Protokoll der Sitzung vom 26.06.2014

Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 20. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde natürlich erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich Sie bitten, zweier ehemaliger Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 31. Mai verstarb Herr Max Strohmayer im Alter von 95 Jahren. Er gehörte dem Bayerischen Landtag als Vertreter des Wahlkreises Schwaben von 1950 bis 1958 für die Bayernpartei, deren Gründungsmitglied er war, und von 1972 bis 1974 für die SPD an. Die Schwerpunkte seiner Arbeit lagen in den Ausschüssen für Besoldungsfragen, für Grenzlandfragen, für sozialpolitische Angelegenheiten sowie für Eingaben und Beschwerden. Von der Verwaltung des Landratsamtes, wo er Verkehrsreferent war, führte ihn sein Weg in die Politik. 18 Jahre lang gehörte er dem Mindelheimer Stadtrat an. Acht Jahre war er Kreisrat und von 1971 bis 1988 Kreisvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt. - Der Staat hat seine Leistungen mit dem Bayerischen Verdienstorden gewürdigt.

Unser ehemaliger Kollege Otto Meyer verstarb gestern Abend kurz nach seinem 88. Geburtstag. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1966 bis 1990 an und vertrat dort den Stimmkreis Dillingen für die CSU. Während seiner Zugehörigkeit zum Hohen Haus war er Mitglied in mehreren Ausschüssen, von 1970 bis 1988 stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für kulturpolitische Fragen. Von 1988 bis 1990 bekleidete er das Amt des Staatssekretärs im Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Er war einer der herausragenden bayerischen Bildungspolitiker und nahm großen Einfluss auf die Gestaltung des bayerischen Bildungswesens. Dass die Schulen in Bayern in der deutschen Bildungslandschaft eine führende Stellung einnehmen, ist nicht zuletzt seiner Sachkompetenz und seiner politischen Überzeugungskraft zu verdanken. Neben zahlreichen anderen Gesetzen trug besonders das Erziehungs- und Unterrichtsgesetz seine Handschrift. Mit dem ihm eigenen Charme verstand er es, auch aufgeregte Debatten in ruhige Bahnen zu lenken. In seiner schwäbischen Heimat war er in vielfältiger Weise ehrenamtlich engagiert. Der Staat hat seine Verdienste mehrfach gewürdigt, unter anderem mit der Verfassungsmedaille in Gold.

Der Bayerische Landtag wird den beiden verstorbenen ehemaligen Kollegen ein ehrendes Gedenken bewahren und trauert mit ihren Familien. Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf auch noch einige Glückwünsche aussprechen. Jeweils einen runden Geburtstag feierten am 7. Juni Herr Kollege Alex Dorow, am 14. Juni Herr Kollege Michael Hofmann, am 20. Juni Herr Kollege Bernhard Roos und am 23. Juni Herr Kollege Steffen Vogel. Einen halbrunden Geburtstag feierte am 17. Juni die stellvertretende Vorsitzende der CSU-Fraktion, Frau Kollegin Gudrun Brendel-Fischer. Heute haben Frau Kollegin Martina Fehlner und Herr Kollege Thomas Mütze Geburtstag. Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg bei Ihren parlamentarischen Aufgaben.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der Fraktion FREIE WÄHLER "Bildung braucht Zeit - G 9 zulassen!"

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen. - Erster Redner für die Fraktion der FREIEN WÄHLER ist der Kollege Felbinger. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zeit spielt nicht nur in der Bildung eine große Rolle, sondern auch im Leben der Abgeordneten. Wenn ich mir hier die Reihen so ansehe, sind sie doch noch gut "durchlüftet". Zeit ist ein wesentliches Thema unserer heutigen Aktuellen Stunde "Bildung braucht Zeit – G 9 zulassen!" Diese Zeit haben die CSU und vor allem ihr überehrgeiziger Ministerpräsident einer ganzen Schülergeneration durch die überstürzte, konzeptlose und an falsche Erwartungen geknüpfte Einführung des "TurboAbiturs", des G 8, gestohlen.

