Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fordern in unserem Antrag weiter, kranke und traumatisierte Flüchtlinge nicht abzuschieben. Hierzu sagte der Diözesan- und Caritasdirektor Dr. Andreas Magg, als er von der Abschiebung eines Geflüchteten vom Hilfswerk für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge in der Diözese Augsburg erfuhr:
Was für ein Staat sind wir? Berufen wir uns nicht ständig auf unsere christlich-abendländische Kultur? Wir handeln aber wie jeder andere Staat, dem der Mensch nichts wert ist.
Ich möchte jetzt aus Zeitgründen nicht auf das Schicksal des betroffenen Flüchtlings eingehen, der in Pakistan aufgewachsen ist, weil seine Eltern aus Afghanistan fliehen mussten, und der in Afghanistan natürlich
bereits Anschläge miterlebt hat, der schwer traumatisiert ist und dem man bei uns Hilfe zuteilwerden lassen wollte, der jedoch aus der Einrichtung abgeschoben wurde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere lieber Herr Innenminister Herrmann, stoppen Sie diese Politik des Angst- und Panikverbreitens! Stoppen Sie diese Unsicherheitspolitik! Schaffen Sie wieder eine Politik der Sicherheit und des Schutzes der Menschenrechte – zusammen mit der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft, den Kirchen, den Sozialverbänden und den vielen, vielen Helferkreisen, die Ihnen vermutlich auch geschrieben haben und deren Briefe Sie sicherlich kennen. Dann wären Sie wieder in guter Gesellschaft.
Danke schön, Frau Kollegin Kamm. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Hiersemann. Bitte schön, Frau Hiersemann.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Heute Abend sollen in einer weiteren Sammelabschiebung am Flughafen hier in München 50 Afghanen nach Kabul geschickt werden. Das ist angesichts der Situation, die in Afghanistan herrscht, unfassbar. Es ist unerträglich und ruft nicht nur bei uns, sondern auch bei vielen Menschen in der Bevölkerung, bei den vielen, die sich für die Integration von Geflüchteten und jungen Heranwachsenden engagieren, und nicht zuletzt bei den christlichen Kirchen schärfste Kritik hervor.
Sowohl der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, als auch die Evangelische Landessynode in Bayern, deren Mitglied der Konsynodale und Staatsminister Söder ist, und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, kritisieren Abschiebungen nach Afghanistan zumindest zum jetzigen Zeitpunkt auf das Allerschärfste. Sie kritisieren sie, weil die Menschen Gefahr laufen, in einem bewaffneten Konflikt, der immer weiter außer Kontrolle gerät, erpresst, verfolgt, gefoltert, verwundet, in Sippenhaft genommen oder getötet zu werden.
Deshalb beantragen wir, die Abschiebung afghanischer Staatsbürger für wenigstens drei Monate auszusetzen; denn die Abschiebung von Menschen nach Afghanistan in Sicherheit und Würde kann derzeit nicht sichergestellt werden. Das gesamte Staatsgebiet dort ist von einem innerstaatlichen Konflikt betroffen, und was wesentlich ist: Sogenannte sichere Ge
biete können überhaupt nicht konkretisiert werden. Die Sicherheitslage, so heißt es, gilt als volatil. Volatil, das ist das elegante Fremdwort für "schwankend" bzw. "wechselnd", und es bedeutet nichts anderes, als dass es morgen dort lebensgefährlich sein kann, wo Bayern heute Abend 50 Menschen in einem Sammeltransportflieger als vermeintlich sicher hinschicken wird. Anschläge und bewaffnete Konflikte gibt es in ganz Afghanistan. Die als stabil geltenden Regionen verwandeln sich in Regionen mit militärischen Auseinandersetzungen. Allein circa 12.000 zivile Opfer nennt der UNHCR für das Jahr 2016, und, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, jedes dritte Opfer ist ein Kind. Diese Zahlen sind laut Angaben der UN sogar zu niedrig.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie können sich dem nicht mehr ernsthaft verschließen, was der UNHCR im Dezember 2016 beschrieben hat. Nun müssen Sie endlich einmal Farbe bekennen und sagen, wie Sie es mit der Humanität halten, wenn es um Leib und Leben von Menschen geht.
