Die Entgleisung von Andreas Scheuer stellt den vorläufigen Tiefpunkt einer rechtsnationalen Kampagne dar, gegen die sich sogar einstige Verbündete von den Kirchen in Bayern und Deutschland auf das Schärfste verwahren.
Mehrere Bischöfe kritisieren, die Politik der CSU habe nichts, aber auch gar nichts mehr mit christlicher Nächstenliebe zu tun. Das Postulat, Zuwanderung lediglich aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis zuzulassen, sei weder mit der deutschen noch mit der bayerischen Verfassung und schon gar nicht mit dem Evangelium vereinbar. Gestern Abend hat der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick die CSU mit deutlichen Worten zur Verfassungstreue ermahnt. Das sind harte Worte. Er meinte, die CSU müsse vom Verfassungsschutz überprüft werden. Christen dürften Herabwürdigungen und Verletzungen der Menschenwürde nicht stehen lassen und nicht zulassen. Falsche Strategien bestünden auch darin, Stimmen am rechten Rand mit unlauteren Mitteln einzufangen, erklärte Schick mit Blick auf die Flüchtlingsproblematik. Er war nicht der Erste. Auch Kardinal Marx, Kardinal Woelki und der evangelische Landesbischof von Bayern Professor Heinrich Bedford-Strohm haben sich auf das Schärfste von der rechtspopulistischen Rhetorik dieser CSU distanziert.
Meine Damen und Herren, Sie regieren nicht ordentlich in Berlin, und Sie arbeiten auch nicht vernünftig zusammen. Herr Ministerpräsident, erfreulicherweise ist das heute das eine oder andere Mal anders angeklungen. In einer solchen Phase müsste man die Ge
meinsamkeiten herausstellen und darstellen, dass wir gemeinsam zwei Asylpakete und das Integrationsgesetz auf den Weg gebracht haben. Auch die sozialen Errungenschaften, wie die Verbesserungen bei der Rente, die Erwerbsminderungsrente, die Mütterrente und die Rente mit 63 Jahren müssten in einer solchen Phase mehr in den Vordergrund gestellt werden. Dies alles wurde insbesondere von unserer Partei, der SPD, auf den Weg gebracht. – Herr Ministerpräsident, Sie haben das heute zumindest angedeutet. – Aber nein, stattdessen vermittelt die CSU seit einem Jahr ununterbrochen den Eindruck, als wäre die Bundesregierung, der sie selbst angehört, ein überforderter Chaosverein sondergleichen und als wäre die Bundeskanzlerin die Spitze einer weltfremden, abgehobenen Elite.
Kardinal Woelki fasst analytisch treffend zusammen, die CSU betreibe damit das Geschäft der Rechtspopulisten von der AfD. Ich weiß, dass Sie Herr Ministerpräsident, immer wieder sagen, es sei Ihr politisches Ziel, die AfD möglichst kleinzuhalten, so, als dürfe es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei mehr geben. Ich sage Ihnen: Wer die AfD wirklich kleinhalten will, darf ihre Rhetorik nicht übernehmen oder gar übertreffen.
Im Übrigen, Fremdenfeindlichkeit kleinhalten zu wollen, indem man selbst auf verantwortungslose Weise Ängste vor Überfremdung schürt – das haben Sie getan, und zwar zwölf Monate am Stück –, ist ein fragwürdiges Konzept und für einen Demokraten, der verantwortlich handeln möchte, ein unwürdiges Verhalten. Die tatsächlichen Feuerteufel in unserer Gesellschaft folgen nämlich den geistigen Brandstiftern. Gerade in Bayern ist es eine gewagte These, dass man die AfD kopieren, ihr hinterherrennen oder vorauseilen müsse, um sie kleinzuhalten. Die Wählerschaft hat diese These bereits widerlegt. Bei der Europawahl – die liegt nur zwei Jahre zurück – hat die AfD in Bayern das viertbeste Ergebnis im Vergleich der Bundesländer erzielt. Sie hat deutlich besser abgeschnitten als im Bundesdurchschnitt. Die AfD hatte lediglich in Sachsen, in Hessen und in Brandenburg höhere Stimmenanteile als im Freistaat. Die CSUSpitze mit Herrn Seehofer hat mit dröhnend europafeindlichen Tönen die AfD kleinhalten wollen und hat damit das Gegenteil erreicht, und daraus hat sie nichts gelernt. Die Quittung wird folgen. Ich bin mir sicher, das Vermächtnis von Herrn Seehofer für seine Partei zeichnet sich schon heute ab. Unter der Verantwortung von Horst Seehofer hat die CSU bei den Europawahlen im Jahr 2014 das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten eingefahren. Die Verluste der
Im Übrigen muss ich Ihnen sagen, Herr Seehofer: Es ist eine Politik der Doppelzüngigkeit, draußen Stimmung gegen Minderheiten und demokratische Institutionen zu schüren, aber hier im Hohen Haus Kreide zu fressen und den landesväterlichen Staatsmann zu geben. Wir lassen Ihnen heute hier diese Politik der Doppelzüngigkeit nicht durchgehen.
