Protokoll der Sitzung vom 02.02.2016

Genau. Deswegen sind Ihre Haare jetzt kurz. – Ich habe nie verstanden, warum meine Oma wählen durfte und ich nicht. Deswegen ist es seitdem fast zu einer Obsession von mir geworden, dass ich hier in diesem Hohen Hause für eine Absenkung des Wahlalters werbe – gemeinsam mit dem Bayerischen Jugendring, den Jugendverbänden, mit der Landesschülervertretung, allen möglichen Organisationen, in denen sich junge Menschen unter 18 Jahren politisch betätigen. Jeder der hier anwesenden Abgeordneten lobt sie zwar an allen Ecken und Enden für ihr politisches Engagement, aber man war doch bis heute noch nicht dazu bereit, ihnen das angemessene Wahlrecht zukommen zu lassen.

Ich denke, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist, über dieses Thema zu reden. Auch der Rat der Gemeinden und Regionen Europas – RGRE – in Straßburg hat eine Empfehlung ausgesprochen, Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, am politischen Geschehen zu partizipieren. Der Beschluss war einstimmig. Der CSU-Kollege Taubeneder hat gemeinsam mit mir, mit der deutschen Delegation, über alle parteipolitischen Grenzen hinweg zugestimmt.

(Widerspruch des Abgeordneten Walter Tauben- eder (CSU))

Doch, doch. Ich habe das beobachtet. Ich hab’s mit dem Handy fotografiert.

(Heiterkeit bei der SPD)

Auch die politischen Erfahrungen mit dem Wahlalter 16 auf kommunaler Ebene, zum Beispiel in NordrheinWestfalen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder Schleswig-Holstein, verdeutlichen, dass Jugendliche mit politischen Entscheidungskompetenzen sehr wohl umgehen können.

Also habe ich mich heute Morgen sehr gut vorbereitet. Meine Mutter hat mich zufällig angerufen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Ich habe versucht, das Telefonat abzuwürgen; ich habe meiner Mutter gesagt: Du, Mutter, ich muss mich vorbereiten, ich muss heute zum Wahlalter 16 reden. Dann fragte sie mich: Habt ihr keine anderen Probleme im Bayerischen Landtag? –

(Beifall bei Abgeordneten der CSU und der FREI- EN WÄHLER)

Sie sagte: All die armen Flüchtlinge, Pegida, AfD – müsst Ihr nichts gegen die Petry und gegen die ganze Brandstiftung machen? – Dann habe ich zu meiner Mutter gesagt: Doch, Mama, genau deswegen muss ich heute zu einer Absenkung des Wahlalters reden.

(Beifall bei der SPD)

Es besteht nämlich ein Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und Politikverdrossenheit. Es besteht auch ein Zusammenhang zwischen Politikverdrossenheit und der Bereitschaft, radikal zu wählen. Die grassierende Politikverdrossenheit ist nämlich nicht nur Produkt einer ermüdeten Demokratie, sondern – und diese Diagnose ist nicht von der Hand zu weisen – auch einer immer stärkeren Entfremdung von Politik und Wählern bzw. von Politikern und Politikerinnen und Wählern.

Dem verbreiteten und Verdruss erzeugenden Eindruck des alternativlosen Vollzugs technisch-ökonomischer Zwänge durch die Politik muss wieder die Pluralität politischer Entwürfe entgegengestellt werden dürfen. Ansonsten droht ein Schwund an konstitutionellen Werten, hinter denen wir – mit ganz unterschiedlichen Positionen – doch alle stehen, zugunsten von antipolitischen Momenten einer Erregungs- und Empörungsgesellschaft, für die AfD und Pegida stehen. Das können wir ja wohl nicht wollen.

Zu einer Pluralität der Lebenswelten gehört vor allem die Welt der Jugendlichen und der jungen Erwachsenen, die in unserem politischen Gefüge, in unserem politischen Entscheiden und Handeln immer weniger zum Zuge kommt. Das erzeugt eben diese Politikverdrossenheit, also die Verdrossenheit im Hinblick auf die Politik sowie die Politikerinnen und Politiker. Im schlimmsten Fall erzeugt sie eine Bereitschaft zu Radikalismus und politischem Extremismus. Im besseren, aber immer noch negativen Fall führt sie zu Wahlund Partizipationsverweigerung.

