Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Florian von Brunn, Markus Rinderspacher, Arif Tasdelen u. a. und Fraktion (SPD) Solidarität mit der Ukraine (Drs. 18/21292)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Martin Hagen, Julika Sandt, Alexander Muthmann u. a. und Fraktion (FDP) Putins Aggression Einhalt gebieten! (Drs. 18/21293)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Florian Streibl, Dr. Fabian Mehring, Tobias Gotthardt u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER), Thomas Kreuzer, Tobias Reiß, Prof. Dr. Winfried Bausback u. a. und Fraktion (CSU) Europäische Friedensordnung bewahren - Krieg auf europäischem Boden verhindern (Drs. 18/21317)
Ich eröffne die gemeinsame Aussprache und erteile dem Kollegen Arif Taşdelen das Wort. Bitte, Herr Abgeordneter Taşdelen.
Es sind sehr schwere Tage und Stunden für Europa. Knapp 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges droht ein Krieg im Osten Europas.
Mit diesen Worten hat Bundeskanzler Olaf Scholz gestern die neuesten Entwicklungen im Ukraine-Konflikt bewertet und Russland aufgefordert, eine solche Katastrophe abzuwenden. NATO-Generalsekretär Stoltenberg sprach sogar vom "gefährlichsten Moment für die europäische Sicherheit seit einer Generation".
Wir danken unserer Bundesregierung unter der Führung von Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock für die Diplomatieoffensive der letzten Wochen.
Sie haben es geschafft, dass NATO und EU heute geschlossen handeln und mit einer Stimme sprechen. Mit der Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk durch den Kreml hat die Eskalation eine neue gefährliche Stufe erreicht. Putins Aggression ist ein schwerer Bruch des Völkerrechts. Dabei handelt es sich um eine politische Invasion Russlands, der offensichtlich ein militärischer Einmarsch in die Ukraine folgen soll. Russland hat an der Grenze zur Ukraine derzeit mehr als 150.000 Soldaten zusammengezogen. Sie können jede Minute losschlagen und von Norden, Osten und Süden in die Ukraine einmarschieren.
Mit dem gestrigen Tag ist auch die Vision einer europäischen Sicherheitsarchitektur auf der Grundlage der Charta von Paris fürs Erste Geschichte. Der friedlichen Ordnung in Europa stehen das kriegerische Großmachtstreben des russischen Diktators und sein Traum von einer Sowjetunion 2.0 entgegen. Putin will die europäische Uhr auf vor 1989 zurückdrehen. Mehr als 14.000 Menschenleben hat sein geschichtsrevisionistischer Kampf in der Ukraine bereits gefordert. Wir verurteilen scharf die Aggression und den Völkerrechtsbruch Russlands, und wir stehen für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine. Deutschland hat mit den USA die finanziell mit Abstand stärksten Anstrengungen unternommen, der Ukraine beizustehen. Das war so, und das bleibt so.
Wladimir Putin wird einen hohen Preis für seine Aggression zu bezahlen haben. Ich bin sicher, Sanktionen werden greifen. Der Kreml hat sich international isoliert.
Aber wir müssen der deutschen und bayerischen Bevölkerung heute ebenso sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass auch wir einen hohen Preis bezahlen, und das im eigentlichen Sinne. Infolge von Putins Kriegstreiberei wird die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Börsenkurse und Unternehmenswerte werden fallen und mit ihnen die Beschäftigungszahlen. So ist das im Krieg, auch wenn der Krieg bis jetzt nur mit Dekreten, Memoranden und Sanktionen geführt wird. Die Verbraucherpreise werden steigen, nicht nur bei der Energie. Das ist der Preis von Putins Kriegstreiberei. Und ja, auch neue Migrationsbewegungen sind nicht auszuschließen. Auf all das müssen wir uns einstellen. Putins Aggression gegen die Ukraine trifft leider uns alle. Aber all das ist besser als ein heißer Krieg, bei dem unzählige Menschen getötet und Familien für Generationen ins Unglück gestürzt werden.
Für meine Partei in der SPD-geführten Bundesregierung stelle ich fest, dass wir alles Machbare und Mögliche tun werden, Putins Machthunger mit Abschreckung und Sanktionen einzudämmen, den brüchigen Waffenfrieden zu wahren und zugleich die zu erwartenden drastischen weltwirtschaftlichen Folgen für unser Land und unsere Leute zu minimieren.
Liebe Mitglieder des Hohen Hauses, mit dem vorliegenden Antrag stellt sich der Bayerische Landtag hinter die Bundesregierung und ihre internationalen Partner: für ein abgestimmtes Vorgehen der NATO und der Europäischen Union, für fortdauernde diplomatische Friedens- und Vermittlungsmissionen, für gezielte und effektive Sanktionen gegen Russland. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Taşdelen. – Meldungen zu Zwischenbemerkungen liegen nicht vor. Damit komme ich zu dem nächsten Redner, Herrn Martin Hagen von der FDP-Fraktion. Bitte schön, Herr Fraktionsvorsitzender.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Russland hat in den vergangenen Tagen die abtrünnigen sogenannten Volksrepubliken im Osten der Ukraine anerkannt. Es hat sich einen Militäreinsatz in diesen Republiken genehmigen lassen. All das folgt genau dem Drehbuch, das westliche Geheimdienste für die Ukraine-Krise vorausgesagt haben. Es sind genau die Lügen und genau die inszenierten Vorfälle, von denen man schon vorher befürchtet hat, dass
sie einen Vorwand bieten werden, um das zu tun, was Putin immer vorhatte, nämlich sich die Ostukraine einzuverleiben.
