Protokoll der Sitzung vom 18.03.2010

Ich möchte hier noch einmal deutlich sagen, die von uns entwickelte Bürgerversicherung ist keine Einheitsversicherung, wie sie von den LINKEN befürwortet wird, sondern die Versicherungen konkurrieren innerhalb des gleichen Rechtsrahmens untereinander. Das ist zurzeit jedenfalls nicht der Fall. Das dauerhafte Einfrieren des Arbeitgeberanteils und die damit verbundene einseitige Belastung der Kosten durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lehnen wir ab.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Doch lassen Sie mich jetzt einmal einen Blick auf die rot-schwarze Bühne in Berlin werfen! Auf der Bühne passiert nicht viel, außer den immer wiederkehrenden bekannten, rhetorisch gut verpackten Floskeln des Gesundheitsministers.

(Zurufe von der CDU)

Doch bei einem Blick hinter die Kulissen wird deutlich: Da ist die Hölle los auf dem Schnürboden. Schon in den Koalitionsverhandlungen haben sich CDU/ CSU und FDP darüber gestritten, was mit dem Gesundheitsfonds passieren soll. Auch sind sich besonders CSU und FDP nicht darüber einig, ob die einkommensabhängigen Beiträge zur Krankenversicherung durch einkommensunabhängige Prämien ersetzt werden sollen. Gesundheitsminister Rösler sagt Ja, CSU-Chef Seehofer sagt Nein. Das ist das Ergebnis eines amorphen Koalitionsvertrags von Schwarz-Gelb zur Gesundheitspolitik.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die Finanzierungsprobleme der Krankenversicherung werden immer größer, und kein Mensch weiß, wie es weitergeht. Da nützt es auch nichts, dass letzten Freitag der FDP-Generalsekretär Lindner erklärt und eingeräumt hat, dass Schwarz-Gelb auch fünf Monate nach der Regierungsübernahme noch in der Findungsphase sei. „Wir sind in einer Phase, in der sich die Koalition Geschlossenheit erarbeiten muss, damit sie unserem Land Orientierung geben kann“, hat er dem „Münchener Merkur“ gesagt. Da kann einem doch nur angst und bange werden! Da irrt eine Regierung orientierungslos herum, weiß nicht, wo sie hin will und will die Menschen auch noch mitnehmen auf ihrem Irrweg. Nicht mit uns!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Diese Regierung hat kein Konzept zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der Gesundheitsversicherung. Soll jetzt diese Findungsphase von der eingesetzten Reformkommission übernommen werden? Es ist doch schon klar, was dabei herauskommt. Einige Minister, die Mitglieder dieser Kommission sind, haben die Probleme ja deutlich benannt und ihre Position auch schon klargestellt. So hat Finanzminister Schäuble deutlich gemacht, dass er für die Reformen kein Geld habe und auch nicht zaubern kann. CSU-Chef Horst Seehofer hält die Kommission sowieso für überflüssig: Eine Kopfprämie wird es mit uns nicht geben. Er hält die Gesundheitsprämie für unsozial, weil Geringverdiener belastet und Gutverdiener entlastet werden. Er sagt auch: Es kann nicht sein, dass die Sekretärin denselben Beitrag zahlt wie

ihr Chef. So hat er sich geäußert. Ich kann nur sagen: Dem stimmen wir zu!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Herr Söder setzt noch einen darauf und sagt: Die Regierungskommission wird zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Kopfpauschale weder finanzierbar noch umsetzbar ist. Ich denke auch, dass er da recht hat. Da können wir nur sagen: Wunderbar, dass die Arbeit der Opposition jetzt von der Regierung mitgemacht wird. Das finden wir wunderbar, das entlastet uns auch ein wenig.

(Glocke)

Ich komme gleich zum Schluss! Wenn die FDP auch das Wort Kopfprämie oder Kopfpauschale immer umgeht, indem sie über Gesundheitsprämie und Prämienmodell redet, bleibt sie trotzdem unsozial und unsolidarisch und hat das Ziel zur Privatisierung der Krankheitskosten. Ich kann Ihnen nur sagen: Mist bleibt Mist, auch wenn er in einer goldenen Schale liegt!

Wir werden aber nicht zusehen, wie die Krankenversicherung ausgehöhlt wird. Deshalb ist es uns als Koalition auch wichtig, dass wir uns auch hier in der Bürgerschaft weiterhin zur solidarischen Finanzierung bekennen und die Krankenversicherung in Richtung Bürgerversicherung weiterentwickeln. Ihre Kopfprämie ist eine Abwrackprämie für das Solidarsystem. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Mohr-Lüllmann.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle hier wissen, dass vom Bundeskabinett eine Regierungskommission eingesetzt worden ist, die Vorschläge für eine, ich zitiere, „nachhaltige und sozial ausgewogene Finanzierung des Gesundheitswesens erarbeiten soll“. Es ist ja schön, dass die Koalitionsparteien uns frühzeitig auf das Thema hier aufmerksam machen, aber derzeit hat die Regierungskommission genau einmal getagt, ich kenne keinen Vorschlag, der bisher öffentlich geworden wäre, und Sie beschwören in der Zeit schon den Niedergang des solidarischen Gesundheitssystems.

