Protokoll der Sitzung vom 13.11.2008

Ich eröffne die 32. Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Presse.

Misstrauensantrag gegen die Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales

Antrag der Fraktion der CDU vom 4. November 2008 (Drucksache 17/587)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Bürgermeister Böhrnsen.

Der am 4. November 2008 eingegangene Misstrauensantrag ist von allen Abgeordneten der Fraktion der CDU unterzeichnet und allen Abgeordneten und dem Senat am gleichen Tag mitgeteilt worden. Er hat insofern die in Artikel 110 Absatz 2 der Landesverfassung aufgeführten Erfordernisse für einen Antrag, einem Mitglied des Senats das Vertrauen zu entziehen, erfüllt.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohr-Lüllmann.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Misstrauensantrag ist die schärfste Waffe der Opposition, und fast alle Fraktionen in diesem Parlament haben ihre Erfahrungen mit dieser Art von Antrag. Gemeinsam mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die CDU-Fraktion die Fraktion, die Misstrauensanträge von beiden Seiten kennt, aus der Sicht der Regierung und aus Sicht der Opposition. Wir haben beide schon Misstrauensanträge gestellt, und gegen Senatoren unserer beiden Parteien sind sie auch schon eingebracht und abgestimmt worden.

Meistens gibt es für einen Misstrauensantrag einen aktuellen oder spektakulären Anlass, und oft versucht eine Opposition, mit einem Misstrauensantrag eine Regierung zu stürzen. Im Falle der Frau Senatorin Rosenkötter gibt es keinen aktuellen Skandal, und die CDU-Fraktion will mit dem von ihr eingebrachten Antrag auch nicht die rot-grüne Landesregierung zu Fall bringen, obwohl wir es als unsere Aufgabe betrachten, im fairen politischen Wettstreit die Schwächen der Regierung aufzuzeigen und Alternativen anzubieten.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Misstrauen entsteht nicht über Nacht, Misstrauen entwickelt sich über

einen längeren Zeitraum. Die CDU-Bürgerschaftsfraktion hat seit dem Amtsantritt von Frau Senatorin Rosenkötter mit zahlreichen parlamentarischen Initiativen auf Probleme und Missstände in ihrem Verantwortungsbereich aufmerksam gemacht und versucht, das Parlament zu sensibilisieren. Wir haben vielfach Handlungsalternativen angeboten.

Heute, nach zwei Jahren Amtszeit, stellen wir jedoch fest, dass die Senatorin die ihr übertragenen Aufgaben nicht oder nicht mit Erfolg erfüllt hat und wir nicht mehr das notwendige Vertrauen in Frau Senatorin Rosenkötter haben, dass sie komplexe Problemlagen zukünftig lösen kann. Anlass für Misstrauensanträge ist häufig auch der vermeintlich sorglose Umgang mit Steuergeld. Zwar fehlen der Senatorin auch im laufenden Haushalt einmal wieder hohe zweistellige Millionenbeträge, aber die Haushaltsprobleme des Sozialressorts haben wir in unterschiedlichen politischen Konstellationen immer gelöst, und sie sollen auch nicht der Anlass für den heutigen Antrag sein.

An Geld hat es Ihnen, Frau Senatorin Rosenkötter, am Ende nie gemangelt. Wie wir am Dienstag erfahren haben, wollen Sie den städtischen Kliniken eine Schuldenlast in Höhe von 70 Millionen Euro nehmen. Solche Botschaften vermitteln den Beschäftigten Zuversicht. Für die CDU-Fraktion darf ich die Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass diese Zuversicht nicht trügerisch ist, denn noch ist unklar, woher das Geld kommen soll, ob die EU die Bevorteilung einzelner Häuser im Wettbewerb rügen wird und ob der überarbeitete Masterplan am Ende tatsächlich wirtschaftlich sicher genug ist, um ihn mit einer Bürgschaft der Stadt Bremen zu flankieren. Diese Details müssen jedoch nicht heute, sondern an anderer Stelle geklärt werden.

