Protokoll der Sitzung vom 08.04.2014

(Beifall bei der CSU)

Nun aber zur Sache: Die Interpellation betrifft sämtliche Aspekte der Versorgung psychisch erkrankter, seelisch behinderter und suchtkranker Menschen. Sie

betrifft die Häufigkeit psychischer Störungen, die ambulante, teilstationäre und stationäre Versorgung, die spezifischen Aspekte der Versorgung von psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen sowie von älteren Menschen, von Suchtkranken, von Menschen mit komorbiden Störungen, von Migrantinnen und Migranten und Flüchtlingen. Es geht aber auch um Wohnmöglichkeiten, es geht um die Teilhabe am Arbeitsleben und um Hilfen zur Tagesgestaltung für diesen Personenkreis. Die Selbsthilfe von Betroffenen und Angehörigen spielt ebenso eine Rolle wie die Notfallversorgung, die Integrierte Versorgung, sozialpsychiatrische Dienste und die Frage von Zwangsmaßnahmen. In der Interpellation geht es außerdem um die Prävention von psychischen Erkrankungen und darum, wie die Versorgung weiterentwickelt werden kann.

Welche Erkenntnisse können wir daraus im Einzelnen gewinnen? – Ich habe mir die Interpellation unter verschiedenen Gesichtspunkten angesehen. Ich möchte einige davon herausgreifen – interessanterweise greife ich ähnliche heraus wie Frau Sonnenholzner: Ein Punkt ist die Prävention; das ist ganz entscheidend. Ich nenne hier aber insbesondere die Prävention gegen Alkoholmissbrauch. Einige der in der Interpellation enthaltenen Daten sind alarmierend bzw. bestätigen drastisch schwarz auf weiß den bereits bekannten Trend. Das "Komasaufen", also die Krankenhauseinweisung infolge Alkoholmissbrauchs, hat insbesondere bei den Unter-15-Jährigen in den Jahren zwischen 2000 und 2010 von 379 auf 816 dramatisch zugenommen. Auffallend ist, dass hier die Mädchen die Buben inzwischen sogar überholt haben. Noch drastischer – von 1.422 im Jahr 2000 auf 4.693 im Jahr 2010 - ist der Anstieg bei den 15bis 19-Jährigen ausgefallen, wobei hier fast doppelt so viele Jungen wie Mädchen betroffen sind.

Der Anstieg zieht sich aber durch alle Altersschichten, und zwar sowohl, wie gerade dargestellt, in absoluten Zahlen als auch bei der Rate je 100.000 Einwohner. Hier sind wir auch schlechter als der Bundesdurchschnitt, wie die Tabellen deutlich zeigen. Das bedeutet für den Alkoholmissbrauch, dass wir gerade bei Jugendlichen in der Prävention noch stärker als bereits bisher ansetzen müssen. Das ist unsere Aufgabe als Gesundheitspolitiker.

Erfreulich dagegen ist, dass die akute Intoxikation durch Opioide bei jungen Menschen in den zehn Jahren zwischen 2000 und 2010 deutlich abgenommen hat. Allerdings sind wir auch hier noch um eine Spur schlechter als der Bundesdurchschnitt. Bei den Cannabinoiden zeigt die Kurve wieder nach oben. Das heißt, auch hier dürfen wir uns nicht zurücklehnen, sondern es gibt noch einiges zu tun.

Dank der Interpellation können Sie sich für alle Altersgruppen sowie für alle Substanzen, auch für Tabak, für Lösungsmittel oder für Halluzinogene, exakt informieren; alles ist übersichtlich dargestellt. Das bringt einen Wissensvorsprung und den Hinweis, wo Handlungsbedarf besteht.

