Protokoll der Sitzung vom 29.09.2021

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hatte zunächst vor, das Wort erst im Hinblick auf den Dringlichkeitsantrag der SPD-Landtagsfraktion zu ergreifen, und hätte dann vorgehabt, Herr Kollege von Brunn, insoweit als die Zeiten rechtskundiger Köpfe an der Spitze Ihrer Fraktion ganz offenkundig vorüber sind, Ihnen zunächst einmal den rechtlichen Hintergrund des Bundeswahlgesetzes zu erläutern. Ich gebe Ihnen an dieser Stelle den Hinweis auf die Bundestagsdrucksache 17/4600. Falls Sie einmal eine Minute Zeit finden, in der Sie nicht gerade den Kopf von irgendjemandem fordern, sondern politisch-inhaltliche Sacharbeit machen, könnte es sich lohnen, einmal einen Blick in diese Drucksache zu werfen.

Ich hätte Sie darüber hinaus im Rahmen der Debatte zu Ihrem Dringlichkeitsantrag gerne darauf hingewiesen, dass ein für drei Minuten online befindlicher Tweet von Hubert Aiwanger selbstverständlich nicht den Ausgang der Bundestagswahl determiniert hat, und ich hätte darüber hinaus auch gerne auf die vielfältigen Leistungen dieses Wirtschaftsministers, unser aller stellvertretender Ministerpräsident, hingewiesen, woraus hervorgegangen und klar geworden wäre, wie absurd es ist, auf Basis eines Twitter-Unfalls dessen Rücktritt zu fordern.

Nach Ihrem Auftritt, sehr verehrter Herr von Brunn, und angesichts der Tatsache, dass Sie sich verweigern, eine öffentlich vor der Herzkammer der bayerischen Demokratie, eine öffentlich vor dem Hohen Haus, vor dem Bayerischen Landtag ausgesprochene persönliche Entschuldigung anzunehmen, halte ich es für wichtiger, an dieser Stelle zwei andere Hinweise zu geben. Der erste Hinweis: Ja, wir benötigen politische Kultur. Hubert Aiwanger hat mit seiner persönlichen Entschuldigung einen Beitrag dazu geleistet. Wir benötigen politische Kultur auch auf Twitter, in den sozialen Medien, aber insbesondere, meine sehr verehrten Damen und Herren, benötigen wir politische Kultur dort, wo Politik zu Hause ist: in der Herzkammer unserer Demokratie, hier im Hohen Haus, vor dem Bayerischen Landtag. In Ihrem Agieren, sehr verehrter Herr Kollege von Brunn, in dem Ablehnen einer öf

fentlich ausgesprochenen persönlichen Entschuldigung, kann ich genau diese politische Kultur in keiner Art und Weise erkennen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Zur politischen Kultur, geschätzter Herr Kollege von Brunn, gehörten nämlich auch die Fehlerkultur und das Manns-genug-Sein, die Dinge in die Hand zu nehmen. Obgleich das Prüfungsverfahren noch läuft, obgleich völlig offen ist, ob wir überhaupt über eine Ordnungswidrigkeit sprechen, sich in der Herzkammer unserer Demokratie an dieses Rednerpult zu stellen und persönlich um Entschuldigung zu bitten, ist ein Verhalten, sehr verehrter Herr Kollege von Brunn, das Ihr populistisches Nachfassen nicht verdient, das Ihr politisches Geschäftemachen, Ihr Ablehnen einer persönlichen Entschuldigung nicht verdient, sondern das unter Demokratinnen und Demokraten vor allen Dingen eines verdient, nämlich großen Respekt, Herr Kollege von Brunn.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Diesen Respekt an dieser Stelle zu verweigern, passt ins Bild und zu Ihrer Art, Politik zu machen, Herr Kollege von Brunn.

Ich möchte darüber hinaus noch darauf hinweisen, dass es nicht nur um die politische Kultur, um die Fehlerkultur geht, sondern dass es ein Stück weit auch um die politische Hygiene geht, um die politische Hygiene insoweit, als wir unter Demokratinnen und Demokraten ein gemeinschaftlich geteiltes Verständnis darüber herstellen sollten, dass es in einer Demokratie niemals rational werden darf, in regelmäßigen Abständen mit politischem Dreck auf die Kolleginnen und Kollegen zu werfen, immer mit der Idee vor Augen: Es wird schon etwas hängen bleiben, und wenn etwas hängen bleibt, dann bin ich der große Aufklärer; sollte nichts hängen bleiben, dann passiert mir ja nichts. – Genau das ist Ihr Geschäftsmodell, Herr von Brunn. Wenn Sie einmal eine Woche keinen Rücktritt fordern, dann fragen sich die Menschen in Bayern schon, ob Sie krank geworden sind, ob es Ihnen denn hoffentlich gut geht. Allein in den letzten vier Wochen haben Sie jede Woche zwei, drei Rücktritte gefordert. Mal trifft es den Kollegen Weidenbusch, mal trifft es die Kollegin Huml, mal trifft es den Kollegen Piazolo. Zum zweiten Mal trifft es jetzt Staatsminister Hubert Aiwanger. Zuletzt forderten Sie ihn zum Rücktritt auf, weil jemand in U-Haft war. Als diejenigen aus der U-Haft wieder entlassen wurden, weil sich der Tatbestand nicht erhärtet hat, habe ich von Ihnen nichts mehr gehört.