Sie mahnen an, dass man auch nur über die Umstellung zur Kopfpauschale nachdenkt. Darüber hinaus orakeln Sie mit Zahlen, die Emotionen schüren ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

und eine sachliche Diskussion verhindern. Es sei auch bemerkt, dass es zum Beispiel Experten gibt – je nachdem, welche Zeitung man so liest –, die berechnet haben, dass eine Gesundheitsprämie für den Staat günstiger ausfallen kann, ohne sozial Schwache zu benachteiligen, das kann man übrigens auch nachlesen. Alle Zahlen aber entbehren derzeit einer belastbaren Grundlage. Ziel unserer Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine qualitativ hochwertige und humane Versorgung in der Medizin und Pflege, die allen Menschen, ohne Ansehen des Alters oder der finanziellen Leistungsfähigkeit, zugutekommt.

(Beifall bei der CDU)

Notwendige medizinische Leistungen und Spitzenmedizin müssen für alle zugänglich bleiben.

(Beifall bei der CDU)

Dazu hat die Union folgende Weichen gestellt: Die Regierungskommission erarbeitet Vorschläge zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung des Gesundheitswesens. Die Arbeitskosten müssen von der Entwicklung steigender Gesundheitsausgaben abgekoppelt werden, und deshalb soll der paritätisch finanzierte Beitrag begrenzt werden. Das sichert Arbeitsplätze, und um unnötige Ausgaben zu vermeiden, müssen neben der Finanzierungsreform auch Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung verbessert werden.

(Beifall bei der CDU – Abg. Frau H o c h [Bündnis 90/Die Grünen]: Das heißt Einfrie- ren des Arbeitgeberanteils!)

Die finanziellen Lasten des medizinischen Fortschritts und der Alterung unserer Gesellschaft sind ausgewogen zu bewältigen, und alle Beteiligten des Gesundheitswesens müssen dazu ihren Beitrag leisten. Dass die SPD nun die Abschaffung von Zusatzbeiträgen will und zur paritätischen Finanzierung des Sonderbeitrags von 0,9 Prozent auffordert, zeigt, dass Sie sich von Ihrem eigenen Regierungshandeln verabschiedet haben. Hinzu kommt die fortwährende Forderung nach einer Bürgerversicherung. Schon der Begriff führt in die Irre, denn das Konzept beinhaltet eigentlich – das ist die Wahrheit – die Verstaatlichung der Gesundheitsversorgung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mit der sogenannten Bürgerversicherung bleibt es dabei, dass die Gesundheitskosten weitgehend aus Löhnen und Gehältern finanziert werden.

(Zuruf der Abg. Frau H o c h [Bündnis 90/Die Grünen])

Diese enge Anbindung an die Lohnkosten schafft keine neuen Arbeitsplätze, weil jede Kostensteigerung im Gesundheitswesen die Arbeitskosten weiter in die Höhe treibt.

(Beifall bei der CDU)

Damit leistet die Bürgerversicherung keinen Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

(Abg. F r e h e [Bündnis 90/Die Grünen]: Dann können Sie nicht rechnen!)

Doch, ich schon!

Heute ist es so, dass der einheitliche Beitragssatz von 14,9 Prozent vom Bruttolohn dazu führt, dass gesetzlich Versicherte für weitgehend gleiche Gesundheitsleistungen ganz unterschiedliche Beiträge zahlen. Das ist übrigens anders als bei der Renten- und Arbeitslosenversicherung: Hier folgen unterschiedlich hohen Beiträgen auch unterschiedlich hohe Leistungen. Mit einer einheitlichen Prämie kann man den Sozialausgleich dorthin verlagern, wohin er auch eigentlich gehört, nämlich ins Steuersystem, denn über die Steuern lässt sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bürger deutlich besser erfassen. Heute ist es so, dass der Versicherte, der wenig verdient, aber hohe Miet- und Zinseinnahmen hat, gut wegkommt. Er zahlt einen niedrigen Kassenbeitrag, und andere Versicherte mit höherem Lohneinkommen subventionieren ihn, ohne dass er bedürftig wäre. Bei der Gesundheitsprämie erhält er nur den einen Zuschuss, den er nicht aufbringen kann, finanziert würden die Gesundheitsleistungen für sozial Schwache dann vor allem von den Steuerzahlern, nicht nur von den Beitragszahlern.