Die seit Jahren sinkende Wahlbeteiligung auf allen staatlichen Ebenen schadet der Demokratie. Die Studie der Bertelsmann Stiftung "Wählen ab 16" hat sich ganz intensiv damit beschäftigt. Ich wiederhole jetzt nicht, was Claudia Stamm zu diesem Thema gesagt hat. Diese Studie zeigt deutlich, je früher und je häufiger sich Erst- und Jungwähler beteiligen, umso höher sind langfristig die Wahlbeteiligung und die Akzeptanz der gewachsenen demokratischen Strukturen. Auch eine für diese Studie durchgeführte Simulationsrechnung zeigt deutlich – deswegen macht es schon einen Unterschied, lieber Kollege, ob wir zwei Jahre früher oder später starten –, bei einer Steigerung der Erst

wahlbeteiligung um weniger als ein Drittel würde man die Gesamtwahlbeteiligung auch irgendwann einmal wieder auf über 80 % erhöhen. Wählen mit 16 ist deshalb nicht nur jugendpolitisch ein wichtiges Thema, sondern auch mit Blick auf die Stabilisierung der Wahlbeteiligung und der Demokratie in unserem Land.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe online gelesen, dass Minister Herrmann im "Bayernkurier" gesagt hat, er möchte Wahlrecht und Volljährigkeit nicht voneinander trennen. Beides gehört für ihn unweigerlich zusammen, das kann man nicht trennen. Daran sieht man, er ist ein studierter Jurist und ein Beamter. Wäre er Politologe oder Historiker, wüsste er nämlich, dass dieses Argument historisch nicht gilt. Bei der Bundestagswahl 1972 durften erstmals die damals noch nicht volljährigen 18- bis 20-Jährigen wählen. Das Alter der Volljährigkeit lag damals noch bei 21 Jahren. Es lag also schon einmal auseinander. Ich denke, das kann man bei uns auch entsprechend gestalten. Johanna Werner-Muggendorfer gehört zu der Generation, die hier quasi Nutznießer war.

Der Minister hat allerdings eine qualifizierte Zuarbeit in seinem Ministerium. 2006 hat das Innenministerium seine Fachfrau zur Verfügung gestellt, als wir in einem Hearing der SPD-Fraktion über die Absenkung des Wahlalters auf 14 Jahre debattiert haben. Diese Juristin hat damals ganz klar festgestellt – Sie können es im Protokoll nachlesen –, es gibt keine juristischen Bedenken dagegen, das Alter auf 14 Jahre zu senken. – Aber wir fordern hier ja gar keine Absenkung auf 14, sondern eine Absenkung auf 16 Jahre.

Mit der eingeschränkten Geschäftsfähigkeit, aber auch der Anwendung des Jugendstrafrechts auf Jugendliche über 14 Jahren sowie der ab 14 Jahren eintretenden Religionsmündigkeit und der Befugnis zur Entscheidung darüber, bei welchem Elternteil man im Scheidungsfall leben will, wird Jugendlichen bereits ein sehr hohes Maß an Verantwortung und überlegter Entscheidungsfindung abverlangt. Auch die Entscheidung hinsichtlich der Schul- und Berufswahl bedeutet für Jugendliche unter 18 Jahren eine enorme Verantwortung, die wir ihnen aufbürden. Ich denke mir, wenn man als junger Mensch mit 14, 15 oder 16 Jahren die Entscheidung treffen muss, ob man auf dem Gymnasium bleibt, auf die Realschule geht oder eine Lehre macht, soll man auch mitreden dürfen, wie wir in der Politik Bildung definieren.

(Beifall bei der SPD)

Bildung als Stichwort; auch das hat Claudia Stamm schon gesagt: Wenn wir das Wahlalter absenken,

muss die Bildung an einer Qualifizierung mitarbeiten. Das Argument, Wählerinnen und Wähler unter 16 Jahren hätten für Wahlen nicht das nötige Wissen, wird von diesen gar nicht unbedingt geleugnet. Das ist der große Unterschied zu allen im Alter darüber: Je älter die Wähler werden, desto überzeugter sind sie, dass sie die Weisheit mit Löffeln gefressen haben. Junge Menschen sagen das gar nicht, aber sie möchten mehr politische Bildung im Schulunterricht haben. Es ist doch auch eine tolle Möglichkeit: Wo kann man besser breit diskutieren als im Schulunterricht? Man kann darüber sprechen, welche Wahlentscheidungen anstehen. Man kann Wahlprogramme lesen. Da würden sich manche Lehrer freuen; denn da kann man gut didaktische Konzepte umsetzen.

