Protokoll der Sitzung vom 10.10.2019

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 28. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass der Bayerische Rundfunk die Regierungserklärung und die daran anschließende Aussprache sowohl im Fernsehen als auch im BR-Hörfunk auf B5 plus live übertragen wird.

Ich bitte Sie nun, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

Die Nachrichten und Bilder aus Halle, die uns gestern erreicht haben, erfüllen uns mit Entsetzen und mit Trauer. Nach allem, was wir bisher wissen, hat ein schwer bewaffneter Täter am höchsten jüdischen Feiertag versucht, in die Synagoge einzudringen, was ihm zum Glück nicht gelang. Daraufhin erschoss er vor der Synagoge und in einem Dönerladen zwei Menschen. Zwei weitere seiner Opfer sind schwer verletzt.

Wir trauern um die beiden ermordeten Menschen. Wir bangen um die Verletzten. Unsere Gedanken und unsere Anteilnahme gelten ihnen und ihren Angehörigen.

Es sieht so aus, als sei der mutmaßliche Attentäter gefasst. Ob er allein handelte, ist noch unklar; ebenso, ob ein im Internet aufgetauchtes Video und ein Manifest echt sind oder nicht. Die weiteren Ermittlungen laufen. Wir hoffen, dass die Sicherheitskräfte die Hintergründe rasch aufklären können.

In jedem Fall handelt es sich bei diesem paramilitärisch anmutenden Vorgehen um ein beispielloses Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Laut Bundesinnenministerium und Generalbundesanwaltschaft deutet alles auf einen gezielten rechtsextremistischen, antisemitischen Anschlag hin. Unsere Solidarität gilt allen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land.

Sollten sich die vorliegenden Informationen bestätigen, war der Attentäter getrieben von Verschwörungstheorien und menschenverachtendem Hass. Beides bricht sich im Internet ungebremst Bahn. Die Grenzen des Sagbaren wurden immer wieder verschoben. Jeder sollte wissen, dass auch Worte Handlungen sind, die weitere Taten nach sich ziehen können. Wer die Grenzen des Sagbaren verrückt, verändert den gesellschaftlichen Konsens. Daher gilt in einer freiheitlichen Demokratie ein Gebot der Mäßigung – in Wort und Tat. Wir tragen Verantwortung für das Miteinander in unserem Land. –

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir gedenken noch eines verstorbenen ehemaligen Kollegen: Am 29. September verstarb im Alter von 94 Jahren Herr Rudi Daum. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1970 bis 1990 an und vertrat für die CSU den Stimmkreis Kronach in Oberfranken.

Er hatte seine Verwaltungstätigkeit zunächst bei der Stadt Kronach angefangen. Nach dem Krieg trat er beim Landratsamt Kronach in den bayerischen Staatsdienst ein, später in den gehobenen Verwaltungsdienst. Er wurde Mitglied des Gemeinderats und des Kreistags und war von 1966 bis 1975 Erster Bürgermeister der Stadt Stockheim. Von 1969 bis 1976 war er Vorsitzender des Bayerischen Gemeindetags. Von 1974 bis 1990 war er nichtberufliches Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. Von 1982 bis 1990 war er stellvertretendes Mitglied im Ältestenrat dieses Hohen Hauses.

Über Jahrzehnte hat er sich leidenschaftlich und verlässlich für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in seiner Heimatregion starkgemacht.

Rudi Daum war Ehrenbürger der Gemeinden Stockheim und Wilhelmsthal. Er war unter anderem Träger der Bayerischen Verfassungsmedaille in Silber, des Bayerischen Verdienstordens, des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse und der Kommunalen Verdienstmedaille in Gold.

Der Bayerische Landtag trauert mit seinen Angehörigen und wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. –

Sie haben sich zum Gedenken an den Verstorbenen von den Plätzen erhoben. – Vielen Dank dafür.