Wir fordern mit unserem Antrag einen dreimonatigen Abschiebestopp. Diese Möglichkeit gibt § 60a Absatz 1 Aufenthaltsgesetz. Schleswig-Holstein hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Berlin schiebt keine Afghanen ab, sofern sie nicht straffällig geworden sind. Andere Bundesländer prüfen zumindest den Einzelfall sehr sorgfältig und denken über einen Abschiebestopp nach. Bremen, Thüringen, RheinlandPfalz und Niedersachsen sehen Abschiebungen nach Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt sehr kritisch.
Aber in Bayern ist es wieder einmal anders. In Bayern befanden sich in den sogenannten Rückführungstransporten – Rückführung nennt man das – in den letzten Monaten Menschen, die hier schon so gut wie integriert waren, deren Arbeitgeber sich mit allergrößtem Engagement und mit unbefristeten Arbeitsverträgen zum Teil für das Hierbleiben dieser Menschen eingesetzt haben und die die Welt nun nicht mehr verstehen. In diesen Sammeltransporten saßen auch Menschen, die während laufender Petitionsverfahren morgens abgeholt und abgeschoben wurden. Das zeigt übrigens mal wieder, was die Staatsregierung von parlamentarischer Kontrolle hält.
Eine eventuelle Neubewertung der Sicherheitslage und ein Beschluss der Innenministerkonferenz wären dringend erforderlich. Aber die Innenministerkonferenz wird erst am 12. Juni tagen. § 60a des Aufent
haltsgesetzes lässt für die Länder nur maximal diese drei Monate zu. Aber wenigstens diese drei Monate könnten wir heute hier gemeinsam als Dauer für einen Abschiebestopp beschließen. Natürlich nehmen auch wir in unserem Antrag Straftäter, sofern sie rechtskräftig zu mehr als 50 Tagessätzen verurteilt sind, genauso wie die sogenannten Gefährder aus. Außerdem fordern wir in unserem Antrag, dass die Ausländerbehörden angewiesen werden, von den Möglichkeiten des Aufenthaltsgesetzes besseren Gebrauch zu machen; denn es gibt Möglichkeiten, jungen Geflüchteten bzw. Heranwachsenden Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen, ebenso wie es Möglichkeiten gibt, geduldeten Ausländern Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen, wenn sie entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des § 25b des Aufenthaltsgesetzes hier gut integriert sind. Und es gibt die humanitären Gründe.
Vielleicht schickt das Innenministerium zur Abwechslung mal ein IMS an seine Ausländerbehörden, das nicht verwirrt und verengt, sondern das die wirkliche Einzelfallprüfung nach den in unserem Antrag benannten Vorschriften wieder betont. Ich ahne, was mir Kollege Straub gleich vorhalten wird; denn wir führen diese Diskussion fast wöchentlich im Petitionsausschuss. Dann kennt man das gegenseitige Repertoire. Sie, Herr Kollege Straub, werden sagen, das macht ja alles der Bund, und da ist die SPD mit in der Regierung.
Hier, zu § 60a Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes, sind aber die Länder gefragt, Herr Kollege Straub. Sie betonen im Petitionsausschuss immer, Sie könnten gar nicht, das könne nur der Bund, Sie würden ja vielleicht, wenn Sie könnten, aber Sie können nicht. Heute können Sie, Herr Kollege Straub.
Es geht um Menschen, die hier in Sicherheit sind und die Bayern zurück in erhebliche konkrete Gefahr schicken will, schickt und geschickt hat. Da genügt es nicht, nach Berlin zu schauen. Da müssen alle in diesem Hause in allererster Linie ihr Gewissen bemühen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU.
Bundesinnenminister de Maizière hat ausgeführt: Die normale zivile Bevölkerung sei zwar Opfer, aber nicht Ziel von Anschlägen der Taliban. Deshalb – mit dieser Begründung – hält er Abschiebungen dorthin für vertretbar. Diese Aussage ist nicht nur falsch, sondern zutiefst menschenverachtend. Kommt es denn wirklich darauf an, ob man irrtümlich Opfer einer Autobombe wird oder zielgerichtet von den Taliban und zunehmend von der Terrormiliz des IS getötet wird, weil
man Künstler, Übersetzer oder einfach nur ein Mädchen ist, das in die Schule gehen möchte? Kommt es darauf an, Kolleginnen und Kollegen von der CSU? Was würde denn ein dreimonatiger Abschiebestopp für Afghanen, die nicht straffällig geworden sind, für einen Schaden anrichten?
