Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

(Beifall)

In diesem Sinne freue ich mich, heute an dieser Debatte auch teilnehmen zu können. Ich will nicht einstimmen in der Form – das könnte man jetzt ohne Frage auch tun –, dass ich würdige, welchen Beitrag nun gerade die liberalen Frauen zu diesem wichtigen historischen Ereignis beigetragen haben, ich belasse es einmal bei einem Satz. Ich glaube, ohne die vielen bürgerlichen und liberalen Frauen in der Frauenbewegung wäre auch das Frauenwahlrecht nicht zu diesem Zeitpunkt erreicht worden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielmehr möchte ich mich heute für meine Fraktion an alle engagierten Frauen richten und insbesondere denjenigen Frauen, die damals im Jahr 1919 am Ausruf des Rates der Volksbeauftragten mitgewirkt haben – es ist bereits angesprochen worden –, hier herzlich danken und allen Frauen danken, die sich heute engagiert in der Frauenbewegung einbringen.

(Beifall bei der FDP und bei der LINKEN)

Das hart erkämpfte Staatsbürgerrecht, das Frauenwahlrecht, ist heute mittlerweile zu einer Selbstverständlichkeit in unserer Gesellschaft geworden, das ist gut so. Zur Demokratie, so wie wir sie leben und verstehen, gehört das Frauenwahlrecht als grundlegendes Bürgerrecht. Das Frauenwahlrecht wurde, es ist bereits erwähnt worden, am 19. Januar 1919 bei den Reichstagswahlen zum ersten Mal ausgeübt. 82 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben im Jahr 1919 ihre Stimme ab, und ich glaube, das ist damals eine enorme Wahlbeteiligung bei den Frauen gewesen und sollte für uns heute auch Anspruch und Maßstab sein, für Wahlbeteiligung unter beiden Geschlechtern zu werben.

Heute haben wir eine Frau als Bundeskanzlerin. Die Frauenquote im Deutschen Bundestag beträgt gut 32 Prozent, hier in der Bürgerschaft sind es über 38 Prozent. Die Frauenbeauftragte des Landes lobt ausdrücklich – das ist heute auch in den Medien zu lesen –, dass viele Frauen in verantwortungsvollen Aufgaben ihren Dienst tun. Dies ist auch an dieser Stelle ausdrücklich zu würdigen.

(Beifall bei der FDP)

Die Frage aber, die sich in diesem Zusammenhang doch stellt und die hier auch schon mehrfach angesprochen worden ist, ist: Welche Schlussfolgerungen ziehen wir denn aus den Erfahrungen mit 90 Jahren Wahlrecht der Frauen? Brauchen wir eine Quote, meine Vorrednerinnen haben das eingefordert, damit die Interessen der weiblichen Bevölkerung, zum Beispiel bei der politischen Willensbildung, stärker vertreten werden?

Meine Damen und Herren, ich glaube, es lohnt sich, dann doch etwas genauer hinzuschauen und sich, was wir zumindest aus der Wissenschaft entnehmen können, über Erkenntnisse des spezifischen Wahlverhaltens von Frauen zu informieren. Ich habe mich damit in den letzten Tagen in Vorbereitung auf diese Debatte auseinandergesetzt. Bei der Recherche bin ich auf viele sehr differenzierte Ergebnisse von Meinungsforscherinnen und Meinungsforschern gestoßen. Die meisten Wahlberechtigten sind weiblich. Bei der Bundestagswahl 2005 waren es in Deutschland 32,2 Millionen Bürgerinnen von insgesamt 61,9 Millionen Wahlberechtigten, das heißt eine Mehrheit von 52 Prozent.

Hinsichtlich des Wahlverhaltens von Frauen sind sich die Meinungsforscher nicht einig. Die einen sagen, Frauen wählen anders als Männer. Die anderen sagen, das Wahlverhalten habe sich dem Wahlverhalten der Männer immer stärker angeglichen. Was man allerdings feststellen kann, ist, dass Frauen sich die Partei und die Kandidaten eigentlich nach den gleichen Kriterien aussuchen wie Männer, das ist zumindest der überwiegende Eindruck in der Wissenschaft.

Für beide Geschlechter sind in erster Linie die Kompetenzen wichtiger, die einem Kandidaten oder einer Kandidatin zugeschrieben werden, als das Geschlecht. Für Frauen und Männer gleichermaßen spielen Glaubwürdigkeit, Lebensnähe, Ehrlichkeit und Fachwissen eine Rolle. Männer legen – da kommen wir dann zu den Unterschieden – besonderen Wert auf Sachverstand, Frauen auf die Glaubwürdigkeit.

