Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 17. September 2002 (Drucksache 15/1241)
Gemäß Paragraph 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.
Ich frage Sie, Herr Senator Dr. Böse, möchten Sie die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU und der SPD mündlich wiederholen? – Das ist nicht der Fall.
Auf die Antwort des Senats auf Große Anfragen folgt eine Aussprache, wenn dies Mitglieder der Bürgerschaft in Fraktionsstärke verlangen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit einiger Zeit wird eine breit angelegte öffentliche Diskussion über den Wert und die Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeiten in unserer und für unsere Gesellschaft geführt. Die öffentliche Diskussion hat gezeigt, wie selbst
verständlich diese einen Teil unserer Tätigkeiten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in Anspruch genommen hat, ohne sich des Wertes und der Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeiten bewusst zu sein. Sie hat ehrenamtliche Tätigkeiten erst dann registriert, wenn sie ausgeblieben sind. Das Ehrenamt ist in einer funktionierenden Vereinsstruktur nicht mehr wegzudenken.
In Bremen engagieren sich etwa 12 000 Menschen ehrenamtlich für die Belange des Sports. Allerdings, so sehen hier in Bremen die Tendenzen aus, können immer weniger junge Menschen von den Sportvereinen für diese Aufgaben gewonnen werden. Die Gesellschaft hat sich gewandelt. Die Großfamilien sind kaum mehr vorhanden, die Singlehaushalte überwiegen. Neue Medien wie das Internet haben das Freizeitverhalten in den letzen Jahren enorm beeinflusst. Neue Freizeitformen, Extrem- und Individualsportarten wie Inlineskating, Fitnessstudios und Aerobic und so weiter, ich will hier nicht alle aufzählen, das würde den Rahmen sprengen, sind eine Konkurrenz für unser Vereinsleben in Bremen und Bremerhaven.
Das Ehrenamt wird nicht mehr mit Emotionen und Kameradschaft begleitet, sondern von gemeinsamen sportlichen Zielen. Der Verein ist keine Alternative zum Beruf mehr, sondern ist mit verantwortungsvollen Aufgaben verbunden. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn das Ehrenamt mit Verwaltungsaufgaben und mit lästigen Routinearbeiten erstickt und kaum mehr emotionale Freude aufkommt.
Gesucht wird der ideale Übungsleiter im Sportverein, der unendlich viel Zeit hat und zur Wahrnehmung der Aufgaben noch viel Geld mitbringt, an dem alle herumkritisieren dürfen, bei dem sich keiner für die Arbeit bedankt, der ein Experte im Vereins-, Steuer- und Umweltrecht sowie in der Sportplatzpflege ist. Er sollte einen Führerschein, ein Faxgerät und ein Handy besitzen, den Hausmeister beruhigen und Kritikern zuhören können und als Letzter jeden Tag die Sporthallen abschließen, aber erst, wenn er die Umkleideräume gereinigt hat. Wer würde sich auf eine solche Anzeige in der Zeitung bewerben?
Meine Damen und Herren, da ich noch nah am Vereinsleben bin, kenne ich die Situation. Wenn Schiedsrichter fehlen, Übungsleiter gesucht werden und Vereinsfunktionäre nicht gefunden werden, dann müssen wir uns fragen, ob wir diese Ehrenämter durch Teilzeitbeschäftigungsmodelle ausgleichen müssen. Ich glaube, hier mit Nein antworten zu können, denn das Ehrenamt macht einen nicht reich, aber es bereichert vor allen Dingen dann, wenn man nach einer langen Zeit alte Sportkameraden wie Fußballmannschaften oder andere Vereinsarbeiter wieder trifft.
Das wird einem klar, wenn wir uns alle hier vorstellen, wie es in unseren beiden Städten ohne ehrenamtlich tätige Bürger in unseren Sportvereinen aussehen würde.
Wir sind auch, wenn viele es nicht wissen wollen, und ich sage es hier deutlich, der kreative und menschliche Nährboden der Gesellschaft. Wir hier in der Bremischen Bürgerschaft sind gut beraten, alles dazu beizutragen, dass es auch in Zukunft so bleibt, und darum müssen die Sportvereine in den nächsten Jahren noch besser gefördert werden. Engagement in unseren bremischen Sportvereinen ist ein Thema, das in unserer Fraktion einen hohen Stellenwert hat.