Der Erziehungswissenschaftler Heinz-Elmar Tenorth hat im April 2013 in einem Beitrag auf Sat 1 Folgendes festgestellt:

G 8 war eine der strategisch dümmsten Entscheidungen, die im Bildungswesen jemals getroffen wurden. Ohne jeden Grund, ohne jegliche Rechtfertigung hat man das Wesentlichste und das Wichtigste, das man für Bildung braucht, reduziert, nämlich Zeit. Bildungsgänge setzen auf Zeit, Ruhe und einen vernünftigen Rhythmus.

Und auch die Freizeit ist für die Persönlichkeitsentwicklung enorm wichtig. Denn hier können Kinder ihre Bedürfnisse und Gefühle erleben und ausdrücken.

Meine Damen und Herren, die Erkenntnis, dass Bildung – ich ergänze: gute Bildung - Zeit braucht und wir deshalb endlich wieder ein neunjähriges Gymnasium im Angebotsportfolio unseres bayerischen Schulsystems brauchen, ist nicht neu. Es gab sie im Übrigen in Ihrem Ministerium, Herr Spaenle, schon 1951: Der damalige Kultusminister hatte genau die Erkenntnis, dass für eine gute gymnasiale Bildung, die eine breite Allgemeinbildung und vor allem die Studierfähigkeit zum Ziel hat, mehr Zeit nötig ist. Damals erfolgte der Umstieg vom acht- auf das neunjährige Gymnasium. Deshalb muss Ihnen, Herr Minister, und vor allem Ihnen von der CSU das bayerische Volk, die Bürgerinnen und Bürger, mit unserem Volksbegehren auf die Sprünge helfen, um Sie aus ihrem Dämmerschlaf aufzuwecken und Ihnen eine Morgendämmerung zu verschaffen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Sie sollten sich die CDU in Baden-Württemberg als Beispiel nehmen; denn sie hat diese Morgendämmerung schon hinter sich. Sie wurde nämlich in die Opposition geschickt und sieht nunmehr aus dieser neuen Perspektive, wie der Hase bei den 44 Modellschulen in Baden-Württemberg, die die Wahlmöglichkeit zwischen acht und neun Jahren anbieten, läuft: Der Trend zum G 9 ist nämlich eindeutig. Deswegen haben sich die Junge Union und die CDU in BadenWürttemberg für eine flächendeckende Ausweitung dieser Wahlmöglichkeit ausgesprochen. Komischerweise funktioniert es im Nachbarland wunderbar, dass Gymnasien im ländlichen Raum – ich nenne als Beispiel das Gymnasium in Neckarbischofsheim – nicht nur die Wahlmöglichkeit anbieten, sondern damit auch attraktiver werden und einen deutlichen Schülerzuwachs bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Zuruf von den FREIEN WÄHLERN: Hört, hört!)

Die Staatsregierung hat unserem Fraktionsvorsitzendem Hubert Aiwanger bestätigt, dass an 85 % der Gymnasien in Bayern eine Vierzügigkeit vorliegt und

damit diese Wahlmöglichkeit problemlos geboten werden könnte.

Jetzt werden Sie fragen: Was passiert mit den restlichen 15 %? Auch das kann ich Ihnen mit einem Blick ins Nachbarländle beantworten: Die würden sich alle ganz schnell für das G 9 entscheiden, weil Eltern und Schüler sehen, dass mit weniger Leistungsdruck und mehr Zeit – diesbezüglich gab es eine Umfrage der Landes-Eltern-Vereinigung der Gymnasien in Bayern aus dem Jahre 2010 mit einem klaren Ergebnis – die Entfaltung der Persönlichkeit und die persönliche Reife der Schüler wesentlich mehr gefördert und eine gute Bildung mit Qualität ermöglicht wird. Deshalb kann ich an Sie von der CSU und an Sie, Herr Minister Spaenle, nur appellieren: Betreiben Sie nicht weiter eine Blockadepolitik gegen den Willen der Bürger, stellen Sie sich den Realitäten und lassen Sie endlich das G 9 wieder zu!

