Kolleginnen und Kollegen von der AfD, in der Demokratie macht eben der Ton die Musik. Wenn Sie also für Demokratie kämpfen wollen, gewöhnen Sie sich den dazugehörigen Ton an. Dieses Parlament ist 25 Jahre ohne das Instrument der Rüge ausgekommen und muss wegen Ihnen jetzt im Wochenrhythmus über Rügen nachdenken. Erst denken, dann reden, das wäre also ein guter Ansatz, um die Demokratie hochzuhalten. Das ist deshalb mein zweiter Tipp.
Kolleginnen und Kollegen, mein dritter Tipp richtet sich an den Kollegen Müller. Sie werden ihn ihm ausrichten. Der Tipp lautet: Sitzenbleiben ist nicht nur in der Schule schlecht. Denn zur Demokratie gehört eben auch, Respekt unter Demokraten zum Ausdruck zu bringen und sich von Extremisten abzugrenzen. Sagen Sie deshalb dem Kollegen Müller, dass, wenn das nächste Mal 204 Leute um ihn herum aufstehen, weil sie eines ermordeten Kollegen gedenken, er darüber nachdenken möge, vielleicht auch aufzustehen. Das könnte ein Beitrag dazu sein, täglich für Demokratie zu kämpfen.
Der vierte Tipp, den Sie von mir auch gratis bekommen, lautet: Misstrauen – eigentlich "Vertrauen", aber in Ihrem Fall besser "Misstrauen" – ist gut, Kontrolle wäre allerdings noch besser. Denn Demokratie, für die Sie ab heute ja kämpfen wollen, lebt auch vom verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern.
Kolleginnen und Kollegen von der AfD, wenn ich lese, dass die zurückgetretenen Mitglieder Ihrer Kassenkontrollkommission, wie Frau Cyron, sagen, konstruktive Zusammenarbeit mit dem Fraktionsvorstand sei zu keiner Zeit möglich gewesen, oder wenn Kollege Bergmüller sagt, er sehe sich außer Stande, in gewissenhafter Weise seine Arbeit weiterzuführen, dann könnte das der Ausgangspunkt dafür
sein, sich zu überlegen, wie Sie, wenn Sie denn ab heute für Demokratie kämpfen wollen, in Zukunft so miteinander umgehen, dass auch in Ihrer Gruppierung Demokratie stattfinden kann.
Mein fünfter Tipp richtet sich noch einmal an den Kollegen Stadler. Kollege Stadler, wenn Sie für Demokratie kämpfen wollen, wäre es klug, nicht überall dort AfD draufzuschreiben, wo heiße Luft drin ist. Ihre Leidenschaft für Fotomontagen in allen Ehren, aber wenn auf der Landtagswebsite ein Foto mit unserer Präsidentin, Kindern und Luftballons zu sehen ist, haben Sie nicht das Recht, auf diese Luftballons "AfD" zu schreiben. Wenn Sie das trotzdem tun, werden Sie von unserer Präsidentin zu Recht angezeigt, weil Demokratie eben auch heißt, Regeln zu akzeptieren. Das sind unsere Regeln, die demokratischen, die gesetzlichen Regeln. Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie ab heute also für die Demokratie kämpfen wollen, gewöhnen Sie sich an die Regeln der Demokratie.
So viel zu Ihrem ehrenhaften Anspruch, für die Demokratie zu kämpfen. – Ihr Anspruch reicht aber deutlich weiter. Sie wollen ja auch für die Meinungsfreiheit kämpfen. Deshalb auch dazu fünf Tipps von mir.
Kollege Maier, der erste Tipp richtet sich an Sie als Parlamentarischen Geschäftsführer: Wenn Sie einmal wieder auf einer Veranstaltung sind, in der Bernd oder Björn das Deutschlandlied anstimmen, nicht einfach mitgrölen. – Das mag möglicherweise von der Meinungsfreiheit abgedeckt sein, unsere Präsidentin hat aber völlig recht damit, wenn sie Ihnen sagt:
Wer heute bewusst die erste Strophe des Deutschlandlieds singt, verhöhnt die Opfer des Nationalsozialismus und macht sich mit den Tätern gemein.
Wenn Sie also ab heute für Meinungsfreiheit kämpfen wollen, dann denken Sie auch an die Grenzen der Meinungsfreiheit.
