Protokoll der Sitzung vom 18.10.2016

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 84. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass der Bayerische Rundfunk die anschließende Regierungserklärung und die Aussprache live überträgt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie auf ein besonderes Jubiläum aufmerksam machen: Unsere Landtagspräsidentin, Frau Kollegin Barbara Stamm, ist seit Oktober 1976 ohne Unterbrechung und damit seit 40 Jahren Mitglied des Bayerischen Landtags.

(Lang anhaltender lebhafter allgemeiner Beifall)

Während der vergangenen vier Jahrzehnte hat sie nicht nur in zahlreichen Ämtern und Funktionen Verantwortung übernommen, unter anderem als stellvertretende Fraktionsvorsitzende, über sieben Jahre als Staatssekretärin im Sozialministerium, über sechs Jahre als Sozialministerin, von 1998 bis 2001 als stellvertretende Ministerpräsidentin, fünf Jahre als Vizepräsidentin und seit nun acht Jahren als Landtagspräsidentin. Sie hat in dieser Zeit von der Endphase der Ära Goppel über die umweltpolitischen Debatten der Achtzigerjahre bis hin zur Rolle Bayerns als bedeutender Region im Rahmen der Europäischen Union auch wesentliche Entwicklungslinien unserer jüngeren Parlamentsgeschichte mitgestaltet. Vor allem hat sie die Sozialpolitik im Freistaat in besonderer Weise geprägt und zudem eine beeindruckende Zahl an Sitzungen des Hohen Hauses miterlebt. Von den 2.247 Sitzungen, die seit Bestehen des Landtags nach 1946 bis zu ihrem Jubiläum abgehalten wurden, war Landtagspräsidentin Barbara Stamm bei mehr als der Hälfte präsent; dies sind exakt 1.170 Sitzungen.

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Barbara, wer dem Bayerischen Landtag so lange angehört, kann durch keine neue Situation oder schwierige Geschäftsordnungsfrage mehr überrascht werden. Du hast bei der Ausübung deines Amtes stets das Wohl aller Abgeordneten im Blick und hast die Arbeitsbedingungen für die Kolleginnen und Kollegen hier im Parlament in deiner Amtszeit entscheidend verbessern können.

(Allgemeiner Beifall)

Souverän und manchmal mit der gebotenen Strenge wachst du über die Einhaltung der parlamentarischen Gepflogenheiten und kannst bei der Ausübung deines

Amtes auf einen Erfahrungsvorsprung zurückgreifen, über den hier im Haus kein anderer Kollege in ähnlichem Ausmaß verfügt.

Wir gratulieren Ihnen, verehrte Frau Landtagspräsidentin, wir gratulieren dir, liebe Barbara, zu diesem besonderen Jubiläum. Ich darf dir für dein jahrzehntelanges parlamentarisches Engagement im Namen des Hohen Hauses sehr herzlich danken und wünsche dir weiterhin alles Gute, vor allem die nötige Gesundheit, und noch viele erfüllte Jahre.

(Lang anhaltender allgemeiner Beifall)

Der Herr Ministerpräsident hat gebeten, ihm zu Beginn der heutigen Plenarsitzung gemäß § 177 Absatz 1 der Geschäftsordnung Gelegenheit zur Abgabe einer Regierungserklärung zu geben.

Regierungserklärung des Ministerpräsidenten "Bund-Länder-Finanzbeziehungen"

Hierzu erteile ich nunmehr dem Herrn Ministerpräsidenten außerhalb der Tagesordnung das Wort. Bitte schön, Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist zwar nicht Gegenstand meiner Regierungserklärung, aber doch ein historisches Datum, sodass auch ich als Ministerpräsident des Freistaats Bayern unserer Landtagspräsidentin Barbara Stamm zu ihrem 40-jährigen Dienstjubiläum gratulieren möchte. Das ist ein sehr langer Weg gewesen, den wir zum großen Teil gemeinsam gegangen sind.

