Protokoll der Sitzung vom 28.04.2016

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 72. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der SPD-Fraktion "Integration fördern statt verhindern - Bayern braucht ein echtes Integrationsgesetz!"

Die Bedingungen für die Aktuelle Stunde sind bekannt. – Als ersten Redner rufe ich Herrn Rinderspacher von der SPD-Fraktion auf. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen und Wochen findet das Anhörungsverfahren für das sogenannte Integrationsgesetz statt, das die CSU-Regierung auf den Weg bringen will. Die ersten Reaktionen zeigen fast ohne Ausnahme auf: Verbände, Kirchen, Wohlfahrtsorganisationen, Kommunen, Gewerkschaften und Parteien, auch außerhalb des Bayerischen Landtags, kritisieren den Entwurf mit harschen Tönen. Ein Beispiel: Die Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayern – kurz AGABY – kritisiert, das Gesetz lasse "ein erfolgsversprechendes Verständnis von Integration vermissen". Und weiter:

Das im Gesetzentwurf skizzierte Bild von Migrant_innen ist von negativen Vorurteilen geprägt, der Text hat einen imperativen und repressiven Ton, der die Integration verhindert und nicht fördert.

Wir nehmen dies zum Anlass für eine Aktuelle Stunde; denn dieses Gesetz ist auch aus unserer Perspektive kein Integrationsgesetz. Es ist ein Abschottungs-, es ist ein Ausgrenzungs-, und es ist ein Abgrenzungsgesetz.

(Beifall bei der SPD)

Die CSU betreibt eine ungute Symbolpolitik auf dem Rücken von Migrantinnen und Migranten und vertont die Botschaft der letzten Monate jetzt auch in Gesetzesform. In Bayern sollen Ausländer hart an die Kandare genommen werden. Die CSU stellt Migrantinnen und Migranten unter Generalverdacht. Sie seien nicht integrationswillig, sie stellten eine Gefährdung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den inneren Frieden dar.

Tatsächlich, meine Damen und Herren, kocht die CSU hier ein ungutes parteipolitisches Süppchen zulasten der politischen Kultur und zulasten der Betroffenen. Wir finden, Gesetze sollten das gesellschaftliche Klima nicht aufheizen, sondern besänftigen. Gesellschaftliche Konflikte sollten durch Gesetze nicht entstehen, sondern vermieden werden. Das CSU-Gesetz hingegen spaltet die Gesellschaft, statt sie zu einen.

(Beifall bei der SPD)

Vieles deutet darauf hin, dass es gar nicht wirklich um Integrationspolitik geht. So soll jetzt ein Gesetz im Schnelldurchlauf durch den Landtag gebracht werden; aber eine Verfassungsänderung, so haben die Kollegen angekündigt, soll es erst 2018 geben, also in zeitlicher Nähe zu den Landtagswahlen. Wir sagen, sinnvoll, naheliegend, ja geradezu zwingend wäre es gewesen, beides, die Verfassungsänderung und die einfache Gesetzgebung, miteinander zu beraten – denn beides gehört zusammen –, statt es thematisch und zeitlich auseinanderzuziehen. Die Absicht ist klar: Die CSU möchte das Thema Ausländerpolitik wieder zu einem Wahlkampfthema machen. Die Ankündigung macht klar: Wir haben in Bayern für 2018 mit einer Wahlkampfauseinandersetzung zu rechnen, in der die CSU abgrenzt, ausgrenzt, abschottet und der AfD mit deren Parolen hinterherläuft und vorauseilt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Der Gesetzentwurf steht unter dem Motto "Fördern und Fordern". Gefördert wird de facto nicht, gefordert dafür umso mehr. Wer aber die verpflichtende Teilnahme an Integrations- und Sprachkursen fordert und die Nichtteilnahme sogar mit Sanktionen belegt – wir wären da durchaus mit dabei; auch wir sagen, Fördern und Fordern gehören zusammen –, muss diese Sprachkurse auch bereitstellen. Wir haben in Bayern viel zu wenige davon. Oft müssen Flüchtlinge monatelang warten, bis sie an einem solchen Kurs teilnehmen können, und tatsächlich verschiebt Ihr Gesetzentwurf ein weiteres Mal die Verantwortlichkeiten. So schreibt der Bayerische Handwerkstag in seiner Stellungnahme, es könne nicht angehen, dass die Verantwortung für Sprachkurse jetzt auf die Wirtschaft im Allgemeinen und die Handwerkskammern im Besonderen abgeschoben werden solle.

Wie sieht die Realität in Bayern im Moment aus? – Sie laden die staatlichen Integrationsaufgaben, Deutsch- und Integrationsseminare bei Tausenden Ehrenamtlichen ab, die mittlerweile völlig überlastet sind, und im Bierzelt schimpfen Sie, Migranten und Migrantinnen seien unwillig, Deutsch zu lernen. Dieses ungute Spiel, meine Damen und Herren, ist Aus

druck eines national-konservativen Rechtspopulismus, wie er unwürdiger nicht sein kann.

