leben vieler Eltern. Bereits heute besteht ein Mangel an Erzieherinnen und Erziehern, der sich in den nächsten Jahren noch verschärfen wird. Dieses Problem ist mit Ihrem Familiengeld nicht gelöst. Mit dem Pflegegeld verhält es sich ähnlich. Vor allem Kurzzeitpflegeplätze fehlen, um die pflegenden Angehörigen zu entlasten. Altenpflegerinnen und -pfleger fehlen. Ihr Pflegegeld schafft bei diesem Thema garantiert keine Abhilfe.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Maßnahmen, die Sie uns ständig präsentieren, sind von der Hoffnung getragen, dem Machterhalt der CSU zu dienen, und weniger von der Überzeugung, dem Land wirklich zu nutzen. Ich finde das schäbig und fahrlässig. Wer auf diese Weise Politik macht, zerstört das Vertrauen der Menschen in politische und staatliche Institutionen und schwächt damit auch die Demokratie. Mit dieser Art der Selbstverzwergung der Politik muss endlich Schluss sein. Wir brauchen endlich wieder mehr Mut. Wir brauchen Mut zur Gestaltung. Wir brauchen Mut, neue Wege und Lösungen anzubieten. Wir brauchen Mut, endlich offen und ehrlich mit den Menschen darüber zu sprechen, was sich verändern wird und wie wir diese Veränderungen gemeinsam gestalten können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Angst zu machen und Scheinlösungen aufzutischen, bringt unsere Gesellschaft nicht weiter. Stattdessen brauchen wir andere Dinge. Zuallererst brauchen wir mündige Bürgerinnen und Bürger. Es wird nämlich kein Ritter in einer schimmernden Rüstung daherkommen, der irgendetwas für uns regelt. Das wird auch die CSU nicht machen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen das selber tun. Sie müssen ihre Demokratie selber verteidigen. Genau dafür brauchen wir Mündigkeit. Man muss aufgeklärt und informiert sein. Man muss eine klare Haltung haben und diese auch einnehmen können. Man muss auch in der Lage sein, andere Standpunkte zu verstehen, um auf dieser Basis zu Kompromissen und kreativen Lösungen zu gelangen. Eine demokratische Politik in einer modernen und komplexen Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn die Bürgerinnen und Bürger das zu ihrer eigenen Sache machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Schöne ist, die Menschen in Bayern tun gerade genau das. Sie merken, dass die Demokratie, der Rechtsstaat und unser Europa, all die Dinge, die bisher eine Selbstverständlichkeit waren, gerade angegriffen werden. Sie wissen auch, dass sich eine Demokratie nicht selber verteidigt. Alle sind aufgerufen, jeden Tag ihren Teil dazu beizutragen, dass wir wei

terhin in Frieden, Freiheit, Stabilität und einer guten Demokratie leben können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mir persönlich ist es ganz wichtig, dass endlich der Ausspruch "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!" nicht nur an Gedenktagen in den Mund genommen wird. Gerade in der heutigen Zeit, da Rechtspopulismus, Rassismus und Rechtsextremismus immer weiter zunehmen, muss dieser Ausspruch Handlungsauftrag von uns allen sein, und zwar 365 Tage im Jahr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In der heutigen Zeit brauchen wir noch eine zweite Sache: Mein Appell richtet sich an uns alle als Politikerinnen und Politiker: Werdet wieder zu Leuchttürmen! Gebt Orientierung! Das Lutherjahr ist zwar vorbei, aber ich möchte meinen Appell anhand eines Satzes von ihm verdeutlichen: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders." Diesen Satz würde ich gerne wieder öfter hören. Bürgerinnen und Bürger würden diese Haltung auch gerne öfter sehen und hören. Wir brauchen wieder mehr Menschen in politischen Ämtern, die einen Unterschied machen, klar zu ihren Überzeugungen stehen und die Menschen mit Haltung begeistern können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, es muss uns doch zu denken geben, wenn ein paar Sätze von Helene Fischer zu Chemnitz mehr Widerhall finden als Äußerungen von politischer Seite. Es muss uns allen doch auch zu denken geben, wenn Influencer auf YouTube mehr Einfluss auf junge Menschen haben als Politikerinnen und Politiker und damit Debatten auch treiben können.

