Protokoll der Sitzung vom 22.02.2017

Die Sargpflicht, Kolleginnen und Kollegen, ist in Deutschland und auch in Bayern keine Jahrhunderte alte Tradition. Bestattungen im Sarg gibt es eigentlich erst seit dem 19. Jahrhundert. Bestattungen ohne Sarg hingegen waren bis ins 19. Jahrhundert Praxis in Deutschland, auch in Bayern. Es gab sogar eine Sargsteuer, Kolleginnen und Kollegen, für diejenigen, die meinten, unbedingt einen Sarg benutzen zu müssen.

Sie argumentieren immer mit dem sogenannten christlichen Abendland. Nun ist dieser Begriff "christliches Abendland" sowieso nur ein Kampfbegriff für Politiker und Politikerinnen, die Ausgrenzung betreiben wollen. Aber gehört denn die Sargpflicht zur christlichen Tradition? – Kolleginnen und Kollegen, Jesus selbst wurde nicht in einem Sarg bestattet, sondern in einem Leinentuch – Evangelium nach Johannes, Kapitel 19, wenn Sie es nachlesen wollen.

(Beifall der Abgeordneten Katharina Schulze (GRÜNE))

Ist es denn christliche Tradition, ist es unverzichtbar für Christen und Christinnen, sich im Sarg bestatten zu lassen? – Nein. Christen und Christinnen müssen

sich nicht im Sarg bestatten lassen. Das ist keine religiöse Vorschrift; es gibt die Feuerbestattung, es gibt die Seebestattung. Da können Sie als Christ oder als Christin machen, was Sie wollen.

Die religiösen Bedürfnisse von Christen und Christinnen bleiben von den Änderungen in unserem Gesetzentwurf völlig unberührt. Niemand will die heute in unserem Land praktizierte christliche Bestattungskultur, die noch viele Menschen wollen – ungefähr ein Viertel der Bayern möchte das noch so, im Sarg in der Erde bestattet zu werden –, ändern.

Frau Nickel vom Katholischen Büro hat in der Anhörung zum Bestattungsrecht gesagt: "Nach unserer Auffassung" – also nach Auffassung der katholischen Kirche – "wird auch keineswegs irgendwo eine andere Religion, insbesondere nicht die christliche, benachteiligt, wenn man das bayerische Bestattungsrecht für andere Religionen öffnet und Ausnahmen zulässt."

(Beifall bei den GRÜNEN)

Früher waren die Staatslenker übrigens weiter, als Sie heute sind. Der erste türkische Friedhof wurde 1798 von König Friedrich Wilhelm III. in Berlin eingerichtet, weil er die Bedürfnisse seiner Bürger und Bürgerinnen erkannte.

Herr Kollege von Lerchenfeld, Sie haben gegenüber dem Bayerischen Rundfunk die Ablehnung unseres Gesetzentwurfs so begründet: Meiner ganz subjektiven Weltanschauung nach entspricht es einer menschenwürdigen Beerdigung, wenn die Leiche, also die Hülle, die ja nicht mehr der Mensch ist, sondern entseelt ist, in einem Sarg begraben wird. – Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ich glaube, das kann nicht Ihr Ernst sein, dass diese Begründung die Begründung dafür sein soll, unsere Vorschläge heute hier abzulehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. – Nächster Redner ist Freiherr von Lerchenfeld.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, Hohes Haus! Heute liegt uns in Zweiter Lesung ein Gesetzentwurf der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN zur Änderung des Bestattungsgesetzes vor. Über das Thema Bestattungen wurde in dieser Legislaturperiode weiß Gott vielfach in Ausschüssen und auch hier im Plenum gesprochen.

Lassen Sie mich vorab noch einmal einige grundsätzliche Worte zu diesem Thema sagen: Erstens. Die

Würde des Menschen nach dem Grundgesetz muss auch postmortal gelten. In all unseren Entscheidungen zu diesem Thema ist es unsere moralische Pflicht, dem Genüge zu leisten.

Zweitens. In Bayern wird nach dem derzeit geltenden Bestattungsgesetz den jüdischen und islamischen Bestattungsriten ausreichend entsprochen.

Drittens besteht damit für eine Anpassung des Bestattungsgesetzes kein Bedarf.

Detaillierte Ausführungen dazu finden Sie unter anderem im Plenarprotokoll Nummer 41 vom 26.03.2015, im Ausschussprotokoll Nummer 42 des Innenausschusses vom 11.11.2015, in der Beschlussempfehlung 17/9181 des Innenausschusses vom 26.11.2015, im Ausschussprotokoll Nummer 42 des Verfassungsausschusses vom 26.11.2015, schließlich im Beschluss des Plenums vom 09.12.2015 auf Drucksache 17/9470, im Plenarprotokoll Nummer 61 vom 09.12.2015, im Ausschussprotokoll Nummer 63 des Innenausschusses vom 07.12.2016 und ganz aktuell in der Beschlussempfehlung mit Bericht des Innenausschusses auf Drucksache 17/15511 vom 16.02.2017. Auch diese haben Sie bestimmt schon mit großem Interesse gelesen.