Wir brauchen eine Kultur, in der nicht ein Großmeister der Vorverurteilung das Wort führt – so wie Sie, Herr von Brunn, denn genau das sind Sie –, sondern wir brauchen eine Kultur sachorientierter Politik. Ihre Art, Politik zu machen, schadet Bayern. Sie schaden Bayern, wenn Sie den Bayerischen Landtag zu einem Haberfeldtreiben machen. Wir sind nicht die Inquisitionsbehörde von Florian von Brunn. Sie sind nicht der Scharfrichter über die Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Sie haben das Prüfungsergebnis abzuwarten, und Sie müssen vor allen Dingen – und damit komme ich zum Ende – auch die Konsequenzen ziehen, wenn Sie mit Ihren Vorverurteilungen falsch liegen. Kommt der Bundeswahlleiter zum Ergebnis, dass Hubert Aiwanger keine Ordnungswidrigkeit begangen hat, dann fordere ich Sie heute schon zu einer persönlichen Entschuldigung auf. Falls dies nicht reicht, erwarte ich von Ihnen, Herr von Brunn, dann erwarten die FREIEN WÄHLER von Ihnen die gleiche Konsequenz mit Blick auf den eigenen Rücktritt, wie Sie sie immer dann einfordern, wenn es um die Rücktritte, wenn es um die Köpfe von anderen Kollegen geht.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Der nächste Redner ist der Kollege Thomas Gehring.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Mehring, eine Belehrung über politische Kultur brauchen wir von Ihnen nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Politische Kultur ist auch, sich hier im Hohen Haus hinzustellen und für Fehler einzustehen, darüber zu reden und sie darzustellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Natürlich akzeptieren wir die Entschuldigung des Herrn Aiwanger. Das war aber die dürftigste Entschuldigung, die man sich vorstellen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das war, ganz untypisch für den Kollegen Aiwanger, eine sehr wortarme Entschuldigung.

(Beifall bei den GRÜNEN – Lachen)

Man merkt dieser Entschuldigung an, dass sie nur auf Druck des Ministerpräsidenten hin erfolgt ist,

(Zuruf)

weil wir sonst wieder die langen Ausflüchte gehabt hätten, die wir sonst immer bekommen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

All das hat nur damit zu tun, dass der Kollege Aiwanger gen Berlin ausgezogen ist, um dort eine bürgerliche Mehrheit zu sichern. Es hat nicht geklappt. Das ist recht. Es ist gut, dass es keine bürgerliche Mehrheit dieser Art in Berlin gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich halte diesen Begriff "Bürgerliche Parteien" sowohl soziologisch als auch politisch sowieso für Unsinn. Man kann lange darüber diskutieren, was im Jahr 2021 bürgerlich ist und was nicht. Aber vielleicht ist ein Kern von Bürgerlichkeit, dass es bestimmte Anstandsregeln gibt und dass man sich an diese hält. Es gibt einen Satz, der vielleicht zutiefst bürgerlich ist, der lautet: Das tut man nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Stillschweigen vereinbart ist, dann zwitschert man nicht. Das tut man einfach nicht – ganz bürgerlich. Das hat der Kollege Aiwanger aber getan, übrigens den ganzen Sonntag: eine Tweetmeldung nach der anderen. Es ist ein Agreement, dass man diese Zahlen nicht herausgibt, erstens weil alle wissen: Wenn einer diese Zahlen rausgibt, dann ist es mit dieser Praxis gleich vorbei, dass man den Politikern vorher, vor 18 Uhr, diese Zahlen gibt. Das weiß jeder. Das gehört zum bürgerlichen Anstand, dann zurückhaltend zu sein und es nicht auszuquatschen.

Zweitens. Der Bundeswahlleiter wird ein Verfahren eröffnen. Ich bin mir sicher, dass er eine Strafe aussprechen wird. Ich kann ihm nur raten, ziemlich hinzulangen bei dieser Strafe.

(Heiterkeit – Beifall bei den GRÜNEN)

Wie gesagt: Unabhängig davon gibt es ein Agreement untereinander, dass man am Wahlsonntag keine Wahlwerbung mehr macht. Wie schon gesagt, Aiwanger hat an dem Tag einen Tweet nach dem anderen rausgehauen. Das tut man nicht. Das ist nicht bürgerlich. Das ist auch nicht anständig, so miteinander umzugehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich müssten wir über die Arbeit dieses Wirtschaftsministers reden, warum gerade im Bereich Wirtschaft die bayerische Hilfe für den Tourismus in Corona-Zeiten versagt hat, über das Schwadronieren beim Wasserstoff, über die Ansehensverluste bei der bayerischen Industrie mit diesem Wirtschaftsminister. Aber wir führen hier nur Debatten.