Seien wir doch einmal ehrlich: Wenn es uns passt, haben wir kein Problem damit, bei der politischen Arbeit unter das Alter von 18 Jahren zu gehen. Jeder von uns sieht doch gern junge Gesichter in seiner Partei. Jeder von uns schätzt es, wenn die 14-Jährigen in unsere Partei eintreten, Wahlkampf machen, Unterschriften sammeln und an den Info-Tischen stehen. Aber widersinnnigerweise sollen sie nicht mit darüber entscheiden dürfen, welche Politiker letztendlich ihren Willen vertreten. Vielleicht ist das ja das Problem: ihren Willen vertreten.

Auch die Entwicklung, wie viele junge und ältere Menschen wir haben, hat Claudia Stamm angeführt. Die Zahl der sogenannten Best Ager wird gewaltig zunehmen, und wir wünschen allen ein gutes und lebenswertes Leben. – Aber das muss finanziert werden. In einer Studie hat der internationale Forschungsverbund Population Europe laut einem Bericht in der "WELT" festgestellt – Zitat –: "Je älter die Menschen sind, umso weniger heißen sie es gut, dass öffentliche Gelder an Familien und Kinder fließen, und umso mehr fordern sie zusätzliche Mittel für Rentner." Es könnte also zu einem generationsbedingten Verteilungskonflikt kommen. Machen wir uns deswegen zu Lobbyisten der Älteren? – Nein, wir müssen gerade im Generationenvertrag Lobbyisten für die Jüngeren sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fordern deshalb Gleichberechtigung für Jugendliche bei Wahlen, Volksbegehren, Volksentscheiden, Volksbefragungen sowie Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden, aber wir wollen keinen Ausnahmetatbestand. Deshalb brauchen wir auch kein Jugendbeteiligungsgesetz, wie es im Titel des Gesetzentwurfs der GRÜNEN genannt wird, sondern einfach das Recht auf Beteiligung der Jugendlichen unter 15 Jahren.

Der Entwurf der GRÜNEN enthält ein paar interessante Ideen, teilweise schießen sie über das Ziel hinaus.

Wir haben aber heute die Erste Lesung und können in den Ausschüssen entsprechend diskutieren. Wir von der SPD freuen uns auf diese Diskussion. Wir sind sicher, dass es, wenn wir diesen Dialog ernsthaft führen wollen, spannende Diskussionen werden, die hoffentlich das richtige Ergebnis nach sich ziehen, nämlich eine Absenkung des Wahlalters.

(Beifall bei der SPD)

(Vom Redner nicht autori- siert) Sehr geehrte Damen und Herren, werte – –

Moment bitte, Herr Kollege.

(Vom Redner nicht autori- siert) Werte Kollegen, ich bin jetzt seit über sieben Jahren Mitglied des Bayerischen Landtags. Ich glaube, alle Jahre wieder haben wir hier in Erster und Zweiter Lesung über das immer gleiche Thema gesprochen. Das heißt, Sie kommen in regelmäßigen Abständen von ein bis zwei Jahren mit den immer gleichen Vorschlägen. Manchmal wird die Begründung ein bisschen geändert; manchmal wird eine aktuelle Studie ergänzt; manchmal bezieht es sich auf eine Europawahl, jetzt hier auf Landtags- und Bezirkswahlen. Aber das Thema ist immer das gleiche. Das ist Ihr gutes Recht, das streite ich nicht ab. Wenn wir das jedes Jahr wieder diskutieren, ist das für mich kein Problem. Ob Sie damit allerdings einen herausragenden Beitrag zur Lebendigkeit des Parlaments leisten, sei dahingestellt.

Sie haben schon erwähnt, Ihre Anträge sind die gleichen. Unsere Antworten sind logischerweise auch die gleichen. In unserem System ist das Wahlalter an die Volljährigkeit geknüpft. Das ist der Anknüpfungspunkt. Sie haben richtigerweise erwähnt, dass das Alter der Volljährigkeit früher schon einmal ein anderes war. Es lag schon einmal bei 21 Jahren und wurde im Laufe der historischen Entwicklung von 21 Jahren auf 18 Jahre gesenkt. Aber es gibt von Ihnen keinen einzigen Vorschlag, das Alter der Volljährigkeit zu senken. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass Sie sagen, die geistige Reife der Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren dermaßen verändert, dass Sie den Antrag stellen, das Alter der Volljährigkeit auf 17 oder 16 Jahre herabzusetzen. Das ist mir nicht bekannt. Ich schließe grundsätzlich nicht aus, dass das so ist. Wenn dies einmal so wäre, dann müsste natürlich auch das Wahlalter entsprechend abgesenkt werden.