Gut fasst die Antwort der Staatsregierung zusammen, was in Bayern auf dem Feld der Prävention bereits getan wird. Wir haben in Bayern Maßnahmen und Initiativen zur Früherkennung psychischer Störungen, die das gesamte Spektrum an Diagnosen betreffen, zum Beispiel die Kindesuntersuchungen nach SGB V, also die U-Untersuchungen, oder die J 1, zum Beispiel im Hinblick auf Entwicklungsstörungen oder Verhaltensstörungen, die Schuleingangsuntersuchung, zum Beispiel im Hinblick auf die Sprachentwicklung, suchtpräventive Angebote, zum Beispiel das Projekt HaLT, das auch auf das Erkennen von Risikopotenzial ausgerichtet ist, die Angebote der sozialpsychiatrischen Dienste in den Landkreisen und kreisfreien Städten, die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, die auch der Früherkennung psychischer Störungen und dem rechtzeitigen Einleiten von Hilfen dienen, Initiativen wie das "Bündnis gegen Depression", das auch auf die Früherkennung und Frühintervention bei Depressionen und suizidalem Verhalten zielt, Angebote der Krisenintervention, zum Beispiel der Telefonseelsorge und anderer Einrichtungen, mit Blick vor allem auf Depressionen, und auch gerontopsychiatrische Angebote wie Gedächtnissprechstunden und dergleichen mit Blick vor allem auf die Früherkennung von Demenzen und Depressionen.

Zur Prävention gehören auch die allgemeine hausärztliche Versorgung, die einen erheblichen Anteil an der Früherkennung bei psychischen Störungen leistet, und die fachärztliche bzw. psychotherapeutische Versorgung, die ebenfalls an der Früherkennung psychischer Störungen mitwirkt.

Meine Damen und Herren, die Prävention psychischer Störungen gehört zu den wichtigen gesundheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Deshalb gehören psychische Störungen auch zu den Schwerpunktthemen der bayerischen Gesundheitsinitiative "Gesund. Leben. Bayern." Dort werden Modellprojekte zur Gesundheitsförderung und der Prävention gefördert. Dabei wird der Fokus völlig zu Recht auf die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen gelegt, weil Präventionsmaßnahmen, die möglichst bereits im frühen Kindesalter beginnen, Kinder stark machen können, damit sie den Herausforderungen des Lebens gewachsen sind.

Ich möchte hier nur zwei Pilotprojekte erwähnen, weil sie wichtig sind. Das eine ist die Prävention depressi

ver Störungen im Kindes- und Jugendalter; das Projekt ist an der LMU in München gelaufen. Das zweite war das Projekt "Psychische Gesundheit und Depression bei Schülern" der Universität Würzburg. Diese beiden Projekte und die Erkenntnisse aus ihnen müssen sich wie alle Projekte, die wir bei der Prävention haben, in dem noch zu erarbeitenden Bayerischen Präventionsplan widerspiegeln. Das halte ich für eine enorm wichtige Aufgabe.

Noch eine Anmerkung zu der Schuleingangsuntersuchung, die ich vorhin schon erwähnt habe. Die CSUFraktion im Bayerischen Landtag setzt sich nachhaltig und ausdrücklich dafür ein, dass die Schuleingangsuntersuchungen ausgebaut werden. Wir müssen Vorschulkinder so frühzeitig schulärztlich untersuchen lassen, dass wir Kindern mit Defiziten rechtzeitig Hilfe und Förderung zukommen lassen können. Das ist eine Intention unserer stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Kerstin Schreyer-Stäblein und unseres Arbeitskreises Gesundheit und Pflege. Wir sollten Kinder mit Bedarf bereits im vorletzten Kindergartenjahr untersuchen lassen, damit wir sie nicht erst nach einer Rückstellung vom Schulbesuch fördern können. Wir können diese Untersuchungen auch inhaltlich ausweiten und ärztlicherseits verbessern. Wir sollten Kinder möglichst systematisch in ausreichendem Umfang untersuchen lassen; das ist das Entscheidende. Dann hätten wir einen qualitativen Sprung bei den Schuleingangsuntersuchungen und ein frühes Screening, das die Chancen aller Kinder verbessert. Für sie wäre das – auch im Hinblick auf Verhaltensstörungen – ein gewonnenes Jahr.

