Protocol of the Session on November 14, 2002

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stellt der Bericht zwar die Wichtigkeit attraktiver Wohnungsangebote heraus, begnügt sich aber im Übrigen mit einer bloßen Auflistung aller nur denkbaren Aufgaben von Stadt und Land! Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Die Bereiche Umwelt, Natur, innere Sicherheit, Sport, Freizeit, Kultur, Kinderbetreuung werden auf nicht einmal drei Seiten des immerhin 74 Seiten umfassenden Berichts abgehandelt. Hier stellt sich – Aufgabe nach dem Vorwort des Berichts sollte die Prioritätensetzung sein – in der Tat die Frage nach der Prioritätensetzung.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage ganz offen, aus unserer Sicht ist das nicht die richtige Gewichtung.

Meine Damen und Herren, wenn man die Analyse des Berichts ernst nimmt, und das tue ich, ich halte die Analyse auch für verdienstvoll, dann brauchen wir mehr. Wir müssen einen ausdrücklichen Schwerpunkt setzen mit einer Politik für Lebens- und Wohnqualität,

(Beifall bei der SPD)

für soziale Infrastruktur, für Bildung und Ausbildung, für kulturelle Vielfalt, also mit allem, was erst in der Summe die Attraktivität von Städten ausmacht.

Eines, meine Damen und Herren, muss doch nach diesem Bericht klar sein. Investitionen in die Qualität der Stadt sind keine Sahnehäubchen auf einem rigiden Sparkurs, sondern sind wichtige, notwendige integrale Bestandteile einer richtig verstandenen Sanierungsstrategie.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb sage ich, das Sanierungskonzept muss ergänzt werden, das Anschlussinvestitionsprogramm werden wir nach meiner Überzeugung so ausrichten müssen, dass öffentliche Investitionen gleichermaßen der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Gewinnung von Einwohnern dienen. Dabei ist für mich die Aufwertung unserer Stadtteile ein ganz zentrales Element im Konzept der Einwohnergewinnung.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, niemand kommt nur nach Bremen, sondern immer auch in einen konkreten Stadtteil mit spezifischem Profil und Image. Deshalb müssen wir ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der ganzen Stadt legen, auf City und

Stadtteile. Das wird nach meiner Überzeugung eine wichtige Aufgabe der nächsten Legislaturperiode sein.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, zum Schluss: Sanierungskurs heißt nicht, stur geradeaus zu fahren, sondern Sanierungskurs bedeutet, das angepeilte Ziel im Auge zu behalten und die eingeschlagene Richtung, wo nötig, zielorientiert zu justieren. Das ist sicher keine leichte Aufgabe, aber ich glaube, wir brauchen den Mut, den Sanierungskurs und das Problem in diesem Sinn energisch anzugehen, denn es gibt für Bremen und Bremerhaven nach meiner Überzeugung keine Alternative.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nachdem ich mir die Mitteilung des Senats, Drucksache 15/1281, Strategien zur Verbesserung der Arbeitsplatz- und Einwohnerentwicklung im Land Bremen, genauestens durchgelesen habe, sage ich Ihnen, Sie haben nicht einmal ansatzweise eine Strategie zur Verbesserung der Arbeitsplatzund Einwohnerentwicklung für das Land Bremen. Sie haben keine Strategie, Sie haben kein Konzept, und im Grunde genommen haben Sie gar nichts!

Meine Damen und Herren, Ihre fortwährende Politik der Ahnungslosigkeit, der Hilflosigkeit beweist mir und der Bevölkerung, dass sozialdemokratische Politik schon zum ersten Mal schriftlich im Alten Testament erwähnt wurde, da steht nämlich geschrieben: „Sie trugen seltsame Gewänder und irrten planlos umher.“ Dieses planlose Umherirren ist genau wie damals auch heute noch Ihre einzige Strategie, Ihre einzige Konzeption zu einer verbesserten Arbeitsplatz- und Einwohnerentwicklung im Land Bremen.

Sie reden zwar viel und bringen auch viele Große Anfragen ein, aber handeln politisch genau gegensätzlich. Wenn ich dann in der „Bild-Zeitung“ folgende Tatsache lesen muss, es ist nur ein kleines Beispiel Ihrer verfehlten Entwicklungspolitik, Ihrer Politik überhaupt, Herr Präsident, ich darf zitieren, da steht: „Drei Jahre Baustelle zwischen Ostertor und Steintor! Will die Stadt uns in die Pleite treiben?“ Und: „Alle werden unter Bremens neuestem Schildbürgerstreich leiden.“ Das ist nur ein kleines Beispiel Ihrer verfehlten Politik. Mit solchen Schildbürgerstreichen jagt man auch noch die letzten Bremer und Bremerhavener Anwohner ins Umland.