(Beifall bei der SPD)

Statt Integration bereits in frühen Kinderjahren zu fördern, verantworten Sie als Bayerische Staatsregierung eklatante Defizite in der frühkindlichen Bildung. Als wäre die Kinderbetreuungsquote in Bayern nicht heute schon die schlechteste im Bundesländervergleich, satteln Sie in diesen Monaten noch eins drauf mit einem Betreuungsgeld, einer Fernhalteprämie von Bildungschancen und einer Prämie für Familien, die ihr Kind nicht in die Kita geben – eine bildungspolitische Rolle rückwärts und eine überaus kontraproduktive Maßnahme in Sachen Integration.

(Beifall bei der SPD – Josef Zellmeier (CSU): Wo leben Sie denn, Herr Kollege? Leben Sie in Bayern? Ich glaube, nicht!)

Wir sagen: Die eine Milliarde Euro, die Sie bis 2021 für ein unsinniges Betreuungsgeld ausgeben wollen, wäre besser investiert in kleinere Betreuungsgruppen in den Kitas, in kleinere Klassen, in mehr Erzieherinnen und Erzieher, in mehr Lehrer und in mehr Ganztagsangebote. Das wäre die bessere Investition gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Das beabsichtigte Integrationsgesetz der Staatsregierung ist in Teilen ganz offensichtlich verfassungswidrig. Es wimmelt von bedenklichen unbestimmten Rechtsbegriffen, und es mangelt an Normenklarheit. Das hängt auch mit Ihrem Begriff der Leitkultur zusammen, den Sie selbst zu definieren kaum in der Lage sind. Der Begriff ist in der Wissenschaft umstritten, und er ist nicht trennscharf. Sie hingegen formulieren, die Leitkultur habe eine identitätsstiftende Prägung für unser Land, die es zu bewahren und zu schützen gelte. Auch daraus geht hervor: Zuwanderung ist für Sie nach wie vor etwas Bedrohliches.

(Dr. Florian Herrmann (CSU): Quatsch! – Josef Zellmeier (CSU): Wer integriert sich denn wohin?)

Warum gilt es dann, die Leitkultur zu schützen, wenn sie nicht bedroht ist? – Das Schlagwort der Leitkultur ist für Sie alles und nichts zugleich. Ich denke, das ist genau das, was Sie wollen. Aber für eine Gesetzgebung ist eine so unklare Definition denkbar ungeeignet. Sie schaffen ein bayerisches Nebenstrafrecht, das höchst fragwürdig ist, mit Sanktionen, die mitunter bereits strafbewehrt sind, ein Strafrecht light unterhalb des tatsächlichen Strafrechts.

Unseliger Tiefstpunkt Ihres Gesetzentwurfs ist der sogenannte Schwimmbadparagraph, der Türken, Afrikaner und Araber als unliebsam, ja als gefährlich erachtet. So heißt es in Artikel 17a: "Die Zulassung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer kann von einer vorherigen Belehrung und dem ausdrücklichen Anerkenntnis der bestehenden Vorschriften abhängig gemacht werden." Was heißt das im Konkreten? – Es heißt konkret: Sie haben offenbar bei Ihrem Vorhaben Ausländermaut gelernt, dass EU-Vorschriften doch eine gewisse Rolle spielen. EU-Ausländer dürfen also in jedem Fall ins Schwimmbad, in die Bibliothek oder in die kommunale Einrichtung; aber bei Afrikanern, Türken und Arabern muss man ein bisschen aufpassen. Das bedeutet konkret – was für ein irrer Gedanke! –, dass ein Franzose, der in der EU freizügigkeitsberechtigt ist, aber als Islamist an Anschlägen in Brüssel und in Paris teilgenommen hat und der – ich sage es einmal ganz salopp – zu Hause dreimal am Tag seine vier Frauen herwatscht, ins Schwimmbad darf. Aber der Türke, der in der EU nicht freizügigkeitsberechtigt ist, der seit 50 Jahren in unserem Land lebt, gut integriert ist, seine Steuern bezahlt, sich in unserer Gesellschaft ehrenamtlich engagiert, vielleicht als Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr oder als stellvertretender Schatzmeister des CSU-Ortsverbands, muss zuerst beim Bademeister vorsprechen: Obwohl ich seit einem halben Jahrhundert hier lebe, lasst ihr mich nicht in euer Schwimmbad. – Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU: Sind Sie eigentlich von allen guten Geistern verlassen, so etwas in ein Gesetz zu schreiben?