Ein Schwerpunkt der Interpellation, meine Damen und Herren, ist erstens die Versorgung im ambulanten Bereich, und da müssen wir uns zwei Arztgruppen anschauen. Die eine Arztgruppe ist die der Nervenärzte, also der Psychiater, der Neurologen und der Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie. Hier gibt es eine Änderung. Diese Facharztgruppe war bisher in 76 der 79 bayerischen Planungsbereiche gesperrt. Wir haben jetzt – Gott sei Dank – eine Änderung, weil die neue Bedarfsplanungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses in Kraft getreten ist. Sie ist zum 1. Juli des vergangenen Jahres auch in Bayern umgesetzt worden. Nach dem neuen Bedarfsplan, der hieraus entwickelt wurde, haben sich jetzt auch bei der Arztgruppe der Nervenärzte zwölfeinhalb zusätzliche Niederlassungsmöglichkeiten in Bayern ergeben. Da hat sich die Reform schon gelohnt.

Dass die neue Bedarfsplanungsrichtlinie die ambulante Versorgung deutlich verbessert, zeigt sich gerade im Bereich der Arztgruppe der ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten. Hier hat vor der neuen Bedarfsplanung in 78 von 79 Planungsbereichen eine

Überversorgung geherrscht, und es gab eine Sperrung dieser Planungsbereiche. Infolge der neuen Planung wird aber nur noch in 43 der 79 Planungsbereiche eine Überversorgung festgestellt. In Bayern wurden so 250 zusätzliche Niederlassungsmöglichkeiten für Psychotherapeuten geschaffen. Das ist ein riesiger Schwung; denn Sie müssen bedenken, dass davor – ich habe es gesagt – alle 79 Planungsbereiche bis auf einen gesperrt waren. Das heißt, die neue Bedarfsplanung, für die sich auch bayerische Vertreter stark gemacht haben, hat sich gelohnt. Sie wird eine deutliche Verbesserung der ambulanten Versorgung bringen. Ich glaube, das können wir ganz klar sagen.

In fünf Planungsbereichen, in denen eine Unterversorgung festgestellt wurde – Rottal-Inn, Donau-Ries, Tirschenreuth, Regen und Freyung-Grafenau -, sind seit der Änderung so viele Zulassungsanträge gestellt worden, dass in fast allen Bereichen – bei Tirschenreuth sind wir auf einem guten Weg – eine Regelversorgung hergestellt werden konnte.

Das wird dann auch die Wartezeit auf eine psychotherapeutische Behandlung verkürzen. Liebe Frau Sonnenholzner, das steht sehr wohl in der Interpellation. Die Wartezeiten, zum Beispiel auf einen freien Psychotherapieplatz, sind in Unterfranken, der Oberpfalz und Niederbayern leider besonders lang; sie betragen regelmäßig sieben Wochen. Das ist zu lang. Aber da wird die neue Bedarfsplanungsrichtlinie, die ich gerade erwähnt habe, einen großen Effekt haben und zu einer Verkürzung auch dieser Wartezeiten führen. Auch da ist also die Bedarfsplanungsrichtlinie gut und richtig gewesen.

Lassen Sie mich vor einer Zusammenfassung insbesondere noch auf zwei Bereiche eingehen. Das eine ist die Ausbildung der Hausärzte für Demenzerkrankungen. Sie wissen, dass wir, durch den demografischen Wandel bedingt, sehr viel mehr ältere Menschen haben und damit die Zahl der Demenzerkrankungen zunimmt. Der weit überwiegende Teil der Menschen mit einer Demenzerkrankung wird durch seinen Hausarzt versorgt. Dazu sind auch 82 % der Hausärzte in Bayern ausreichend fortgebildet, sagt die KVB, sodass sie eine psychosomatische Grundversorgung gewährleisten. Das muss aber im Rahmen der Fortbildungen der KVB noch ausgebaut werden, zum Beispiel durch das sogenannte hausärztlich-geriatrische Basisassessment.