Dabei räumen wir ein, dass Sie im November 2006 ein schweres politisches Erbe angetreten haben. Zwei laufende parlamentarische Untersuchungsausschüsse zu den Kliniken und zum Kindeswohl in Ihrem heutigen Zuständigkeitsbereich haben sich mit politischen Fehlern und Fehlverhalten Einzelner aus ihrem Verantwortungsgebiet beschäftigt. Dabei haben wir Parlamentarier parteiübergreifend erhebliche strukturelle Mängel festgestellt. Ihr Ressort, Frau Senatorin Rosenkötter, war bei Amtsantritt eine Großbaustelle. Und heute? Wie stellt sich die Situation in den Kliniken seit Ihrer Amtsübernahme dar? Den Kliniken fehlt eine geordnete Perspektive.

Eine Planung für die Sanierung des größten städtischen Klinikums gibt es bereits seit 2003, den sogenannten Masterplan, und seitdem hat das Gesundheitsressort an der Umsetzung gearbeitet. Das Ergebnis lag 2006 mit dem Vorschlag zu einer Finanzierung in einem Modell unter Beteiligung privater Investoren vor. Die Bauarbeiten sollten im Jahr 2007 beginnen und 2011 abgeschlossen sein. Die Sanierung sollte nicht nur die medizinischen Standards und die Leistungsfähigkeit des Klinikums verbessern,

sondern es auch auf eine dauerhafte finanzielle Basis stellen, denn schon damals schrieb das Klinikum Bremen-Mitte Verluste, und die Auswirkungen der Gesundheitsreform hätten ohne Gegensteuerung, wie bei vielen anderen Krankenhäusern in Deutschland, zum finanziellen Ruin geführt.

Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus einer Rede von Herrn Bürgermeister Böhrnsen vom 17. Februar 2007! Damals haben Sie auf dem Landesparteitag gesagt: „Wir haben mit dem Masterplan ein strategisches Konzept, wie wir unsere Kliniken weiterentwickeln werden. Daran halten wir fest. Etwas Besseres habe ich auch noch nicht gehört oder gelesen.“ Und Sie sagten weiter: „Zur Umsetzung des Masterplans gibt es keine Alternative. Die wird kommen, und die wird auch finanziert werden.“ Doch Ihnen, Frau Senatorin Rosenkötter, fehlten die Kraft, die Entschlossenheit und der Mut, dieses weitgereifte Projekt in die politische Zustimmung zu führen.

(Beifall bei der CDU)

Stattdessen haben Sie gezaudert, die Investoren mit Tricks hingehalten und den Wahltermin verstreichen lassen. Sie haben tatenlos zugesehen, als diese umsetzungsfähige Planung mit einem Federstrich aus politischen Gründen beendet wurde, und wir alle stehen nun da und warten auf die überarbeitete Version des Masterplans, ohne auch nur im Ansatz zu erfahren, wie diese aussehen soll. Außer Zeit hat diese Tatenlosigkeit Bremen auch noch viel Geld gekostet: Verfahrens- und Planungskosten sowie Entschädigungszahlungen an die Bieter belaufen sich auf insgesamt rund 10 Millionen Euro. Dazu addieren sich noch die durch den Zeitverlust täglich anfallenden laufenden Verluste. Sie haben zugesehen, wie unsere Kliniken in den zwei Jahren Ihrer Amtszeit viel Zeit und Geld verloren haben.

(Beifall bei der CDU)

Die Kliniken sind nicht handlungsfähig. Die Klinikchefs Tissen und Lindner haben Bremen neben dem Verlust von bundesweiter Reputation auch einen hohen finanziellen Schaden zugefügt. Möglich geworden ist dies neben einer gehörigen kriminellen Energie auch durch strukturelle Mängel in der Klinikführung. Unklare Entscheidungsabläufe, konkurrierende Klinikgeschäftsführer ohne Gesamtverantwortung für das Ganze, fehlende Kontrolle und Führung in der Holding und im Ressort haben dringend notwendige Veränderungen offenbart.

Was hat sich seit Ihrem Amtsantritt, Frau Senatorin, getan? Die Klinikgeschäftsführer geben sich die Klinke in die Hand, vorausgesetzt, sie kommen überhaupt, wichtige Führungspositionen sind jahrelang unbesetzt, und der Staatsrat kann seine Senatorin vor zwei Wochen sogar öffentlich für eine von ihr verantwortete Fehlbesetzung kritisieren. Er sagt, der eine

Geschäftsführer sei überschätzt worden, das Ausscheiden des nächsten bedauere vor Ort niemand, und die pflegerische Geschäftsführung sei ein Fehleinkauf gewesen. Und die Senatorin? Sie schweigt! Ihre Fraktion? Sie schweigt auch! Genau das ist das Bedauerliche. Jeder weiß, dass sich ein übles Nachtreten dieser Art verbietet, und wohl viele von uns hätten anstelle der Senatorin dem Staatsrat einen Riegel vorgeschoben, aber Frau Rosenkötter lässt, wie immer, die Dinge laufen.

