Protokoll der Sitzung vom 02.11.2006

Die Grünen werden Bürgermeister Böhrnsen, um das hier ganz klarzumachen, kein persönliches Versagen ankreiden. Dafür gibt es bisher keinerlei Hinweise. Politisch verantwortlich sind Sie aber für den Zustand einer Regierung, in der über viele Dinge nicht

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so offen gesprochen wurde, wie es nötig wäre, und die sich in der Hoffnung, dass man sich nach außen immer gut darstellt, an vielen Punkten in den Ausschüssen und gegenüber der Öffentlichkeit verbarrikadiert hat. Grüne vor so einem Hintergrund nun ausgerechnet, um beim eigenen Parteivolk Eindruck zu schinden, neoliberal zu nennen, ist auch ein sonderbarer Stil. Herr Bürgermeister Böhrnsen, Angst ist kein guter Ratgeber!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Staatsrat Mäurer legt auf Betreiben des Bürgermeisters einen guten Bericht über die Geschehnisse um Kevin vor. Er wertet die Akten, die ihm zugänglich gemacht wurden, aus unserer Sicht zutreffend aus. Dieser Bericht ist eine gute Grundlage für den Untersuchungsausschuss. Letztendliche Bewertungen, finde ich aber, sollten vom Parlament vorgenommen werden, und das werden wir hier auch tun. Diese Verantwortung werden wir annehmen. Ich glaube, dass Herr Mäurer einige Dinge richtig sieht. Ich glaube aber, dass man darauf noch einmal einen anderen Fokus legen muss. Die Einschätzung, dass Finanzprobleme keine Rolle gespielt haben – dazu werde ich mich auch gleich noch äußern –, teile ich ausdrücklich nicht.

Wer die Akte von Kevin liest, die sogenannte Fallakte, der liest – ich will das für die Öffentlichkeit hier gern kurz darstellen –, dass Kevin zu früh geboren wird, süchtig als Kind drogenabhängiger Eltern. Er liegt lange auf der Intensivstation. Die Eltern sind süchtig und überfordert, die Mutter kann das Kind nicht richtig halten, sie ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt und kann das Kind nicht richtig versorgen. Der Vater, bekannt als gewalttätig, erhält im Krankenhaus, genau in der Zeit, in der sein Kind geboren wurde, Hausverbot. Das Krankenhaus äußert sich vor der Entlassung von Kevin ganz klar. Es sagt nämlich, da ging es also um Kevin: „Von kinderärztlicher Seite bestehen deutliche Bedenken in der Versorgung des Kindes durch die Mutter.“

Die Familienhebamme, die sich um die Familie gekümmert hat, war übrigens jemand, von dem man denkt, dass sie ihre Arbeit gut gemacht hat und auch mit einem engagierten Verständnis darangegangen ist. Sie wird von der Familie abgelehnt, weil man die damit verbundene zu enge Kontrolle nicht wollte. Da kommt es dann zu den ersten Mysterien, bei denen man anfängt, den Kopf zu schütteln über das, was in Bremen passieren kann. Da gibt es nämlich eine parteiliche Drogensozialarbeiterin, die ganz deutlich sagt: Nein, Familienhebamme wollen wir nicht. Wir betreuen die Mutter schon. Die Mutter fühlt sich durch Kontrolle bedroht, und die Familienhebamme wird abgelehnt.

Obwohl klar war, dass Kevin nur aus dem Krankenhaus in das Elternhaus entlassen werden kann, wenn ein engmaschiges Hilfe- und Kontrollsystem

besteht, ist es letztendlich dazu gekommen, dass diejenigen, die die Eltern während ihrer Drogensucht unterstützt haben, sich einseitig parteilich zugunsten der Eltern dahingehend geäußert haben, dass die Eltern dabei unterstützt wurden, sich der Kontrollen und Hilfen, bei denen es sich um Kevin dreht, zu entziehen. Das ist ein Vorgang, der aufgeklärt werden muss und wo wir auch dringend etwas ändern müssen, wenn sich herausstellt, dass es sich dabei nicht nur um einen Einzelfall handelt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Danach liest man Vermerke über Telefonate, in denen eine Familie sagt, es ist alles in Ordnung. Bedenken im Sozialamt und eine Kontrolle darüber, wie es Kevin eigentlich wirklich geht, gibt es erst ein Dreivierteljahr später, nämlich im August des Jahres 2004, übrigens angeregt durch einen Polizeibericht, der ganz ungeschminkt und klar sagt: Es gibt Verdacht auf Kindesmisshandlung. Das war im August 2004. Da war Kevin ein Dreivierteljahr alt.