Zweiter Tipp zur Meinungsfreiheit: Kollege Stadler, erst recherchieren, dann diffamieren. – Denn die Meinungsfreiheit berechtigt nicht zur Verleumdung. Wenn Sie mir in Zukunft einmal wieder SS-Sprüche unterstellen, wäre es gut, wenn Sie zur Kenntnis nähmen, dass nicht jede Fahne eine SS-Fahne ist und dass ehrenamtlich engagierte Menschen möglicherweise von Ihrer Ideologie so weit weg sind, wie Sie es sich gar nicht vorstellen können.
Kolleginnen und Kollegen von der AfD, der dritte Tipp ist an Ihre Fraktionsvorsitzende gerichtet: Frau Kollegin Ebner-Steiner, posten Sie private E-Mails im Idealfall nicht auf Facebook. Denn die Meinungsfreiheit endet dort, wo die Rechte Dritter beschnitten werden. Wenn Ihnen Mails zugespielt werden, Sie sollten zurücktreten, denken Sie das nächste Mal vielleicht lieber über einen Rücktritt nach, posten Sie das aber nicht auf Facebook. Das gehört nicht zur Meinungsfreiheit, für die Sie, wie wir dem Titel Ihrer Aktuellen Stunde entnehmen, ja ab heute kämpfen wollen.
Kollege Maier, haben Sie Geduld. Es sind noch zwei Tipps. Wenn Sie Platz nehmen, können Sie weiterlernen.
Der vorletzte Tipp: Gönnen Sie sich gelegentlich den Luxus, auch wenn Ihre Meinung feststeht, sich von Tatsachen irritieren zu lassen. Denn Meinungsfreiheit ist etwas anderes als Fake News.
Herr Präsident, der beantragte Titel betraf "Demokratie und Meinungsfreiheit". Dazu rede ich jetzt seit acht Minuten.
Sie gestatten mir deshalb, meinen letzten Tipp noch loszuwerden. Der letzte Tipp ist etwas komplex und ein bisschen schwer zu verstehen. Ich reduziere das deshalb didaktisch stark für den Kollegen Müller. Ich habe ihm vorhin ja gesagt, dass Sitzenbleiben nicht nur in der Schule schlecht sei. Kolleginnen und Kollegen, andersherum ist aber Davonlaufen auch keine Lösung.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der AfD, Meinungsfreiheit, für die Sie ja stehen wollen, gilt eben nicht nur für Ihre Meinung. Wenn Sie hier sitzen und Charlotte Knobloch als Holocaust-Überlebende spricht und Ihre Partei kritisiert, müssen Sie es auch einmal aushalten, dass die Meinungsfreiheit auch für die anderen gilt.
Wenn ich diese zehn Tipps zu Demokratie und Meinungsfreiheit zusammenfasse, kommt mir noch ein Zitat von Rudolph von Jhering in den Sinn: "Der Kampf ums Recht ist die Poesie des Charakters."
Ich nehme mit Freude – und damit komme ich zum Ende – zur Kenntnis, dass Sie heute mit uns gemeinsam, an der Seite der Demokratinnen und Demokraten im Hohen Haus, diesen Kampf ums Recht aufnehmen wollen,
(Katharina Schulze (GRÜNE): Das wollen die doch gar nicht! Die wollen doch gar nicht mit uns zusammenarbeiten!)
dass Sie für Meinungsfreiheit und Demokratie stehen wollen. Beim Charakter sehe ich bei Ihnen allerdings noch gewisse Defizite, die ich Ihnen gerade an empirischen Beispielen aufgezeigt habe. Wenn Sie das in den nächsten Wochen und Monaten beherzigen, gelingt es vielleicht auch Ihnen irgendwann einmal in einer fernen Zukunft, für Demokratie und Meinungsfreiheit zu stehen. Wir begleiten Sie gerne auf diesem Weg. Wir werden Ihnen aber auch sehr genau auf die Finger schauen; denn wer in der Demokratie schläft, der wacht in der Diktatur auf. Wir Demokratinnen und Demokraten werden sorgsam darauf schauen, dass unser Heimatland Bayern niemals in einer Diktatur aufwacht.
Vielen Dank, Herr Kollege Mehring. – Ich darf für die SPD-Fraktion Frau Abgeordnete Alexandra Hiersemann aufrufen. Bitte schön, Frau Hiersemann.
Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Vor dreißig Jahren zogen wochenlang jeden Montagabend Menschen in Leipzig über den Innenstadtring, weil sie sich frei äußern und frei sein wollten. Aus den anfänglichen Rufen "Wir wollen raus" wurde ein immer lauteres "Wir bleiben hier". Die Menschen wollten damals nicht in den sogenannten goldenen Westen gehen, sondern einen demokratischen Rechtsstaat mitgestalten. Das war das Ziel vieler Menschen, die auf die Straßen gingen. Einige meiner Leipziger Verwandten waren jeden Montag mit dabei. Sie setzten den Knüppeln und Waffen, die die DDR-Staatsmacht aufgefahren hatte, Kerzen und Lieder entgegen. Nicht von ungefähr begannen die Montagsdemonstrationen mit Friedensgebeten in den Kirchen, die von mutigen Pfarrern geöffnet wurden. Es fanden sich dort Menschen zusammen, die laut und unbeirrbar ihre Forderungen formulierten. Sie blieben unbeirrbar, bis die Mauer fiel.
Wenn sich Menschen wehren, geht es wie immer um Menschenwürde. Wir als Demokraten, sofern wir solche sind, haben für die Menschenwürde einzustehen. Es ging aber nicht um eine Art Deutschen-Würde. Die friedlichen Demonstranten hatten die Hoffnung auf Freiheit für alle. Was sie nicht wollten, waren Parolen, die Menschen mit anderer Hautfarbe, Sprache, Religion oder Kultur ausgrenzen oder verachten. Die Menschen in Leipzig oder anderswo kämpften für das Ende von Bespitzelung und Denunziation. Sie wollten keine sogenannten Lehrer-Portale, auf denen die AfD die Schüler dazu drängt, Pädagogen mit AfD-kritischen Äußerungen zu melden, um diese dann namentlich an den von der AfD aufgestellten Pranger zu stellen. Am allerwenigsten wollten sie politische Parteien, in denen über heimlich ausgespähte E-Mails andere zum eigenen Machterhalt unter Druck gesetzt werden. Das hatten sie nämlich lange genug erlebt. Trotz der staatlichen Kulisse blieben sie beharrlich friedlich und schenkten den NVA-Soldaten Blumen und Kerzen, weil sie die Spaltung in ihrer Gesellschaft verhindern wollten. Mittlerweile wird diese mutige Leistung durch die AfD missbraucht und verhöhnt. Stichworte wie "Wende 2.0" oder "Vollende die Wende" sind ein Schlag ins Gesicht derer, die damals auf die Straßen gingen.
Die Menschen vom Leipziger Ring wollten vor allem Meinungsfreiheit und objektive Informationen. Sie wollten aber nicht die Hetze gegen Andersdenkende, manipulative Unwahrheiten oder gar verfälschte Fotos. Das sind die Methoden, mit denen die Rechtesten dieses Hauses ihre eigene Welt stricken wollen, ihre eigene enge Welt. Sie haben überhaupt nichts verstanden. Es ist eine Schande, dass Sie das Thema der friedlichen Revolution heute für Ihre kruden Thesen missbrauchen, Herr Böhm. Dreißig Jahre friedliche Revolution auf deutschem Boden – das ist immer noch Anlass zur großen Freude. Wir aus den alten Bundesländern müssen uns wohl auch eingestehen, dass nicht alles gut gelaufen ist in diesem einmaligen Experiment der Vereinigung. Wir müssen uns fragen lassen, ob wir nicht zu viel Überheblichkeit und zu wenig Verständnis für die Lebensleistung der Menschen in der ehemaligen DDR aufgebracht haben. Daran müssen wir weiterarbeiten.
Deshalb dürfen wir die friedliche Revolution nicht nur im Rahmen einer politischen Erinnerungskultur als etwas Abgeschlossenes wertschätzen. Wir müssen vielmehr die Errungenschaften des Herbstes 1989 jeden Tag aktiv verteidigen gegen die Vereinnahmung durch nationalistische und antidemokratische Parteien und Bewegungen – in diesem Hohen Hause ebenso wie überall anders.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Hiersemann. – Als Nächster hat Herr Kollege Helmut Markwort von der FDP-Fraktion das Wort. Herr Markwort, bitte schön.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will meine Redezeit nicht dazu nutzen, um über andere Parteien zu reden. Stattdessen möchte ich ein paar Anmerkungen zu dieser großen deutschen Stunde machen. Gestatten Sie mir eine persönliche Anmerkung. Für viele junge Leute ist das heute fast wie eine Geschichtsstunde, ein Rückblick auf Ereignisse, die sie nicht erlebt haben. Ich habe es erlebt. Ich bin an der Zonengrenze aufgewachsen. Ich habe die Unfreiheit mit eigenen Augen gesehen. Ich bin in Rodach bei Coburg zur Schule gegangen. Im Jahr 1944 waren auf einmal drei von vier Himmelsrichtungen gesperrt. Man konnte nur nach Coburg. In den anderen drei Richtungen war das ehemalige Thüringen nun sowjetische Besatzungszone. Wir haben mit eigenen Augen die Unfreiheit erlebt. Wir Kinder waren in drei Richtungen ausgesperrt. Damit begann für die Bürger der DDR die zweite Diktatur. Unsere Diktatur war nach zwölf Jahren beendet. Die Landsleute in der DDR gingen jedoch noch in eine weitere Diktatur von 44 Jahren.