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN – Zuruf des Abgeordneten Jürgen W. Heike (CSU))

Öffnen Sie damit die Tür zu einer qualitativ hochwertigen gymnasialen Bildung, bei der die Studierfähigkeit wieder als oberstes Ziel hergestellt wird und bei der das Gymnasium wieder zum Flaggschiff der bayerischen Schulen wird. Wenn Sie sich weiter dagegen stemmen, dann wird Sie der Bürger beim Volksbegehren abwatschen und Ihnen aufzeigen,

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

wie man es in Unterfranken so schön sagt, wo der Barthel den Most holt. - Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Vielen Dank, Kollege Felbinger. – Als Nächster Redner spricht Herr Professor Waschler für die CSU-Fraktion. Bitte schön.

Herr Präsident, Hohes Haus! Herr Kollege Felbinger und auch Herr Kollege Aiwanger, ich spreche Sie direkt an: Unklare Ziele bei Volksbegehren der FREIEN WÄHLER – bereits das Thema der heutigen Aktuellen Stunde – weisen darauf hin, dass der Gesetzentwurf von Ihnen nicht ernst genommen wird; denn im Gesetzentwurf steht eine Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9. Jetzt fordern Sie G 9 allein.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Das stimmt doch nicht! Zulassen!)

Da kann man nur sagen, lieber Herr Kollege Felbinger: Wenn hier von Dämmerschlaf gesprochen wird, dann richtet sich dieser Vorwurf wohl eher an die von

mir aus gesehen linke Seite des Hohen Hauses, nämlich an die Fraktion der FREIEN WÄHLER.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Genau lesen!)

- Wir lesen sehr genau, was Sie von sich geben.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Das eine zuzulassen heißt nicht, das andere zu verbieten!)

Wenn Sie jetzt von G 9 sprechen, dann müssten Sie das präzisieren; denn es hat den Anschein, als wollten Sie hier zum alten G 9 zurück, und das kann ja wohl nicht sein.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Ihr Augenschein trügt! – Weitere Zurufe von den FREIEN WÄHLERN)

In der Debatte haben Sie noch Gelegenheit, dem Hohen Haus klar zu sagen, dass das nicht Ihre Absicht ist.

Ansonsten sind handwerkliche Fehler enthalten.

(Zuruf des Abgeordneten Huber Aiwanger (FREIE WÄHLER))

Ich weiß, das ist Ihr Problem. Das wird auch von Ihren Kolleginnen und Kollegen draußen so gesehen; denn eine Wahlfreiheit ist schlicht und ergreifend ein Etikettenschwindel. Das haben wir bereits in der Aktuellen Stunde am 3. April und im Ausschuss gesehen.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Oh je!)

Sie sagen, die Schülerinnen und Schüler können wählen. aber im Gesetzentwurf steht, dass ein Schulforum, ein Gremium an den Schulen, Entscheidungen für eine ganze Schülergeneration über die Amtszeit des Schulforums hinaus trifft. Da kann man nicht sagen, dass der einzelne Schüler eine Wahlfreiheit hat;

(Beifall des Abgeordneten Jürgen W. Heike (CSU) – Zuruf des Abgeordneten Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER))

sondern hier wird die Wahlfreiheit eindeutig beschränkt.

Hinzu kommt, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass erfahrene Schulpraktiker sagen: Wenn diese Wahlfreiheit, wie sie die FREIEN WÄHLER wollen, kommt, dann wird eine solche Parallelführung in ländlichen Regionen – das ist so, Herr Kollege Aiwanger – und an kleineren Schulen schon aus organisatorischen Gründen

(Zuruf des Abgeordneten Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER))

nicht möglich

(Beifall bei der CSU – Zuruf des Abgeordneten Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER))

oder massiv erschwert sein. Gleichzeitig muss man den Menschen, die Sie zur Unterschrift für das Volksbegehren auffordern, aber auch sagen, dass längere Schulwege für viele Gymnasiasten die Folge wären und die Schließung kleinerer Standorte im ländlichen Raum schnell zur Diskussion stehen würde.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Sie schließen Schulen!)