Darüber hinaus bringt eine Finanzierung des Systems über eine Pauschale auch einmal Licht in das ganze System, das heißt nämlich, was die Gesundheit für jeden im Schnitt eigentlich wirklich kostet und welche Hilfe damit eigentlich erforderlich ist, damit alle teilhaben können. Das bringt nämlich Transparenz und zeigt einmal das wirkliche Ausmaß der Umverteilung. Übrigens werden Unternehmen und Bürger über Steuern dann auch mehr als heute zur Finanzierung der Krankenkosten herangezogen, steigende Löhne aber führen dann nicht mehr automatisch auch zu höheren Gesundheitsbeiträgen.

Ich appelliere noch einmal ausdrücklich an dieser Stelle an die rot-grünen Koalitionäre aufzuhören, den Teufel an die Wand zu malen. In Ihrem Antrag schreiben Sie, dass das Ziel schwarz-gelber Gesundheitspolitik auf Bundesebene eine Privatisierung von Krankheits- und Pflegerisiken sei.

(Abg. B r u m m a [SPD]: Ja, klar!)

Davon kann keine Rede sein, und ich empfehle Ihnen, hierzu auch einmal in die Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und FDP zu sehen und zu lesen.

(Abg. Frau H o c h [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Habe ich doch gesagt, das ist amorph, das Ding!)

Ja, dann haben Sie es nicht richtig gelesen!

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Frau H o c h [Bündnis 90/Die Grünen])

Perspektiven, ich habe es übrigens auch gerade zitiert und versucht, es Ihnen mitzuteilen, sind zum einen – ich wiederhole es noch einmal und komme dann zum Schluss! –, zu wettbewerblicher Kostenkontrolle zu kommen, denn nur zu Beginn werden die Pauschalen einheitlich sein. Das ist, glaube ich, auch deutlich, und dann treten die Krankenkassen in den Wettbewerb, und der Patient wird entscheiden, welches Angebot das bessere ist. Darüber hinaus könnten die Grenzen zwischen Privaten und Gesetzlichen auch fallen. Auch kann man über die Prämie einen Kapitalstock ansparen, und endlich wäre eine angemessene Vorsorge im Gesundheitssystem möglich gegen die Kosten einer alternden Gesellschaft. Wir lehnen selbstverständlich Ihren Antrag ab! – Danke!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde diesem Antrag „Ausstieg aus der solidarischen Krankenversicherung verhindern!“ zustimmen. Es liegt doch klar auf der Hand und ist jetzt schon vorhersehbar und absehbar, dass es bei einer Einführung einer sogenannten Kopfpauschale zu einer unsozialen Mehrbelastung der gesetzlichen Versicherten führen wird – das ist jetzt schon absehbar –, die vorrangig auf Kosten und zulasten von Kranken, Älteren und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehen wird. Das würde aber auch bedeuten eine rigorose Aufgabe eines solidarischen Gesundheitswesens zulasten der Mehrheit der Bevölkerung. Eine Einführung der Kopfpauschale würde aber auch unweigerlich bedeuten mehr Bürokratie und weniger Leistungen für die Patienten.

Hier stellt sich doch die Frage: Woher soll das Geld für die neue Gesundheitsreform eigentlich kommen – Fachleute sprechen hier in diesem Zusammenhang von circa 30 Milliarden Euro –, und wer soll denn überhaupt den Sozialausgleich bezahlen? Das sind alles sehr wichtige Fragen, die für mich noch ungeklärt sind. Nun frage ich Sie: Werden unsere Bürgerinnen und Bürger nicht schon genug abgezockt, zum Bei

spiel durch die unsägliche Praxisgebühr, die ansteigenden Medikamentenzuzahlungen bei immer weniger Leistung für die Patienten? Sagen Sie jetzt ja nicht, es gibt im Gesundheitswesen keine Zweiklassengesellschaft und alle werden praktisch gleich behandelt! Das stimmt nicht, denn in jedem Bereich, wo riesige Gewinne gemacht werden – ich nenne Ihnen nur einmal die Pharmaindustrie, die Milliardengewinne macht –, wird es immer eine Zweiklassengesellschaft geben; selbstverständlich auch im Gesundheitswesen, das dürfte auch klar sein.

Darum sage ich in aller Deutlichkeit: Wir brauchen den Erhalt eines wirklichen Solidarsystems, gerade im Gesundheitswesen, das heißt, die Einkommensstarken müssen mehr einbezahlen und die Einkommensschwachen weniger. So einfach ist das! Das bedeutet aber auch eine deutliche Reduzierung der circa 250 Krankenkassen – und hier meine ich eine wirkliche Reduzierung – und eine dringend erforderliche effektive staatliche Preiskontrolle der Pharmaindustrie, wie zum Beispiel, das Medikamente auf Qualität und das Preis-Leistungs-Verhältnis überprüft werden müssen. Überteuerte und nutzlose Medikamente gibt es genügend und müssen vom Markt genommen werden und so weiter.

Gesundheit darf auf keinen Fall ein Luxusprodukt werden, sondern es muss für jede Bürgerin und jeden Bürger bezahlbar bleiben. Eine Kopfpauschale aber ist unsozial, planlos und unausgewogen. – Ich danke Ihnen!

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.