Protokoll der Sitzung vom 04.11.2014

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte, die Plätze einzunehmen. – Ich eröffne die 28. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir mit der Tagesordnung beginnen, darf ich noch drei Geburtstagswünsche aussprechen. Am 29. Oktober feierte unsere Frau Präsidentin Barbara Stamm einen runden Geburtstag. Wir haben gerade im Senatssaal darauf angestoßen. Aber der Vollständigkeit halber und für das Protokoll soll dieser Geburtstag selbstverständlich auch im Plenum noch einmal erwähnt werden, damit er für die Nachwelt nachlesbar ist.

(Allgemeiner Beifall)

Frau Kollegin Susann Biedefeld feierte am 2. November auch einen runden Geburtstag,

(Allgemeiner Beifall)

und Herr Kollege Martin Neumeyer feiert heute ebenfalls einen runden Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Die Präsidentin hat ihm schon bei dem Empfang, der soeben stattgefunden hat, gratuliert. – Im Namen des Hohen Hauses und persönlich wünsche ich Ihnen alles Gute und viel Erfolg für Ihre parlamentarische Arbeit.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Neue Konzepte statt Pflege am Limit - für bessere Pflege in Bayern"

Über die Regeln der Aktuellen Stunde will ich mich hier nicht weiter verbreiten; Sie können sie alle in der Geschäftsordnung nachlesen. Erster Redner ist Kollege Leiner von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Jahr Gesundheits- und Pflegeministerium in Bayern – und nahezu nichts ist passiert.

(Josef Zellmeier (CSU): Oh, oh! Das stimmt aber nicht!)

Es ist höchste Zeit, dass sich das Ministerium nicht länger mit sich selbst beschäftigt, sondern mit der Situation der alten, kranken und pflegebedürftigen Menschen in Bayern. Schon jetzt herrscht in vielen Regionen und Bereichen akuter Pflegenotstand. Bereits jetzt kommt es in zahlreichen Pflegeeinrichtungen aufgrund von Personalengpässen zu dramatischen Qualitäts- und Versorgungsmängeln. Wir kennen die Beispiele aus den Medien. Das Pflegepersonal ist mit der Situation häufig überfordert, die Schülerinnen und Schüler werden in manchen Einrichtungen regelrecht verheizt. In der Folge von Überlastung und Frustration kommt es beim Fachpersonal verstärkt zu Burn-outErscheinungen und psychischen Erkrankungen. Die Krankheitsquoten steigen, und die durchschnittliche Verweildauer in dem Beruf sinkt.

Die Reduzierung auf eine Notversorgung wird in immer mehr Einrichtungen zum Alltag, sowohl in den Altenheimen wie leider auch in den Krankenhäusern. Wie der aktuelle Gesundheitsreport des bayerischen Gesundheitsministeriums zeigt, führt die demografische Entwicklung in Bayern zu einem Anstieg der älteren Bevölkerung und damit zu einer steigenden Anzahl an Menschen, die im Alltag auf Hilfe und Pflege angewiesen sind. Das Risiko, an Demenz zu erkranken, steigt durchschnittlich ab dem 80. Lebensjahr deutlich an. Auch wenn die häusliche Versorgung durch Angehörige die häufigste Pflegeform ist, werden fast alle Demenzkranken im Laufe ihrer Erkrankung so pflegebedürftig, dass sie ins Heim umziehen müssen. Zwei Drittel aller Bewohnerinnen und Bewohner in stationären Einrichtungen leiden inzwischen an Demenz. Auch in Krankenhäusern nehmen die Probleme mit multimorbiden Störungen zu, wobei die Demenz hierbei die größte Herausforderung darstellt.

Dem "Gesundheitsreport" zufolge ist in Bayern bis zum Jahr 2020 mit einem Anstieg der Zahl der Menschen mit Demenz um rund 20 % auf circa 270.000 zu rechnen. Dies entspricht in etwa der Bevölkerung der Stadt Augsburg, um einmal eine Vergleichsgröße zu nennen. Bis zum Jahr 2032 würde sich ihre Zahl sogar um mehr als 50 % auf rund 340.000 erhöhen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Vor allem Angehörige, die Demenzkranke zu Hause betreuen, brauchen eine weitreichende Unterstützung und kompetente Beratung, die komplett finanziert werden muss. Notfalls muss Bayern hier mit einem eigenen Programm einspringen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

