Gerade auf dem Gebiet der Präventions-, Sozial- und Bildungsarbeit brauchen wir zum Schutz jüdischer Einrichtungen und Moscheen ganz sicher Maßnahmen im Sicherheitsbereich. Daneben brauchen wir aber im Bereich der Präventions-, der Sozial- und Bildungsarbeit deutlich stärkere Anstrengungen der Staatsregierung.
Entscheidend ist für uns im Kampf gegen Ausgrenzung und Gewalt die Stärkung und Förderung der zivilgesellschaftlichen Kräfte, die sich für eine moderne, eine offene, eine tolerante Gesellschaft einsetzen. Wir haben kürzlich im Verfassungsausschuss unseren Antrag zu einer Weiterentwicklung und Evaluierung des Handlungskonzepts gegen Rechtsextremismus diskutiert. Leider sind Sie unserem Antrag nicht gefolgt.
Es ist nicht alles gut in Bayern. Auch unser Handlungskonzept gehört evaluiert. Wir müssen doch sehen, ob die Maßnahmen wirklich greifen, ob sie gegen Antisemitismus wirken. Von der Staatsregierung wird uns aber gesagt: Das ist gar kein Programm gegen Rassismus, sondern nur gegen rechtsextremistische Gewalt. Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen aber ein Programm gegen Rassismus, gegen Antisemitismus in dieser Gesellschaft.
Es gab auf Bundesebene einen unabhängigen Expertenkreis "Antisemitismus", der seine Schlussfolgerungen 2011 vorgelegt hat. Diese Empfehlungen liegen seitdem in der Schublade. Wir müssen die konkreten Handlungsempfehlungen dieses Expertengremiums endlich umsetzen. Wir müssen die vom Grundgesetz und der Bayerischen Verfassung garantierte Gleichstellung aller Religionen und Weltanschauungen vorantreiben. Das müssen wir hier in unserem Land tun. Dazu gehört es auch, dass wir Juden und Jüdinnen, aber auch Muslime und Muslima im öffentlichen Raum sichtbar machen, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass bei jedem Staatsakt, an dem christliche Vertreter teilnehmen, eben auch Juden und Muslime teilnehmen, und zwar nicht im Publikum, sondern vorne.
Kolleginnen und Kollegen, es braucht aber noch mehr. Ich denke, wir alle und alle politisch Verantwortlichen in diesem Land müssen das eigene Reden kritisch überprüfen. Wer es ernst meint mit diesem Antrag, sollte sich in der politischen Auseinandersetzung nicht mehr einer Sprache bedienen, die der von Rassisten und Antisemiten gefährlich nahekommt. Er soll
te nicht gleiche oder ähnliche Begrifflichkeiten verwenden wie diejenigen, die wir bekämpfen wollen. Er sollte alles unterlassen, was anknüpfungsfähig ist für die Feinde unserer toleranten demokratischen Gesellschaft und was Antisemitismus, Islamophobie, Rassismus oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit salonfähig macht.
Er oder sie sollte den Begriff des christlich-jüdischen Abendlandes aus dem aktiven Wortschatz streichen. Eine christlich-jüdische Symbiose, die in eine irgendwie geartete Leitkultur dieses Landes mündete, gab es in Deutschland nie. Eine jahrhundertelange Tradition der Verfolgung, Diskriminierung und Pogrome in Deutschland und anderen europäischen Staaten gegen Juden und Jüdinnen bestimmt viel mehr das historische Bild des christlich-jüdischen Verhältnisses. Die Berufung auf die Werte des christlich-jüdischen Abendlandes blendet sowohl die deutsche Geschichte des Antisemitismus als auch den gegen Migranten und Migrantinnen gerichteten Rassismus aus. Zudem wird für eine säkularisierte Gesellschaft ein omnipräsenter religiöser Identitätsbezug hergestellt, der mit den realen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr übereinstimmt.
Neben der ausgrenzenden Wirkung gegenüber allen, die nicht dem Christlich-Jüdischen zuzuordnen sind, wird aber auch die jüdische Kultur und Religion wieder mit Zuweisungen versehen. So schreibt der ehemalige Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland Salomon Korn, dass in dieser Debatte und der um das christlich-jüdische Abendland den Juden wieder eine Rolle zugewiesen werde, die er als "Funktionsjude" umreißt. Er sagt, die Deutschen brauchen die anderen, um zu sagen, wer sie selbst sind oder sein könnten. Neuerdings würden die "Funktionsjuden" in die christlich-jüdische Kulturdebatte inkorporiert, um gemeinsam gegen den neuen Fremden, den Islam, anzugehen.