Wir hatten heute in unserer Fraktionssitzung den Generalkonsul der Ukraine in München zu Gast, der uns sehr eindrucksvoll geschildert hat, wie die Lage vor Ort ist und in welcher schweren Situation sich sein Heimatland derzeit befindet. Für uns ist klar: Wir alle, der Bayerische Landtag, sind solidarisch mit der Ukraine.
Wir sollten – deswegen unser Dringlichkeitsantrag – auch hier klarmachen, dass der Bayerische Landtag die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat, um zu deeskalieren, unterstützt, insbesondere die Sanktionen mit Blick auf die Gas-Pipeline Nord Stream 2. Es ist eine historische Entscheidung dieser Bundesregierung, dass sie die Genehmigung der Pipeline auf Eis gelegt hat. Aber auch weitere Sanktionen und weitere Möglichkeiten der Unterstützung der Ukraine in dieser Konfrontation müssen auf dem Tisch bleiben. Mich freut, dass auch der Ministerpräsident heute die passenden Worte gefunden hat. Vor vier Wochen in einem "FAZ"-Interview klang er noch anders. Es ist gut, dass jetzt alle demokratischen Kräfte hier an einem Strang ziehen und Russland gemeinsam die Stirn bieten.
Russland muss zurück an den Verhandlungstisch. Wir dürfen nicht dulden, dass in Europa Grenzen gewaltsam verschoben werden. Wir müssen leider heute feststellen, dass die Russlandpolitik der vergangenen Jahre gescheitert ist. Es begann 2008 mit dem Militäreinsatz in Georgien. Die Reaktion des Westens darauf war faktisch nicht vorhanden. Weiter ging es 2014 mit dem Überfall auf die Krim und mit den irregulären Militäreinsätzen im Donbass. Auch hier war die Reaktion des Westens offenbar nicht so, dass sie Putin von weiteren Militärabenteuern in diesem Gebiet abgeschreckt hätten.
Das erinnert mich an eine alte arabische Legende von einem Beduinen, der einen Truthahn hat, der ihm entwendet wird. Er geht zu seinen Söhnen und sagt: Unser Truthahn ist gestohlen worden. Wir sind in großer Gefahr. – Die Söhne verstehen nicht, welche Bedeutung dieser Truthahn hat, und lachen über den Vater. Als dann kurz darauf ein Kamel entwendet wird, kommen die Söhne zum Vater und fragen ihn um Rat, und er sagt: Findet meinen Truthahn. – Später wird das Pferd gestohlen. Der Vater sagt: Findet meinen Truthahn. – Als eines Tages das Dorf der Beduinen verwüstet wird, kommt der alte Beduine zu seinen Söhnen und sagt: Das alles ist wegen des Truthahns passiert. Wir haben zugelassen, dass man unseren Truthahn klaut. Die Lehre daraus war, dass man das ungestraft tun kann.
Der Truthahn in dem Fall war Georgien. Es war der erste Streich, bei dem Putin gelernt hat, wie weit er gehen kann, und bei dem er gelernt hat, dass der Westen nicht bereit ist, mit entsprechender Geschlossenheit zu reagieren. Diesen Fehler sollten wir nicht wiederholen, sondern wir sollten jetzt mit aller Entschlossenheit der russischen Aggression entgegentreten.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hagen. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Tobias Gotthardt. Bitte schön, Kollege Gotthardt.
Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor einer Woche stand ich bei der Aktuellen Stunde schon einmal für unsere Fraktion hier und habe zum Thema Ukraine gesprochen. Seitdem hat sich in diesen wenigen Tagen unglaublich viel zum Negativen entwickelt,
und eine unglaubliche Aggression wurde von russischer Seite aufgebaut. Ich möchte sogar sagen: Wir haben keinen Ukraine-Konflikt, sondern einen RusslandKonflikt, mit dem wir umgehen müssen. Ich finde es gut, dass die demokratischen Parteien hier im Landtag Anträge eingebracht haben.
Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich finde es auch okay, dass wir jetzt drei Anträge vorliegen haben, weil es bei aller Übereinstimmung auch unterschiedliche Perspektiven auf ein Problem gibt.
Wichtig und entscheidend ist – das sage ich auch unter dem Eindruck eines Gesprächs mit dem ukrainischen Generalkonsul in München, von dem ich gerade komme –, dass wir hier in Europa, hier in Deutschland und, ja, auch auf Landesebene über dieses Thema reden und unsere uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine und der ukrainischen Bevölkerung zum Ausdruck bringen. Das ist ganz entscheidend und ganz wichtig. Ich sage Danke für die drei Anträge, die heute vorliegen.