In den jüngsten Thesenpapieren – Sie haben diese Thesen zumindest inhaltlich wiederholt – schreiben Sie: Deutschland muss Deutschland bleiben.
Tatsächlich spricht die politische Linie Ihrer Partei eine ganz andere Sprache, die befürchten lässt, dass Sie aus Deutschland ein ganz anderes Land machen wollen, als wir es heute haben. Immer wieder begibt sich die CSU demonstrativ in die geistige Nachbarschaft der autoritären Nationalkonservativen Europas. Viktor Orbán wirbt für eine würdelose Politik gegen europäische Werte. Die CSU hat ihm für seine Agitation gegen Presse- und Religionsfreiheit den roten Teppich ausgerollt. Wir erinnern uns an den Besuch von David Cameron bei der CSU im Januar, der dort von Christsozialen als Vorbild für Europa gefeiert wurde. Horst Seehofer sprach sogar von CSU-Politik pur. Wir wissen, was wenige Monate später geschehen ist. Heute wissen wir, was wir schon damals wussten: David Cameron ist ein Europazerstörer par excellence gewesen, meine Damen und Herren.
Der britische Politikwissenschaftler Paul Taggart definiert eine solche Politik als Populismus, als eine Politik des leeren Herzens. Er vergleicht eine solche Politik mit dem Verhalten eines Chamäleons. Er schreibt: Populisten passen sich immer wieder an neue Bezugssysteme an und setzen sich dann in eine AntiHaltung zu ihnen. Wer ein solches Phänomen auch hier in Deutschland beobachten will, muss nach Bayern kommen und die CSU genau unter die Lupe nehmen. Die CSU vertritt eine Anti-Position zu Europa, zu Merkel und zu Migranten und Flüchtlingen. Die Staatsregierung übernimmt unkritisch und, wie ich finde, verantwortungslos die Sprache des europäischen Rechtspopulismus und ihres besten Freundes Viktor Orbán.
Ich nenne einige Beispiele, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die CSU fordert Zuwanderung nur noch für Christen. In Ihrem jüngsten Papier heißt es: "Asyl ist … kein Freibrief, um in Deutschland kriminell zu werden."
Damit unterstellen Sie, irgendjemand, möglicherweise sogar Frau Merkel, habe diesen Menschen einen Freibrief ausgestellt, damit diese kriminell werden können. Warum sonst schreiben Sie solche Sätze in Ihre Positionspapiere, Herr Seehofer? – In dem Papier heißt es, in Deutschland gelte das Grundgesetz, nicht die Scharia. Damit deuten Sie an, dass dies keine Selbstverständlichkeit sei und es Parteien oder Institutionen in der Bundesrepublik gebe, die die Scharia dulden würden. Sie insinuieren, es gebe politischen Regelungs- oder Handlungsbedarf.
Ich denke an Ihre kraftmeiernden Attacken auf den kritischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkjournalismus. Ich denke an Ihren mangelnden Respekt vor demokratischen Entscheidungen, auch wenn man diese selbst mit getroffen oder gar initiiert hat. Ich denke an Ihre neue Sprache von oben herab gegenüber Andersdenkenden und Minderheiten. Ich denke daran, dass sogar versucht wird, soziale Missstände und Kriminalität mit ethnischen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten zu erklären. Meine Damen und Herren, so funktioniert der europäische Rechtspopulismus. Diese Bewegungen stehen für alles, was dem Gemeinsinn in Europa schadet. Sie spalten die Gesellschaft. Sie sind mitunter offen rassistisch. Sie grenzen Minderheiten aus und setzen auf eine autoritär-nationalkonservative Politik. Wer diese Papiere ernst nehmen will, findet all dies.
Manche sagen, das sei nur Folklore, das sei bei der CSU gar nicht so gemeint. Aber all das findet sich in Ihrer Politik in einem Maße wieder, dass man feststellen muss: Sie wollen ganz offensichtlich mit söderndem Scheuerismus aus Deutschland ein anderes Land machen. Sie wollen aus einem liberalen weltoffenen Deutschland der guten Nachbarn einen nationalistischen Bevormundungsstaat der Angst, des Misstrauens und der Missgunst machen. Sie betreiben zunächst schleichend, dann aber immer ungenierter die Orbánisierung unseres Landes. Wir werden nicht zulassen, dass Sie diese Politik ungehindert fortsetzen können, meine Damen und Herren.