Diese Gedanken, Kolleginnen und Kollegen, finden sie gut und verständlich ausgeführt in einem Artikel von Marcus Meier in der Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" aus dem Jahr 2013 unter dem Titel "Fallstricke bei der Bildungsarbeit gegen Antisemitismus".
Also bitte, verabschieden wir uns alle, verabschieden Sie sich vom christlich-jüdischen Abendland. Diese Debatte heute zeigt, dass wir alle miteinander noch einen weiten Weg vor uns haben, hin zu einer Gesellschaft ohne Rassismus und ohne Antisemitismus. In unserem Land ist Menschenwürde das höchste Gut, die Würde jedes Menschen.
Die Menschenrechte und die Demokratie sind unsere Werte. Dazu gehört die Religionsfreiheit. In dieser Gesellschaft sollte es kein "Wir und die anderen" mehr geben, sondern nur noch ein "Wir"
wir Juden und Jüdinnen, wir Moslems und Muslima, wir Christen und Christinnen, wir Konfessionslose, wir Atheisten und Atheistinnen.
Danke schön. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/5405 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – Keine. Stimmenthaltungen? – Auch keine. Damit ist dieser Antrag einstimmig beschlossen.
Ich darf mich beim Hohen Haus, bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr, sehr herzlich bedanken für dieses Signal nach draußen, nicht nur an die Menschen in Bayern, sondern auch darüber hinaus. Danke schön!
Kolleginnen und Kollegen, die Dringlichkeitsanträge auf den Drucksachen 17/5406 bis 17/5412 sowie 17/5436 werden in die zuständigen federführenden Ausschüsse verwiesen.
Antrag der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Christine Kamm u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bayrische Aufnahmeprogramme für syrische und irakische Kriegsflüchtlinge sofort einrichten (Drs. 17/3194)
Ich eröffne die Aussprache. Die Gesamtredezeit und wie sie sich auf die Fraktionen verteilt, ist bekannt. Als Erster darf ich Frau Kollegin Kamm das Wort erteilen. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Krieg, Gewalt und Vertreibung machen weltweit unzählig vielen Menschen, vielen Familien mit Kindern, das Leben zur Hölle. Flucht erscheint vielen als der einzige Ausweg. Meine Kolleginnen und Kollegen, die Ver
zweiflung der Menschen muss unendlich groß sein, wenn man sieht, welche Schiffe sie im Winter besteigen, um sogar bei Windstärken um 8 noch zu versuchen, das Mittelmeer zu überqueren.
In Deutschland lebende Menschen mit syrischen Wurzeln haben nur eine geringe Chance, ihre Angehörigen aus den Krisen- und Kriegsregionen zu sich nach Deutschland zu holen und in Sicherheit zu bringen. Bund und Länder haben zwar eine Möglichkeit für eine legale Einreise geschaffen, allerdings nur für eine begrenzte Zahl und mit erheblichen bürokratischen Hürden. Das Bundeskontingent für 20.000 Flüchtlinge, die aus den syrischen Kriegsregionen praktisch nachgeholt werden könnten, ist mittlerweile ausgeschöpft und abgeschlossen. Ein neues Aufnahmeprogramm ist derzeit leider nicht in Sicht, obwohl die Bundeskanzlerin im Zuge des IS-Terrors versprochen hat, mehr zu helfen und auch den Flüchtlingen aus dem Irak zu helfen.
Neben dem Bundesprogramm haben sehr viele Bundesländer eigene Aufnahmekontingente erlassen, um zusätzlich Menschen aus der Not nach Deutschland zu holen, allerdings noch nicht Bayern. Ich möchte mich daher bei den Fraktionen der SPD und der FREIEN WÄHLER dafür bedanken, dass sie unseren Antrag auf eine bayerische Aufnahmeanordnung bisher unterstützt haben, und hoffe sehr, meine Kolleginnen und Kollegen von der CSU, dass Sie die Chance heute nützen und sich anschließen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, natürlich können wir nicht alle Probleme lösen, aber wir sollten das tun, was wir tun können, zum Beispiel wenigstens den Familiennachzug erleichtern.
Ich möchte noch einmal an Sie appellieren, Ihre Ermessensspielräume bei den Ausländerbehörden hinsichtlich der Gewährung von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen adäquat auszuschöpfen.
Ich möchte beispielsweise das Schicksal einer Mutter erwähnen, die ich kenne, deren Kinder auf der Flucht unterwegs nicht mitgenommen wurden, die in einem Zwischenland sind. Die Mutter denkt im Prinzip Tag und Nacht an nichts anderes als daran, wie sie es schafft, ihre zwei Töchter nachzuholen. Es dauert, und es zieht sich hin. Das ist wirklich eine ganz, ganz schlimme Situation, die wir einfach lindern könnten, wenn wir nur wollten.