Wir als Koalition aus CSU und FREIEN WÄHLERN haben unseren Antrag eingebracht, der einen etwas weiteren Ansatz hat. Wir nehmen noch einige Perspektiven hinzu. Wichtig ist mir, dass wir eine Perspektive aufbauen, die jenseits des Krieges liegt; denn Krieg ist keine Zukunftsperspektive. Wir wollen zurück zur Möglichkeit einer paneuropäischen Friedensordnung, einer Friedensarchitektur für unseren Kontinent; denn keiner von uns wird glücklich werden, wenn irgendwo ein Krieg aufflammt. Deswegen müssen wir ganz klar dagegen vorgehen, wenn Völkerrecht gebrochen wird. Das muss auch benannt werden. Wir müssen aber auch die Vision aufbauen, auf unserem Kontinent wieder in Frieden zu leben.
Das heißt aber auch, dass wir als demokratische Staaten wehrhafte Staaten sein müssen und Wehrhaftigkeit auch entwickeln müssen. Wir müssen das im Rahmen der NATO und im Rahmen der Europäischen Union entwickeln. Da müssen wir unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik, PESCO, deutlich und dynamisch weiterentwickeln. Wir müssen uns auch zu einer verantwortungsbewussten und gemeinsamen Rüstungsexportkontrolle bekennen, um zu sehen, wo unsere Waffen eingesetzt werden. Wir müssen aber auch wissen, dass eine Welt ohne Waffen nicht auch sofort eine friedliche Welt ist. Es braucht manchmal Verteidigung und Rüstung, um Frieden garantieren zu können. Auch das gehört zur Wahrheit, die wir in diesen Tagen erleben.
Ich glaube, dass uns drei gute Anträge vorliegen. Wir bevorzugen unseren Antrag, weil er einen erweiterten Ansatz hat. Wir werden uns bei den Anträgen der FDP und der SPD enthalten und bitten darum, unserem Antrag zuzustimmen. Wichtig ist am Ende die ganz entscheidende Botschaft: Wir stehen zu und mit der ukrainischen Bevölkerung.
Herr Abgeordneter Gotthardt, vielen Dank. – Ich darf als Nächste die Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN Frau Katharina Schulze aufrufen. Frau Kollegin, bitte schön. Sie haben das Wort.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Denke ich an die Menschen in der Ukraine, so fühle ich einen großen Schmerz. Sie wollen in Frieden in ihrem Land leben, aber Wladimir Putin lässt sie nicht. Tausende Menschen sind schon gestorben, seitdem Putin die Krim annektiert und sein Schreckensregime dort installiert hat.
Jetzt ist mit der völkerrechtswidrigen Anerkennung der separatistischen Volksrepubliken in der Ostukraine eine weitere geplante Eskalationsstufe erreicht. Meine,
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sicher nicht die Einzige, die momentan mit einem mulmigen Gefühl ins Bett geht. Ich bin sicher nicht die Einzige, die jeden Morgen voller Sorge die neuesten Eskalationen der Russland-Krise in den Medien verfolgt und Angst hat, nämlich Angst vor einem Krieg in Europa, einem Krieg vor unserer Haustür.
Ich hätte nie gedacht, dass ich im vereinigten Europa einmal so einen Satz sagen muss: Ich durfte in Frieden aufwachsen. – Das ist ein unglaubliches Privileg, und ich bin sehr dankbar dafür. Ich hoffe, dass das so bleibt. Ja, wir müssen handeln, damit es so bleibt; denn wir sehen ja erneut: Unsere liberale Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Frieden in Europa ist keine Selbstverständlichkeit.
Wichtig ist es, dass niemand Putins Propaganda auf den Leim geht. Die Ukraine ist kein – Zitat – "integraler Bestandteil der eigenen Geschichte", sondern ein souveräner Staat. Wladimir Putin überfällt mit seiner Invasion ein souveränes Land. Das ist Imperialismus in Reinform.
Allen, die selbst jetzt noch glauben, dass es bei dem Konflikt um einen NATO-Beitritt der Ukraine gehen würde, sage ich: Das tut es nicht. Das war auch 2014 bei der Annexion der Krim nicht der Fall. Putin hat am Montagabend sehr deutlich gemacht, worum es ihm geht: Er spricht der Ukraine ihre Staatlichkeit ab und will sie in sein neues großrussisches Reich integrieren.
Kolleginnen und Kollegen, es sind also die Großmachtsfantasien eines Präsidenten, der von innenpolitischen Problemen ablenken will. Mit diesem Angriff zeigt er erneut, dass ihm Selbstbestimmung, dass ihm Demokratie, dass ihm Freiheit egal sind. Er hält sich nicht an Verträge, und er respektiert keine Grenzen. All das, was uns in Europa wichtig ist, ist ihm nicht wichtig. Das macht es so gefährlich.