Protokoll der Sitzung vom 30.11.2016

Die Türkei ist für Beitrittsverhandlungen nicht bereit, sei es wegen der angekündigten Einführung der Todesstrafe, wegen abstruser Vorwürfe an den deutschen Außenminister, wir in Deutschland würden den Terrorismus befördern, oder auch wegen der permanenten Drohung, das Flüchtlingsabkommen platzen zu lassen und Ströme von Flüchtlingen nach Europa zu schicken. Martin Huber hat recht, wenn er sagt, echte Partner erpressen sich nicht. Europa wird zum Feindbild stilisiert. Mit einer Politik, die ständig europäische Grundüberzeugungen verletzt, wird gezeigt, dass man kein ernsthaftes Interesse an Verhandlungen und an einem Beitritt hat. Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Wer es mit uns ernst meint und wer wirklich Teil der Europäischen Union werden will, der verhält sich anders. Deshalb gibt es nur eine logische Antwort an den Staatspräsidenten Erdogan, der die Türkei nicht näher an Europa heranführen will, sondern sie im Gegenteil entfernt: den sofortigen Stopp der Beitrittsverhandlungen.

(Beifall bei der CSU)

Zum Glück wird das in Deutschland nun zum parteiübergreifenden Konsens.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Aussetzen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte die Menschen, die sich in der Türkei für Demokratie einsetzen, nicht vergessen. Diese Menschen kooperieren mit uns offen und ehrlich und fühlen sich jetzt verloren. Viele Menschen in der Türkei sind ernsthaft an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert. Das wird mir auf meinen Reisen in die Türkei immer wieder vor Augen geführt. Das sind auch die Menschen, die sagen: Leute, ihr müsst jetzt reagieren! Ihr könnt das so nicht hinnehmen! – Wir wollen reagieren.

Ich danke den türkischen und türkischstämmigen Mitbürgern für ihren großen Beitrag zur Erfolgsgeschichte Bayerns. Wir kritisieren die türkische Regierung, aber nicht die Menschen.

Ich möchte sehr deutlich sagen, dass die Türkei für uns ein sehr wichtiger Partner bleibt. Wir haben starke wirtschaftliche Beziehungen. Das haben Sie auch schon gesagt. Die NATO ist angesichts von Krieg und Terror im Nahen Osten heute wichtiger denn je. Wir brechen keine Brücken ab. Nein, wir werden selbstverständlich weiter im Gespräch bleiben. Wir müssen sogar intensiv Realpolitik betreiben. Das bedeutet, die Partnerschaft auszubauen, miteinander zu sprechen, unsere Wirtschaftsunternehmen zu unterstützen, in der Visapolitik für wirtschaftspolitisch sinnvolle Lockerungen einzutreten, aber nicht für eine vollständige Visafreiheit. Damit kommen wir den Menschen entgegen.

Keinesfalls können wir einen politischen Rabatt gewähren oder falsche Hoffnungen auf eine Vollmitgliedschaft wecken. Damit würde Europa als Werte- und Rechtsgemeinschaft jede Glaubwürdigkeit verlieren.

(Beifall bei der CSU)

Nach den vielen Gesprächen möchte ich betonen, dass die Menschen es nicht verstehen würden, wenn wir keine klare Position beziehen würden. Deshalb werbe ich für Ehrlichkeit in der Debatte. Die Beitrittsverhandlungen müssen gestoppt werden.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Aussetzen!)

Setzen wir gemeinsam ein Zeichen für unsere europäische Werteordnung! Selbstverständlich wird ein hier gefasster Beschluss in Berlin nachdrücklich vertreten. Das muss nicht noch betont werden.

(Beifall bei der CSU)

Frau Staatsministerin, bitte bleiben Sie am Rednerpult. Die

Frau Kollegin Kamm hat sich zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Europaministerin, Ihnen muss doch eigentlich daran gelegen sein, dass Europa Nachbarn hat, in denen Menschenrechte geachtet werden. Aber Sie wollen mit der Türkei verhandeln. Über was wollen Sie eigentlich mit der Türkei verhandeln? Sie sagen, dass es für die Türkei keinen Beitrittsstatus geben kann, und zwar für alle Zeiten, auf immer und ewig. Wieso wollen Sie dauerhaft die Gespräche stoppen, wenn Sie mit der Türkei in Verhandlungen bleiben wollen? Haben Sie eigentlich die derzeitig von Erdogan Verfolgten gefragt, wie sie zu Ihrer Position stehen? Haben Sie mit denen schon gesprochen und Kontakt aufgenommen?