Sie führt ihr Amt als Landtagspräsidentin, wenn ich mir erlauben darf, dies zu sagen, mit einem hohen Maß an Fairness und Souveränität. Sie ist als Politikerin der Inbegriff der Mitmenschlichkeit in unserem Lande, gerade wenn es darum geht, Politik mit Rücksicht auf die kleinen Leute zu machen. Deshalb: Gratulation und der Wunsch, dass sie nicht dem Beispiel des Bundestagspräsidenten folgen möge. Alles Gute!

(Beifall bei der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der letzte Freitag in Berlin war ein guter Tag für die deutsche Politik. Erstens hat der Bundesrat mit einer beachtlichen Mehrheit über die Parteigrenzen hinweg endgültig die Erbschaftsteuerreform verabschiedet. Das war wichtig, um zu vermeiden, dass ein Gericht, nämlich das Bundesverfassungsgericht, anstelle der Politik entscheidet. Das war auch wichtig, weil damit eine gute Botschaft verbunden ist: keine Steuererhöhungen in der Bundesrepublik Deutschland.

Für diejenigen, die Betriebe übernehmen, fortführen und Arbeitsplätze erhalten, gibt es eine steuerliche Privilegierung. Das ist in unserem Allgemeininteresse. Es macht keinen Sinn, in der einen Woche darüber nachzudenken, wie wir Existenzgründer für die Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland bekommen, um in der nächsten Woche die gleichen mit höheren Steuern zu bestrafen. Insofern war das eine richtige Entscheidung des Bundesrates.

(Beifall bei der CSU)

Die zweite wichtige Entscheidung betraf den Länderfinanzausgleich. Man kann dazu sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Zehn Jahre nach der Föderalismusreform haben wir nun auch die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu gestaltet. Das ist für diejenigen, die die Verhandlungen nur aus der Distanz verfolgen konnten, wichtig zu wissen. 16 Bundesländer und der Bund mit den beiden großen Koalitionsparteien, den beiden Regierungsfraktionen, waren in der Endphase immer eingebunden und haben diesen Kompromiss nach einem ungewöhnlich harten Ringen einstimmig beschlossen. Es ist ein großer Erfolg für die politische Kultur in Deutschland, dass die Große Koalition gerade am Freitag durch die Verabschiedung von zwei bedeutsamen Vorhaben gezeigt hat: Diese Große Koalition ist in der Lage, auch große Probleme zu lösen und solche Themen anzugehen.

(Beifall bei der CSU)

Wir haben mit dieser Entscheidung auch einen bleibenden Erfolg für die Menschen in Bayern geschafft. Wir waren ja der eigentliche Motor und haben das Ganze angetrieben. Auch waren wir federführend bei den Verhandlungen über den Länderfinanzausgleich.

Vor dem Hintergrund der gleich folgenden Debatte darf ich sagen, dass es dem Freistaat gelungen ist, mit Vertretern aller politischen Lager Bündnisse zu schließen. Meine Hauptbündnispartner waren aus der SPD der Erste Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz, ein ungewöhnlicher Sachkenner dieser Materie, und mein Nachbar, der in der Ministerpräsidentenkonferenz immer zu meiner Rechten sitzt, der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir mit ihnen und – eigentlich mit allen – mit Ausnahme der Bundesregierung; darauf komme ich gleich noch zu sprechen – zu 100 % in Übereinstimmung waren.

Worum geht es beim Länderfinanzausgleich? – Wir, die Bayerische Staatsregierung, kritisieren nicht – dies möchte ich deutlich sagen –, dass es in Deutschland einen Solidarausgleich gibt, sondern wir wollten

die Schieflage verändern, die im Laufe der Jahre entstanden ist.