Bestes Beispiel ist doch die Stadt Bremerhaven. Die drastische Einwohnerabwanderung ins nieder

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sächsische Umland ist kurzfristig nicht mehr zu verhindern. In den achtziger Jahren hatte die Stadt noch über 130 000 Einwohner, im Jahr 2000 nur noch 120 000 Einwohner, und nach Berechnungen von seriösen Gutachtern wird die Stadt im Jahr 2015 im schlimmsten Fall nur noch zirka 95 000 Einwohner haben. Pro Einwohner, der ins Umland abwandert, gehen der Stadt Bremerhaven jährlich rund 3000 Euro verloren, und was das schon heute für eine vor allem durch Ihre Politik völlig ruinierte Stadt bedeutet, brauche ich Ihnen nicht extra zu erklären. Zwar hat die Stadt Bremerhaven kleinere Maßnahmen eingeleitet, wie zum Beispiel neue Baugebiete ausgewiesen, Studenten von den Studiengebühren befreit, zinsgünstige Darlehen vergeben, aber diese Maßnahmen sind doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. All diese Maßnahmen nützen Ihnen überhaupt nichts, wenn Sie nicht schnellstens, aber allerschnellstens die Monostruktur der Wirtschaft im Land Bremen stark verändern.

Das Ganze steht und fällt mit den arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen im Land Bremen. Dazu ist es aber dringend erforderlich, das Sie den Mittelstand, das Standbein der Wirtschaft, erheblich stärken und steuerlich entlasten. Fakt ist doch, dass gerade in Bremerhaven und nicht nur in der „Bürger“ immer mehr mittelständische Betriebe und kleinere Geschäfte Insolvenz anmelden müssen, weil sie durch Ihre Politik nicht mehr überlebensfähig sind. Die logische Folge ist eine noch größere Arbeitslosigkeit und damit verbunden noch höhere Abwanderung ins Umland. So sieht Ihre Strategie zur Verbesserung der Arbeitsplatz- und Einwohnerentwicklung im Lande Bremen aus. Dafür tragen Sie die politische Verantwortung.

Hat nicht noch vor kurzem unsere Sozialsenatorin, Frau Röpke, öffentlich versprochen, dass Sie sich für mehr Spielräume in Bremen einsetzen will und für eine solche Befragung auch noch zirka 120 000 Euro zur Verfügung gestellt? Aber gleichzeitig wurde schon darüber nachgedacht, staatliche Einrichtungen, wie zum Beispiel Bremer Spielhäuser, einsparen und privatisieren zu wollen. Auch das gehört zu einer Einwohnerentwicklungspolitik.

(Abg. Frau S t r i e z e l [CDU]: Das stimmt doch gar nicht! Sie haben doch gar keine Ahnung! – Abg. Frau L e m k e - S c h u l - t e [SPD]: Nein, aber von nichts!)

Kommen Sie nach vorn! Entschuldigen Sie bitte, ich konnte Ihren Zwischenruf nicht verstehen! Wahrscheinlich liegt es daran, dass Sie als Hinterbänklerin so weit hinten sitzen!

(Unruhe)

Auch das gehört zu einer Einwohnerentwicklungspolitik! Allein die Idee ist schon strafbar. So geht man

mit den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt und dieses Landes nicht um!

Nun kommen wir einmal zu Ihrer großartigen Jugendpolitik, auch die gehört zu einer verbesserten Einwohnerentwicklungspolitik! Sie kürzen unverantwortlich im Jugendbereich, im Sportbereich, im Sozialbereich. Sie schließen unverantwortlich Freizeitund Jugendeinrichtungen sowie andere Sozialeinrichtungen, aber gleichzeitig verschwenden und verprassen Sie Unsummen an Steuergeldern für sinnlose und nutzlose Großprojekte. Die jetzt alle aufzählen zu wollen, würde den Rahmen dieser Sitzung sprengen!

(Abg. K a s t e n d i e k [CDU]: Das kön- nen Sie nämlich auch gar nicht!)

Durch Ihre Politik der ruhigen Hand, vorgemacht durch Ihren Bundeskanzler Schröder, bieten Sie unseren Jugendlichen keine Zukunftsperspektive, Sie verbauen ihnen ihre Zukunft, eine Hoffnung auf Besserung gibt es nicht, und da wundern Sie sich, dass immer mehr junge Menschen das Bundesland Bremen in Scharen verlassen! Sie müssen nicht immer nur sagen, wir müssen, wir müssen, sondern tun Sie auch das, was Sie tun müssen! Fangen Sie also damit an, aber schnellstens, das Gesagte, was hier immer so großspurig behauptet wird, wir müssen, wir müssen, auch in die Tat umzusetzen! Sorgen Sie für eine verbesserte Wirtschafts- und Finanzpolitik, betreiben Sie eine bessere und effektivere Arbeitsmarktpolitik, schaffen Sie Arbeitsplätze, betreiben Sie eine bessere Jugendpolitik, damit gerade unsere jungen Menschen im Land Bremen bleiben! Gewinnen Sie durch eine viel bessere Politik ohne Parteienfilz und Postenschiebereien wieder junge Menschen für das Bundesland Bremen!

(Abg. Frau W i l t s [SPD]: Waschmaschine!)

Halten Sie auch durch eine ehrliche und glaubwürdige Politik diese Menschen von einem Umzug ins Umland ab!