Des Weiteren darf ich Sie über die Ergebnisse der Vorstandswahlen bei der AfDFraktion am 27. September 2019 informieren. Herr Prof. Dr. Hahn wurde als Fraktionsvorsitzender neu gewählt. Herzliche Gratulation dazu. Im Übrigen wurde der bisherige Vorstand im Amt bestätigt. Ich wünsche Ihnen im Namen des Hohen Hauses viel Erfolg und eine konstruktive parlamentarische Arbeit.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch Glückwünsche aussprechen: Am 27. September konnte der Kollege Josef Schmid einen runden Geburtstag feiern. Einen halbrunden Geburtstag konnte am 1. Oktober Frau Susanne Kurz begehen. Ich gratuliere unseren beiden Geburtstagskindern und wünsche alles Gute, Glück, Gesundheit und Gottes Segen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich freue mich, dass ich den ehemaligen Landtagsvizepräsidenten Dr. Ritzer heute hier im Bayerischen Landtag begrüßen darf. Seien Sie herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Für die Aktuelle Stunde der heutigen Sitzung ist die AfD-Fraktion vorschlagsberechtigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der AfDFraktion "30 Jahre friedliche Revolution - Demokratie und Meinungsfreiheit täglich neu erkämpfen"

In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Hat eine Fraktion das Benennungsrecht für mehrere Rednerinnen bzw. Redner, kann auf Wunsch der jeweiligen Fraktion eine bzw. einer ihrer Rednerinnen bzw. Redner bis zu zehn Minuten Redezeit erhalten. Dies wird natürlich auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet. Die fraktionslosen Abgeordneten Swoboda und Plenk können jeweils zwei Minuten reden.

Erster Redner ist Herr Kollege Martin Böhm von der AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Am 9. Oktober 1989 um 18:35 Uhr verzeichnete ein Protokollant des Ministeriums für Staatssicherheit: "Vorbereitete Maßnahmen zur […] Auflösung kamen entsprechend der Lageentwicklung nicht zur Anwendung." Diese Maßnahmen waren Einsatzbefehle für 5.300 Kräfte verschiedenster Einheiten in Leipzig; ausnahmslos scharf bewaffnet, um rechtswidrige Menschenansammlungen aufzulösen, Rädelsführer festzunehmen und der Konterrevolution ein Ende zu bereiten. Mit Kerzen in der Hand und mit dem unbändigen Willen im Herzen, das Land vom

DDR-Unrechtsstaat, von der SED-Diktatur und vom Meinungstotalitarismus zu befreien, traten 70.000 Menschen aus Leipzig und der ganzen DDR diesen bewaffneten Einheiten nach dem Abendgottesdienst entgegen.

In den denkwürdigen Tagen vor dreißig Jahren haben Mitbürger als Montagsdemonstranten durch gemeinsames und entschlossenes Handeln den DDR-Unrechtsstaat im politischen Diskurs friedlich bezwungen und uns allen das wiedervereinigte Deutschland geschenkt.

Der zum neuen Nationalfeiertag stilisierte 03.10. war einfach der frühestmögliche Termin, der nach der KSZE-Außenministerkonferenz vom 2. Oktober 1990 zu erreichen war. Ein Tag der Deutschen Einheit, gewiss, aber sicher kein Tag, der angemessen an den Mut der Bürger und an die dramatischen Geschehnisse in der Endzeit der deutschen Teilung erinnert.

Heute, dreißig Jahre nach der friedlichen Revolution, ist Zeit zum Gedenken, zumal die früheren Methoden der staatlich gelenkten Meinungsbildung leider wieder omnipräsent sind. Jeder totalitäre Staat versucht, durch Sprachmanipulation das Denken der Bevölkerung zu justieren. Hier negieren heute Schwesig und Ramelow das Wort "DDR-Unrechtsstaat", und Sprecher der Staatsmedien verharmlosen Terror-Anschläge als "Lkw-Vorfälle"; denn, um mit de Maizière zu sprechen, ein Teil der Wahrheit würde die Bevölkerung verunsichern.