Der Hausbesuch des Amts für Soziale Dienste findet dann im Oktober statt. Da wird Kevin zu Hause nicht angetroffen, denn er liegt auf Betreiben des Kinderarztes in der Professor-Hess-Kinderklinik. Dort kommt man zu dem Ergebnis, das möchte ich hier gern vortragen, Zitat aus dem Arztbericht: „Multiple traumatische Frakturen, Kindesmisshandlung, Entwicklungsstörung“. Dann kann ich es Ihnen nicht ersparen zu sagen, was man dort genau gefunden hat, nämlich den Bruch des Unterschenkels, den Bruch des Unterarms, beider Unterarmknochen, mehrere Schädel- und zwei Rippenbrüche.

Meine Damen und Herren, wenn Ihnen jemand so etwas angetan hätte, was würde dann passieren? Was wäre die Normalität? Die Normalität wäre, dass man Strafanzeige erstatten würde, und derjenige würde ins Gefängnis kommen. Kann es denn sein, dass wir in einem Land leben, wo offenkundig, amtskundig, gerichtskundig und ärztekundig jemandem so etwas angetan wird, dass dort keine Strafanzeige erstattet wird? Leben wir in einem Land, wo sich im Ämterdenken festgesetzt hat, dass das nicht normales Verhalten, nämlich eine Strafanzeige und die Verhaftung derjenigen nach sich zieht, die das getan haben? Haben Sie das gewusst? Haben Sie das für möglich gehalten? Ich glaube das nicht! Die Kinder sind doch besonders schützenswert.

Wenn jemand einem Kind so etwas antut – das sind doch nicht nur, wie die Klinik schreibt, Kindesmisshandlungen –, dann ist doch da klar gewesen, dass es nicht nur von der Wickelkommode gefallen ist. Wie kann es sein, dass das Normalste von der Welt, was in jedem Rechtsstaat passiert, wenn jemand so an Leib und Leben beschädigt wird, nicht dazu geführt hat, dass ein normales Ermittlungsverfahren, ein normales Strafverfahren eingeleitet wird? Das kann doch nur sein, dass es dort ein Denken gibt, dass man glaubt,

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dass Kinder weniger Rechte haben als wir Erwachsenen. Das werden wir ganz, ganz schnell ändern müssen!

(Beifall)

Kevin kommt zurück zu den Eltern, kurz danach in das Hermann Hildebrand Haus, kurz danach zurück zur Familie. Im Hermann Hildebrand Haus hat man gefunden, dass er entwicklungsverzögert und vernachlässigt ist. Dort findet man eigentlich in der Akte den einzigen konsequenten Versuch – wenn man schon meint, man will Kevin unbedingt in der Familie halten –, wirklich auch mit einer ganz engmaschigen Betreuung sicherzustellen, dass jeden Tag jemand in die Familie kommt und die Familie betreut, sechs Wochen Intensivbetreuung. Aus der Akte geht hervor, dass danach die Familie stabilisiert verlassen wurde. Ich melde da ein Fragezeichen an!

Es ist aber auf jeden Fall das erste Mal in der Geschichte dieser Familie eine Zeit gewesen, in der das, was man sich vorgenommen hatte, als man gesagt hatte, man lässt Kevin bei den Eltern, da nämlich ganz genau zu schauen und der Familie alle Unterstützungen zu geben, die sie braucht, endlich eingelöst wurde. Einmalig! Kevin ging es danach wohl besser. Die Familie war stabilisiert. Dann gingen das alte Hinhalten, Aktenvermerke über beschwichtigende Telefonate und ein großer, betriebsamer Papierverkehr weiter.

Das Jahr 2005 ist bis zum November von Bemühungen des Amtes gekennzeichnet. Es ist nicht so, dass dort jemand faul oder einfach weg war, sondern es gibt ein ständiges Bearbeiten der Akte mit den Bemühungen, zu den Eltern Kontakt zu halten, die sich dem allerdings mit verschiedenen Ausflüchten, die allerdings meiner Meinung nach von einem professionell agierenden Sachbearbeiter auch durchschaut werden müssten, entzogen.