Um die Rolle der Hausärzte bei der Versorgung Demenzkranker weiter zu stärken, würde ich es persönlich sehr begrüßen, wenn es eine Zusatzweiterbildung in der gerontopsychiatrischen Grundversorgung geben würde. Das wird ja auch in der Antwort der

Staatsregierung genannt und entsprechend geprüft. Ich hoffe - und wir als Arbeitskreis werden auch das anschieben -, dass es künftig eine solche Zusatzweiterbildung der gerontopsychiatrischen Grundversorgung geben wird.

Zweitens. Zur gesamten Behandlungskette gehört auch die Pflege; das ist ein entscheidender Punkt. Ausweislich der Antwort der Staatsregierung gibt es bayernweit nur einen Pflegedienst mit der Spezialisierung für die Personengruppe der psychisch erkrankten, seelisch behinderten und suchtkranken Menschen; das ist der Ambulante Psychiatrische Pflegedienst München.

Jetzt kann man sagen, nur dieser eine, das ist zu wenig. In Bayern ist jedoch jeder Pflegedienst mit einem Versorgungsvertrag auch berechtigt, die regelmäßige Einnahme von Medikamenten bei psychisch oder gerontopsychiatrisch erkrankten Menschen zu überwachen bzw. diese Medikamente selbst zu geben. Für diese Leistungen steht daher in Bayern ein Netz von über 1.800 zugelassenen ambulanten Pflegediensten zur Verfügung. Ich halte es für richtig, zunächst einmal die bestehenden Versorgungsansätze zu nutzen, zu entwickeln und gegebenenfalls stärker zu strukturieren und aufeinander abzustimmen, bevor wir neue entwickeln.

So komme ich zu meinem Fazit: Das System der Versorgung von psychisch erkrankten, seelisch behinderten und suchtkranken Menschen in Bayern ist hoch differenziert, sehr spezialisiert und gut ausgebaut.

Darüber hinaus ist die Dezentralisierung der stationären psychiatrischen Versorgung weit fortgeschritten. Daran haben wir über 15 Jahre lang massiv gearbeitet. Um Bürgernähe zu gewährleisten und regionalen Besonderheiten bestmöglich zu entsprechen, ist die Planung und Steuerung der stationären und komplementären psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosomatischen Versorgung in Bayern weitgehend auf die Kommunen übertragen worden.

Wichtig ist hier, dass die Behandlung psychisch Kranker zunehmend auch im somatischen Krankenhaus also im normalen Krankenhaus - stattfindet, unter einem Dach mit den somatisch kranken Menschen. Das ist wichtig für die Antistigmatisierung der Psychiatrie-Patienten, die dadurch vorangebracht wird.

Ein wichtiges Gremium ist auch der Expertenkreis Psychiatrie, in dem Vertreterinnen und Vertreter aller an der Versorgung psychisch Kranker beteiligten Institutionen und Organisationen sowie der Selbsthilfe zusammenarbeiten. Dieser Expertenkreis Psychiatrie ist eine bundesweit einmalige Kommunikationsplattform und dient mittel- und langfristig der Überwindung von

Schnittstellenproblemen, die gerade in der psychiatrischen Versorgung oft hinderlich sind. Er dient daher auch zur Weiterentwicklung der Versorgungsangebote.

Ein Schwerpunkt der Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung muss beim weiteren Ausbau der psychiatrischen Krisendienste in Bayern liegen. Die Ministerin wird sicherlich noch darauf eingehen. Sie hat dies heute in ihrer Pressemitteilung schon betont. Die Schaffung einer Hotline kann von uns nur begrüßt werden.

