Protokoll der Sitzung vom 10.05.2006

Frau Herfkens wird mit mir im Anschluss an unsere heutige Plenarsitzung auf dem Marktplatz eine Aktionswoche zu den Millenniumszielen der Vereinten Nationen eröffnen. „Acht Ziele. Acht Tore“ heißt die Kampagne, Sie sehen es auf dem Marktplatz bereits aufgestellt. Kurz vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft wollen Bremer Gruppen und Initiativen unter der Schirmherrschaft von Bürgermeister Böhrnsen darauf aufmerksam machen, dass man sich mit Armut, hungernden Kindern und extremer Ungerechtigkeit in der Welt nicht abfinden darf, sondern etwas dagegen tun muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie ganz herzlich ein, nach Ende unserer heutigen Landtagssitzung an dieser Eröffnung auf dem Markplatz um 18 Uhr teilzunehmen! Herzlichen Dank und noch einmal herzlich willkommen, Frau Herfkens!

(Beifall)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Stahmann.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kol––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

legen! Der Bildungssenator wird sich sicherlich auch gleich noch zu Wort melden. Ich will das hier auch nicht unnötig verlängern, doch bin ich von dem Feuer von Herrn Rohmeyer überrascht, das er hier zu später Stunde an den Tag gelegt hat. Das war ganz unerwartet, und es freut mich, dass ich noch solche Emotionen in Ihnen hervorrufen kann, Herr Rohmeyer!

(Heiterkeit und Beifall)

Aber gegen Herrn Muñoz haben Sie dann doch keine Chance, muss ich sagen!

(Heiterkeit)

Sehr geehrter Kollege Rohmeyer, Sie sollen nicht Anja Stahmann oder Bündnis 90/Die Grünen zuliebe eine integrierte Schule in Deutschland einführen, aber Sie sollten eines tun: Hören Sie doch einmal auf eine erfahrene Frau aus Ihrer Partei! Rita Süßmuth hat sich der Initiative „Längeres gemeinsames Lernen“ angeschlossen und ist eine der Botschafterinnen, die sich dafür einsetzt, nicht im Hauruckverfahren die Schulstruktur zu ändern, sondern behutsam den Beweis dafür zu erbringen, dass heterogene Lerngruppen bessere Lernergebnisse erzielen, als wenn Kinder nach der vierten Klasse in vermeintliche Begabungsschubladen sortiert werden. Ich finde, Herr Rohmeyer, das ist ein lesenswerter Artikel. Ich kann Ihnen den gern kopieren oder auch schenken, aber hören Sie doch einmal auf eine erfahrene Frau, und ich finde, Sie könnten eine ganze Menge in dieser Frage lernen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. P e r s c h a u [CDU]: Rita ist in vielen Dingen Vorreiter, in vielen aber auch nicht!)

Rita Süßmuth habe ich als Professorin an der Göttinger Universität gehabt. Ich fand sie am Anfang ganz fürchterlich und war von ihr nachher, nach den zahlreichen Vorlesungen, die ich dort besuchen konnte – –.

(Abg. P e r s c h a u [CDU]: Bei uns war es genau umgekehrt!)

Bei Ihnen war es genau umgekehrt, Herr Perschau? Das ist ein netter Zwischenruf, den wir auch im Protokoll wiederfinden werden!

Rita Süßmuth ist jedenfalls eine Person, die mit Überzeugung argumentieren kann, und ich fand es interessant, dass sie sich schon in den achtziger Jahren für Aids-Prävention eingesetzt hat. Das fand ich schon außergewöhnlich für eine CDU-Abgeordnete.

Herr Rohmeyer, ich wollte Ihnen noch sagen: Es gibt noch andere prominente Vertreter, die Grünen sind nicht allein, und Rita Süßmuth ist auch keine

Orchidee der Christlich Demokratischen Union, sondern auch der ehemalige Präses der Handwerkskammer in Hamburg, Herr Hogeforster, tritt für „Längeres gemeinsames Lernen“ und für ein integriertes Schulwesen ein. Oder der baden-württembergische Handwerkertag: Das sind Wirtschaftsunternehmen in Baden-Württemberg. Das ist doch ein Bundesland, auf das Sie sonst immer so sehr hören möchten! Diese Wirtschaftsunternehmen setzen sich für eine integrierte Schule ein, weil sie erkennen, dass ihnen der Nachwuchs für ihre Betriebe fehlt und dass sie kein Schulsystem akzeptieren können, das Jugendliche nicht zum Erfolg führt.