Meine Damen und Herren, diese Ergebnisse der Meinungsforschung zeigen damit auch, Frauen wählen nicht per se Frauen, nur weil sie dem gleichen Geschlecht angehören. Ich glaube, dass auch diese Postkarte, die die sozialdemokratischen Kollegen verteilt haben, da etwas zu kurz springt und der Sache aus meiner Sicht nicht vollständig gerecht wird.

(Beifall bei der FDP)

Frauen schauen nämlich viel stärker auf die Eignung des Kandidaten oder der Kandidatin, auf die Kompetenz und auf die Glaubwürdigkeit. Dementsprechend macht es, glaube ich, auch wenig Sinn, dort holzschnittartige Muster zu unterstellen, dass Frauen diejenige Partei wählen würden, die nun die meisten Frauen im Angebot hat. Das glaube ich nicht, und das glaubt auch meine Fraktion nicht. Deshalb ist es auch sinnvoll, dass man den Frauen dort durchaus mehr zutraut, als das diese Postkartenaktion, die sie uns hier haben zuteil werden lassen, suggerieren möchte.

(Beifall bei der FDP)

Vor diesem Hintergrund erscheint auch die verordnete Frauenquote kaum der richtige Weg zur Akzeptanz und zur Gleichstellung und Partizipation von Frauen im politischen Geschäft zu sein. Nun können Sie argumentieren, der Zugang zu herausgehobenen politischen Funktionen sei Frauen durch die in der Regel von Männern dominierten Strukturen versperrt. Sie haben recht, das ist nicht hinnehmbar! Aber gilt das Gebot der Gleichstellung nicht im gleichen Maße für junge Menschen, für alte Menschen, für Menschen mit Migrationshintergrund, für homosexuelle Menschen? Können all diese Gruppen nicht mit dem gleichen Recht Stammplätze für sich beanspruchen? Wo bleibt dann der Wettbewerb als Element der Demokratie?

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Der FDP-Fraktion hätte es gut ge- tan!)

Ich denke, wir Liberale sind da vielleicht schon einen Schritt weiter als Sie als Sozialdemokraten. Wir sind nämlich der Auffassung, dass es darum geht, diese Probleme wirklich substanziell zu lösen und über andere Wege nachzudenken, wie man in diesen Fragen wirklich weiterkommen kann. Frauen brauchen

keine Quote. Was wir alle gemeinsam brauchen, ist eine offenere, transparentere und demokratischere Kultur, und ich glaube, daran sollten wir gemeinsam arbeiten. Dazu gehört übrigens auch, dass man einander zuhört, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Deshalb rufe ich ja dazwischen!)

Deshalb danke ich auch für Ihre Aufmerksamkeit, Frau Kollegin Stahmann!

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Motschmann.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Auch für die CDU-Fraktion möchte ich erklären, dass wir dankbar und froh sind, dass heute vor 90 Jahren engagierte und couragierte Frauen und auch einige wenige Männer ihr Ziel erreicht haben, nämlich das passive und aktive Wahlrecht für Frauen in der Verfassung zu verankern.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Für das Wahlrecht selbst müssen wir uns nicht bedanken. Meine Damen und Herren, das hat Marie Juchacz sehr schön gesagt, denn es ist das gute und ganz selbstverständliche Recht von Frauen, passiv und aktiv an Wahlen teilzunehmen.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, beim Bünd- nis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Vor 100 Jahren war das anders. Nichts war selbstverständlich für Frauen, weder gleiche Bildungschancen noch der Zugang zu öffentlichen Gymnasien oder Universitäten, noch nicht einmal das Versammlungsrecht beziehungsweise das Recht, sich in politischen Vereinen zu organisieren, und schon gar nicht das Wahlrecht. Alles musste mühsam erkämpft werden.

Was haben sich Frauen damals anhören müssen! Frau Arnold-Cramer, Sie haben ja einiges genannt. Sie wurden belächelt, sie wurden verhöhnt, sie wurden verspottet, sie wurden bekämpft, sie wurden verhört, sie wurden sogar verhaftet. Suffragetten hießen sie oder Blaustrümpfe. All das ist erst 100 Jahre her. Die Tatsache, dass es heute noch Gleichstellungsbeauftragte überall in der Republik gibt, zeigt, dass das Werk dieser tapferen Frauen keineswegs vollendet ist. Darum möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich unserer Landesgleichstellungsbeauftragten, Ulrike Hauffe, für ihren Einsatz für die Frauen danken.

