Das sind sozusagen offene Punkte, die in einem Nacharbeitungsgang noch angesprochen werden sollten, wie auch unser Punkt vier darauf hinweist, dass möglichst eine Weiterarbeit durch den Konvent auch organisiert wird, wo offene Fragen noch bearbeitet werden. Wir sind hier spannenderweise, und das ruft Ängste, Konflikte und Debatten nicht nur unter Ministerpräsidenten hervor, sondern auch bei
vielen Bürgerinnen und Bürgern, in einem fahrenden Zug, der auf eine irgendwie geartete neue Staatlichkeit auf europäischer Ebene hinausläuft. Im Augenblick ist Europa ja irgendetwas sui generis, etwas, das nicht Staat ist, aber vielleicht doch ein bisschen.
Wenn man davon ausgeht, dass Staat sich definiert als Volk und Raum und staatliche Gewalt, dann kann man natürlich sagen, gut, wir haben das Volk der Europäer, und wir haben gemeinsame geographische Grenzen. Wie ist das denn mit den staatlichen Gewalten? Die juristische Gewalt ist fast ausgebaut. Was ist mit dem Europäischen Parlament? Hier müssen aus meiner Sicht Kompetenzen gestärkt werden. Das würde aber nur gehen, wenn man vorab eine Kompetenzabgrenzung erarbeitet. Es ist eine wichtige Forderung auch der Ministerpräsidenten, dass klar ist, welche Kompetenzen bei den Nationalstaaten bleiben, welche Kompetenzen bei den Regionen, bei den deutschen Ländern, den Landesparlamenten, und was originär in Europa, mehr als bisher, hoffe ich, dann auch entschieden wird.
Das Thema Verfassung ist kein Tabuwort mehr. Chirac hat von einer europäischen Verfassung im Deutschen Reichstag vor dem Bundestag gesprochen, unser Außenminister Fischer hat von einem konstitutionellen Vertrag gesprochen. Vor wenigen Tagen habe ich nachlesen können, dass Blair, der nun offensichtlich auch seine europäische Vorreiterrolle irgendwo im Anschluss an das Vorpreschen der Deutschen und der Franzosen beweisen will, von einem Oberhaus des Europäischen Parlamentes gesprochen hat, in dem dann die nationalen Regierungen repräsentiert sein sollten.
Wir sind also in einem fahrenden Zug, in einem offenen Prozess, zielend auf eine neue staatliche Qualität in Europa. Ich kann uns nur wünschen, dass dies alles mit Augenmaß, mit Gelassenheit, in einem längeren Zeitraum und unter Beteiligung vieler, nicht nur der Regierungen, erfolgt.
Deshalb: Stichwort Beteiligung vieler, Beteiligung der Menschen! Ich hätte mir in der Tat auch gewünscht,
ich komme zum Schluss, Herr Präsident, dass mit der Europawahl im Jahre 2004 alle Europäer über diese EU-Charta hätten abstimmen dürfen, weil das in der Tat eine Auseinandersetzung schafft, letztendlich eine Identifizierung und ein Wir-Gefühl schafft, das hilfreich ist, um in Zukunft ein friedliches Europa mit gemeinsamen Interessen und gemeinsamen Werten zu definieren.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Als die Grünen an uns mit dem Wunsch herantraten, dass wir das Thema in dieser Bürgerschaftssitzung mit einem gemeinsamen Antrag beraten, sind wir dem sehr gern beigetreten, zumal es in der Tat eine ganze Reihe von Übereinstimmungen in der Beurteilung der EU-Grundrechtecharta gibt. Wir sind insbesondere deswegen sehr gern diesem beigetreten, weil es natürlich auch deutlich macht, dass Länderparlamente sehr wohl sehr viel mit der Entstehung, mit der Beratung, mit der Begleitung auch einer Grundrechtecharta der Europäischen Union gemeinsam haben. Als wir beigetreten sind, haben wir allerdings nicht geglaubt, werte Kollegin Kahrs, dass wir hiermit einen Beitrag zu einem sozialdemokratischen Schaulaufen der norddeutschen Küstenländer veranstalten, als solches ist es auch ausdrücklich nicht gemeint.
