Herr Präsident, meine Damen und Herren! Aus der Antwort des Senats auf die Große Anfrage erfahren Sie, dass jährlich etwa acht bis zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler die Schule in Bremen ohne einen Abschluss verlassen. Wenn diese Zahl in Bremen im Vergleich zu anderen Bundesländern besonders hoch ist, ist dies umso erstaunlicher, als Bremen in den vergangenen Jahrzehnten immer auf einen sozialen Ausgleich gesetzt hat. Festzustellen ist, dass die soziale Streuung und der Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungsauftrag besonders groß sind, meine Damen und Herren.
Ich ziehe das Fazit daraus, dass Sie in Bremen, meine lieben Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, mit Ihrer Bildungspolitik gescheitert sind.
(Beifall bei der CDU – Abg. Frau H a m - m e r s t r ö m [SPD]: Das musste ja noch einmal gesagt werden!)
Ja, Frau Hammerström, das musste gesagt werden! Es ist umso erstaunlicher, dass dieses Ergebnis so schlecht ist, geben wir doch in Bremen nach Hamburg die zweitgrößte Summe für Schülerinnen und Schüler aus, und da sollte man eigentlich von besseren Ergebnissen ausgehen können.
Die große Koalition hat für die in der Großen Anfrage in Rede stehenden Schüler einiges getan. Ich erinnere an die zum ersten Mal durchgeführten Sprachstandserhebungen in den Kindergärten, denn um dieses Klientel geht es letztlich, wenn sie älter werden, und an die ersten Schritte zusätzlicher Förderung in der Hauptschule.
Meine Damen und Herren, trotz all dieser Anstrengungen habe ich manchmal den Eindruck, und da stehe ich nicht allein, dass noch zu wenig Bereitschaft besteht, etwas drastisch und nachhaltig zu verändern. Ich glaube, dass wir immer noch zu sehr an
Ich erinnere an die einige Jahre zurückliegenden TIMSS-Ergebnisse und die aufrüttelnden Worte des damaligen Bundespräsidenten. Meine Damen und Herren, vieles davon ist ganz schnell in Vergessenheit geraten. Die Pisa-Ergebnisse haben uns letztlich alle wieder aufgerüttelt.
Was wir brauchen, Herr Senator, ist ein konstruktives Konzept, eine konzeptionelle Neuorientierung für die Hauptschule mit entsprechender Förderung für schwache Schüler, ich will das ausdrücklich betonen: Diese Schüler, meine Damen und Herren, haben unser aller Interesse und Aufmerksamkeit verdient.
Dabei müssen Veränderungen, die damit einhergehen müssen, nicht immer mit größeren Geldausgaben verbunden sein. Aber wo es notwendig ist, wo Geld ausgegeben werden muss, wo zusätzlich etwas notwendig ist, das hat auch die große Koalition nach Pisa bewiesen, da haben wir auch diese Finanzmittel zur Verfügung gestellt.
Meine Damen und Herren, wir müssen auch nicht immer, wenn es um Strukturfragen geht, das gegliederte Schulwesen in Frage stellen. Wenn wir uns einig sind, dass sich die Orientierungsstufe nicht bewährt hat und abgeschafft gehört, was selbst Bürgermeister Dr. Scherf eingestanden hat – der war ja auch einmal Bildungssenator, der muss das nun auch ganz genau wissen –, werden wir die Probleme durch eine sechsjährige Grundschule, meine Damen und Herren, mit Sicherheit nicht beheben können,
einmal abgesehen davon, dass wir uns das finanziell auch gar nicht leisten können, weil wir zig Millionen Euro investieren müssten.
Eine stärkere Selektion führt nicht zu geringeren Gesamtleistungen, sondern, meine Damen und Herren, zu höheren. Schauen Sie in die übrigen Bundesländer!
Da wir von Niedersachsen umgeben sind, sollten die weiterführenden Schulen ab Klasse fünf beginnen. Die Hauptschule umfasste dann sechs Jahre, das bedeutet, man hätte viel mehr Zeit für die Hauptschüler und könnte bei entsprechender Förderung, und davon bin ich fest überzeugt, mit einem eigenständigen Hauptschulkonzept – Ansätze, Herr Senator,
gibt es durchaus in der vorliegenden Antwort, aber ich betone auch, es sind in einigen Bereichen eben nur Ansätze – wesentlich mehr Schüler zu einem Schulabschluss führen.