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von der CSU)

Danke schön, Frau Kollegin. – Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort.

Liebe Frau Kamm, natürlich spreche ich mit den Menschen, mit denen ich in Kontakt komme. Natürlich möchte ich deren Meinung dazu hören. Das ist selbstverständlich. Ich denke, diese Menschen werden genauso wie wir hier im Hohen Haus unterschiedliche Meinungen haben. Die Menschen, die mit mir gesprochen haben, waren für eine klare Position gegenüber der Türkei. Sie haben deutlich gemacht, dass es so nicht weitergeht.

Ich möchte noch einmal betonen, dass ich nicht für einen Abbruch der Gespräche auf immer und ewig bin. Sie müssen gestoppt werden. Frau Kamm, Sie hören bei mir nirgendwo ein "auf immer und ewig". Ich habe gesagt: "gestoppt".

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Was heißt das?)

Das heißt, mit dem Status als Beitrittskandidat muss Schluss sein. Das heißt, eine andere Lösung muss auf den Tisch. Im Moment gibt es keinen Anlass zu glauben, dass es in absehbarer Zeit zu weiteren Verhandlungen kommen könnte. Deswegen müssen wir deutlich sein und die Gespräche stoppen, nicht nur aussetzen oder eine Pause machen. Wir müssen deutlich ein Ende setzen. Für uns sind die Verhandlungen unter den gegebenen Umständen beendet. Wir werden andere Wege finden. Liebe Frau Kamm, dann wird es natürlich Gespräche, sowohl über die Menschenrechte als auch über die wirtschaftlichen Konditionen geben. Das ist ein Thema, das die Unternehmen in der Türkei genauso interessiert wie die Unternehmen bei uns. Wir müssen auch über Rückkehrmöglichkeiten für türkische Staatsbürger sprechen,

die bei uns sind und im Moment nicht in ihr Heimatland zurückkehren können.

(Beifall bei der CSU)

Frau Staatsministerin, Herr Kollege Taşdelen hat sich zu Wort gemeldet. – Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Staatsministerin, ich hätte eine ganz konkrete Frage: Teilen Sie die Bewunderung unseres Ministerpräsidenten für Herrn Putin, für Viktor Orbán und für Herrn Trump?

Herr Kollege, ich bewundere überhaupt niemanden, auch nicht in der Politik. Ich mag vielleicht für manche Leute Respekt haben. Im Moment geht es aber um die Frage, wie wir mit der Türkei umgehen und wie wir in der Zukunft gemeinsam Politik machen werden.

(Beifall bei der CSU)

Ich bewundere die Menschen in der Türkei, die sich für die Demokratie und für die Menschenrechte einsetzen.

(Beifall bei der CSU – Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Sie dürfen sich wieder setzen!)

Frau Staatsministerin, herzlichen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/14475 – das ist der Antrag der CSU-Fraktion – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. Gegenstimmen! – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen! – Das ist die Fraktion der FREIEN WÄHLER. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag angenommen.

Ich komme zum nächsten Antrag. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/14495 – das ist der Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen! – Das ist die Fraktion der CSU.

(Christine Kamm (GRÜNE): Sie stimmen gegen Ihre eigene Fraktion im Europaparlament!)

Frau Kamm, wir befinden uns jetzt in der Abstimmung. – Ich frage nach den Stimmenthaltungen. – Keine. Dieser Dringlichkeitsantrag ist damit abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/14496 – das ist der Antrag der Fraktion der FREIEN WÄHLER – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. – Das sind wiederum die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen! – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Ich sehe keine. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Wir kommen damit zum Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/14497 – das ist der Antrag der SPDFraktion. Wer diesem Dringlichkeitsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen! – Das ist die Fraktion der CSU. Damit ist auch dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Ich rufe nun den nächsten Dringlichkeitsantrag auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Natascha Kohnen, Inge Aures u. a. und Fraktion (SPD) 70 Jahre Bayerische Verfassung - Unser Bayern. Unsere Verfassung. Unser Auftrag: "In der Vielfalt liegt die Zukunft, in Europas Staatenbund!" - Neue Strophe der Bayernhymne offiziell anerkennen (Drs. 17/14476)

Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist Herr Kollege Rinderspacher von der SPD. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Verehrter Herr Präsident, Hohes Haus, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begehen morgen den 70. Jahrestag der Bayerischen Verfassung mit einem großen Festakt im Nationaltheater München. Ich denke, wir Landtagsabgeordnete freuen uns alle miteinander auf dieses tolle Fest, ist die Verfassung doch die Grundlage unseres Zusammenlebens in Bayern und auch der Rahmen für die Landespolitik, wie das auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof letzte Woche in seiner Entscheidung zur sogenannten Volksbefragung gegenüber der Mehrheitspartei noch einmal in Erinnerung gerufen hat.

