Protokoll der Sitzung vom 28.09.2016

Wir wollen auch keine Paralleljustiz. Recht sprechen bei uns die Richterinnen und Richter, sonst niemand. Bei uns wird die Gleichberechtigung der Frau praktiziert. Frauen führen ein selbstbestimmtes Leben, sie arbeiten als Polizistinnen, Lehrerinnen und Ärztinnen und übernehmen Führungspositionen. Ein mittelalterliches Bild von Frauen, das Frauen versteckt, ihnen ihr Gesicht nimmt, aufgrund dessen ihnen der Handschlag verweigert oder sie zwangsverheiratet werden können, das alles hat in Deutschland und in Europa keinen Platz.

(Beifall bei der CSU)

Dies gilt auch für Kinderehen, die hierzulande inakzeptabel sind. Hier ist der Bund mit seiner Regelungskompetenz in der Pflicht. Gerade hier muss der Rechtsstaat klar und konsequent durchgreifen. Wir akzeptieren keine Kinderehe.

(Beifall bei der CSU)

Hass, Antisemitismus, Angriffe auf das Existenzrecht Israels und Aufrufe zur Gewalt werden in diesem Lande nicht geduldet. Der politische Islamismus ist in

tolerant, von primitivsten Feindbildern geprägt und gewaltbereit. Das alles gehört nicht zu Deutschland.

(Beifall bei der CSU)

Ich erinnere an die bewegenden Worte des kürzlich verstorbenen Max Mannheimer, den ich sehr geschätzt habe und der mich auch bei einer sehr schwierigen Israelreise begleitet hat. Er hat in diesem Hohen Haus im Januar 2015 die Worte gesprochen – ich zitiere –: "Freundschaft zwischen Völkern und Religionen ist in unserer Zeit eines der wichtigsten Signale." Auch deshalb ist Bayern Vorreiter für ein NPDVerbot. Deshalb bekämpft Bayern Antisemiten und Rechtsradikale. Wir sagen auch den Islamisten, Salafisten und Hasspredigern aufrecht, selbstbewusst und unmissverständlich: Es gibt in unserem Freistaat Bayern keinen Millimeter Raum für Verfassungsfeinde. Das ist unser demokratisches Gesicht in Bayern, und dieses demokratische Gesicht soll jeder sehen.

(Beifall bei der CSU)

Jeder soll wissen: Gelingende Vielfalt, Einheit in Freiheit, das bayerische Grundgesetz von "Leben und leben lassen", unser freiheitliches bayerisches Lebensgefühl – diese Errungenschaft von 1.500 Jahren Geschichte lassen wir uns nicht nehmen.

Unsere Hausordnung ist nicht verhandelbar. Wir treffen uns nicht in einer neutralen Mitte. Wir integrieren nicht in ein Niemandsland, sondern in unsere Werteordnung. Integration hat eine Richtung und ein Ziel. Das Ziel von Integration ist unsere Leitkultur, und da haben die Menschen ihre Sorgen. Sie wissen sehr genau: Zusammenhalt, Respekt und Menschlichkeit brauchen mehr als einen großen Verfassungspatriotismus. 87 % der bayerischen Bürgerinnen und Bürger – und zwar 87 % aus allen Parteien und aus allen weltanschaulichen Traditionen – wollen unsere bayerische und deutsche Leitkultur zum Maßstab für Integration machen. Wir handeln im Auftrag der Bevölkerung und müssen die Sorgen und Ängste der Menschen zu unseren Sorgen machen. Das ist der beste Schutz und die beste Prävention gegenüber politischem Radikalismus. Deshalb bildet die Leitkultur die Grundlage für unser Bayerisches Integrationsgesetz.

(Beifall bei der CSU)

Ich appelliere an Sie alle, unabhängig von parteipolitischen Auseinandersetzungen: Zeigen wir den Menschen in unserem Lande, dass wir gemeinsam zu unseren Werten stehen und sie verteidigen. Ohne gemeinsame Werte ist Demokratie eine leere Hülle.