Dazu möchte ich noch einmal sagen: Natürlich besteht in der Psychiatrie noch Verbesserungsbedarf. Wir haben hier ein lernendes System. Die psychiatrische Versorgung ist, wie die Gesundheitsversorgung insgesamt, eine Baustelle, die sich ständig den neuen Gegebenheiten anpassen muss. Hier werden wir ständig hinzulernen müssen, hier gibt es weiteren Ausbaubedarf. Deswegen ist es gut, dass wir bei den psychiatrischen Krisendiensten weiter ausbauen.

Mit diesem umfassenden Bericht ist die Datengrundlage gelegt. Die Antwort der Staatsregierung auf die Interpellation ist für alle Gesundheitspolitiker das Rüstzeug, um die psychiatrische Versorgung in Bayern weiter zu optimieren. Das ist nun zielgenauer und fundierter möglich. Deshalb ist heute ein guter Tag. Die Antwort der Staatsregierung auf die Interpellation ist ein wichtiger Schritt für die psychisch erkrankten, seelisch behinderten und suchtkranken Menschen in Bayern. - Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CSU)

Als Nächsten bitte ich den Kollegen Dr. Vetter ans Rednerpult.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Fehlende teilstationäre Plätze, lange Wartezeiten, erschreckend hohes Durchschnittsalter der Therapeuten, Unterversorgung in fünf Planbezirken – die vorliegende Antwort auf die Interpellation der SPD zur Situation der Psychiatrie zeigt noch eine Vielzahl von Defiziten in der psychiatrischen Versorgung in Bayern.

Es scheint, wir haben noch einen weiten Weg vor uns, hin zum Ziel einer guten Versorgung psychisch kranker Menschen. Aber gerade wenn man einen derart mühsamen Weg vor sich sieht, ist es manchmal sinnvoll, einen Blick nach hinten zu werfen und zu schauen, welche Strecke bereits zurückgelegt wurde.

Die Zustände in der Psychiatrie noch vor 100 Jahren waren schrecklich, unbeschreiblich und menschenverachtend. Psychisch kranke Menschen wurden weggesperrt, waren nahezu rechtlos. Die weitere Entwicklung ging viel zu langsam voran. Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Kindheit, ich muss vielleicht fünf, sechs oder sieben Jahre gewesen sein – ich komme aus einem kleinen Ort im Bayerischen Wald –, wo das Schlimmste, das man über einen Menschen sagen konnte, der Satz war: Der ist im Moment in Karthaus oder in Haar. - Gott sei Dank haben sich diese Zeiten inzwischen geändert.

Aber selbst der 1975 veröffentlichte Bericht einer Kommission der Psychiatrie-Enquete über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland war noch katastrophal. Hier wurde vor allem die Brutalität in psychiatrischen Krankenhäusern, aber auch bereits ein deutlicher Mangel an ambulanten Versorgungsmöglichkeiten beklagt. 70 % der Patienten seien damals gegen ihren Willen behandelt worden.

Hält man sich diese Vergangenheit vor Augen, sieht die gegenwärtige Situation in der Psychiatrie schon viel besser aus. Aber auch heute noch werden psychisch Kranke stigmatisiert. Wie die vorliegende Interpellation zeigt, ist die Versorgung in Bayern – je nachdem, wer die Interpellation liest – nach wie vor noch lückenhaft, so möchte ich es einmal ausdrücken,

(Beifall des Abgeordneten Prof. Dr. Peter Bauer (FREIE WÄHLER))

und das, obwohl wir in einer Zeit leben, in der psychische Erkrankungen an Bedeutung zunehmen.

Arbeitsverdichtung, Stress am Arbeitsplatz, Zeit- und Leistungsdruck – vielleicht lässt in dem einen oder anderen Fall das G 8 grüßen – wirken sich auf die psychische Gesundheit aus. Krankheitsfehltage oder Einschränkung der Erwerbsfähigkeit sind die Folge. Rund 40 % - in anderen Studien spricht man sogar von 50 % - der Bundesbürger leiden einmal im Leben an einer psychischen Erkrankung.