(Zuruf des Abg. R o h m e y e r [CDU])

Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, Herr Rohmeyer! Da können Sie rufen, wie Sie wollen. Ich kann Ihnen auch, frei nach Harry Potter, auf dieser Seite zehn Punkte für die CDU abziehen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das wird Ihnen trotzdem nichts helfen. Es mehren sich die überzeugten Unternehmen im Bereich Wirtschaft und Politik, die erkennen, dass das deutsche Bildungswesen mit seinem Latein am Ende ist und dass wir umsteuern und uns von dem ständischen Bildungswesen verabschieden müssen. „Ständisches Bildungswesen“ ist auch ein Zitat von Rita Süßmuth.

Herr Rohmeyer, noch einmal zu Ihrer Schwindelei hier, Pisa zwei hätte gezeigt, dass in Bremen alles besser wird! Es wird bei den Gymnasiasten besser, weil die Eltern Nachhilfe bezahlen, weil diese Schüler schon über die Fähigkeiten verfügen, Wissen schnell aufzunehmen, weil die Lehrer auch die Aufgaben üben, weil diese Kinder ohnehin leistungsbereit sind. Auch Sie als guter CDU-Bildungspolitiker wissen, dass die Hauptschulkinder eben nicht diese Lernzuwächse erzielt haben und dass die Scheren auch in Bremen weiter auseinander gegangen sind. Auch das ist ein Ergebnis von Pisa 2003.

(Abg. R o h m e y e r [CDU]: Was habe ich gesagt?)

Sie haben gesagt, es ist besser geworden in Bremen. Teilwahrheit, Herr Rohmeyer! Ich bitte hier aber doch, die ganze Wahrheit vorzutragen! Immer noch machen weniger Kinder aus Migrantenfamilien in Bremen Abitur. Frau Hövelmann hat den Bericht der Arbeitnehmerkammer zitiert. Der Senat hat sich ja geweigert, einen Armuts- und Reichtumsbericht für das Land Bremen aufzulegen. Was ist das eigentlich für ein Armutszeugnis, dass die Arbeitnehmerkammer das macht, aber es ist doch ein Armutszeugnis für den Senat, dass Stellen, die nicht zur Regierung gehören, so einen wichtigen Bericht auf den Tisch

legen und sagen: So ist es um unsere Gesellschaft in Bremen bestellt, so ist es um die Bildung von Kindern im Land Bremen bestellt!

Hier produzieren wir über 30 Prozent von Schülerinnen und Schülern, die keine Aussicht auf einen Job haben, und das wird dem Bundesland Bremen den Hals brechen. Da können Sie noch so oft reden, dass unser Bundesland selbständig bleiben soll. Wenn Sie nicht die Menschen für einen Ausbildungsplatz oder für einen Arbeitsplatz qualifizieren, dann werden Sie hier nichts mehr bestellen können, Herr Perschau, dann können Sie die Fahne einrollen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Senator Lemke.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Professor Muñoz war in Deutschland. Ich habe auch nachgerechnet. Er spricht zwar von einem zehntägigen Besuch, er war aber nur an fünf Tagen in deutschen Schulen. Er war unser Gast, und wir haben ihm alle Wünsche, die er gehabt hat, erfüllt. Er hat das auch in seiner Pressekonferenz am 21. Februar 2006 ausdrücklich gewürdigt. Keine Tür wurde ihm zugeschlagen. Er hat auch zum Teil die begleitenden Personen aus den Behörden aus den Räumen gewiesen, damit er ganz direkt mit den Schülerinnen und Schülern und der einzelnen Lehrkraft, die er sprechen wollte, unter vier Augen beziehungsweise im Klassenverband reden konnte. Wir haben ihm die Möglichkeit gegeben, sich in diesen wenigen fünf Tagen das anzuschauen, was er sich gewünscht hatte und was ihm auch vorgeschlagen worden ist.