Die Bayerische Verfassung ist eine Charta der Freiheit, der Bürgerrechte und ein Plädoyer für den sozialen Zusammenhalt. Für die Sozialdemokratie in diesem Hohen Hause darf ich sagen: Als

verfassungspatriotischer Partei ist dieser 70. Jahrestag für uns mit besonderem Stolz verbunden, ist die Verfassung doch untrennbar mit dem Namen Dr. Wilhelm Hoegner verbunden, jenem großen Sozialdemokraten, der am 6. Juni 1945 aus dem Schweizer Exil – er war vor den Nazis geflüchtet – zurückkehrte und der einen Entwurf einer bayerischen Verfassung mit 140 Artikeln mitbrachte. Dieser Verfassungsentwurf wurde knapp eineinhalb Jahre später nach intensiven Beratungen in der Verfassunggebenden Versammlung Wirklichkeit, und zwar durch eine exzellente Zusammenarbeit von CSU und SPD. Diese Verfassung wurde dann vom Volk in einem Volksentscheid mit sehr großer Mehrheit beschlossen.

Wir Sozialdemokraten werden auch künftig darauf drängen, die sozialen Postulate in die Verfassungswirklichkeit umzusetzen. Frauen und Männer sollen endlich den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit erhalten, wie es im Artikel 168 heißt. Für die Aufnahme eines Kindes in eine bestimmte Schule sollen seine Anlagen, seine Neigungen, seine Leistungen und seine innere Berufung maßgebend sein, nicht aber die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung der Eltern. Wir wissen, es gibt noch viel zu tun, um dies umzusetzen. Wir wollen, dass die Förderung des Baues billiger Wohnungen tatsächlich eine Aufgabe des Staates ist; so steht es in Artikel 106 geschrieben. Die Staatsregierung wird jedoch im Jahr 2017 ihre Mittel für den Sozialen Wohnungsbau halbieren. Wir halten das für falsch.

Der Artikel 151 beschreibt wohl am eindringlichsten den Auftrag bayerischer Landespolitik: "Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten." Wir wissen, auch hierfür ist noch viel zu tun. Die Zahl derer, die im reichen Freistaat Bayern an und unterhalb der Armutsgrenze leben, wächst von Jahr zu Jahr. Im jüngsten Bericht waren es 1,8 Millionen Menschen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mit unserem heutigen Dringlichkeitsantrag den Blick auf den Artikel 3a der Bayerischen Verfassung lenken, nämlich auf die Formulierung: "Bayern bekennt sich zu einem geeinten Europa". Das war auch der Grundgedanke der Bayerischen Volksstiftung im Jahr 2012, also vor vier Jahren. Die Bayerische Volksstiftung richtet den alljährlichen Verfassungstag für den Freistaat Bayern aus. Vor nunmehr vier Jahren hat sie in weiser Voraussicht dazu aufgerufen, Neuschöpfungen einer Strophe der Bayernhymne einzureichen, die die Themen "Bayern und Europa" und

"kulturelle Vielfalt" adäquat erfassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ergebnis war schlicht umwerfend.

In mehr als 1.000 Einsendungen aus ganz Bayern konnte eine große Jury den ersten Preis an Schüler aus Bad Tölz vergeben, wobei ein Schüler erfreulicherweise sogar einen Migrationshintergrund hat. Im Jahr 2012 wurde der herausragende Vorschlag von Schülern der Beruflichen Oberschule Bad Tölz, nämlich von Muhammad Agca, Benedikt Kreisl und Tatjana Sommerfeld, prämiert, der den europäisch-bayerischen Gedanken in wunderbarer Weise zum strahlenden Klingen und zum klingenden Strahlen bringt. Mein Dank gilt der Bayerischen Staatsregierung, die diesen Wettbewerb gemeinsam mit der Bayerischen Volksstiftung initiiert und ausgerufen hat. Ich möchte kurz das Ergebnis, diese wunderbare dritte Strophe, hier wiedergeben:

Gott mit uns und allen Völkern, ganz in Einheit tun wir kund:

(Margarete Bause (GRÜNE): Singen!)