Die Wahrung der Grundrechte ist eine unerlässliche Voraussetzung für die Legitimation der Europäischen Union. Die Union ist heute weit mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft, vielmehr basiert die Europäische Union auf einheitlichen Wertevorstellungen. Von daher ist es konsequent, über die Entwicklung einer Grundrechtecharta zu beraten. Wir erwarten, dass mit dieser Grundrechtecharta die Menschen auch die Europäische Union wieder enger an ihr Herz heranführen, dass die Akzeptanz für den Integrationsprozess durch die Beratung und die Verabschiedung und auch des damit dann einhergehenden Auslebens nach Verabschiedung der Grundrechtecharta der Menschen für Europa wieder größer wird.
Momentan verbinden viele Menschen in erster Linie andere Themen mit Europa, man kommt nicht automatisch auf die Verabschiedung der EU-Grundrechtecharta, wenn man sich nicht in den politisch interessierten Klassen befindet. Die Menschen denken über die Einführung des Euro nach, das macht ihnen zum Teil Sorgen. Sie denken über die Osterweiterung nach, sie denken über die bestehende Regelungsdichte nach. Dies sind Themen, die leider viel mehr im Vordergrund stehen, wenn man über die Europäische Union nachdenkt. Von daher ist es gut, dass wir die Europäische Union mit einer Grundrechtecharta auch auf eine noch stärkere inhaltliche Grundlage stellen, auf eine Grundlage, bei der wir davon ausgehen, dass sie eine breite Zustimmung in der Bevölkerung finden wird.
Man muss ehrlicherweise hinzufügen, dass es natürlich auch Befürchtungen gibt, und diese Befürchtungen sind zum Teil schon angesprochen worden, ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
Befürchtungen dergestalt, dass dies nur ein erster Schritt zu einer noch perfekteren Regelungsdichte ist und damit möglicherweise auch eine weitergehende Verlagerung von originären Zuständigkeiten beispielsweise von der Länderebene auf die europäische Ebene einhergeht. Bei aller Zustimmung muss man selbstverständlich aufpassen, dass hier nicht über unsere Köpfe hinweg entschieden wird und dass nicht Kompetenzen, die in dieses Landesparlament gehören, genau wie in alle anderen Landtage in Deutschland, über unsere Köpfe hinweg auf die europäische Ebene verlagert werden.
Die Grundrechtecharta ist zunächst einmal eine Zusammenfassung bestehender Regelungen und integriert bestehende staatliche Regelungen wie das Grundgesetz genauso wie internationale Vereinbarungen wie die Europäische Menschenrechtskonvention. Vor diesem Hintergrund wird natürlich auch immer wieder die Frage gestellt: Wozu brauchen wir dann noch zusätzlich eine EU-Grundrechtecharta? Der Zweck ist in erster Linie darin begründet, bestehende Grundrechte möglichst umfassend und verbindlich zu verankern, auch im Hinblick auf eine mögliche Zielstellung, eines Tages zu einer europäischen Verfassung zu kommen. Hiervon sind wir allerdings noch weit entfernt. Logisch erscheint jedoch, dass eine spätere europäische Verfassung auf der Grundlage eben dieser zu verabschiedenden Grundrechtecharta zu entwickeln wäre.
Die EU-Grundrechtecharta hat etwas mit einer europäischen Verfassung im Werden zu tun. Zu einer europäischen Verfassung gehören auch andere wesentliche Bausteine wie die Verschlankung bestehender Vertragswerke und eine klare Kompetenzaufteilung zwischen den Mitgliedsstaaten der Union untereinander, aber auch zwischen den unterschiedlichen Ebenen, der europäischen Ebene, nationalstaatlichen Ebenen und selbstverständlich auch der regionalen Ebenen, hier in Deutschland zum Beispiel die Ebene der Bundesländer. Es ist sicherzustellen, dass aus der Grundrechtecharta der EU keine zusätzlichen Handlungsfelder für die Europäische Gemeinschaft abgeleitet werden. Vielmehr sollte die Grundrechtecharta im Rahmen der bestehenden Vertragswerke entwickelt werden.