In unseren Sportvereinen verwirklichen Menschen Werte, Solidarität, das heißt, im Miteinander der Menschen zu leben und Eigenverantwortung zu übernehmen.
Das ist nicht nur die Grundlage allen ehrenamtlichen Tuns, es ist ein ganz bedeutsames Element des christlichen Menschenbildes, das ja das Fundament unseres politischen Handelns ist. Auch in unserer modernen Leistungsgesellschaft bleiben wir Menschen auf das Miteinander in der Gesellschaft angewiesen. In unserem Verständnis vom Menschen stehen seine Freiheit und Eigenverantwortung nie allein, sondern sind stets eingebunden in das Zusammenleben mit anderen Menschen. Jeder Mensch ist auf die Solidarität anderer angewiesen. Kein Sozialstaat kann das ersetzen.
Es ist deshalb von mir persönlich eine Herzensangelegenheit hier im Parlament, dass wir unseren Beitrag zur Stärkung von bürgerschaftlichem Engagement und Ehrenamt in unseren Sportvereinen leisten, damit es weiter lebt, wächst und gedeiht. Der Anteil derjenigen, die sich jetzt jahrzehntelang in ein und demselben Verein engagieren, kann in einer so dynamischen mobilen Gesellschaft, wie sie sich heute darstellt, kaum konstant bleiben. Gerade junge Menschen, die zeitlich begrenzt sind, suchen eher projektorientierte Sportarten. Man wechselt häufig die Sportrichtung.
Es ist vordringliche Aufgabe der Politik, die Bedeutung des Ehrenamtes im Sportbereich, die Bedeutung des bürgerlichen Engagements nicht nur zu erkennen, sondern auch anzuerkennen.
Rechtsvorschriften und bürokratischer Wildwuchs durch Ausführungsbestimmungen belasten zunehmend Vereine und überfordern ehrenamtliche Mitarbeiter. Zu oft werden Rechtsvorschriften in Kraft
gesetzt, ohne die Auswirkungen auf die Vereine und die dort ehrenamtlich Tätigen zu bedenken. Der Gesetzgeber muss zukünftig die Bedeutung unserer Vereine, in denen Millionen Bürgerinnen und Bürger organisiert sind, bei den Fassungen von Gesetzen stärker beachten.
Wie mit den Belangen unserer Vereine umgegangen wird, hat diese Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt demonstriert. Die Einführung der so genannten Ökosteuer, die neue Regelung der 630-DModer 325-Euro-Jobs und der Scheinselbstständigkeit belastet alle Vereine. Mehr Bürokratie, Einschränkung der wirtschaftlichen und kreativen Gestaltungsmöglichkeiten, weniger Geld bei ehrenamtlich und nebenberuflich Tätigen und ein höheres Haftungsrisiko für alle, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, sind das Ergebnis. Dies ist keine vereinsfördernde und das Ehrenamt unterstützende Gesetzgebung. Dies spüren die Vereine zunehmend.
Wir werden nach dem Regierungswechsel sofort die Ökosteuer stoppen sowie die 630-DM-Jobs durch 400-Euro-Jobs ersetzen. Halbherzigkeit ist gerade bei den Vereinen, die noch immer das starke Rückgrat des freiwilligen Engagements darstellen, das falsche Signal, wenn man etwas für das Ehrenamt erreichen will. Ehrenamt darf nicht nur persönliche und private Ehrensache sein, sondern muss auch von staatlicher Stelle gefördert werden. Wir müssen auch hier in Bremen bessere Rahmenbedingen schaffen. Bürokratische Hürden müssen wir beseitigen. Das unmittelbare Umfeld als originäre Ausprägung ehrenamtlichen Engagements hat in weiten Bereichen an Bedeutung verloren, außer im Sport, hier ist seine Tätigkeit sehr gefragt.
Meine Damen und Herren, nachlässiges Engagement geht auch einher mit der Veränderung des persönlichen Verhaltens. Wir beobachten eine zunehmende Individualisierung mit dem Hang, sich eher selbst zu verwirklichen, als sich für andere einsetzen zu wollen. Trotz dieses unwidersprochen vorhandenen Strebens nach Individualität, das unser Freizeitverhalten im Wesentlichen bestimmt, trotz eines Trends, sich von sozialen Pflichten entbinden zu wollen, engagieren sich nach wie vor viele Bürgerinnen und Bürger für gemeinschaftliche Aufgaben, aber sie wollen stärker denn je ihre Bedürfnisse und Neigungen bei den zeitlichen Beanspruchungen, bei der Zuordnung der Tätigkeiten, deren Gestaltung und bei Entscheidungsabläufen berücksichtigt sehen.