(Zuruf des Abgeordneten Volkmar Halbleib (SPD))

Ohne Bildung ist Freiheit kalt und rücksichtslos. Solidarität braucht Zusammengehörigkeit und Identität. Die Menschen erwarten von uns ein klares Bekenntnis. Falsch verstandene Toleranz darf nicht zur Selbstaufgabe führen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Ich sage ganz deutlich: Bayern soll Bayern bleiben. Deshalb streben wir an, dass der Begriff der Leitkultur als Voraussetzung für Solidarität und Miteinander in die Bayerische Verfassung aufgenommen wird.

(Beifall bei der CSU)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir feiern in diesem Jahr gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern 70 Jahre Bayerische Verfassung. Im Jahr 2018 feiern wir 200 Jahre Verfassungsstaat Bayern und 100 Jahre Freistaat Bayern. Nutzen wir diese Jubiläen zur Selbstvergewisserung. Zeigen wir, was uns für unser Zusammenleben und für unsere Demokratie wichtig ist. Tradition, Kultur und Identität machen Bayern so besonders. Das Glattgeschliffene und Beliebige will bei uns niemand. Das Unikat ist das Universelle.

Gerade auch die neuen Mitbürger lieben die bayerische Lebensart. Gerade sie verstehen überhaupt nicht, wenn über bayerischen Patriotismus die Nase gerümpft und durch einsame Querköpfe unsere Trachtler und Schützen madiggemacht werden, wie während des G-7-Gipfels geschehen. Das ist kein "Disneyland". Wir sind stolz auf unsere Trachtler und Schützen. Wir sind stolz auf Bayern, und wir feiern Bayern.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Die Menschen leben gerne in Bayern. Bayern hat sich fraglos verändert, aber das bayerische Lebensgefühl ist geblieben. Die Bayern entscheiden über ihre Zukunft selbst und möglichst unabhängig.

Wir denken wertorientiert, generationengerecht und langfristig. Wir handeln in Verantwortung für unsere Menschen, für unsere Kinder und Enkel. Deshalb wiederhole ich: Bayern steht für Stabilität in einer instabilen Welt. In einer Welt der Unsicherheit sagen wir: Die Sorgen der Menschen sind auch unsere Sorgen. Darauf können Sie sich verlassen. Politik ist Dienst am Menschen. Dafür arbeiten wir, und dafür reichen wir allen Kräften der Vernunft die Hand. Wir schaffen Vertrauen durch Kontinuität und Weitblick.

(Lang anhaltender Beifall bei der CSU – Zurufe von der CSU: Bravo!)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir jetzt zur Aussprache. Der Ordnung halber möchte ich sagen, dass jetzt jede Fraktion eine zusätzliche Redezeit von 23 Minuten hat. So viel Zeit muss für die Regierungserklärung sein. Wir gehen davon aus, dass der Ministerpräsident auch dableibt.

Ich darf jetzt die Aussprache eröffnen und als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Rinderspacher das Wort erteilen. Bitte schön.

Verehrte Frau Landtagspräsidentin, Herr Ministerpräsident, Hohes Haus, liebe Kolleginnen und Kollegen! Anders als es zu den Gepflogenheiten im Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition gehört, möchte ich heute zunächst einmal dem Ministerpräsidenten ein großes Lob aussprechen. Sie werden überrascht sein.

(Beifall bei der CSU)

Ich möchte der CSU die Gelegenheit geben, mir zu applaudieren. – Bitte nehmen Sie das auch ins Protokoll auf. Ich trage das in meinem Kalender mit einem roten Kreuzchen ein. Ich hoffe, dass das meiner Partei, der SPD, nicht schadet. Aber tatsächlich ist es heute, anders als in den letzten zwölf Monaten, Herrn Seehofer zum ersten Mal gelungen, keinen Frontalangriff auf die deutsche Bundeskanzlerin zu fahren und im Dauerstreit zwischen CSU und CDU zumindest eine Feuerpause einzulegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Ministerpräsident, nach der Länge Ihrer Rede haben Sie hier einen Fidel Castro gegeben. Tatsächlich war auch der Ton ein anderer als in den letzten zwölf Monaten.

(Widerspruch bei der CSU)

Sie haben beinahe landesväterlich gesprochen, in staatsmännischer Pose, im ruhigen Kammerton. So kannten wir Sie gar nicht die letzten zwölf Monate. Sie waren heute ein ganz anderer Horst Seehofer.