(Beifall bei der CDU)

Die Geschäftsführung der Gesundheit Nord hat an mehreren Stellen in den vergangenen Monaten im Krankenhausausschuss und in Vorlagen des Haushalts- und Finanzausschusses kritisiert, dass sich im Bereich der Sanierung der kommunalen Kliniken in den letzten Jahren nichts bewegt hat und dass die Effizienzerwartungen an den Masterplan im Klinikum Bremen-Mitte zu hoch waren. Wieder Schweigen seitens der Senatorin! Der Gesundheit Nord fehlen unverändert die wichtigsten Kompetenzen: Sie kann die städtischen Kliniken nicht steuern, und sie hat keine eigene Verantwortung für Personal, Finanzen und Unternehmensplanung. Die Kliniken brauchen eine klare Struktur, dies geht nach unserer Auffassung nur mit einer Einheitsgesellschaft.

Was denkt die Senatorin? Für welche Lösung ist sie? Wie sieht ihr unternehmerisches Konzept aus, für das sie eine politische Mehrheit will? Die Antwort: Sie hat keines! Der Einzige aus der Regierungsmannschaft mit einer Vorstellung ist der Fraktionschef vom Bündnis 90/Die Grünen, und er hat völlig recht: Die unter der Verantwortung von Frau Senatorin Rosenkötter entstandene organisierte Verantwortungslosigkeit lähmt die Entscheidungen und gefährdet unsere Kliniken.

(Beifall bei der CDU)

Die Senatorin handelt nicht!

Wissen Sie, wie viel Geld den Kliniken fehlt und wie viel Geld sie in diesem und im nächsten Jahr brauchen? Was kostet eigentlich der neue Masterplan, und wer soll ihn bezahlen? Wir benötigen teuer bezahlte Berater, um herauszufinden, wofür ein gewährter Überziehungskredit tatsächlich ausgegeben wurde und wie viel davon regelwidrig war. Jede Woche gibt es eine neue Zahl, wie teuer der Masterplan nun wirklich wird. Jeden Monat gibt es ein neues Datum für eine drohende Insolvenz. Es wird Personal abgebaut, aber nicht mit Konzept, sondern mit Zufall.

Auch an dieser Stelle erinnere ich Sie, Herr Böhrnsen, an die Worte vom 17. Februar 2007! Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich: „Ein Schwerpunkt unseres Wahlprogramms für die kommenden Jahre liegt bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Das heißt zu allererst, wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz, und wir

wissen auch, ein Schwerpunkt muss die Sicherung der vorhandenen Arbeitsplätze sein.“ Das, sehr geehrter Herr Böhrnsen, erzählen Sie heute einmal der Krankenschwester oder dem Krankenpfleger, dessen Vertrag ausläuft und der nicht weiß, wie er künftig seine Familie ernähren soll. Was, glauben Sie, werden die Ihnen erzählen, zwei Jahre nach der Politik der ruhigen Hand von Frau Rosenkötter?

Befristete Stellen werden nicht wiederbesetzt, auch wenn es einen dringenden Bedarf gibt. Personalabbau ist Zufall, er folgt keinem Konzept, sondern orientiert sich an zufälligen Ereignissen. Wer Kliniken sanieren will, braucht ein Konzept für die Personalentwicklung. Die Senatorin wird hierfür etwa 700 000 Euro ausgeben. Davon könnte man ein Jahr lang zehn neue hochqualifizierte Vollzeitkräfte einstellen, statt teure Berater zu bezahlen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es gibt nicht eine Lösung für die aktuellen drängenden finanziellen Probleme der Kliniken. Die Senatorin schafft kein Vertrauen in solide Zahlen und realistische Finanzierung. Sie trifft keine Entscheidungen, sie wartet einfach nur ab. Ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit: Die Probleme wurden nicht angepackt, sondern liegen gelassen. Mit jedem Tag Ihrer Handlungsunfähigkeit verliert Bremen Geld, sinken die Chancen auf eine optimale medizinische Versorgung und wird ein neuer Arbeitsplatz in den Kliniken gefährdet.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP – Abg. Frau B u s c h [SPD]: Das ist eine Frech- heit!)