Das Argument für nachlassende Bereitschaft sind fehlende materielle Ausstattung und Unterstützung. Ehrenamtliche wollen in innerer Bereitschaft ihre Hilfe für den Verein als Überzeugung gewertet und nicht als Dienstleistung oder Ware abgewertet wissen. Sie wollen ihre Tätigkeit weder minutiös auf
listen noch gegenrechnen lassen. Sie haben aber kein Verständnis dafür, dass ihnen zustehende Aufwandsentschädigungen als Ersatz für Auslagen durch Sozialversicherungsbeiträge gekürzt werden. Ihre freiwillige unentgeltliche Tätigkeit ist nicht mit einer auf Erwerb ausgerichteten Tätigkeit gleichzusetzen. Dies ist eine Abwertung ihres Engagements.
Sie empfinden die Einbehaltung von Sozialversicherungsbeiträgen zu Recht als Abkassieren. Vollmundige Worte und öffentliche Kampagnen sowie Festreden bei Vereinsjubiläen und Kongressen der Sportverbände nützen unseren Vereinen wenig, wenn sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die alltägliche Arbeit nicht verbessern.
Ehrenamtliches Arbeiten darf dabei nicht nur durch Dankeschön-Worte bei Festreden honoriert werden. Deshalb sind wir froh, dass es uns auch gelungen ist, diesen Dringlichkeitsantrag zu verabschieden, der ganz konkrete Forderungen beinhaltet. Das Ansehen freiwilliger Arbeit steigt nämlich nicht einfach so. Wir müssen eine Anerkennungskultur schaffen, in der bürgerliches Engagement gewürdigt und sein Wert geachtet wird. Gesellschaft, Politik und Wirtschaft können und müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen setzen.
Der von den Fraktionen geforderte Arbeitskreis ist deshalb beauftragt, sich zum Beispiel mit dem Thema Ehrenamtcard zu befassen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Bei der Ehrenamtcard ist an Vergünstigungen zu denken, wie zum Beispiel der Besuch von Kultur- und Freizeiteinrichtungen, aber auch Unternehmen ihrerseits müssen bei Bewerbungen das Ehrenamtengagement stärker würdigen und berücksichtigen. Auch die anderen im Arbeitskreis zu behandelnden Themen sollen zur deutlichen Verbesserung der Rahmenbedingungen im Sport beitragen. Die Antwort des Senats hat deutlich gemacht, dass es nach wie vor administrative Hindernisse gibt, die das freiwillige Engagement behindern. Auch in diesem Punkt fordern wir den Senat ganz konkret auf, tätig zu werden und entsprechende Punkte zu benennen. Sie wollen nicht verwalten, sondern gestalten. Sie brauchen übersichtliche, auch für Laien erarbeitete nachvollziehbare Rechtsvorschriften, ein Minimum an Bürokratie und höhere steuerfreie Pauschalen. Dies wäre Anerkennung und ein Dankeschön für diese Leistung. Dem Staat sollten unsere Vereine und die dort ehrenamtlich Tätigen dies wert sein.
jemand wird die Fülle der Vorschriften kennen, unter denen sich ehrenamtliches Engagement vollzieht. Wir erlassen neue Regelungen, ohne deren Auswirkungen in der Komplexität zu kennen. Gesetzliche Regelungen sind auf das Notwendige zurückzuführen. Dies muss zu mehr Sicherheit führen und gleichzeitig die Gestaltung und Freiräume für Eigeninitiativen und Eigenverantwortung erweitern. Mehr Anerkennung und Auszeichnung sind wichtig, um möglichst viele Menschen für freiwilliges Engagement zu erreichen und zu ermutigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Familie müssen wir ansetzen. Nirgends werden persönliche Bindungen und Hilfen für den Nächsten so unmittelbar erfahren und erlebt, nirgendwo anders werden Verständnis, Einsicht, Toleranz, Verantwortungsbewusstsein und Rücksichtnahme im natürlichen Umgang erprobt und gefestigt. Gemeinschaftliches Engagement für den Sport muss Bestandteil des erzieherischen Auftrags an unseren Schulen sein.