Auch wir haben bis zur Deutschen Einheit Mittel aus dem Länderfinanzausgleich erhalten. Wie sich die Schieflage entwickelt hat, mögen Sie den folgenden Zahlen entnehmen: Der Freistaat Bayern zahlt heute in zwei Jahren so viel, wie Bayern in der gesamten Nachkriegsgeschichte erhalten hat. Ich sage dies nur, damit man die Dimensionen einmal vergleichen kann. Wir zahlen heute 57 % des Länderfinanzausgleichs – das sind jährlich 5,5 Milliarden Euro –, haben aber in der gesamten Nachkriegsgeschichte, in all diesen Jahren zusammengenommen, lediglich 10,2 Milliarden Euro erhalten. Das ist unserer Bevölkerung nicht mehr vermittelbar. Deshalb war eine Änderung notwendig.

(Beifall bei der CSU)

Diese Änderung kam zustande, weil die Politik unter schwierigen Rahmenbedingungen und in schwierigen Zeiten überall in Deutschland in der Lage war, parteiübergreifend zu handeln. Ich habe jetzt nicht das Anliegen, eine linke Regierung in Thüringen oder grüne Regierungen woanders zu loben, auch nicht unsere eigenen Regierungen. Aber dass es möglich ist, in unserem Vaterland in Verantwortung für das Ganze über die Parteigrenzen zu springen und politisch belastbare Vereinbarungen zu treffen, das erfüllt mich mit Stolz. Im Kern ist es eine Deutschlandkoalition, die am Freitag für das ganze Land gehandelt hat.

(Beifall bei der CSU)

Das ist übrigens auch eine gute Prävention gegen radikale politische Kräfte und Weltverbesserer. Wir müssen handeln und dürfen uns das Handeln von Gerichten nicht aufdrängen lassen. Das war die Motivation.

Was wird sich beim zukünftigen Länderfinanzausgleich ändern? – Der Länderfinanzausgleich in seiner heutigen Form wird schlichtweg abgeschafft. Die Ausgleichsleistungen zwischen den Ländern und dem Bund werden künftig über die Umsatzsteuerverteilung vorgenommen. Künftig wird es somit im bayerischen Staatshaushalt keine Position mehr mit der Bezeichnung "Länderfinanzausgleich" geben. Künftig kann man dies nur noch an der Steuerverteilung in der Bundesrepublik Deutschland ablesen. Im Rahmen der Steuerverteilung werden die Parameter derart gestaltet, dass der Ausgleich zwischen Stark und Schwach anders als in der Vergangenheit ausfallen wird.

Die andere strukturelle Veränderung ist mir noch wichtiger als die Größe der Entlastung. Das ist die Einführung eines niedrigen linearen Tarifs von 63 %. Das ist jetzt etwas erklärungsbedürftig. Von den Zah

lerländern, zu denen wir gehören, werden künftig lediglich 63 % der überdurchschnittlichen Finanzkraft abgeschöpft und nicht mehr. Das war bisher anders. Seit den Vereinbarungen zum letzten Länderfinanzausgleich bis heute sind die Belastungen des Freistaats Bayern progressiv gestiegen. Künftig wird es einen linearen Tarif geben. Dieser lineare Tarif wird bei 63 % gedeckelt. Die überdurchschnittliche Finanzkraft, die darüber liegt, wird künftig nicht mehr ausgeglichen und abgeschöpft. Das ist ein ganz zentrales Anliegen, weil es Länder, die eine gute Wirtschaftsund Strukturpolitik machen, nicht bestraft, sondern belohnt.

(Beifall bei der CSU)

Der Freistaat wird ab dem Jahr 2020 insgesamt dauerhaft um 1,3 Milliarden Euro im Jahr entlastet. Das war unser Anliegen. Dies wird die Zahlen im Jahr 2020 betreffen und nicht die heutigen Zahlen, die im Laufe der nächsten Jahre an Wert verlieren werden. Das ist die Bayern-Milliarde, von der ich immer gesprochen habe. Ich weiß nicht, ob Herr Pohl heute für die FREIEN WÄHLER spricht.

(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Ja!)

Ich höre ihm wie immer sehr genau zu und weiß, wie Sie an diesem Pult einmal davon gesprochen haben, dass diese Milliarde eine ganz schöne Sache wäre.