Sie sprechen auch heute wieder von der Leitkultur. Für uns gibt es ein klares Leitbild. Das ist die Baye
rische Verfassung. Sie ist ein Postulat für soziale Gerechtigkeit und eine Proklamation der Freiheit. Wir sind ein Freistaat. Es gelten die ersten zwanzig Artikel und natürlich das gesamte bundesdeutsche Grundgesetz. Dort ist alles niedergeschrieben, was das Zusammenleben in unserem Land ausmacht: Schutz von Minderheiten, Religionsfreiheit, Pressefreiheit und alles, was zu unserem Land dazugehört. Sie haben es bis heute sowohl in Ihrem Gesetzentwurf zum Bayerischen Integrationsgesetz als auch in Ihren Wortbeiträgen unterlassen, genauer zu definieren, was Sie unter Leitkultur verstehen.
Ich glaube, ein Politiker aus Ihren Reihen hat es sich getraut. Es war wieder einmal Andreas Scheuer im Dezember 2014. Er fordert die Migrantinnen und Migranten in unserem Land auf, sie mögen bitte zu Hause Deutsch sprechen. Manche von Ihnen haben sich sogar anders als heute etwas davon distanziert. Aber der Gedanke, der dahintersteht, ist Ihr Verständnis von Leitkultur. Sie wollen den Menschen vorschreiben, wie sie, wie wir in diesem Land zu leben haben. Sie wollen den Menschen vorschreiben, welche Sprache sie zu Hause sprechen sollen. Ich sage Ihnen: Die Bevölkerung will das nicht. Die Menschen in Bayern wollen sich nicht vorschreiben lassen, ob sie zu Hause Oberbayerisch, Fränkisch, Thüringisch oder Türkisch sprechen. Die Menschen in Bayern wollen sich nicht vorschreiben lassen, ob sie am Abend Schäufele, einen Schweinsbraten, eine Pizza oder einen Gyros essen. Die Menschen in Bayern wollen sich von der CSU nicht vorschreiben lassen, ob sie am Abend schuhplatteln oder gegebenenfalls Sirtaki oder Flamenco tanzen. Für uns gilt das Prinzip "Leben und leben lassen", meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist die Maxime für den Freistaat Bayern.
Unser Prinzip heißt "Liberalitas Bavarica". Das ist die Maxime Bayerns, die seit dem Jahr 1733 voller Stolz und Selbstbewusstsein an der Klosterkirche zu Polling prangt. Leben und leben lassen: Wir lassen uns diese Identität nicht von Rechtspopulisten kaputtmachen.
Wir erleben heute, um von der politischen Kultur und der Verschiebung der Tektonik in diesem Bereich zu politischen Themen zu kommen, die siebte Regierungserklärung in der Amtszeit von Ministerpräsident Seehofer vor dem Hohen Hause.
Sie ist eine sehr lang geratene Loseblattsammlung auch der schriftlichen Pressemitteilungen und damit
Ich werde später darauf zurückkommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer diese Regierungserklärungen miteinander vergleicht, kann selbst bei allergrößtem Wohlwollen keinen inneren Zusammenhang dieser Regierungserklärung erkennen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass es dem Ministerpräsidenten stets um die großen Überschriften im Hier und Jetzt und um Effekthascherei in der politischen Aktualität geht. Vieles von den bisherigen vollmundigen Ankündigungen, wie auch heute wieder, wurde in der Folge von Herrn Seehofer selbst und seiner Staatsregierung ins Gegenteil verkehrt oder blieb bereits 24 Stunden nach der Postulierung auf der Strecke.
Ich nenne einige Beispiele. Im Herbst 2013 hieß es: Bayern wird in zehn Jahren im gesamten öffentlichen Raum, im gesamten ÖPNV komplett barrierefrei. Aus der vollmundig angekündigten flächendeckenden Barrierefreiheit in allen Landesteilen, in allen Landkreisen und kreisfreien Städten wurde schnell eine kommunale Aufgabe. Ja, man beherrscht 48 Stunden lang die großen Lettern, die großen Überschriften in den bayerischen Medien. Sehr schnell hat man aber wieder vergessen, dass man etwas damit zu tun haben will. Im Gegenteil, in den schriftlichen Stellungnahmen im Rahmen von Anfragen gegenüber dem Parlament hieß es, dies sei keine Aufgabe des Freistaats Bayern; darum müssten sich gefälligst die Kommunen kümmern. Dies hatte folgendes Ergebnis: In Oberfranken wird bis zum Jahr 2018 – der Ministerpräsident sprach von flächendeckender Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr – nur ein einziger Bahnhof barrierefrei ausgebaut, meine Damen und Herren.