Zudem ist die Grundrechts- und Verfassungstradition der Mitgliedsstaaten und ihre damit verbundene natürliche Funktion als Hüter der Grundrechte bei den weiteren Beratungen zu berücksichtigen. Die Verfassungen der Mitgliedsstaaten müssen insbesondere auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung respektiert werden. Weitergehende Grundrechte, wie sie in der Bremer Landesverfassung und im Grundgesetz verbrieft sind, dürfen daher nicht in Frage gestellt werden. Bei der weiteren Entwicklung und Beratung der Grundrechtecharta ist auch
Ich füge hinzu, dass selbstverständlich aus unserer Überzeugung heraus das Europaparlament hieran nicht nur angemessen zu beteiligen ist, sondern wir halten es für sinnvoll, dass das Europaparlament auch über die Verabschiedung der EU-Grundrechtecharta abstimmt. Hier nur eine Zuständigkeit der Staats- und Regierungschefs zu sehen ist überhaupt nicht nachvollziehbar.
Ob am Ende des Diskussionsprozesses über die Grundrechtecharta, wie eben von Frau Kollegin Kahrs und dem Kollegen Dr. Kuhn gefordert, tatsächlich ein Referendum stehen sollte, erscheint auf den ersten Blick erst einmal populistisch, bei näherem Hinsehen zusätzlich wenig sinnstiftend.
Zunächst einmal wäre die Frage zu klären, ob die parlamentarische Demokratie überhaupt Referenden zur Legitimation der Entscheidungen der gewählten Vertreter benötigt. Wenn diese Frage im Grundsatz zu bejahen wäre, wäre die nächste Frage: Bei welchen Themen soll ein Referendum über die Zustimmung beziehungsweise Ablehnung eines Vorhabens entscheiden? Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Menschen in Europa, und nicht nur die in Dänemark, gern über Themen wie einheitliche Währung und Osterweiterung abstimmen möchten. Man kann diesen kaum erklären, warum hier keine Referenden durchgeführt werden, bei der Grundrechtecharta hingegen doch. Darüber hinaus ist bei einer Entscheidung über vielleicht am Ende 50 Artikel der Grundrechtecharta mehr als fraglich, ob ein einfaches Ja oder Nein zur Grundrechtecharta tatsächlich ein umfassendes Meinungsbild zu allen einzelnen Facetten der Grundrechtecharta abbilden würde.
Auch wir, meine Damen und Herren, unterstützen die Arbeit des Konvents unter Führung von Altbundespräsident Roman Herzog ausdrücklich. Es ist ja nicht so häufig, dass grüne Abgeordnete einen CSU-Politiker loben, und ich finde, da kann man den Worten von Herrn Dr. Kuhn eigentlich nur zustimmen, wenngleich auch wir selbstverständlich zu einzelnen Formulierungen kritische Sichtweisen haben, ich bin hierauf bereits eingegangen.
Die Ergebnisse des Konvents stellen einen Kompromiss dar, den Versuch, sehr unterschiedliche Verfassungstraditionen in Europa in Einklang zu bringen, verbunden mit allen Vorteilen, aber auch Nachteilen, die Kompromissen zu Eigen sind. Die Vorteile überwiegen jedoch eindeutig, und man kann den seit Juni vorliegenden Entwurf uneingeschränkt als gelungenen Auftakt für die Formulierung einheitlicher Grundwerte bezeichnen. Es ist gut, dass in der Europäischen Union die Achtung der Menschenwür
de, die Ächtung von Sklaverei, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Wahrung von Demokratie, um nur einige wenige Überschriften zu nennen, mit diesem Entwurf für eine Grundrechtecharta einheitlich formuliert werden. Zudem erfahren die EU-Bürger auch mit der Charta einen Grundrechtsschutz gegenüber der Gemeinschaftsgewalt an sich.