Die Mutter von Kevin stirbt im November 2005. Der Vater kommt in die Psychiatrie, Kevin kommt in das Hermann Hildebrand Haus, und vielleicht war es eine der letzten Gelegenheiten, sein Leben zu retten. Bei einer Fallkonferenz im Sozialamt findet eine Mehrheitsentscheidung statt, das Kind aus dem Hermann Hildebrand Haus zurück zum Vater zu geben. Auch die Amtsvormünderin hat sich mit der Äußerung dafür eingesetzt, dass es da um die Stabilisierung des Vaters geht, wie man überhaupt in vielen Stellungnahmen einen Fokus darauf legt, was eigentlich mit dem Vater passiert: Er hat seine Frau verloren, und wenn man ihm jetzt auch noch das Kind wegnehme, sei es das K. o. für den Vater.

Man findet in der Jugendamtakte, in der es ja um Kevin ging, kein Bild von Kevin, keine Auseinandersetzung darüber, ob er Zähne hatte, ob er sitzen konnte, ob er lachen konnte, nichts! Es geht um drogenabhängige Eltern, wobei übrigens schon von Anfang an völlig offensichtlich ist, dass sie erheblichen Bei

gebrauch hatten. Das ist damals auch, als das Kind nach der Geburt entlassen wurde, als Bedingung ausgeschlossen worden, dass sie Beigebrauch haben.

Vom Januar 2006 bis Oktober dieses Jahres gibt es viele Kontaktversuche. Der Vater nimmt permanent die Termine nicht wahr. Was passiert? Er bekommt einen neuen. Er erzählt mehrfach, dass er zur Mutter ziehen will, erzählt wilde Geschichten von irgendwelchen kranken Vätern. Nichts davon, das sage ich Ihnen, wird sich letztendlich als wahr erweisen.

Dieser Mann, Vater von Kevin, hat Institutionen erfahren, Gefängnis erfahren, die Sachbearbeiter in einer Art und Weise an der Nase herumgeführt, was ein ganz schlechtes Licht auf die Professionalität in diesem Amt wirft. Das muss zur professionellen Arbeit dazugehören, dass man weiß, dass es Menschen gibt, die so abgebrüht sind, dass sie wissen, was man Sozialarbeitern erzählen muss, damit sie das machen, was man will. Man muss auch für seine eigene Kontrolle ein System leben, dass das, was Wolfgang Klarmann gestern zu Recht in „Phoenix“ gesagt hat, nämlich die Beziehungsarbeit mit den Familien, letztendlich auch in Grenzensetzen und Konsequenzenziehen besteht.

(Beifall)

Am 10. Oktober wird Kevin tot in der Wohnung des Vaters gefunden. Das andere wissen Sie aus der Zeitung. Über die Reaktionen in der Öffentlichkeit habe ich schon gesprochen.

Wenn ich jetzt noch einmal einen persönlichen Eindruck darüber wagen darf, wie es einem geht, wenn man die Akte liest: Ich bin selbst Mutter von zwei Kindern, und man kann sich ganz schwer dagegen wehren, dass es anfängt, einen in einer gewissen Art und Weise gefangen zu nehmen, die vielleicht auch nicht immer gut ist. Es ist richtig, sich dem emotional hinzugeben, wir brauchen aber auch, damit wir zu Ergebnissen kommen, eine Distanz dazu.

Ich kann aber sagen, dass je mehr man in dieser Akte liest, desto mehr sich das Gefühl in einem breit macht, jetzt ist es aber gut. Wenn man die nächste Seite liest, dann sagt man, jetzt ist aber gut, jetzt müssen sie aber endlich. Auf der nächsten Seite wieder. Man bekommt in einer qualvollen Art und Weise vorgeführt, wie immer wieder neu dem Vater von Kevin – nicht dem Kind, um das Kind geht es nicht – Bedingungen gesetzt wurden, die er nicht eingehalten hat. Es ist immer noch nicht klar, was es letztendlich bei dem zuständigen Sachbearbeiter gewesen ist, dass er so blind davor gewesen ist, dass er an der Nase herumgeführt wurde und diese ständigen Verzögerungsstrategien des Vaters letztendlich das Kind gefährden.

Kevin gibt es als Menschen in der Akte so gut wie nicht. Es gibt die Eltern mit ihren Problemen, die

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sicherlich auch Hilfe brauchten. Da ging es aber um das Jugendamt, da ging es um Kevin, und es gehört auch zu den aufklärungsbedürftigen Sachverhalten, wie es eigentlich sein kann, dass trotz eindeutiger Rechtslage die Angelegenheiten der Eltern in diesem Jugendhilfeverfahren ein so ungutes Übergewicht bekommen.