Tatsächlich wollen Sie ein Exempel statuieren. Sie wollen zeigen, wer die Macht hat und Sie wollen den Arbeitgebern, die verzweifelt versuchen, Auszubildende zu finden und die teilweise schon angefangen haben, junge Afghanen zu schulen, zeigen, dass sie sich gefälligst andere für ihre offenen Auszubildendenstellen suchen sollen. Es ist unsere Pflicht aus humanitären oder christlichen Gründen – das möge hier jeder für sich selber entscheiden –, soweit wie möglich sicherzustellen, dass wir nicht Menschen in Lebensgefahr und Tod schicken, nur um die Abschiebestatistik in Bayern vielleicht minimal hochzuschrauben. Kolleginnen und Kollegen von der CSU, bitte nehmen auch Sie heute diese Pflicht angemessen wahr und stimmen Sie unserem Antrag zu. – Den Anträgen der GRÜNEN und der FREIEN WÄHLER werden wir natürlich zustimmen, da sie mit unseren Forderungen inhaltlich völlig übereinstimmen.
Danke schön, Frau Kollegin Hiersemann. – Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Fahn. Bitte schön, Herr Fahn.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Vor einigen Monaten war die Lage in Afghanistan noch überschaubar. Es gab sichere und unsichere Gebiete. So konnten wir noch im Dezember 2016 die Lage in Afghanistan zwar als kritisch bewerten, aber immer noch sagen: Dort gibt es sichere und unsichere Gebiete. Aber damals wurde schon langsam bekannt, dass die Unterkünfte für Rückkehrer aus Pakistan immer knapper und inhumaner werden. Derzeit ist es so, und das ist einfach Fakt: Es gibt keine sicheren Gebiete im Norden, weder auf dem Land noch in der Stadt. Auch in Kabul ist derzeit die Lage nicht sicher. Bewohner können jederzeit Opfer von Anschlägen werden oder ins Kreuzfeuer geraten. Aber erst der Bericht der Vereinten Nationen Anfang 2017 zeigte deutlich, dass sich die Lage dramatisch verschlechtert hat. 3.512 Kinder kamen 2016 um. Insgesamt wurden 11.418 Unbeteiligte getötet. Am stärksten betroffen ist der Süden von Afghanistan, der den größten Anstieg bei den Opfern zu verzeichnen hat. Bis Ende Dezember wurden rund 450.000 Menschen neu in die Flucht getrieben, 500.000 Menschen wurden innerhalb von Afghanistan vertrieben. Fazit: Die Sicherheitslage bzw. die Unsi
cherheitslage ändert sich derzeit ständig, aber sie ändert sich in Richtung Unsicherheit. Das müssen wir hier konkret sagen. Daher nimmt die UNHCR diese Situation so wahr: Wir unterscheiden nicht mehr zwischen sicheren und unsicheren Gebieten, weil es derzeit keine sicheren bzw. zumutbaren Schutzalternativen gibt. – Wir haben uns mit den Anträgen sehr intensiv beschäftigt. Das heißt: Ja, es gibt einen konkreten Handlungsbedarf. Da wir diesen Handlungsbedarf sehen, müssen wir handeln.
Erstens. Die fünf Bundesländer, die derzeit nicht nach Afghanistan abschieben, sind Schleswig-Holstein, Bremen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Nordrhein-Westfalen kommt jetzt dazu. Ich bin mir sicher, irgendwann in den nächsten Monaten kommen noch Länder dazu, in denen die CDU oder CSU an der Regierung ist. Heute ist diese Sammelabschiebung – das ist richtig – vom Münchner Flughafen. Man muss hinzufügen: Das ist rechtlich möglich, aber politisch sehr fragwürdig. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, SPD, plädiert für einen bundesweiten sofortigen Stopp.
Es wurde schon gesagt, und ich wiederhole es trotzdem, weil die Kirchen ganz wichtig für unsere politische Meinungsbildung sind: Kardinal Reinhard Marx und auch Landesbischof Bedford-Strohm haben sich noch gestern sehr kritisch über diese Abschiebung nach Afghanistan geäußert. Marx nannte das "absolut fragwürdig". Er sprach sich dafür aus – ich glaube, das ist auch wichtig –, jeden Fall im Einzelnen zu betrachten.