Meine Damen und Herren, in aller Hochachtung vor einem hoch qualifizierten Professor aus Costa Rica will ich zunächst abwarten, wie sein Bericht aussieht, den er uns nach monatelanger Bearbeitung 2007 präsentieren wird, bevor ich inhaltlich detailliert darauf eingehen möchte. Ich halte es auch wirklich für klug, jetzt nicht aus dem Bauch heraus irgendetwas aufgrund seiner Presseerklärung zu interpretieren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Dennoch, meine Damen und Herren, möchte ich zum dem hier Geäußerten und auch zu den Empfehlungen von Herrn Muñoz noch einiges sagen. Ich finde, es ist völlig in Ordnung und korrekt, wenn er – auch nach einem relativ kurzen Besuch in Deutschland – feststellt: Das mit der sozialen Kopplung in eurem Land ist nicht in Ordnung, das geht nicht an. Ich empfinde das auch, und das wissen Sie alle, meine Damen und Herren, als einen unglaublichen Skandal, dass wir es in unserem Land immer noch nicht schaffen, diese verfluchte soziale Kopplung zwischen Elternhaus und Bildungschancen der Familien bei

gleicher kognitiver Voraussetzung nicht in den Griff zu bekommen. Ich sage das in aller Deutlichkeit. Dazu brauche ich auch Herrn Muñoz nicht. Das wussten wir vorher und haben das hier in diesem Haus auch mehrfach genauso klar und deutlich debattiert.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich möchte auf zwei Empfehlungen von Herrn Muñoz eingehen. Erstens sagt er, ich darf das aus seiner Pressekonferenz zitieren: „Die zweite wäre, die Gebührenfreiheit in der vorschulischen Bildung einzuführen.“ Das ist seine zweite Empfehlung aus dem Protokoll der Bundespressekonferenz.

Jawohl, meine Damen und Herren, ich finde das auch richtig und zielführend und vernünftig, wenn wir nicht die Schranke der Gebühren davor haben, dass wir den Eltern sagen können, ihre Kinder sind willkommen, und gerade die Kinder, die wir haben wollen und heute eben zum großen Teil nicht in den Kindergärten haben, so dass wir sagen können, kommt so früh wie möglich – Herr Wedler, das ist die Anfrage von heute Morgen –, dass wir die Frühförderung machen, dass wir Defizite so früh wie möglich feststellen, die Kinder entsprechend fördern, bevor sie in die Schulen kommen, aber dann muss natürlich auch logischerweise dafür das Geld zur Verfügung stehen.

Ich kann nur sagen: An der Stelle, sehr geehrter Professor Muñoz, teile ich Ihre Auffassung. Es wäre wunderbar, wenn wir das Geld hätten, nur haben wir es leider nicht, dass wir das entsprechend umsetzen können. Ich finde diese Forderung und diese Empfehlung von Herrn Muñoz korrekt und in Ordnung.

(Beifall bei der SPD)

Ein weiterer Punkt, der allerdings eher eine Selbstverständlichkeit ist, war eine Empfehlung von Professor Muñoz, die Menschenrechte in die schulischen Lehrpläne und die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer aufzunehmen. Das gehört zum Tagesalltag bei uns. Die Frage der Menschenrechte an unseren Schulen wird nicht ausgeblendet. Das ist in die Ausbildung der Lehrkräfte und in Stundenpläne der Schule implementiert.

Bei der dritten Empfehlung habe ich eine andere Auffassung. Da, glaube ich, lieber Professor Muñoz, müssten wir das sehr viel differenzierter betrachten. Nach fünf Tagen Schulbesuch zu sagen, ihr müsst dringend und sofort die Dreigliedrigkeit abschaffen, ist nicht zielführend. Ich habe nach sechseinhalb Jahren immer noch den Traum und die Vision von Finnland, gar keine Frage! Das ist ein Schulsystem, mit dem ich mich voll identifizieren kann, mit der Anerkennung der Lehrerinnen und Lehrer in der Gesellschaft, mit dem hohen Engagement, mit dem Lehrerinnen und Lehrer dort unterstützt werden, mit

der Schulausbildung, die im Elementarbereich übrigens beginnt. Die Schülerinnen und Schüler werden ja ein Jahr später eingeschult, haben vorher aber eine verpflichtende kostenlose Elementarbildung, wunderbar, genau das, was Muñoz hier vorschlägt, und dann die gemeinsame neunjährige Beschulung.