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Sie sagen in Ihrem Integrationsgesetz, Flüchtlinge müssten schnell demokratische Gepflogenheiten kennenlernen, und propagieren das Gegenteil, nämlich ein monarchisches Vorbild. Der Integrationsbeauftragte wird nicht gewählt, nicht von der Bevölkerung, nicht von den Migrantinnen und Migranten selbst, nicht vom Landtag; er wird ernannt vom Ministerpräsidenten. Der Integrationsrat wird ernannt. Wer Demokratie von anderen einfordert, sollte sie auch vorleben, insbesondere auch in der Gesetzgebung.

Ja, meine Damen und Herren, Migranten müssen bereit sein, eine offene Gesellschaft nach dem Leitbild des Grundgesetzes mitzugestalten. Keine Frage: Fördern und Fordern! Unsere Verfassung bietet breiten Raum für kulturelle Vielfalt, sie sichert die Freiheit des Glaubens, die Gleichberechtigung von Frau und Mann, und sie garantiert die Rechte von Minderheiten. Damit alle diese Freiheit leben können, setzt unser Grundgesetz zugleich klare Grenzen, die nie

mand unter Hinweis auf seine Herkunft oder religiöse Überzeugungen verletzen darf.

(Josef Zellmeier (CSU): Eben!)

Mit anderen Worten: Das Grundgesetz und vor allem seine ersten 20 Artikel bilden das demokratische und freiheitliche Leitbild in Deutschland. Es beschreibt, wie wir uns in Deutschland begegnen und unser Zusammenleben gestalten wollen. – Ihr Entwurf eine Integrationsgesetzes atmet nicht den Geist des Grundgesetzes.

(Beifall bei der SPD – Dr. Florian Herrmann (CSU): Unverschämtheit! Unverschämtheit!)

Ihr Entwurf baut nicht demokratische Mitwirkungsrechte aus. Ihr Entwurf baut Bürgerrechte nicht aus, sondern ab. Ihr Entwurf ist in Teilen rechtsstaatlich überaus bedenklich und fragwürdig. Ihr Entwurf diskriminiert einzelne Bevölkerungsgruppen, und Ihr Entwurf verletzt den Gleichheitsgrundsatz.

Deshalb fordern wir Sie hier heute auf: Unterziehen Sie Ihr Integrationsgesetz einer Fundamentalrevision in Zusammenarbeit mit der Opposition, oder ziehen Sie es zurück. Ihr Entwurf atmet einen Geist, der nicht zu unserem Land passt; denn Bayern steht für Vielfalt, und Bayern ist bunt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN – Zuruf von der CSU: Aber nicht multikulti!)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat der Kollege Josef Zellmeier von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Tja. Die SPD nähert sich mit schnellen Schritten ihrem lang ersehnten Ziel bei den Wahlergebnissen, nämlich dem Niveau der SPD auf Bundesebene,

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD)

aber nicht, weil die Zahlen steigen, sondern weil die Bundes-SPD noch schneller fällt als Sie und Sie die Talsohle schon ziemlich erreicht haben.

(Volkmar Halbleib (SPD): Keine Inhalte, Herr Kollege!)

Heute war wiederum ein Grund dafür zu erkennen, dass die Bevölkerung, dass der normale Bürger nicht mehr SPD wählt. Sie haben es gerade bewiesen, Herr Kollege Rinderspacher, und eine erbärmliche Rede zum Thema Integration gehalten, eine hetzerische Rede.

(Beifall bei der CSU)

Sie sprechen von Abschottung durch die CSU bei einem Bundesland, das offen ist, das den höchsten Zuzug hat unter allen Bundesländern,

(Volkmar Halbleib (SPD): Das ist Ihre Logik!)

das das meiste Geld für Integration ausgibt, das dafür am meisten tut. Sie reden nicht von den Versagern in den anderen Bundesländern, die überwiegend rotgrün regiert sind, wo Integration gescheitert ist. Bei uns gelingt sie.

(Beifall bei der CSU)

Integration, liebe Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite dieses Hauses, setzt voraus, dass die Menschen, die hier leben, die sogenannten Einheimischen, stolz sind auf ihr Land, stolz sind auf ihre Kultur, stolz sind auf ihre Leistungen, sich aber auch der dunklen Seite ihrer Geschichte bewusst sind. All das, die historische Geschichte Deutschlands, die Vielfalt, die wir repräsentieren, können wir nur zusammenführen, können wir nur integrieren, wenn wir eine klare Leitkultur vorgeben, wenn klar ist, wo die Menschen hinsollen, wenn die Menschen, die hierherkommen, wissen: Sie sollen nicht nur das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung inhalieren, sie sollen auch Kultur und Tradition achten und respektieren,

(Markus Rinderspacher (SPD): Leitkultur!)

und sie sollen der Leitkultur natürlich – –

(Volkmar Halbleib (SPD): Definieren Sie diese mal, Herr Kollege!)

Leitkultur bedeutet: Das, was die Menschen hier leben, wird von denjenigen akzeptiert, die zu uns kommen.