Dann gibt es noch etwas, was für uns ganz interessant ist. Da ist jemand – den Namen haben Sie vielleicht noch nicht gehört –, Peter Utsch, Oberst aus dem Landkreis Main-Spessart. Dieser Oberst Peter Utsch ist jedes Jahr mehrere Male in Afghanistan. Ich habe mit ihm einen intensiven Kontakt. Er hat noch gestern Abend in einer Nachricht geschrieben: Gegenwärtig kann ich guten Gewissens keine generelle Empfehlung für eine Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan geben. Wir brauchen – das schreibt Peter Utsch – ein Konzept, das langfristig greift und den Wiederaufbau des Landes im Blick hat. – Wir stimmen Peter Utsch aus dem Landkreis Main-Spessart völlig zu. Er ist ein Mann der Praxis und ein Mann der Basis, weil er uns in Unterfranken immer zeitnah berichtet.
Was wollen wir FREIE WÄHLER? – Wir sehen – das steht auch so in unserem Antrag – die Lage in Afghanistan als höchst kritisch an. – Zweitens. Wir wollen eine Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan unter Berücksichtigung dieser UNHCR-Berichte. Das ist doch nicht zu viel verlangt, wenn wir das wol
len und wenn das gemacht werden muss. Wir wollen eine dreimonatige Aussetzung der Abschiebungen nach Afghanistan.
Ich sage noch kurz etwas zu dem Antrag der GRÜNEN. Die Forderung im Antrag der GRÜNEN nach einer Aussetzung bis zur nächsten Innenministerkonferenz am 12.06. ist rechtlich nicht möglich. Es ist so: Die Länder haben nur die Kompetenz für die nächsten drei Monate. Da können sie das selbst bestimmen. Was danach ist, gilt noch nicht. – Der vierte Spiegelstrich im Antrag der GRÜNEN ist gut formuliert, aber sehr allgemein und bezieht sich nicht nur auf Afghanistan. Hier wäre es angebracht, einen eigenen, separaten Antrag zu stellen, weil das eigentlich für alle gilt. Das ist wichtig.
In Punkt drei unseres Antrags haben wir einige Ausnahmen formuliert, die andere Bundesländer wie zum Beispiel Schleswig-Holstein schon festgelegt haben. Das heißt: Es gibt Ausnahmefälle, bei denen abgeschoben werden kann, sogenannte Gefährder und Straftäter.
Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass Abschiebungen zwar richtig und in bestimmten Fällen notwendig sind. Aber – das habe ich auch schon im Sozialausschuss mehrfach betont – ein besseres, zusätzliches Konzept ist die freiwillige Rückkehr. Jedoch müssen die bestehenden Rückkehrprogramme noch deutlich verbessert werden. Auch die Öffentlichkeitsarbeit muss verbessert werden; denn wir haben gemerkt, dass viele gar nicht wissen, dass sie freiwillig zurückkehren können. Das ist ein gutes Konzept, das Sie, Herr Innenminister, im Auge behalten sollten, da hierbei – das haben wir letzte Woche im Sozialausschuss besprochen – noch gewisse Defizite bestehen.
Wir erhoffen uns als ersten Schritt von der Innenministerkonferenz eine Neubewertung der Sicherheitslage. Sie ist aus meiner Sicht notwendig, Herr Innenminister. Die weiteren Schritte müssen darauf aufbauen. Vorschnelle Schlüsse helfen an dieser Stelle niemandem.
Zusammengefasst heißt das – das ist auch der Tenor unseres Antrags –, das Augenmaß nicht zu verlieren bei so einem wichtigen Thema, das viele Menschen betrifft.
Danke schön, Herr Kollege Fahn. – Unser nächster Redner ist der Kollege Straub. Bitte schön, Herr Straub.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir das Ganze, wie Frau Hiersemann schon gesagt hat, schon wochenlang diskutieren, könnte man durchaus emotional werden.
Am Anfang sollte man aus meiner Sicht die rechtliche Lage beurteilen: Wer trifft eigentlich die Entscheidungen? – Frau Hiersemann hat es erwähnt: Ich werde wieder auf den Bund hinweisen. Nur weil ich das zum inzwischen gefühlten siebten, achten, neunten oder zehnten Mal tue, ist es noch lange nicht falsch. Die grundsätzliche Entscheidung trifft das BAMF. Im Regelfall werden Abschiebungsentscheidungen vom zuständigen Verwaltungsgericht beurteilt.
Sie betonen im Rechtsausschuss immer wieder die richterliche Unabhängigkeit. Wenn ein Verwaltungsgericht eine entsprechende Entscheidung trifft, ist der Asylbewerber grundsätzlich ausreisepflichtig.