"Wenn Pflege zur Zerreißprobe wird", so überschreibt die "Augsburger Allgemeine" einen Artikel von ges

tern. Sie beschreibt am Beispiel eines an Parkinson erkrankten Menschen mit Demenz die Pflege durch dessen Ehefrau. Die Gemütsschwankungen, das Nicht-mehr-Erkennen von vertrauten Personen und die völlige Veränderung der Persönlichkeit machen der hier geschilderten Frau das Leben unglaublich schwer. Viele Angehörige kämpfen zusätzlich mit Gewissensbissen, wenn sie ihre Lieben in eine stationäre Einrichtung geben. Der Sozialverband VdK hat eine Einrichtung geschaffen, in der Pflegende mit den von ihnen Betreuten gemeinsam eine Woche verbringen können und wo sie professionelle Unterstützung erhalten. Ich muss darauf hinweisen, dass dies die einzige derartige Einrichtung in ganz Deutschland ist; sie befindet sich in Neuburg. Von solchen Einrichtungen bräuchten wir wesentlich mehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bayern ist für diese Herausforderungen nicht gewappnet. Wir alle wissen, dass es im Falle von Demenzkranken an Pflegeberatung und an Angeboten zur Unterstützung pflegender Angehöriger und nicht zuletzt an Zuwendung in den Pflegeheimen fehlt. Die Zeit der Runden Tische ist vorbei. Jetzt ist die Zeit zu handeln. Wir brauchen jetzt eine Demenzoffensive, ein entschlossenes Handeln der Staatsregierung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Menschen mit Demenz dürfen nicht auf bloße Pflegefälle reduziert werden. Sie sind ein Teil unserer Gesellschaft. Sie haben einen Anspruch darauf, dass sie in Würde alt werden können und dass wir uns um sie kümmern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die strukturellen Probleme in der Pflege, der Fachkräftemangel und die chronische Unterfinanzierung in diesem Bereich sind bereits seit Langem bekannt. Trotzdem kommt es zu keinen grundlegenden Verbesserungen und zu keinen Reformen in diesem Bereich. Bayern hätte längst die Ausbildungsumlage einführen können, damit die Träger von Einrichtungen, die ausbilden, dafür nicht bestraft werden.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Bisher werden Altenpflegeeinrichtungen dazu gezwungen, die Kosten für die praktische Ausbildung von Nachwuchspersonal auf die Pflegesätze umzulegen bzw. die Gebühren der ambulanten Pflege zu erhöhen. Kosten für die Praxisanleitung und die Sachkosten der Ausbildung werden überhaupt nicht refinanziert. Ausbildende Betriebe haben daher einen unzumutbaren Wettbewerbsnachteil gegenüber den Betrieben, die nicht ausbilden. Das macht circa – wir

haben es einmal ausgerechnet – 6 Euro an Mehrkosten pro Bewohner und Tag aus. Ein Heim, das ausbildet, müsste 180 Euro mehr pro Monat verlangen. Diese Mehrkosten lassen sich nur durch Einführung einer verpflichtenden Ausbildungsumlage ausgleichen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Eine solidarische Finanzierung der Ausbildung verbessert außerdem die Finanzierung der betrieblichen Ausbildung und erhöht so die Motivation zur Einrichtung zusätzlicher Ausbildungsplätze. Langfristig müssen im Zuge der Generalisierung der Pflegeausbildung die Kosten der Ausbildung in der Altenpflege analog zur Krankenpflege gesetzlich abgesichert und aus Steuermitteln finanziert werden. Die Kosten der Pflegeausbildung dürfen nicht auf Dauer von den Pflegebedürftigen allein getragen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine bessere Vergütung des Fachpersonals in der Kranken- und Altenpflege ist ein weiterer Hebel zur Erhöhung der Attraktivität des Berufsbildes und zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Die höheren fachlichen Anforderungen durch die Betreuung Demenzkranker oder auch durch die Versorgung Demenzkranker mit gerontopsychiatrischen Erkrankungen und durch die Begleitung und Pflege, nicht zuletzt von Sterbenden, müssen sich auch im Gehalt des Personals ausdrücken. Da die Verhandlungsmacht der Pflegeeinrichtungen im Rahmen der Selbstverwaltung der Pflege offensichtlich nicht ausreicht, um gegenüber den Pflege- und Krankenkassen eine bedarfsdeckende Refinanzierung der Personalkosten durchzusetzen, muss die Staatsregierung eventuell auch andere Maßnahmen in Erwägung ziehen.

Wir begrüßen die Initiative des Kollegen Imhof, der einen allgemeinen, verbindlichen Tarifvertrag in allen Einrichtungen anstrebt. Dies würde die unterschiedliche Entlohnung des Personals von verschiedenen Trägern beseitigen und allen in der Pflege Beschäftigten zugutekommen, aber natürlich nur, wenn die Löhne angemessen hoch sind. Darüber hinaus bedarf es dringend der Ausbildung von Pflegefachhelfern und -helferinnen, da es schon derzeit zu wenige examinierte Pflegekräfte gibt. Viele Einrichtungen haben große Schwierigkeiten, die Fachkraftquote einzuhalten.