Es wäre völlig verfehlt, meine Damen und Herren, diese Bildungsmisere, die auch Bremen erfasst hat, durch andere Schulstrukturen in Richtung Gesamtschule beheben zu wollen. Es geht vielmehr darum, Kinder mit sozialen und kognitiven Defiziten so zu fördern, dass diese den Anschluss an den Klassenverband nicht verlieren beziehungsweise dieser Anschluss möglichst schnell wieder hergestellt werden kann.
Oh ja, sehr aufmerksam, da können wir gleich in der zweiten Runde noch einmal einsteigen, mache ich mit Freude! Förderprogramme, meine Damen und Herren, müssen möglichst frühzeitig ansetzen und nicht erst nach der Hauptschulzeit. Das ist zu spät, Herr Senator, zu teuer und wenig effizient für die Schüler. Diese haben sich dann schon frustriert durch die gesamte Schulzeit gequält. In der Antwort heißt es ja zu Recht, das unterstreiche ich, „Motivations- und Selbstwertverluste beginnen nicht erst nach der siebten Jahrgangsstufe“. Deshalb noch einmal mein Plädoyer, möglichst frühzeitig zu beginnen!
Bei frühzeitiger Hilfestellung könnten wir später die teuren nachschulischen oder außerschulischen Nachbesserungsangebote verringern – auch davon ist in der Antwort die Rede –, mit denen heute Ausbildungsbereitschaft und Ausbildungsfähigkeit von Jugendlichen erhöht beziehungsweise erst einmal hergestellt werden sollen. Defizite müssen möglichst schon im Kindergarten erkannt und aufgearbeitet werden. Wir müssen zu einer geregelten Kindergarten- und Vorschularbeit kommen mit bestimmten Standards, Herr Senator, das will ich deutlich sagen, ohne Schule vorwegzunehmen, die aber auf Schule hinführen und vorbereiten muss. In Finnland, und da schaue ich jetzt auch einmal über die Grenzen Bremens hinaus, gibt es zur Unterstützung dieser schulischen Arbeit die
eine Krankenschwester, speziell ausgebildet, das Berufsbild kennen wir hier gar nicht. Ich halte das für durchaus überlegenswert, meine Damen und Herren, und es gibt wesentlich mehr Schulpsychologen in Finnland im Vergleich zu der bremischen Situation. Meine Damen und Herren, Herr Senator, schaffen wir doch größere Haupt- und Realschulsysteme, sukzessive Ganztagsangebote! Ich bin fest davon überzeugt, dann könnten wir es uns auch leisten, diesen Personenkreis zusätzlich einzustellen, um zu einer besseren schulischen Qualität zu kommen. Gestern war die Rede davon, dass wir in einem Personalmix durchaus diesen Überlegungen näher treten wollen. Ich halte das auch für gerechtfertigt.
In Bremen gibt es für die Anteile von Schulsozialarbeit laut Antwort eine Klassenlehrerstunde in der Hauptschule. Herr Senator, das ist ein Anfang, aber ich finde, wir müssen mehr tun, und da halte ich den Ansatz in Finnland durchaus für überlegenswert, denn dort gibt es die Kuratorien. Dort ist für diese Belange diese Kuratorin zuständig, und ob der Schulassistent, von dem in der Antwort seitens der Behörde die Rede ist, diesen Spagat zwischen sozialpädagogischer und schulleistungsorientierter Förderung hinbekommt, Herr Senator, da habe ich so meine Zweifel. Diese Kuratorin in Finnland hat eine sozialpädagogische Ausbildung und ist für alle Arten von sozialen Konflikten zuständig, auch wenn diese außerhalb der Schule selbst liegen, zum Beispiel bei Schülern, die die Schule schwänzen. Auch um diese Schülerklientel geht es in dieser Anfrage.
Diese Fachkräfte, meine Damen und Herren, sind gerade für jene Schüler wichtig, die zu Hause das Maß an Zuwendung und seelischer Fürsorge nicht erhalten, die ein Kind nun einmal braucht, um ein gesundes Selbstwertgefühl und psychische Stabilität zu entwickeln. Sie sind aber die Grundlage von Lernprozessen. Lehrer in Finnland halten sich aus diesen sozialen Problemen völlig heraus, denn diese Lehrer sind in Finnland für diese Aufgaben nicht ausgebildet.