Eine genauso fatale Verharmlosung erfuhr die ehemalige Staatspartei bereits nach der Wende mit der Entscheidung, sie nicht aufzulösen und zu verbieten. Als Resultat sitzt die SED-Nachfolgeorganisation heute im Bundestag, und ihre gleichgesinnten Freunde sprießen hier als deren Saat aus dem Boden, in Gestalt von diversen NGOs, die sich zumeist dem Kampf gegen Andersdenkende verschrieben haben. Gut gedüngt von unterschiedlichen staatlichen Zuwendungen, befördern sie die Erosion des Rechtsstaats, der sie doch ernährt.

(Beifall bei der AfD)

Was bis vor dreißig Jahren in der DDR mit staatlicher Gewalt erzwungen wurde, wird heute mit den Werkzeugen der Political Correctness gesetzeskonform erledigt, ohne zu diskutieren und meist, um zu diskreditieren. Heute trifft es uns, und morgen trifft es euch; denn grüne Drift schützt nicht vor linkem Gift! Umfängliche Indoktrination führt leicht zu grotesken Auswüchsen. Ein Chef der Filmförderung wird aufgrund des Drucks linker Politiker aus dem Amt gejagt. Der Grund: Mittagessen mit Meuthen. Eine Bio-Supermarkt-Kette wirft Hirseprodukte aus dem Regal, weil der Geschäftsführer des Herstellers AfD-Mitglied ist. So etwas nannte man bis vor dreißig Jahren Stasi-Methoden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der AfD)

In Artikel 27 der DDR-Verfassung stand: "Jeder Bürger […] hat das Recht, den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern." Die SED-Diktatur lag aber wie Mehltau über diesen Worten. Eine schimmlige Ideologie, die die gewaltsame Unterdrückung für legitim und notwendig erachtete, um eine vermeintlich bessere Gesellschaftsform zu erreichen. Ich frage Sie: Warum muss ich da spontan an einige der Aktivisten denken, die uns in der Jetztzeit begegnen? Im Gegensatz zu ihrem eigenen Staat haben die Bürger der DDR ihre Proteste friedlich auf die Straßen getragen. Die wenigsten haben damals gedacht, dass nur eine Generation später zentrale Inhalte der Meinungsfreiheit und ganz wesentliche Aspekte der demografischen Willensbildung wieder zur Disposition zu stehen scheinen.

Unser besonnener Kampf für den Erhalt von Meinungsfreiheit und Demokratie heute ist unsere staatsbürgerliche Pflicht und zugleich unsere tiefe Verneigung vor den vielen mutigen Menschen, die vor dreißig Jahren bereit waren, Leben und Gesundheit für die Freiheit und das Recht in einem geeinten Deutschland zu geben.

(Beifall bei der AfD)

Als zweitem Redner erteile ich dem Geburtstagskind das Wort. Noch mal herzlichen Glückwunsch an Josef Schmid, der zehn Minuten sprechen wird.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ein herzliches Vergelts Gott für die Geburtstagsglückwünsche. – Dreißig Jahre friedliche Revolution – lassen Sie mich mit einem Ausschnitt aus einer Rede unseres Bundespräsidenten beginnen. Frank-Walter Steinmeier sagte über Leipzig und die friedliche Revolution:

Die friedlichen Revolutionäre trafen sich – viele von ihnen schon lange vor 1989 – in Kirchengemeinden und Privatwohnungen. Sie kämpften gegen Umweltverschmutzung und Verfall, für mehr Mitsprache und Gleichberechtigung, für Meinungs- und Reisefreiheit und freie Wahlen. Sie träumten von einem friedlichen und vereinten Europa. Sie gründeten Umweltbibliotheken und druckten Flugblätter, sie schrieben Resolutionen und Offene Briefe. […]

Das Glück der Deutschen Einheit ist untrennbar verbunden mit dem Zusammenwachsen Europas und dem neuen Vertrauen, das unsere Nachbarn uns nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts geschenkt haben. Auch dafür dürfen wir Deutschen dankbar sein.