Ich möchte hier gern, ohne dem Ausschuss vorzugreifen, ein paar Feststellungen für die Grünen treffen. Das eine ist, uns ist es ganz wichtig zu sagen, es haben nicht alle weggesehen. Es ist wichtig, auf dem Guten, was man da gefunden hat, auf den engagierten Menschen aufzubauen, die das gesehen haben, dass es furchtbar enden kann. Da will ich als Erste die Familienhebamme erwähnen. Sie hat sich sehr engagiert um dieses Kind gekümmert und hat auch darum gekämpft, dass Kevin eine Chance hat. Den Kinderarzt will ich nennen, er hat Berichte abgegeben, in denen er gesagt hat, es geht nicht so.

Die Bewährungshelferin der Mutter von Kevin, das empfand ich eigentlich noch als eines der wirklich positiven Dinge, hat relativ früh in einem Bewährungshilfebericht, den sie abgegeben hat, Folgendes gesagt: „Ich finde ein hochgradig süchtiges Paar, das versucht, ein normales Leben zu spielen. Sehr übertreibend spielt der Freund die Rolle eines fürsorglichen und liebenden Mannes. Nach meiner Einschätzung ist das vierzehnmonatige Kind in seiner Entwicklung um zirka sechs Monate zurück.“ Diese Frau, bestimmt eine erfahrene Sozialarbeiterin, hat mit zwei Sätzen zusammengefasst, was da eigentlich los war.

Nirgendwo gibt es da Alarmglocken im Amt für Soziale Dienste. Ich will auch als positives Beispiel das Hermann Hildebrand Haus nennen. Da hat sich jemand über das Maß hinaus, was normalerweise erwartet wird, engagiert an den Bürgermeister gewandt. Ich will auch das Familiengericht erwähnen. Da hat es auch Menschen gegeben, die gesehen haben, dass etwas schiefläuft, und im Rahmen ihrer Möglichkeiten versucht haben, etwas zu ändern.

Wir werden auf dem Positiven, was es da gab, aufbauen, um nicht alles schlechtzumachen, aber auch um anderen Mut zu machen, solche Beispiele nachzuahmen.

(Beifall)

Es geht auch nicht, das Jugendamt, das Sozialamt insgesamt in Misskredit zu bringen, das muss man auch sagen. Es gibt viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort gute Arbeit machen. Ich glaube, dass wir viel mehr mit ihnen reden müssen, ihre Erfahrungen ernst nehmen müssen. Die Umorganisation der Sozialämter in den letzten Jahren hat uns, glaube ich, als Politik insgesamt letztendlich das Gespür und den Kontakt zu den Menschen verlieren lassen, von denen viele auch sehr gut vor Ort arbeiten. Da ist der Untersuchungsausschuss eine Chance, sich das einmal anzuhören, was Menschen in der praktischen

Arbeit erleben. Die Strukturen, die wir schaffen, sollen für sie gute Bedingungen schaffen und nicht von oben herunter letztendlich deren Arbeit behindern.

Der Untersuchungsausschuss wird die Frage aufklären: Wie war eigentlich die Kontrolle der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter im Amt für Soziale Dienste? Man findet in der Kevin-Akte jemanden, der nicht unengagiert ist, das kann man nicht sagen, aber jemanden, der festgelegt ist, der überfordert war mit einem gewalttätigen und gewaltbereiten und sehr institutionenerfahrenen Vater.

Man findet auch jemanden, der nicht die Wahrheit sagt. Wir wissen, dass der Bericht, der vom Amt für Soziale Dienste dann auf Bitten von Karin Röpke, auf Bitten von Jens Böhrnsen angefertigt und der Amtsleitung vorgelegt worden ist, und dann eben auch weitere Berichte. Wir kennen diese Berichte, und sie spiegeln in vielen Teilen gar nicht die Aktenlage wider. Man hat es dort wohl mit einem Sachbearbeiter zu tun, der, um seine eigene Entscheidung, nämlich, Kevin bleibt in der Familie, nach oben hin abzusichern, zumindest Dinge weggelassen hat, die in die Berichte gehört hätten, und die Sache so dargestellt hat, als sei eine regelmäßige Hilfe und Unterstützung für Kevin in der Familie. Das war aber nicht so! So findet man überhaupt in der Akte ständig alle möglichen Vorhaben, Frühe Hilfen und Familienhilfen und was noch immer. Das Amt hat sehr viele Angebote gemacht. Dann wurde immer gesagt, ja, der Vater will es annehmen. Es ist aber nie passiert. Diese Pläne des Vaters sind Teil der Berichte an die Amtsleitung geworden. Auf die Art und Weise wurde es zur Aktenwirklichkeit, dass Kevin unterstützt wird, während in der anderen, der tatsächlichen Wirklichkeit er seinem Vater völlig hilflos ausgeliefert war.