Bisher existieren in Bayern überhaupt keine gesicherten Daten über den zukünftigen Personalbedarf und den Bedarf an Ausbildungsplätzen in der Pflege. Dies wurde bereits in der Landtagsanhörung zur Zukunft der Alten- und Krankenpflege im Jahr 2010 von der versammelten Fachöffentlichkeit einhellig kritisiert.

Nur auf der Basis präziser Bedarfsprognosen ist eine gezielte politische Planung und Steuerung der Ausbildungsangebote möglich. Frau Staatsministerin Huml muss jetzt endlich im Landtag die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Studie zum Ausbildungsbedarf für die Pflege, die für den Mai zugesagt wurden, vorlegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die bayerische Initiative "Herzwerker" weist zwar im Prinzip in die richtige Richtung, sorgt aber bei Weitem nicht für den notwendigen Nachwuchs. Auch die Einrichtung von Pflegestützpunkten, die 2009 beschlossen wurde, ist noch lange nicht verwirklicht. Es gibt gerade einmal acht Stützpunkte; 60 sollten es sein.

Ähnliches gilt für die Pflegekammer. Bereits im Jahr 2011 hat der damalige Gesundheitsminister Markus Söder die Einrichtung einer Pflegekammer angekündigt. Alle weiteren Schritte in Richtung Pflegekammer wurden in der schwarz-gelben Koalitionsregierung angeblich von der FDP blockiert. Die Pflegekammer gibt es leider bis heute noch nicht. Es gibt auch keine Entscheidung über die Pflegekammer, die jetzt dringend notwendig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die Bayerische Staatsregierung darf nicht wie das Kaninchen auf die Schlange auf Berlin schauen. Das Thema Pflege ist von zentraler Bedeutung. Es betrifft uns alle, die wir hoffentlich alt werden. Damit steigt allerdings auch die Neigung zu Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Die Bayerische Staatsregierung steht gegenüber der bayerischen Bevölkerung in der Verantwortung, alle Möglichkeiten zur Verbesserung der Pflegesituation voll auszuschöpfen. Das tut sie nach unserer Ansicht leider nicht. Die Einrichtung des Gesundheits- und Pflegeministeriums war wichtig und richtig. Frau Staatsministerin Huml muss aber jetzt unbedingt handeln.

Lassen Sie mich am Ende noch einen Dank für die großartige Arbeit aller Pflegekräfte in Bayern aussprechen, insbesondere einen Dank an die zu Hause Pflegenden, die häufig still und ohne große Unterstützung ihre Angehörigen betreuen. Sie sind für uns die wahren Helden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat Herr Kollege Imhof von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Leiner, ich habe Sie – ehrlich gesagt – in wichtigen Debatten schon leidenschaftlicher erlebt. Ich habe heute Ihre Leidenschaftlichkeit ein bisschen vermisst.

Ich freue mich, dass ich für unsere Fraktion einige Anmerkungen zu dem Thema, das Sie hier entfalten wollen, machen darf. Das mache ich sehr gerne. - Lieber Herr Kollege Leiner, natürlich gab und gibt es eine Ministerin, die mit ganzer Leidenschaft und mit ihrer beruflichen Vorerfahrung für die Anliegen eintritt. Sie wissen, etwa 30 % der gesetzlichen Entscheidungen finden in Berlin statt. Ich finde, da macht unsere Ministerin Melanie Huml einen bravourösen Job.

(Beifall bei der CSU)

Ich blende zurück zu den Koalitionsverhandlungen: Die Ministerin ist nämlich seit Beginn der Verhandlungen zum Koalitionsvertrag für Verbesserungen in der Pflege zuständig gewesen, die wir alle wollen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Insofern bietet es sich bei diesem Thema nicht so sehr an, nur die widerstreitenden Interessen darzulegen, sondern wir sollten vor allem das darstellen, was uns verbindet.

Frau Kollegin Huml hat in Bayern aber auch bei folgenden Themen Entscheidendes beigetragen; ich nenne nur zwei Stichpunkte: Als es in der Pflegesatzkommission um die Verbesserung des Personalschlüssels ging, hat sie maßgeblich moderiert. Somit gibt es seit 1. Januar auf der Ebene der Landespflegesatzkommission einen ersten Schritt zur Verbesserung der Pflegesituation. Ich gebe zu, dass es nur ein erster Schritt ist, aber es ist ein wichtiger Schritt.

(Zuruf von den GRÜNEN)