Diese sozialen und sozialpsychologischen Probleme aufzuarbeiten, ist die eine Seite, die mangelnden kognitiven Fähigkeiten sind die andere. Herr Senator, es darf nicht angehen, dass Fünftklässler, Sechstklässler oder Siebtklässler nicht in der Lage sind oder große Schwierigkeiten haben mit dem Lesen, Schreiben und Rechnen. Wir wissen auch von Fällen, in denen diese Grundfertigkeiten von Schülerinnen und Schülern überhaupt nicht beherrscht werden. Das entmutigt auch gerade diese Schülerklientel, um die es hier in dieser Großen Anfrage geht.
Wir haben in der großen Koalition zusätzlich Stunden für Deutsch und Mathematik zugewiesen. Herr Senator, das wird nicht ausreichen. Ich will ein Beispiel anführen, dass bei einer Änderung überhaupt kein Geld erforderlich ist, denn wir müssen zu einer verbesserten Vermittlung der Grundfertigkeiten kom
men, einer verbesserten, veränderten, modernen, eigenen Methodik in der Hauptschule. Ich glaube, da sind noch Versäumnisse zu beklagen, das muss in der Lehrerausbildung und -fortbildung wesentlich verstärkt werden. Hauptschule muss eine eigenständige Schulform mit einem eigenen Profil, mit einem eigenen praxisorientierten Lehrplan und besonderen Fördermöglichkeiten sein, um diesen jungen Menschen trotz aller Schwierigkeiten einen erfolgreichen Start in die Berufswelt zu ermöglichen.
Ich habe eine Bitte, Herr Senator, und meine Damen und Herren Bildungsdeputierte, reden Sie nicht in Verbindung mit der Hauptschule von einer Restschule und nicht bei einer bestimmten Schülerklientel von Risikoschülern! Ich finde, das ist der falsche Weg, denn diese Schüler müssen motiviert werden.
Es gibt in der Anfrage durchaus richtige Ansätze, diese Schüler zu fördern. Ich begrüße auch, und wir begrüßen, dass Sie sich an Baden-Württemberg und Hessen bei den Projektprüfungen orientieren wollen, dass der Wert des qualifizierten Hauptschulabschlusses verstärkt werden soll, dass den zentralen Abschlussprüfungen am Ende der Hauptschule ein klares Leistungsprofil zugrunde liegen muss. Da habe ich die herzliche Bitte, Herr Senator, dass Sie das dann aber auch einmal überprüfen! Es reicht nicht aus, dass das im Lehrplan schön formuliert ist, aber niemand in der Schule da ist, der das überprüft. Verschiedenartige Menschen, meine Damen und Herren, brauchen differenzierte Bildungsangebote, unterschiedliche Schulformen und Schulprofile, auch wenn das im Einzelfall einen weiteren Weg für den Schüler bedeuten sollte.
Herr Senator, wir müssen von der Beliebigkeit weg kommen! Hauptschule braucht eine Perspektive, braucht mehr Akzeptanz, braucht Motivation für Schüler, aber auch für Lehrer. Wir haben in der großen Koalition vieles angepackt und auf den Weg gebracht, aber es bleibt auch noch einiges, was wir anpacken müssen. Zusammengefasst: Meine Damen und Herren, viel getan, viel zu tun! – Ich bedanke mich!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Große Anfrage bezieht sich auf die Chancen abschlussgefährdeter Schüle––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
rinnen und Schüler, in diesem Fall speziell auf die Hauptschüler. Ausgeblendet bleiben dabei die Schüler der Realschulen und Gymnasien, die das Klassenziel nicht erreichen und deshalb dieselbe wiederholen oder gar die Durchlässigkeit nach unten erfahren. Auch auf diesen Ebenen geben die Ergebnisse Anlass zur Sorge, wird deutlich, dass die Zahl der Wiederholer auch in diesen Bereichen Maßnahmen, Veränderungen notwendig machen. Wir dürfen das keinesfalls aus dem Blick verlieren.
Die absolute Risikogruppe sind aber jene, die Gefahr laufen, nicht einmal den Hauptschulabschluss zu erreichen. Diese Schülerinnen und Schüler haben auch die denkbar schlechtesten Chancen, einen Ausbildungsplatz oder auch nur einen Arbeitsplatz zu bekommen. Die Gefahr, dass diese jungen Menschen auf Dauer verloren gehen, dass sie abgleiten ins gesellschaftliche Aus, ist erheblich.