Hier zeigt sich deutlich auch die wirtschaftliche Dimension der psychischen Gesundheit. Es gibt durchaus seriöse Stimmen, die belegen, dass die Anzahl der psychischen Erkrankungen seit dem Zweiten Weltkrieg in den westlichen Industrienationen nicht nennenswert zugenommen hat; vielmehr sei gesellschaftliche Anerkennung psychischer Erkrankungen gestiegen, sodass zum einen subjektiv von den Patienten ein erhöhter Behandlungsbedarf gesehen wird, zum anderen auf ärztlicher Seite eine erhöhte Sensibilisierung für diese Krankheiten stattgefunden hat.

Dies ist zunächst eine durchaus wünschenswerte Entwicklung, bedeutet sie doch eine verbesserte Gesundheitsversorgung für die Betroffenen. Es besteht jedoch eine Gefahr, auf die ich heute hinweisen möchte, nämlich die Ausweitung von Diagnosen. Ich nenne nur das Stichwort Kodierung. Wer ist noch gesund und wer schon krank? In diesem gerade in der Psychiatrie ausgesprochen schwierigen Grenzbereich müssen wir sehr wachsam sein, wo wir tatsächlich eine Krankheit beginnen lassen oder welche Verhaltensweisen einfach zum Leben dazugehören.

Ist ein Mensch nach zwei Wochen Trauerzeit schon psychisch krank? Ist der lebhafte, in der Schule auffällige Junge psychisch krank? Muss er behandelt werden? Müssen ihm Medikamente verschrieben werden? Die Verordnungszahlen für Psychopharmaka steigen seit Jahren. Wir alle wollen, so glaube ich, die sehr gute Versorgung psychisch kranker Menschen, aber eben auch nur der kranken.

Nach diesen Vorbemerkungen möchte ich noch auf einige Bereiche der Interpellation eingehen. Es sind ja schon viele Zahlen und Fakten genannt worden, aber es gibt noch ein paar Dinge, die mir wichtig erscheinen.

An erster Stelle möchte ich als FREIER WÄHLER die flächendeckende psychiatrische Versorgung nennen, die in Bayern offensichtlich nicht ausreichend sichergestellt ist. Besonders deutlich wird dies bei der teilstationären Versorgung. Die Zahl ist genannt worden: Im Bundesdurchschnitt stehen für 100.000 Einwohner 14,5 teilstationäre Plätze zur Behandlung psychisch erkrankter Menschen zur Verfügung. In Bayern sind es nach Angaben der Staatsregierung nur 6,8 Plätze. Warum? Das, Kolleginnen und Kollegen, ist ja nicht einmal die Hälfte. Es entspricht nicht den Interessen der Patienten, die stationäre Versorgungsstruktur auszubauen, aber teilstationäre Plätze nicht ausreichend vorzuhalten. Die gleichen Defizite bestehen auch im ambulanten Bereich, worauf ich noch ein bisschen eingehen möchte.

Die ambulante oder teilstationäre Versorgung wird von kranken Menschen – da spielt es keine Rolle, ob sie psychisch oder körperlich krank sind – in den allermeisten Fällen vorgezogen, wenn sie denn medizinisch machbar und sinnvoll ist. Die Umgebung bleibt vertraut, Familie und Freunde sind in der Nähe, es gibt keine fremden Ärzte, Therapeuten oder Pflegekräfte. Das alles trägt letztlich zur Genesung bei und damit auch zur Senkung der Kosten der Krankenversicherung.

Im ambulanten Bereich ist das Alter der Therapeuten besonders bemerkenswert und lässt auf eine deutlich

schlechtere Versorgung in der Zukunft schließen. Wir sprechen hier im Plenum ja auch über die Zukunft.

Es gibt drei Planungsbereiche in Bayern, in denen 100 % der Therapeuten 60 Jahre und älter sind. In etlichen anderen Planungsbereichen sind das nur 60 oder 80 %. Es versteht sich von alleine, dass effektive Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die sich abzeichnenden Versorgungslücken aufzufangen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)