(Beifall)

Meinen geschichtlichen Rückblick kürze ich, weil zuvor schon darauf hingewiesen worden ist. Ich beschränke mich auf zwei Dinge. Erstens, ich nenne noch einmal einige der Frauen, die damals an vorderster Front gekämpft haben, weil ich finde, sie haben es verdient, nicht vergessen zu werden. Es waren Louise Otto-Peters, Hedwig Dohm, Marie Juchacz. Von den Männern wäre auf jeden Fall auch August Bebel zu nennen.

Ich will einen zweiten Punkt noch einmal in die Erinnerung zurückrufen. Man muss wissen, dass damals in Preußen und in vielen anderen Städten und Staaten Vereinsgesetze galten, die es – trauriges Zitat – „Frauenspersonen, Geisteskranken, Schülern und Lehrlingen“ verboten, sich politisch zu organisieren. Das muss man sich im Kopf klarmachen und vor diesem Hintergrund die Kämpfe dieser Frauen, die sich damals für das Wahlrecht einsetzten, beurteilen.

Die spannende Frage aber ist: Wo stehen wir heute? Andere haben das vor mir auch schon getan. Wir räumen als Christdemokraten neidlos ein, dass den sozialdemokratischen Frauen in der ersten Welle der Frauenbewegung eine ganz maßgebliche Rolle zukommt.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der LINKEN)

Wir konstatieren aber auch, dass die erste Bundeskanzlerin in unserem Land der CDU angehört,

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, beim Bünd- nis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

und Sie werden verstehen, dass wir darauf stolz sind. Aber ich will auch Namen wie Rita Süssmuth oder Ursula von der Leyen nennen, die nun wirklich Vieles in praktische Politik umgesetzt haben, was zuvor Frauen gefordert haben.

(Beifall bei der CDU – Abg. G ü n t h n e r [SPD]: Renate Schmidt aber auch! – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Sie hätten auch Si- monis und Ypsilanti nennen können!)

Trotzdem bleibt ja noch viel Arbeit übrig. Insbesondere in Spitzenfunktionen unserer Gesellschaft gibt es noch immer viel zu wenig Frauen. „Topmanagerinnen genießen in Deutschland immer noch Seltenheitswert“ titelte die „Wirtschaftswoche“ vom 4. August 2008. Gleiches gilt übrigens für Medien, für Gewerkschaften, auch dort sieht es nicht gut aus, 10 Prozent C-4-Professorinnen in der Wissenschaft ist auch nicht besonders viel.

Wir wollen aber im eigenen Spielfeld, der Politik, bleiben. 32,1 Prozent der Abgeordneten im Deutschen Bundestag sind Frauen, 1919 waren es 8,75 Prozent. Hier ist ein Fortschritt erkennbar. Bei der Besetzung

von anderen Posten, auch darauf ist hingewiesen worden, ist dieser Fortschritt wesentlich geringer. Ich denke an die Ministerposten, ich denke an die Ministerpräsidentenposten und viele andere. Dort gibt es noch viel zu tun.

Wir müssen auch wachsam sein und mit Engagement und Maß überall dort, wo Frauen noch immer nicht auf gleiche Rechte hoffen oder bauen können, diese konsequent einfordern: Dazu gehört, das ist hier angeklungen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Wir sind es den Frauen selbst und den vielen Frauenrechtlerinnen der Vergangenheit schuldig, dass wir diese Gleichbehandlung von Männern und Frauen weiter voranbringen. Dass wir dabei auf Widerstände stoßen, wissen wir. Allerdings sind sie zum Glück schwächer geworden. Wenn wir Erfolg haben wollen, geht das auch nicht ohne die Männer, auch das dürfen wir nicht vergessen. Ich sage auch, manche radikale feministische Position hat das Rad überdreht und dadurch der Sache der Frauen nicht genutzt.

(Beifall bei der CDU)

Indem wir heute an den Tag der Einführung des Frauenwahlrechts erinnern, wird uns bewusst, dass den Frauen damals nichts in den Schoß gefallen ist. Heute ist es leichter geworden. Je mehr Frauen sich in alle politischen Themen einmischen, nicht nur in die sogenannten Frauenthemen, wie zum Beispiel Soziales, Bildung, Wissenschaft, umso besser sind die Chancen, Politik auf allen Ebenen verantwortlich mitzugestalten.

Abschließend die Frage: Was ist aktuell an dieser Aktuellen Stunde? Alles, meine Damen und Herren, denn wir haben noch ganz viel für die Frauen zu tun! – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, beim Bünd- nis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Das Wort hat Frau Senatorin Rosenkötter.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete! 90 Jahre aktives und passives Wahlrecht für Frauen in Deutschland sind sicherlich Grund genug zurückzuschauen, Grund genug, um zu schauen, wo wir heute stehen. Es ist vor allem ein Grund, um nach vorn zu schauen und aktiv zu bleiben.