Wir müssen, das regt Herr Mäurer auch an, über die Frage, welche Arbeitsbedingungen eigentlich Amtsvormünder in Bremen vorfinden, sprechen. 200 Kinder pro Mitarbeiter sind zu viel, das ist, glaube ich, allen einsichtig. Da werden wir etwas ändern müssen. Ich persönlich habe auch großes Interesse daran – einige von Ihnen werden es wissen, dass ich über viele Jahre hinweg im Bereich Drogenpolitik war, das war ein wichtiger Politikbereich für mich, mir da auch ein bisschen Kompetenz erworben und in diesem Bereich gearbeitet habe –, dass wir miteinander ins Gespräch kommen über die Rolle, die die Drogenhilfe in Bremen eingenommen hat.

Ich möchte da ganz kurz einmal ein bisschen ausholen. Vor ungefähr 15 Jahren gab es große Auseinandersetzungen in Bremen über die Frage: Darf man an Drogenabhängige eigentlich Methadon geben? Das ist mühsam erkämpft worden, dass der alte Verelendungsansatz, es muss ihnen so schlecht gehen, bis sie bereit sind, clean zu werden – den halte ich nach wie vor für inhuman –, zugunsten eines Ansatzes abgeschafft wurde, der Hilfen in der Sucht. Heute haben wir einen Zustand, bei dem man sagen kann, Methadon wird als eine Droge neben anderen zusätz

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lich gegeben. Es findet keine ausreichende Kontrolle und Unterstützung statt.

Wir haben auf die Art und Weise einen Zustand erzeugt, den die damaligen Gegner der Methadonvergabe immer an die Wand gemalt haben, nämlich ohne weitere unterstützende, soziale Hilfen gibt man Methadon aus. Letztendlich wird die Drogensozialarbeit in eine Kumpanei mit den Drogenabhängigen kommen. Wir setzen keine Grenzen mehr. Ich muss auch an meine Adresse sagen, ich bin nach wie vor dafür, Methadon zu geben, aber nicht so! Das geht einfach nicht!

(Beifall)

Wir müssen auch reden, das wird schwerfallen, über das Klima im Amt. Die Grünen werden Zeugen benennen, die sagen werden, was dort für eine Arbeitsatmosphäre herrschte. Es wurde massiv Druck auf Mitarbeiter ausgeübt, das ist auch bekannt, auf missliebige Mitarbeiter, auf Mitarbeiter, die ihr Budget nicht eingehalten haben. Es herrschte aus meiner Sicht ein sehr unmoderner, autoritärer und eben nicht fehlerfreundlicher Führungsstil.

Wenn ich will, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeit erstens gern machen und zweitens ein Gefühl für ihre eigenen Schwächen bekommen, dann muss ich in einem Amt ein Klima herstellen, wo es belohnt wird, Probleme zu benennen. In diesem Amt für Soziale Dienste herrschte ein Klima, dass es ausschließlich erlaubt war, nach oben Vollzug zu melden. Das ist aus meiner Sicht das größte Problem dieses Amtes für Soziale Dienste, wohin es sich in den letzten Jahren, assistiert durch Roland Berger, aber natürlich auch eine Politik, die sich arg auf Erfolgsmeldungen fixiert hat, entwickelt hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Grünen bleiben bei ihrer Einschätzung, dass auch Kostenüberlegungen eine Rolle gespielt haben. Ich gebe Herrn Mäurer recht, dass sich in der Akte von Kevin kein Hinweis darauf findet, in dem gesagt wurde, Inobhutnahme dürfen wir nicht, wir haben kein Geld mehr. Das ist richtig, es findet sich nicht. Es hat also keine direkten Kostenüberlegungen gegeben. Trotzdem, und auch das wird der Untersuchungsausschuss untersuchen und aus unserer Sicht auch herausfinden, hat der Druck, der auf dem Amt herrschte, nämlich möglichst die vorgegebenen Budgets einzuhalten, letztendlich natürlich die Kontrollen, wenn ein Kind nicht in Obhut genommen wurde, behindert und hat ein Klima geschaffen, bei dem Kostenüberlegungen eine aus unserer Sicht ungesetzliche, viel zu große Bedeutung hatten.