Abschließend kann ich dazu nur feststellen: Zu diesem Thema ist alles besprochen und gesagt. Die CSU-Fraktion hat dem auch nichts weiter hinzuzufügen. Wir schließen uns der Beschlussempfehlung des Innenausschusses an und lehnen den vorliegenden Gesetzentwurf der GRÜNEN ab.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön. – Bleiben Sie bitte noch am Rednerpult. Wir haben eine Zwischenbemerkung von Kollegin Gote.

Herr Kollege, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie noch einmal darauf hingewiesen haben, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und dass wir sie auch postmortal schützen müssen. Es geht um die Würde jedes Menschen, eben auch um die Würde von Muslimen und Musliminnen und von Juden und Jüdinnen. Ich kann nicht erkennen, wie man diesem Anspruch gerecht wird, wenn man diesen Menschen in einer wirklich wichtigen Frage, nämlich der Frage der Sargpflicht, nicht entgegenkommt.

Statt hier Argumente zu nennen, haben Sie Daten von Beratungen in verschiedenen Gremien aufgezählt. Ich weiß nicht, ob Sie sonst Ihre Zeit nicht herumgebracht hätten. Das zeigt eigentlich nur, wie viel Beratung Sie bisher schon nötig hatten, um vernünftigen Vorschlä

gen im Haus folgen zu können. Was mir aber bis heute fehlt, ist ein einziges Sachargument, Herr Kollege, das gegen die Vorschläge spricht, die wir machen

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN und der SPD)

und die im Übrigen mit Ausnahme von zwei weiteren Bundesländern in allen anderen Bundesländern schon umgesetzt sind. Die Frage der Sargpflicht wird im Übrigen auch in keinem anderen europäischen Land so restriktiv gehandhabt wie in Bayern. Nennen Sie ein einziges Sachargument.

In den Beratungen, die Sie aufgezählt haben, kam immer wieder einmal der Hinweis darauf, dass Leichen in Leinentüchern nicht verwesen würden. Das ist in der Expertenanhörung, die wir dazu hatten, ausgeräumt worden. Ihr eigenes Landesamt für Umwelt hat dies eindeutig verneint. Es gibt keine Umweltargumente; es gibt keine Argumente des Arbeitsschutzes, es gibt kein Problem mit der Verwesung der Leichen. Das haben Experten, und zwar Ihre Experten, in der Expertenanhörung gesagt, nämlich alle Experten aus den verschiedensten Bereichen, bis auf einen. Von elf Experten, die wir geladen hatten, haben zehn gesagt: Wir sind für diese Änderung. Ein einziger war dagegen – das war der Vertreter des Bestatterverbandes, der bekanntlich Särge verkauft. Man kann daher nicht sagen, dass es Argumente dagegen gäbe. Diese gibt es nicht. Ich habe von Ihnen nie, an keiner einzigen Stelle in den vielen Beratungen, auch nur ein einziges Argument gehört. Sagen Sie mir bitte wenigstens jetzt ein einziges Sachargument dagegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Frau Gote, das stimmt nicht.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Die Anhörung hat keinerlei Hinweise auf das gegeben, was Sie hier behaupten. Außerdem geht es um eine Änderung des Bestattungsgesetzes, von Ihnen vorgeschlagen. Ihr Vorschlag enthält in einem Teilbereich die Aufhebung der Sargpflicht, worauf Sie heute ausschließlich Ihren Fokus setzen. Es gehört aber noch viel anderes dazu. Darauf sind wir lange genug in allen Ausschüssen eingegangen. Ich bleibe bei meiner Äußerung.

(Zurufe von den GRÜNEN – Margit Wild (SPD): Das war keine Antwort!)

Danke schön. – Nächster Redner ist Herr Kollege Taşdelen.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wurde mit der Bibel argumentiert. Herr Kollege von Lerchenfeld hat mit Protokollnotizen argumentiert. Jetzt fällt es mir natürlich schwer, andere weltliche Argumentationen zu finden. Ich versuche es aber trotzdem.

Deutschland hat vor ungefähr 50 Jahren viele Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter hierher geholt und sich darum gekümmert, dass diese Menschen hier leben und arbeiten, aber gar nicht darum, was mit diesen Menschen passiert, wenn sie bei uns sterben. Im Moment haben einige Städte, Kommunen und Gemeinden die Notwendigkeit erkannt, hier etwas zu regeln. Sie haben gesagt, dass auch der Tod zum Leben gehört. Beispielsweise haben Muslime und Menschen jüdischen Glaubens gewisse Bestattungsriten. Dann gibt es noch Menschen, die gar keinen Glauben haben. Viele, viele Friedhöfe versuchen auch, diesen Riten gerecht zu werden. Das ist der richtige Weg. Ich meine, dass wir diesen richtigen Weg auch weitergehen sollten, indem wir den Städten, den Gemeinden und den Kommunen die Möglichkeit geben, die Sargpflicht abzuschaffen.