Der UNHCR sagt, dass ein Fünftel der Frauen in den Krisen- und Kriegsgebieten durch Visa-Regelungen und andere Beschränkungen von ihren Familien getrennt sind. Sie erleben unendlich viel Not und Leid, das wir wenigstens teilweise lindern könnten.
Ein weiterer Grund, warum wir unbedingt mehr tun sollten und handeln sollten, sind die zunehmenden Probleme in den Nachbarländern der Krisen- und Kriegsgebiete. Wenn wir erreichen wollen, dass diese nicht unter der jetzigen Situation kollabieren, sollten wir jetzt mehr tun. Ich erinnere an den UNHCR, der gesagt hat, Europa sollte wenigstens für 5 % der Flüchtlinge aus den Krisen- und Kriegsgebieten Schutz bieten. Ich meine, ein bayerischer Beitrag wäre das Erste. Das Zweite wäre natürlich auch, für mehr europäische Solidarität zu werben, um die Not quasi vor Europas Haustür etwas zu lindern und die Situation etwas zu verbessern.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kamm, ich glaube, wir sind uns in einem absolut einig: Das ist eine schreckliche Situation, die uns täglich betroffen macht. Ich glaube, wir sind uns, wenn man die Fernsehbilder sieht, auch einig, dass es eine dramatische Situation ist. Frau Kamm, wir sind uns auch darin einig: Wir müssen helfen. Ich habe schon einige Teilbereiche gehört. Sie haben heute erwähnt, dass wir hier nicht das ganze Leid lindern können. Damit haben Sie absolut recht. Ich glaube aber, wir sind uns noch nicht ganz einig über die Richtungen und darüber, wie wir Hilfe leisten müssen.
Was machen wir momentan bei uns? – Syrische Flüchtlinge kommen als Asylbewerber zu uns. Wir leisten – ich glaube, das ist das absolut Wichtigste – humanitäre Hilfe vor Ort. Wir nehmen syrische Flüchtlinge im Rahmen von Bundesaufnahmeverfahren auf. Sie haben richtig gesagt, dass es andere Länder gibt, die Landesaufnahmeprogramme haben. Darauf gehe ich etwas später ein. Wir sollten auch einmal anerkennen: Deutschland ist in Europa Vorreiter beim Schutz syrischer Flüchtlinge. Im Jahr 2013 haben wir knapp 12.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen, im Jahr 2014 waren es bereits 40.000, und allein im Ja
nuar 2015 waren es schon weit über 5.000. Die Anerkennungsquote liegt bei 100 %. Wir tun vor allem eines: Wir geben den syrischen Flüchtlingen eine Perspektive, weil wir, glaube ich, alle nicht damit rechnen können, dass sich die Probleme von heute auf morgen lösen werden.
Hier sei mir ein Schwenk auf die allgemeine politische Diskussion und ein Dank an unsere Staatsregierung erlaubt. Obwohl wir momentan nicht nur mit syrischen Flüchtlingen umgehen müssen, sondern auch mit Flüchtlingen aus vielen anderen Ländern, läuft der Winter-Notfallplan super. Ich meine, auch hier und vonseiten der Opposition gehört einmal anerkannt, dass Herr Staatsminister Herrmann, Frau Europaministerin Merk, die erst im Kosovo war, und unsere Sozialministerin einfach eine hervorragende Arbeit leisten. Das könnte man im Parlament auch einmal fraktionsübergreifend anerkennen.
Bei einem solchen Tagesordnungspunkt kann man das Thema Kosovo und Balkan nicht außen vor lassen. In der Öffentlichkeit wird versucht, die CSU in ein rechtes, in ein braunes Eck zu drängen. Die CSU ist weder eine rechtsextreme noch eine braune Partei, sondern die CSU ist eine Partei, die vernünftig helfen will und vor allem will, dass die Hilfe auch bei den Leuten ankommt, die sie brauchen. Wir helfen keinem Kosovaren, wenn wir ihn für zwei Monate aufnehmen und ihn dann wieder zurückschicken.
Ich bin d’accord: Wir müssen im Kosovo etwas tun. Auch diesbezüglich geht ausdrücklich der Dank an Frau Staatsministerin Merk, die sich im Kosovo gezeigt hat. Es ist nicht der Sinn der Sache, einem Kosovaren zu versprechen, dass er bei uns 1.500 Euro Begrüßungsgeld erhält. Das wird er niemals bekommen. Wir müssen von hier aus Zeichen geben, dass dies nicht stimmt. Das müssen wir nach Europa hinaustragen.