(Gudrun Brendel-Fischer (CSU): Da seid ihr nicht da gewesen!)

Sie waren heute ein anderer Horst Seehofer als der Horst Seehofer, den wir seit dem Sommer 2015 erlebt haben.

(Kerstin Schreyer (CSU): Jetzt ist aber das Original da!)

Als Teil der Bundesregierung agierte die CSU nämlich in den letzten zwölf Monaten in Wahrheit alles andere als besonnen und im Kammerton sprechend. Sie agierte als schrille Fundamentalopposition. Die CSU hat gegenüber demokratischen Institutionen wie der Bundeskanzlerin jegliche Etikette vermissen lassen. Horst Seehofer hat das gute Benehmen eines Gentlemans – wie wir ihn heute erlebt haben – an der Parteitagspforte abgegeben.

Nach den Angriffen, die sich Frau Merkel gefallen lassen musste, gleicht ihr Verhalten aus Ihrer Sicht einem Akt der Selbstaufgabe. Im Herbst 2016 scheint klar zu sein: Die Demontage der deutschen Bundeskanzlerin durch die Schwesterpartei zeigt Wirkung. Die CSU hat die Imagewerte der Bundeskanzlerin in den letzten zwölf Monaten mit ihren stetigen Attacken regelrecht pulverisiert. Frau Merkel hat den letzten Rest an Autorität verloren. Das Ansehen der Bundeskanzlerin ist schwer beschädigt, und sie genießt keinen Rückhalt mehr.

Als Koalitionspartner in der Großen Koalition in Berlin bedauern wir sehr, dass es der Bundeskanzlerin ganz offensichtlich an Führungsstärke fehlt. Jeder andere Regierungschef hätte bei diesem Koalitionsgegner in den eigenen Reihen schon längst einmal auf den Tisch gehauen und die Freundinnen und Freunde der Schwesterpartei auch mal vor die Tür gesetzt.

(Beifall bei der SPD)

Die deutsche Bundeskanzlerin hat aus dem unionsinternen Streit so schlimme Blessuren davongetragen, dass sie ganz gewiss keine vierte Kanzlerkandidatur vor sich hat. Wir, die SPD, könnten die bemerkenswerten Prozesse im Dauerstreit zwischen CSU und CDU mit großer Gelassenheit sehen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht aber leider um sehr viel mehr als um ein Parteiengeplänkel von ehemals Befreundeten. Die lautstarke Polarisierung der CSU in den letzten zwölf Monaten schadet dem Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung und des deutschen Staates insgesamt. Die CSU hat auf unverantwortliche Art und Weise das gesellschaftliche Klima in unserem Land aufgeheizt und damit auch den inneren Frieden in unserem Land gefährdet.

(Widerspruch bei der CSU)

Demokratische Institutionen nehmen Schaden, wenn diese von einer Partei immer wieder attackiert werden und wenn diese Partei dabei als schlechtes Vorbild für rechtskonservative Deutschnationale wie die AfD agiert. Die jüngste Entgleisung von Generalsekretär Andreas Scheuer war ganz gewiss kein Einzelfall, als

er formulierte, das Schlimmste seien fußballspielende, ministrierende Senegalesen, und diese könne man nicht mehr abschieben; man werde sie nicht mehr los.

(Widerspruch bei der CSU)

Das war eine unerträgliche Missachtung der Ehrenamtlichen und der kirchlich Engagierten in unserem Land, die die Integration und den sozialen Zusammenhalt in Bayern an vorderster Stelle organisieren.

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄH- LERN)

Wir sollten die Macher der Mitmenschlichkeit in Bayern nicht auf diese Art und Weise demoralisieren. Im Gegenteil, wir sollten sie bestärken. Wir sind stolz auf diese hilfsbereiten Menschen und danken ihnen von Herzen für ihre wertvolle Arbeit. Deshalb sagen wir, die SPD, völlig unmissverständlich: Wir sind stolz auf dieses Bayern der Solidarität und Nächstenliebe.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Gud- run Brendel-Fischer (CSU))

Die Entgleisung von Andreas Scheuer stellt den vorläufigen Tiefpunkt einer rechtsnationalen Kampagne dar, gegen die sich sogar einstige Verbündete von den Kirchen in Bayern und Deutschland auf das Schärfste verwahren.