So weit klaffen Realität, Wunschdenken und Marketingproklamationen dieser Bayerischen Staatsregierung auseinander.
Auch der schuldenfreie Freistaat bis zum Jahr 2030 bleibt Schall und Rauch. Nichts ist davon übrig geblieben. Bis 2018 sind die Ausgabenpfade bereits festgelegt. Dann müssten jedes Jahr im Schnitt 2,3 Milliarden Euro getilgt werden, fast fünfmal so viel wie 2017
und 2018. Wenn Herr Seehofer sagt: "Darauf kann man sich verlassen, so kommt’s", dann kann und muss man immer von der Gesetzmäßigkeit des Gegenteils ausgehen: So kommt es ganz gewiss nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Es gab noch ein zweites bemerkenswertes Versprechen in der Regierungserklärung vom 12. November 2013. Da sagte Herr Seehofer allen Ernstes: Unsere Schulen sollen nach Jahren der ständigen Veränderungen jetzt in Ruhe arbeiten können, deshalb wird es keine neuen Schulreformen geben: das ist eine Garantie. Was von dieser Garantie zu halten ist, das hat man seit St. Quirin und in der heutigen Regierungserklärung, in der Herr Seehofer genau das Gegenteil sagt, erfahren. Er wollte Ruhe ins Schulsystem bringen und erklärt heute, drei Jahre später, es bestehe dringender Handlungsbedarf, wir müssten beim Gymnasium etwas machen.
Deshalb wird im Sommer 2016 plötzlich eine Gymnasialreform übers Knie gebrochen, die im Ergebnis nicht Fisch und nicht Fleisch ist, ein Gymnasium achteinhalb. Mit dem neuen Modell gibt es viele Verlierer; es ist das Gegenteil von Klarheit. Die unklare Entscheidung der Regierung für eine Mischform mehrerer Gymnasialsysteme hat zu einer komplizierten Organisationsstruktur und zu einer Verunsicherung der Schulfamilie geführt. Der Vorschlag verursacht wieder einmal Zusatzkosten in Milliardenhöhe für die Kommunen. Die Lehrer sind nicht zufrieden, die Schüler sind nicht zufrieden, die Familien sind nicht zufrieden. Die Kommunen sagen: Ihr dürft uns dabei nicht im Stich lassen; ihr könnt uns hier nicht irgendetwas aufbürden und euch dann aus dem Staub machen; denn am Ende sollen es die Kommunen bezahlen. Das Schlimmste ist: Es wird nicht eine pädagogische Richtungsentscheidung über die Zukunft des bayerischen Gymnasiums getroffen, sondern am Ende entscheidet die Frage, wo die Kommunen finanziell in der Lage sind, die Erweiterungs- und Neubauten gegebenenfalls für ein G 9 tatsächlich herzustellen.
Herr Ministerpräsident, es wäre wirklich besser gewesen, Sie hätten sich an Ihre Garantie gehalten und Ruhe ins Schulsystem gebracht. Dann allerdings hätten Sie sich für ein konsequentes Gymnasium G 9 entschieden, so, wie es die Lehrerverbände in Bayern fordern, so, wie es die Eltern für richtig halten, und so, wie es die Kommunen auch gerne an der Seite der Bayerischen Staatsregierung und des Bayerischen Landtags in Angriff nehmen würden. Das hätte Sinn ergeben.
Es zeigt bemerkenswerte Chuzpe, dass Sie Ihre Ganztagsgarantie aus dem Jahr 2013 heute wiederholt haben. Sie sagten im November 2013: Bis 2018 gibt es in allen Schularten für jede Schülerin und jeden Schüler bis 14 Jahre ein bedarfsgerechtes Ganztagsangebot. Sie haben dafür eine Garantie ausgesprochen. Die Realität seit Ihrer letzten Regierungserklärung stellt sich wie folgt dar: Ganztagsschulen wurden nicht etwa weiter ausgebaut, sondern in Oberfranken ging im letzten Schuljahr die Zahl der Grundschüler im gebundenen Ganztag zurück – das sind Zahlen Ihres Kultusministers, nicht von uns – von 4,8 % auf 4,6 %.
Auch in vielen Landkreisen und kreisfreien Städten sank die Zahl der Grundschüler im Ganztag, beispielsweise in Rosenheim, von 8,5 % auf 7,9 %. Im Landkreis Hof ging die Zahl der Gymnasiasten, die eine Ganztagsklasse besuchen, von 7,1 % auf 6,6 % zurück.