Frau Rosenkötter, es geht heute nicht um Sie, sondern um 8000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kliniken!

Am deutlichsten wird das Versagen der Frau Senatorin Rosenkötter jedoch am Beispiel der Zentralküche. Auch hier, Frau Senatorin, gab es schon eine Vorgeschichte, die übrigens die damalige Opposition vom Bündnis 90/Die Grünen, namentlich Frau Bürgermeisterin Linnert, auf die Barrikaden brachte. Die Kosten hatten sich von 2003 bis 2005 von ursprünglich 7 Millionen Euro auf dann fast 13,5 Millionen Euro verdoppelt. Die Kostenberechnung ergab dann bei Ihrem Amtsabtritt sogar 16,3 Millionen Euro. Mit Stand vom 31. Juli 2008 liegen die Investitionskosten dann tatsächlich bei 17,5 Millionen Euro, weil Beratungskosten und betriebsnotwendige Lkws nicht berücksichtigt wurden. Was nützt einem das schönste Essen, wenn man es nicht zu dem Kunden bringen kann?

Und erst die Finanzierung! 5 Millionen Euro leiht sich die eine Klinik von der anderen. Regelwidrig und unzulässig werden Fördermittel des Landes eingesetzt und der Rest über den bereits genannten Über

ziehungskredit finanziert. Die Kosten wurden überall versteckt und verschleiert. Ihr Staatsrat, Herr Dr. Schulte-Sasse, hat dabei seit 2007 eine zentrale Rolle gespielt, und das alles unter Ihrer Verantwortung, Frau Rosenkötter!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mit Ihrer unterstützenden und akzeptierenden Haltung in Bezug auf die Zweckentfremdung von Betriebsmittelkrediten fördern Sie, Frau Senatorin Rosenkötter, ein unwirtschaftliches Handeln der Kliniken und gefährden somit ihre Zukunftsfähigkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Ergebnis dieser Aktion: Die neue, moderne Zentralküche bereitet das teuerste Essen in der Stadt zu, von den angenommenen Einsparungen nicht die Spur, und die Parlamentarier erfahren bis heute nicht die ganze Wahrheit, weil unsere Fragen nur teilweise oder gar nicht beantwortet werden und die Befragten nur das Wissen preisgeben, was man ihnen mühsam entlockt und was man bereits aus anderen Quellen erfahren hat. Auf der Baustelle der städtischen Kliniken hat sich seit Ihrem Amtsantritt nichts bewegt.

Zu den notwendigen Konsequenzen aus dem zweiten Untersuchungsausschuss zum Kindeswohl haben wir bereits aus Anlass unseres Missbilligungsantrags diskutiert, das wollen wir heute hier nicht wiederholen. Die von uns gesetzte Frist hat die Senatorin ergebnislos verstreichen lassen. Ihr als Abschlussbericht überarbeitetes Papier lässt mehr Fragen offen, als es Antworten gibt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir waren uns am Ende doch alle einig, dass am Ende Menschen über die Notwendigkeit von Hilfen zur Erziehung entscheiden. Neben strukturellen und gegebenenfalls finanziellen Mängeln ist die notwendigste Maßnahme, die Sachbearbeitung in die Lage zu versetzen, die richtigen Entscheidungen im Einzelfall zu treffen. Die Qualität und damit die Qualifikation der Mitarbeiter in der Jugendhilfe entscheidet über das Wohl von gefährdeten Kindern. Auch hier hat es im vergangenen Jahr nicht an Geld gemangelt. Dennoch hat sich insbesondere im Bereich der Qualitätsentwicklung nichts geändert.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Das stimmt nicht!)

Das Kindernotruftelefon wird immer wieder genannt, wenn es in einer Debatte, in der Zeitung, in parlamentarischen Debatten oder in Gremien darum geht darzustellen, was sich seit dem Untersuchungsausschuss „Kindeswohl“ im Bereich der Weiterentwick

lung der Kinder- und Jugendhilfe getan hat. Aber, Frau Senatorin Rosenkötter, das Notruftelefon allein reicht natürlich nicht aus, um die bessere Erreichbarkeit des Jugendamts sicherzustellen.