(Zuruf)

Es ist absurd, wenn ausgerechnet der Kollege Aiwanger jetzt die Rückkehr zur Sacharbeit ausruft. Er ist es, der uns über Wochen und Monate beschäftigt hat mit eigentlich nur populären Äußerungen zur Bundestagswahl, mit absurden Äußerungen gegenüber Berlin. Es ging nur darum, im Bundestagswahlkampf Punkte zu sammeln. Gut, auf bundespolitischer Ebene ist er ein relativ unbekannter Provinzpolitiker einer Kleinstpartei. Aber auf bayerischer Ebene ist er der stellvertretende Bayerische Ministerpräsident. Deswegen müssen wir hier darüber reden. Das ist Teil dieser politischen Kultur. Wir müssen uns darüber unterhalten, dass es diesem stellvertretenden Bayerischen Ministerpräsidenten an grundlegenden Anstandsregeln des politischen Umgangs fehlt. Das ist ein Beitrag zur politischen Kultur.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aiwanger hätte schon öfter Grund gehabt, sich zu entschuldigen. Wir haben in den letzten Monaten eine ganze Reihe von sprachlichen Grenzverletzungen erlebt. Da gab es nie eine Entschuldigung. Es gab immer wortreiche Ausflüchte. Gut, heute ist es eine Entschuldigung, aber ganz untypisch für Aiwanger eine wortarme, und das lässt tief blicken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Prof. Dr. Hahn von der AfD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier heute einen Fall, der einfach mit ein paar Worten abgehandelt werden soll. Als ob es damit getan wäre: Ich entschuldige mich im Nachhinein, und dann ist die Welt wieder in Ordnung. – Wir wissen alle, worum es geht. Es wurde gegen das Wahlgesetz verstoßen, nicht von irgendjemand, sondern von dem stellvertretenden Ministerpräsidenten dieser Regierungskoalition hier in Bayern. Meine Damen und Herren, was damit beeinflusst werden sollte, ist doch ganz klar: Bei einer Bundestagswahl, in der diese Partei, die FREIEN WÄHLER, um das Überwinden der Fünf-Prozent-Hürde kämpfte, sollte der entscheidende Drall gegeben werden. Sonst hätte er nicht den ganzen Tag rumgetweetet, diese Grenze zu reißen. Dass das sang- und klanglos gescheitert ist und dass Sie alle Mittel nutzen, auch illegale Mittel, um das durchzusetzen, spricht eigentlich Bände.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren, die Kritik an Herrn Aiwanger, der hier in dieser Koalition verhaftet ist, ist nicht erst am heutigen Tage aufgetaucht. Ich erinnere an Folgendes:

Erstens. Denken Sie an die unsolide Haushaltsführung einzelner Landesverbände. Selbst der Justiziar der FREIEN WÄHLER, Bernd Richter, fordert den Rücktritt seines Parteifreunds Aiwanger. Meine Damen und Herren, wenn selbst die eigenen Leute das sagen, dann sollte hier doch mal Vernunft einkehren und endlich mal Folge geleistet werden.

Zweitens. Denken wir an die Maskendeals zurück. Was war das denn, Herr Aiwanger, als das Wirtschaftsministerium in der Corona-Krise gleich bei dem Autozulieferer Zettl, der Ihnen gut bekannt ist und gerade mal 20 Kilometer von Ihnen entfernt wohnt, sechs Millionen Euro für eine Million Masken ausgegeben hat? – Jede Maske sechs Euro! Wenn man überlegt: Das LGL hat das zum Teil für 70 Cent gemacht. Das hat ein starkes "Geschmäckle".

Drittens. Ich erinnere auch an Folgendes: Sie haben einmal gesagt, jeder anständige Mann und jede anständige Frau in diesem Land solle ein Messer tragen dürfen. Opposition und Partei widersprechen, gerade wenn man sich diese ganzen Messermorde und Verbrechen anschaut, die in letzter Zeit über Deutschland gekommen sind, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Ja, das ist typisch für diese Koalition. Herr Söder könnte Sie einfach entlassen. Wir werden darüber hier auf einen Dringlichkeitsantrag hin noch verhandeln.

Schauen wir doch mal den anderen Part dieser Koalition an, die CSU. Erinnern wir uns noch? – Die Leute sind vielleicht vergesslich. Ich bin es nicht. Die AfD ist nicht vergesslich. Wir erinnern uns noch sehr gut an die ganzen Skandale mit Herrn Sauter und die 1,2 Millionen Euro, an das, was hier alles passiert ist. Das sind Dinge, die dann kurz vor der Wahl zum Glück irgendwie nicht mehr eine so große Rolle gespielt haben – zum Glück für Sie, leider zum Unglück für den Bürger. Wir denken an Sauter hier im Landtag, an Nüßlein auf Bundesebene.