Nun wird von einigen Kritikern konkret Artikel 2 Satz 2 des Entwurfs – ich zitiere: „Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden“ – kritisiert, weil dieser aus deren Sicht nicht nur die Mitgliedsstaaten in die Pflicht nimmt, sondern auch die beitrittswilligen Staaten wie beispielsweise die Türkei und das für diese eine unangemessene Hürde darstellen würde. Ich füge hinzu, dass wir dies ausdrücklich nicht so sehen, im Gegenteil! Wenn ein beitrittswilliges Land mit der EU-Grundrechtecharta nicht einverstanden ist, dann ist es nach unserer festen Überzeugung auch nicht beitrittsfähig.
Ich fasse zusammen: Wir begrüßen die EU-Grundrechtecharta grundsätzlich, diese ist ein wichtiger Baustein für eine spätere Verfassung, es gibt, ich erwähnte das bereits, auch andere Bausteine. Wir erwarten, dass die verschiedenen Ebenen, Europa, Bund und Länder, den Prozess aktiv gemeinsam gestalten, und nicht, dass über die Köpfe einzelner Gestaltungsebenen hinweg entschieden wird. Ich bin sicher, dass wir uns noch häufig auch in diesem hohen Hause mit dem Thema EU-Grundrechtecharta auseinander setzen werden. – Danke!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für den Senat erkläre ich gern, dass wir die Entschließung, die Sie gleich fassen, begrüßen. Wir finden das Ergebnis der Arbeiten zur Charta einer europäischen Grundrechtsordnung sehr konstruktiv, sehr perspektivisch, sehr gelungen. Was allerdings am Schluss in Nizza herauskommt, hängt nicht allein von der Bremischen Bürgerschaft ab, sondern da redet eine ganze Reihe von Staaten und von Ländern und von Mitgliedsstaaten noch mit.
Ich will gern einmal versuchen, bei dieser Gelegenheit zu sagen, was meine Erwartung hinsichtlich dessen ist, was in Nizza herauskommt. In Nizza muss, wenn wir dazu eine Zustimmung im Bundesrat organisieren sollen, ein klarer und nicht revidierbarer Einstieg in eine nächste Regierungskonferenz herauskommen, auf der die vom Bundesrat und von
den Ländern mehrfach beschlossene Kompetenzregelung geklärt wird – das kann ja dann im Rahmen einer Verfassungsberatung umgesetzt werden – und auf der geklärt wird, was wir die „Sicherung der Daseinsvorsorge“ nennen, was nicht einfach nur ein Ritual ist, sondern was unsere zentrale Forderung an diesen Prozess ist.
Ich halte es für möglich, dass man das miteinander verbinden kann. Ich halte für möglich, dass das ein Einstieg in diese Beratung ist, ich halte für möglich, dass sogar das, was der Bundesaußenminister als Vision über einen europäischen Bundesstaat vor der Humboldt-Universität in Berlin gesagt hat, hier schrittweise angegangen werden kann. Wenn überhaupt nichts Konkretes beschlossen wird, dann gibt es ein Problem bei der Zustimmung.
Wir brauchen also zusätzlich zu dem gelungenen Entwurf der Grundrechtecharta einen reellen, belastbaren Einstieg in die Klärung der angemeldeten Fragen. Hoffentlich gelingt das! Hoffentlich gelingt auch die Reform der EU-Institutionen, die in Nizza auf der Tagesordnung steht! Zusammengenommen kann ich mir vorstellen, dass es trotz vieler Unkenrufe europaweit eine gelungene Fortentwicklung der europäischen Einigung wird.
Wir Bremer werden da mitberaten, und das Ergebnis muss konstruktiv vorbereitet werden. Jetzt schon die Zustimmung des Senats zu dem zu fordern, was in Nizza beraten und zur Beschlussfassung dem Bundestag und -rat vorgelegt wird, ist zu früh. Wir müssen erst einmal darauf dringen, dass die Beratungen bis zum europäischen Gipfel in Nizza konkretisiert werden. Ich will bei dieser Gelegenheit auch noch einmal sagen, dass diese Position mit der Bundesregierung und insbesondere auch mit dem Bundesaußenminister abgestimmt ist.
Wer dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und der CDU mit der DrucksachenNummer 15/486, Neufassung der Drucksache 15/482, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!