Wir haben in unserem Integrationsgesetz 2015 die Abschaffung der Sargpflicht und die Zulassung der Bestattung im Leinentuch gefordert. Wir waren uns im Vorfeld in der Diskussion unter anderem auch mit der CSU im Grunde genommen zumindest in dem Punkt einig, dass die Sargpflicht nicht mehr zeitgemäß ist, weil Menschen, die ihre Angehörigen beispielsweise nach muslimischem Ritual beerdigen wollen, keine andere Wahl haben, als ihre Angehörigen in ihrer ersten Heimat zu beerdigen.

Nun kam aber alles ganz anders. Ehrlich gesagt fehlen mir von der CSU tatsächlich überzeugende Argumente, warum sie die Abschaffung der Sargpflicht nicht befürwortet hat. Das wäre der nächste Schritt, der absolut notwendig wäre.

Freiherr von Lerchenfeld, Sie haben auf den folgenden Punkt aufmerksam gemacht: Bei Bestattungseinrichtungen müssen beispielsweise rituelle Waschungen möglich sein. Sie haben auch die unbefristete Ruhezeit angesprochen. Ich meine, dass das tatsächlich der Markt regeln kann, weil man die Ruhezeit immer wieder verlängern kann. Allerdings ist die Sargpflicht eine Riesenhürde für diejenigen, die nach muslimischem Ritual bestatten wollen.

Der Herr Ministerpräsident ist jetzt nicht mehr hier. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir legen ja sehr viel Wert darauf, dass Bayern immer Vorreiter ist. In diesem Fall wird uns dies nicht mehr gelingen, weil

Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern die einzigen Bundesländer sind, die noch an der Sargpflicht festhalten. Wir können aber alle gemeinsam dafür sorgen, dass wir, wenn wir schon nicht die Ersten sein können, wenigstens nicht die Letzten sind, indem wir die Sargpflicht abschaffen. – Die SPD-Fraktion wird dem Gesetzentwurf der GRÜNEN zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. – Nächster Redner ist Herr Kollege Hanisch. – Entschuldigung, ich habe Frau Kollegin Gote vergessen. Herr Taşdelen, kommen Sie bitte noch einmal zurück. – Danke.

Herr Kollege Taşdelen, Sie haben eben gehört, dass Kollege Lerchenfeld gesagt hat, die Anhörung hätte keinen Hinweis auf notwendige Änderungen ergeben. Ich möchte hier daran erinnern – Sie werden sich wahrscheinlich auch erinnern, dass es so war –, dass es eine Pressemitteilung des Bayerischen Landtags, also der Pressestelle, nicht etwa einer Fraktion, gab, in der es hieß: "Innenausschuss: Experten plädieren für Lockerung der Bestattungsregeln". Das ist eine Pressemitteilung des Bayerischen Landtags vom 17. Juni 2015. Darin wird sehr schön ausgeführt, welche Experten dies befürwortet haben, nämlich die von mir schon genannte Bettina Nickel, Dr. Rainer Oechslen von der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Auch Joino Pollak vom Landesamt der Israelitischen Kultusgemeinden hat Lockerungen befürwortet; Herr Rampp vom Bund für Geistesfreiheit hat Lockerungen befürwortet; Frau Dr. Verena Lehner-Reindl vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hat die Bedenken, die hinsichtlich des Verwesungsprozesses bei einer Bestattung ohne Sarg bestanden, vollständig ausgeräumt.

Ich darf aus der Pressemitteilung zitieren:

Claudia Drescher vom Bayerischen Gemeindetag erklärte, die Gemeinden seien gegenüber Neuerungen offen und fühlten sich allen Menschen verpflichtet: "Ruhefristen kann man verlängern, und von der Sargpflicht kann man Ausnahmen machen." Dem stimmte auch Kriemhild PöllathSchwarz zu, Leiterin der Städtischen Friedhöfe in München (...)

und so weiter, und so weiter. Wie gesagt: Alle bis auf einen. Das wird in dieser Pressemitteilung genauso gesagt. Interessanterweise ließ sich nach dieser Anhörung auch ein CSU-Kollege, Kollege Florian Herrmann, damit zitieren, dass man in absehbarer Zeit auch zu Gesetzeslockerungen kommen könne.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin Gote – – Entschuldigung, Frau Präsidentin, habe ich das Wort?

Ja, natürlich.

Kollegin Gote, an die Anhörung kann ich mich sehr gut erinnern; Sie sind darauf schon eingegangen. Die Signale, auch die, die von der CSU-Fraktion kamen, waren im Allgemeinen sehr positiv. Der Einzige, der der Abschaffung der Sargpflicht kritisch gegenüberstand, war ein Herr von der Sargindustrie. Ich konnte ihm aber noch in der Anhörung die – in Anführungszeichen – "Angst" nehmen, dass nach Abschaffung der Sargpflicht die Sargindustrie nichts mehr verdienen werde: Auch bei der Bestattung von Muslimen wird ein Sarg benötigt; erst an der Grabstätte wird der Leichnam aus diesem genommen.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Genauso ist es! – Beifall bei der SPD)