(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Zwei Milliarden Euro!)

Nein, eine Milliarde Euro.

(Allgemeine Heiterkeit)

Jetzt erhöht er die Summe plötzlich. Das ist aber nicht so wichtig. Hauptsache ist, wir haben Erfolg. Wir haben das durchgesetzt.

(Beifall bei der CSU)

In Rückkoppelung an meine Fraktion und das Kabinett möchte ich sagen: Ab dem Jahr 2020 haben wir die folgenden zehn Jahre zusätzlich 13 Milliarden Euro zur Verfügung. Wir werden diese 13 Milliarden Euro nicht in den Konsum stecken und die Ausgaben aufblähen. Wir wollen stattdessen einen wesentlichen Teil dieser 13 Milliarden Euro in die Tilgung der alten Schulden stecken. Damit werden wir bombensicher mein politisches Versprechen, dass Bayern bis zum Jahr 2030 schuldenfrei sein wird, erfüllen. Wir sind damit das erste Land.

(Beifall bei der CSU)

In diesem Zusammenhang haben wir im Parlament und in der Öffentlichkeit eine klare Botschaft an die junge Generation: Wir vererben den jungen Menschen keine Schulden, sondern Chancen für ihr Leben. Das ist Generationengerechtigkeit. Die Generationengerechtigkeit ist nach meiner tiefen Überzeugung – ich denke an die Rente und an die Schulden – die soziale Frage des 21. Jahrhunderts.

Die Staatsregierung hält Kurs: Seit dem Jahr 2006 und damit zum 12. und 13. Mal gibt es keine Nettoneuverschuldung im allgemeinen Haushalt. Seit meiner Zusage im Jahr 2012 haben wir begonnen, die Altschulden zu tilgen. Der Schuldenabbau beträgt derzeit insgesamt 4,6 Milliarden Euro. Diesen Kurs können wir durch die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs jetzt noch kraftvoller fortführen. Das ist ein zusätzlicher Markenkern bayerischer Politik. Zwar wird das in anderen Bundesländern zu Neidgefühlen führen, aber diese halten wir aus.

Wie war dieser Erfolg möglich? – Der Bund stellt künftig über 9,5 Milliarden Euro im Jahr zur Verfügung. Dies erklärt auch, warum in der Endphase der Verhandlungen die beiden Bundestagsfraktionen mit ihren Fraktionsvorsitzenden und haushaltspolitischen Sprechern mitgewirkt haben, und zwar sehr kritisch. Das verstehe ich auch. Am Ende haben sie sich auf das Ländermodell eingelassen. Das war ein großer Fortschritt. Wie ist es möglich, dass die drei Zahlerländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen weniger bezahlen, unverschuldet strukturschwache Länder mehr Mittel erhalten und die neuen Länder nach dem Jahr 2019 nicht alleine gelassen werden? – Das ist nur möglich, wenn man die Wahrheit ausspricht: Wenn die Zahlerländer weniger bezahlen, muss der Bund dafür einspringen. Deshalb bin ich der Bundeskanzlerin, Bundesminister Dr. Schäuble und dem Vizekanzler Siegfried, nein: Sigmar Gabriel sehr dankbar. Er war ein tapferer Siegfried.

(Heiterkeit bei der CSU – Volkmar Halbleib (SPD): Wir werden es ihm ausrichten!)

Er hat daran mitgewirkt. Das sollte man schon anerkennen. Wir wollten das, und wir haben hart dafür gekämpft. Manchmal hing der Erfolg am seidenen Faden. Aber der Bund hat uns die 9,5 Milliarden Euro auf der Grundlage des Ländermodells zugesagt. Dafür sollte man sich als bayerisches Parlament und Bayerische Staatsregierung bei den Hauptverhandlern bedanken, bei Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel und Bundesfinanzminister Wolfang Schäuble.

(Beifall bei der CSU und der SPD)