Wir haben aber ein völlig anderes System. In Finnland ist das auf einen Schlag – übrigens gegen großen Widerstand damals – durchgesetzt worden, und heute sind alle glücklich und zufrieden. Es ist aber zentral gemacht worden. Es ist nicht in föderalen Diskussionen und im Streit entschieden worden. Hier muss ich Herrn Muñoz sagen, wir haben ein föderales System, und hier geht das nur, wenn wir sagen, das ist gut für das Land, und das machen wir gemeinsam im Schulterschluss mit Bund und Ländern.

Nur geht die Föderalismusdiskussion, die wir im Augenblick führen, in eine völlig andere Richtung. Wir sind als einzelne Bundesländer in vollem Umfang für die Lehre an unseren Schulen zuständig. Wie soll es gehen, wenn wir rein theoretisch nächstes Jahr beschließen, jawohl, neue Wahl, und jetzt sagen wir sofort Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems? Was meinen Sie, was dann an unseren Schulen los ist?

Lieber Professor Muñoz, Sie müssen sich das noch einmal genau überlegen, inwieweit das passt! Ihre Beobachtung, die ich teile – ich habe es eben mit meinen Träumen und Visionen von einem finnischen Schulsystem hier in Bremen beschrieben –, kann ich nur leider unter den gegebenen Umständen nicht verwirklichen. Daran müssen wir arbeiten und zusehen, wie wir das gemeinsam auch mit den benachbarten Bundesländern hinbekommen.

Uns das aber vor die Füße zu werfen, eine Empfehlung, weg mit dem dreigliedrigen Schulsystem, ist aus meiner Sicht im Augenblick nicht hilfreich, denn, liebe Kalte Kriegerin – das sind Sie für mich nicht, sondern eine kritische Mitstreiterin, so erlebe ich Sie jedenfalls, Frau Stahmann –, wir sollten nicht etwa gegeneinander, sondern miteinander im Interesse der Kinder daran weiterarbeiten, das kleinschrittig und mit unendlich viel Geduld fortzusetzen: Spracherhebungen im Elementarbereich, Leseintensivkurse, alle Lesemaßnahmen, die wir in der Grundschule machen, die Vergleichsarbeiten nach Klasse vier, die wir eingeführt haben und die dazu geführt haben, dass wir jetzt schon bei Vera im Mittelfeld sind und nicht mehr Letzter in diesem Ländervergleich. Das ist doch positiv, das muss doch auch die Opposition, Frau Stahmann, zur Kenntnis nehmen und sagen: Jawohl, da seid ihr auf dem richtigen Weg!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Dann ein wichtiger Punkt neben der frühen Förderung: die Ganztagsschule! Die Ganztagsschule ist

ohne Wenn und Aber ein ganz wichtiges Projekt, um die von Herrn Muñoz hier angesprochenen Defizite der sozialen Kopplung in den Griff zu bekommen. Die Fördermaßnahmen stehen seit gestern und vorgestern so in der Kritik, als hätten wir unsere Ganztagsmittel nur für Zäune und Mauern ausgegeben. Wir waren sehr schnell. Bevor die anderen überhaupt geschaltet hatten, hatten wir schon die ersten Mensen, Küchen und Betreuungsräume in Planung beziehungsweise fertig gestellt und eingeweiht. Ich bedauere sehr, dass das Geld vom Bund uns in Zukunft nicht mehr zur Verfügung steht,

(Beifall bei der SPD)

denn wir brauchen den Ausbau von Ganztagsschulen in unserem Land, und da ist die große Koalition ganz klar der Meinung, dass wir das Programm, auch wenn es eng und schwierig ist aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen, fortsetzen. Für Bremerhaven und Bremen brauchen wir mehr Ganztagsschulen, als wir sie heute haben.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)