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es eine große Kampagne für die Wiedervereinigung gegeben hat. Das Interesse für das Thema ließ nach. Es war kein Wahlkampfschlager, für die Wiedervereinigung zu kämpfen. Die jungen Leute wollten für die Freiheit Nicaraguas kämpfen. Sie riefen: Ho Chi Minh! Niemand kämpfte jedoch für die Befreiung unserer Landsleute. Deshalb bin ich stolz, dass einige Liberale dieses Thema nicht aufgegeben haben.
Der bayerische Liberale Thomas Dehler hatte einen Plan für die Wiedervereinigung entwickelt, übrigens mit Bamberg als Hauptstadt. Wolfgang Mischnick und Hans-Dietrich Genscher haben in der DDR versucht, sich in der dortigen liberalen Partei zu engagieren. Sie haben das Thema nie aufgegeben. Der Dresdner Mischnick und der Hallenser Genscher haben immer für die Vereinigung gekämpft. Das sollten wir nie vergessen.
Wir sollten auch nie vergessen, wer geholfen hat. Die Bürger in der DDR sind auf die Straße gegangen, aber sie hatten Freunde in Osteuropa. Ich erinnere daran, dass die Polen, die Ungarn und die Tschechen uns geholfen haben, gegen die Diktatur der DDR aufzustehen und den Weg zu bereiten. Deshalb sollten wir sie heute nicht mit vielen Kleinlichkeiten überziehen. Sie waren wesentliche Vorbereiter der Freiheit in der DDR.
Es ist über die Meinungsfreiheit geredet worden. Vor dreißig Jahren gab es kein Internet, über das man sich verständigen konnte, wann und wo demonstriert wird, wie das in Tunesien oder Hongkong der Fall ist. Es gab das Westfernsehen. Ich lobe ausdrücklich das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das damals von großer Bedeutung war. "Kennzeichen D" war ein gesamtdeutsches Magazin im ZDF, das in der Bundesrepublik nur wenige Zuschauer hatte. Im Osten, in der DDR – das wissen wir – haben bis zu 50 % auf diese Sendung gewartet. Das waren Signale der Freiheit. Es gab Informationen darüber, wie es zugeht. Kollege Joachim Jauer, der diese Sendung moderiert und gestaltet hat, berichtete, dass Honecker scharf darauf war, in "Kennzeichen D" gut dazustehen.
Deshalb ist es umso bemerkenswerter, dass es heute in den ostdeutschen Ländern großes Misstrauen gegenüber diesen Medien gibt. Früher haben sie gläubig auf die Signale der Freiheit bei ARD und ZDF geschaut. Heute reden viele von der "Lügenpresse" und sind voller Misstrauen gegen die Medien. Darüber müssen wir nachdenken. Das Wort "Lügenpresse" ist natürlich dumm, das gab es im Dritten
Reich. Über die "Lückenpresse" kann man jedoch immer reden. Bei der Presse handelt es sich immer um eine "Lückenpresse". Es geht darum, was man auswählt, was man groß macht, was auf Seite 1 oder auf Seite 8 gebracht wird. Das spielt eine große Rolle.
ARD und ZDF sollten darüber nachdenken, was in der Oxford-Studie festgestellt worden ist. Relativ wenige Medien haben darüber berichtet, dass die Universität Oxford in einer großen Studie viele europäische Fernsehanstalten miteinander verglichen hat. Das Ergebnis war, dass ARD und ZDF stark linkslastig sind. Der Intendant des Bayerischen Rundfunks sagte, dass dies keine korrekte Untersuchung gewesen sei, weil die Dritten Programme fehlten. Das ist nur ein formaler Einwand. Vielleicht sind die Dritten Programme genauso. Aber ich denke, man sollte versuchen, den Bürgern in Ostdeutschland mit einer ausgewogenen Berichterstattung das Gefühl zu geben, dass sie sich eine freie Presse eingehandelt haben.