Vielleicht liegt es auch daran, dass wir nicht immer so gut in der Lage sind, Politik als etwas zu erklären, was das Leben jedes einzelnen Menschen beeinflusst. Ich würde mir wünschen, dass wir das wieder hinbekommen, dass wir gemeinsam zeigen können, dass die Schönheit der Demokratie und der Politik ausmacht, dass wir Rahmenbedingungen verändern und zusammen mit den Menschen für eine gute Zukunft sorgen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt die schöne Einordnung von Politikerinnen und Politikern als Amtsinhaberinnen und Amtsinhaber, als Demagoginnen und Demagogen und als Staatsfrauen und Staatsmänner. Der Amtsinhaber ist einer, der die Politik verwaltet. Das macht er vielleicht durchaus ordentlich, scheut sich aber, Widersprüche und Konflikte

anzupacken. Der Demagoge wiederum versucht, die vorhandenen Konflikte für seinen eigenen Vorteil auszunutzen. Die Staatsfrau und der Staatsmann sind doch in der Lage, einen Ausweg aus den Konflikten zu weisen. Was wir im Jahr 2018 brauchen, sind keine Demagogen, weniger Amtsinhaber, sondern mehr Staatsfrauen und Staatsmänner.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der dritte Punkt, der wichtig ist, ist Vertrauen – ein großes Wort: Vertrauen in unser politisches System und Vertrauen in den Rechtsstaat und in unsere Institutionen. Wir brauchen eine Politik, die Sicherheit gibt. Sicherheit will ich hier nicht verstanden wissen als Abwesenheit von Unsicherheit. Wenn wir das als Maßstab und Kriterium nehmen, landen wir sehr schnell in einem totalitären Staat. Ich meine damit die Abwesenheit von Angst. Man muss sich natürlich fragen, welche Art von Sicherheit Politik überhaupt bieten kann. Damit meine ich jetzt nicht jene Placebo-Sicherheit durch Grenzzäune, Kontrollen oder Überwachung, wovon ich vorhin schon gesprochen habe. Wer mit den Methoden des 19. Jahrhunderts versucht, Sicherheit im 21. Jahrhundert zu erreichen, der wird Freiheit zerstören und Ängste schüren, anstatt sie zu beruhigen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich frage mal in den Raum hinein: Hat jetzt irgendjemand im Land weniger Angst, weil wir auf einmal eine Bayerische Grenzpolizei haben? – Wir brauchen doch einen zeitgemäßen Begriff von Sicherheit, eine smarte Sicherheitspolitik für ein modernes und vielfältiges Land und für eine komplexe und vernetzte Welt. Es geht nicht darum, den Menschen die Verantwortung für ihr eigenes Leben abzunehmen. Es geht darum, ein staatliches Netz von Sicherheit und Verlässlichkeit aufzuspannen, das jedem Menschen ein freies und selbstbestimmtes Leben ermöglicht.

Was wir GRÜNEN uns darunter vorstellen, möchte ich kurz skizzieren. Wir sind der Meinung, dass dafür folgende Bedingungen erfüllt sein müssen:

Erstens. Natürlich brauchen wir den Schutz vor Gewalt. Wir möchten, dass alle Menschen in unserem Land frei und sicher leben können, dass sie wissen, dass ihr Leben, ihre Gesundheit und ihr Eigentum geschützt sind, dass das Recht auf Selbstbestimmung – also so zu leben, wie man es für richtig hält – geschützt ist, vorausgesetzt natürlich, dass die Freiheit keines anderen eingeschränkt ist, dass diese Sicherheit für alle in unserem Land gleichermaßen gilt, unabhängig von der Herkunft, vom Geschlecht, der Religion oder der sexuellen Orientierung. Das mag jetzt vielleicht für einige total selbstverständlich und normal

klingen. Aber wenn wir uns die Realität anschauen, sehen wir, dass es das nicht ist.

Sie wissen auch: Es gibt unzählige rassistisch motivierte Gewalttaten, es gibt sehr viel sexuelle Gewalt, es gibt unzählige Übergriffe auf Lesben und Schwule in unserem Land. Wenn wir das alles ansehen, zeigt das eines: Es liegt noch viel Arbeit vor uns.

Einen Teil dieser Arbeit können wir dadurch erledigen, indem wir unsere Sicherheitsbehörden gut ausstatten. Wir brauchen mehr Polizistinnen und Polizisten. Wir müssen sie von unnötigen Aufgaben entlasten. Wir brauchen eine stärkere europäische Zusammenarbeit. Wir brauchen mehr IT-Spezialistinnen und IT-Spezialisten. Wir brauchen eine starke und bürgernahe Polizei, damit die Menschen in unserem Land sich sicher fühlen und sicher sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich kann Ihnen nur zurufen: Die Sicherheit und die Freiheit sind bei uns GRÜNEN in guten Händen,

(Beifall bei den GRÜNEN – Lachen bei der CSU)

weil wir nicht nur für Sicherheit sorgen, sondern auch für Freiheit. Zum Schützen der Freiheit und der Bürgerrechte gehört, dass man sich gegen das verfassungswidrige CSU-Polizeiaufgabengesetz stellt, weil dieses massiv in die Freiheits- und Bürgerrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreift. All das schafft nicht mehr Sicherheit.