Rechte und Pflichten müssen im Einklang miteinander stehen. Sie verweisen auf das Strafrecht. Ich bin nicht der Meinung, dass es der Regelfall sein soll, dass Jugendliche bis zum 21. Lebensjahr generell nach dem Jugendstrafrecht behandelt werden. Das sollte der

Ausnahmefall sein. Rechte und Pflichten müssen in einem demokratischen Staat in einem gewissen Einklang stehen. Deswegen werden wir an unserer Haltung auch nichts ändern. Ihre Argumente können da nicht überzeugen.

Lassen Sie mich auf die spezifische Forderung der GRÜNEN kommen, nämlich auf den Einwohnerantrag. Wir haben in der letzten Legislaturperiode beschlossen – damals noch mit Stimmen der FDP –, dass wir im Zuge der Überarbeitung der Gemeindeordnung ein Rederecht bei den Bürgerversammlungen auch für Kinder und für Nicht-EU-Ausländer einführen wollen. Das werden wir selbstverständlich auch umsetzen.

(Zuruf von der SPD: Wann?)

Bei der nächsten Überarbeitung der Gemeindeordnung. – Wir halten es aber nicht für sinnvoll, quasi ein volles Abstimmungsrecht einzuführen. Das ist ja das, was Sie da wollen; Sie sagen: Wir fordern das Wahlalter mit 16.

Ich habe gerade noch einmal im Internet recherchiert. Da habe ich einen Antrag der GRÜNEN JUGEND Bayern gefunden, ein passives und aktives Wahlalter mit null Jahren einzuführen. Sie sagen: Als ersten Schritt könnten wir vielleicht sogar auf 14 Jahre gehen. - Ich sage Ihnen: Die Grenze zur Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre ist willkürlich gegriffen. Da könnte die Grenze genauso gut bei 15, 14 oder 17 Jahren liegen.

Wir halten es nach wie vor für sinnvoll, Rechte und Pflichten in einem demokratischen Staat in einen gewissen Einklang zu bringen. Ein Wahlakt bedeutet nicht ein minderes Recht. Damit werden wichtige Entscheidungen in den Parlamenten getroffen. Bedenken Sie, dass ein noch nicht 18-Jähriger nicht sämtliche Rechtsgeschäfte verpflichtend abschließen kann. Insofern werden wir Ihrem Anliegen vermutlich nicht nachkommen. Ich sehe zumindest keine neuen Argumente Ihrerseits; daher werden vermutlich auch unsere Antworten nicht neu sein.

(Beifall bei der CSU)

Ich bitte Sie, am Rednerpult zu bleiben. Herr Kollege Dr. Förster hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet.

(Vom Redner nicht autori- siert) Herr Kollege, es freut mich sehr, dass Sie im Zusammenhang mit dem Thema "Absenkung der Volljährigkeit" das Thema "Absenkung des Wahlalters" vielleicht doch angehen wollen. Das ist ein Zeichen

dafür, dass wir in einen Dialog und in eine Diskussion einsteigen.

Wir haben uns bei unserem Antrag auf die Absenkung des Wahlalters konzentriert. Aber Sie müssen doch selber zugeben – Sie haben es selber genannt –: Wir kommen zwar immer wieder mit diesem Thema, aber wir bringen auch immer wieder neue Argumente, neue Studien, immer wieder neue Aspekte, die belegen, dass der Antrag der GRÜNEN und der SPD richtig ist.

(Beifall bei der SPD)

Könnten Sie mir bitte sagen, warum Sie sich kontinuierlich weigern? Wie lauten denn da Ihre neuen Erkenntnisse? Wenn Sie alte Protokolle nachlesen, werden Sie feststellen, dass das Thema "Absenkung des Wahlalters von 21 auf 18" auch über mehrere Jahre hinweg immer wieder thematisiert wurde. Irgendwann fiel diese Grenze dann doch.

(Beifall bei der SPD)

(Vom Redner nicht autori- siert) Ehrlicherweise muss man sagen: Sie bringen keine neuen Argumente, sondern Sie bringen höchstens neue Anlässe und neue Aufhänger für immer wieder die gleichen Anliegen. Wirkliche neue Argumente habe ich, ehrlich gesagt, nicht erkennen können.

(Dr. Linus Förster (SPD): Haben Sie die Bertelsmann-Studie gelesen?)