Aber Dankbarkeit ist eben nicht alles. Nein, wir Deutsche tragen eine besondere Verantwortung für das Gelingen dieses friedlichen und vereinten Europas. Wir tragen diese Verantwortung auch in Zukunft. Und wir nehmen sie ernst in Zeiten, in denen dieses Europa wieder auseinandergetrieben wird. Auch dieses Versprechen gehört […]

zu dem Gedenken an dreißig Jahre friedliche Revolution.

Ja, es gibt Ungleichheiten, es gibt Nachteile, es gibt Probleme. Das anzuerkennen, vor allem zu verändern, bleibt ständige Aufgabe. Gerade weil wir nicht Opfer der Zeitläufe sind. Opfer sein, das passt nicht zur Demokratie. Nein, die Demokratie hat einen wunderbaren Gegenbegriff erschaffen, und der heißt: Bürger.

Wir sind Bürgerinnen und Bürger, frei und selbstbestimmt, mit gleichen Rechten und mit gleichen Pflichten.

Ich meine, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass diese Zeilen sehr schön würdigen, was damals vor dreißig Jahren passiert ist und was vor allem unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger aus den neuen Bundesländern geleistet haben. Ich möchte gleich betonen: Das ist etwas, worauf man stolz sein kann, worauf die Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bundesländern stolz sein können – nein, worauf wir alle stolz sein können.

(Beifall bei der CSU, den GRÜNEN, den FREIEN WÄHLERN und der SPD)

Deswegen beleidigt es niemanden, wenn man sagt: Die DDR war ein Unrechtsstaat. Das beleidigt niemanden; denn das, worauf gerade die Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesrepublik stolz sein können, steht für sich. Das ist historisch einmalig.

Aber wie war es nun mit dem Unrechtsstaat in der DDR? – Schauen wir in die Verfassung von 1968. Dort wurde die DDR als zentralistischer Einheitsstaat verankert. Die Rechtsprechung war als Anleitungs- und Kontrollsystem konzeptioniert. In der Verfassung wurde die allumfassende Führungsrolle der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands beschrieben. In der Verfassung, meine Damen und Herren! Die Dominanz des sozialistischen Eigentums an Produktionsmitteln erinnert mich an die Enteignungs-, Vergemeinschaftungs- und Sozialisierungsdebatte, die wir ja in letzter Zeit gerade wieder, auch von Vertretern von Rot und Grün, vernehmen durften, an die zentrale staatliche Leitung aller gesellschaftlichen Planung unter der Führung der SED.

Meine Damen und Herren, das war eine Einschränkung der Grundrechte, auch durch die Einheit von Rechten und Pflichten. Die Intention war gerade nicht, den Bürgern den Schutz und den Freiraum gegenüber dem Staat einzuräumen. Vielmehr sollte in der DDR-Verfassung von 1968 den Zielen des Staates eine Interessenidentität mit den Interessen der Bürgerinnen und Bürger vorgeschrieben werden. Es gab die Bindung der Grundrechte an die sozialistischen Ziele und an die Grundsätze der DDR-Verfassung. Sozialistische Ziele waren ein höheres Recht, das die Grundrechte einschränken konnte.

Meine Damen und Herren, das ist nicht das, was wir unter Rechtsstaat verstehen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland setzt dem völlig anderes entgegen, nämlich die freie Entfaltung der Persönlichkeit, nicht nur irgendeine sozialistische Entfaltung, echte Schutzrechte gegenüber dem Staat, Mitsprache, Gewaltenteilung und Pluralität. Das ist etwas, was wir gerade in diesen Zeiten wieder bedenken sollten. Die DDR war in diesem Sinne natürlich ein Unrechtsstaat nach unserem Verständnis von Recht, Gesetz und Ordnung.