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Krusche.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Tittmann, der größte Schaden für Bremen und Bremerhaven sind solche Reden, wie Sie sie hier gerade gehalten haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU – Abg. T i t t - m a n n [DVU]: Gott, vergib Ihnen, denn Sie wissen nicht, was Sie sagen!)

Ich muss sagen, ich habe mit großer Genugtuung die Senatsmitteilung gelesen, zumindest in ihrem

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ersten Teil, nämlich der Bestandsanalyse über die zukünftige Bevölkerungsentwicklung in Bremen. Endlich, nach sieben Jahren großer Koalition, kommen nun schwarze Zahlen auf den Tisch, an denen Sie sich bisher immer vorbeigemogelt haben, meine Damen und Herren!

Sie waren es, die uns seit Beginn der großen Koalition ein Wachstum vorgegaukelt haben, Zahlen von 50 000 Einwohnern mehr oder 40 000 Arbeitsplätzen, das waren die Zahlen, die Sie in den Raum geworfen haben, und danach haben Sie Ihre Bau-, Ihre Verkehrs- und Ihre Gewerbepolitik ausgerichtet: Auf ein Wachstum, das, wie wir nun schwarz auf weiß lesen können, in dieser Form nicht stattfinden wird! Ich finde es gut, denn auf dem Boden der Tatsachen können wir neu überlegen, wie wir unsere beiden Städte Bremen und Bremerhaven fit für die Zukunft machen können, und, Kollege Böhrnsen, da sehe ich mit Genugtuung, dass die SPD sich hier doch in die richtige Richtung bewegt, meine Damen und Herren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es waren die Grünen, die diese Wachstumszahlen immer in Frage gestellt haben. Wir haben auf den demographischen Wandel hingewiesen, der unsere beiden Städte in den nächsten Jahren wesentlich verändern wird. Ich möchte dazu ein paar konkrete Zahlen nennen, damit man sich das plastisch vorstellen kann. In Bremen wird die Einwohnerzahl bis 2020 um 30 000 Menschen abnehmen, das heißt, das sind 5,4 Prozent weniger Menschen in Bremen, und in Bremerhaven wird die Bevölkerung um fast 31 000 Menschen abnehmen, und das sind immerhin 25 Prozent.

Stellen Sie sich vor, die ganze östliche Vorstadt oder aber Bremerhaven von der südlichen Stadtgrenze bis zum Bremerhavener Hauptbahnhof wäre menschenleer! Das ist die Perspektive, von der wir ausgehen müssen. Das heißt, wir als Politiker müssen uns darauf einstellen, dass wir zukünftig keine wachsenden Städte haben werden. Das heißt aber für uns, dass wir in der Stadtentwicklungspolitik umsteuern müssen, um so möglichst viele Menschen in Bremen zu halten, und natürlich müssen wir den Kampf um neue Einwohnerinnen und Einwohner führen. Da bin ich mit dem Kollegen Böhrnsen völlig einer Meinung. Das wird ein Schwerpunkt der kommenden Jahre sein.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, die Städte der Zukunft, Bremen und Bremerhaven werden vor allem sehr viel weniger Kinder haben, aber sehr viel mehr ältere Menschen werden in ihnen leben. Unserer Auffassung nach ist es Aufgabe der Politik, sich frühzeitig auf diese Entwicklung einzustellen. Das bedeutet für uns, dass wir selbstverständlich dafür sor

gen müssen, dass die Menschen, die hier leben, ein Umfeld haben, in dem sie gern leben, dass Stadtteile wieder größere Bedeutung bekommen als bisher, dass sie aufgewertet werden, dass die Stabilität in den Stadtteilen gestärkt wird, dass wir neue Wohnangebote entsprechend der sich ändernden Wohnbevölkerung machen. Es ist ein Qualitätsmerkmal für Bremen, wenn es zukünftig dafür Sorge trägt, dass es angemessenen Wohnraum für die vielen älteren Menschen gibt, dass es Gesundheitsangebote gibt, dass wir Wohnraum so umbauen, dass alte Menschen auch gern hier alt werden können, ohne ihren Stadtteil zu verlassen. Das ist eine wesentliche Aufgabe, und auch wenn wir uns stark machen dafür, dass wir ein Wohnort sind, in dem gerade ältere Menschen gut leben können, dann haben wir auch die Chance, Menschen, die bisher im Umland wohnen, die alt werden, die sagen können, ja, Bremen, das ist ein guter Standort, um alt zu werden, vielleicht zum Rückzug in die Stadt zu gewinnen, meine Damen und Herren. Das ist der eine Punkt.

Der andere Punkt ist, dass die große Koalition bisher immer noch verstärkt auf ein Segment in der Wohnungsbaupolitik setzt, und das ist der Punkt, an dem ich mich vor allen Dingen dauernd mit der CDU streite. Es wird zukünftig nicht mehr darum gehen, großflächige Einfamilienhausgebiete auszuweisen. Wir bauen damit an dem zukünftigen Bedarf vorbei, meine Damen und Herren. Wer das nicht endlich einsieht, Kollege Pflugradt, der wird heute Häuser bauen, in denen in 20 Jahren niemand mehr wohnen wollen wird. Darauf müssen wir uns einstellen.