Protokoll der Sitzung vom 06.07.2011

Sie wollen umfassende staatliche Zuständigkeit für einzelne Problemlagen, und wir setzen auf die individuelle Verantwortung und Freiheit. Sie kümmern sich um einige wenige mit kostspieligen staatlichen Programmen, wir haben die Allgemeinheit im Blick. Wenn ich nun einzelne Punkte herausgreife, steht aber über allem unsere Aufforderung: Werden Sie endlich Ihrem Regierungsauftrag gerecht, wenn schon nicht in den letzten vier Jahren, dann wenigstens jetzt!

(Beifall bei der CDU)

Sie wollen die Wirtschaft stärken, das ist richtig und wichtig, aber Sie haben die Weichen dafür falsch gestellt. Bremen hat eine starke Wirtschaft, das haben Sie gerade auch erwähnt, Herr Bürgermeister. Wir haben weltweit agierende Unternehmen, einen soliden Mittelstand, leistungsfähige Häfen. Wir haben erstklassige Universitäten, und Spitzenleistungen in der Forschung tragen dazu bei, dass wir das Bundesland mit der zweithöchsten Wirtschaftskraft sind. Darauf können wir stolz sein. Wahr ist aber auch, dass die wirtschaftliche Dynamik unter Rot-Grün gelitten hat. Im Aufschwungjahr 2010 blieb nämlich das Wirtschaftswachstum in Bremen mit 2,8 Prozent deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 3,6 Prozent zurück.

(Zuruf von der CDU: Kein Wunder!)

Bremer Kaufleute sind erfolgreich, einige sind sogar Weltmarktführer. Sie könnten es aber noch viel besser, wenn die Rahmenbedingungen in Bremen stimmen würden. Der Aufschwung in Deutschland kommt übrigens auf dem Bremer Arbeitsmarkt kaum an, oder wie erklären Sie sich, dass Bremen bundesweit nach Berlin und Mecklenburg-Vorpommern die dritthöchste Arbeitslosenquote hat? Dieser Widerspruch, starke Wirtschaft und hohe Arbeitslosigkeit, muss Ihnen doch zu denken geben. Mittlerweile schaffen es sogar die ostdeutschen Bundesländer besser, neue Jobs zu schaffen. Der Grund ist, dass es in Bremen nach wie

vor nicht gelingt, Arbeitslose für freie Stellen in der Wirtschaft zu qualifizieren.

Herr Günthner, ich fordere Sie als neuen Arbeitssenator auf, die Qualifizierungsmaßnahmen künftig am Arbeitsmarkt auszurichten. Stellen Sie die Belange der Betroffenen in den Mittelpunkt und nicht die der Beschäftigungsträger!

(Beifall bei der CDU)

Wir brauchen einen anpassungsfähigen Arbeitsmarkt, und Sie müssen dafür die Rahmenbedingungen treffen, und zwar für alle Betroffenen, für die Unternehmen und die Arbeitslosen, und zwar nicht nur durch neue und höhere soziale Transfers, sondern durch passgenaue Wirtschaftspolitik. Finanzieren Sie nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeit! Es bleibt nämlich wahr: Wer schafft denn die Arbeitsplätze? Es sind immer noch die Unternehmen und nicht der Staat.

Wir wissen, dass Sie ein gestörtes Verhältnis zu Investitionen haben.

(Unruhe bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wenn aber Bremen mittlerweile die drittniedrigste Investitionsquote aller Bundesländer hat, dann betrifft uns das alle. Schaffen Sie aber vor allem keine neuen Hürden! Wir erteilen als CDU Ihrer Absicht, einen Volksentscheid bei Veräußerungen in die Landesverfassung aufzunehmen, eine klare Absage,

(Abg. Frau G a r l i n g [SPD]: Alles klar! – Zuruf des Abg. D r. G ü l d n e r [Bünd- nis 90/Die Grünen])

weil sich Ihr Vorschlag nicht an der Sache, sondern an Ideologie orientiert.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie nämlich konsequent wären, dann müssten Sie auch bei der Verstaatlichung einen Volksentscheid einführen.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Allerdings!)

Sie wollen die Finanzen konsolidieren, das ist auch richtig und wichtig, aber Sie haben die Weichen dafür falsch gestellt. Sie wollen sparen – das ist dieser legendäre Satz unseres Bürgermeisters –, ohne dass es jemand merkt. In welcher Welt leben Sie eigentlich?

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen die Neuverschuldung bis zum Jahr 2019 – das haben Sie gerade ausgeführt – jedes Jahr um

120 Millionen Euro senken. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal wirklich betonen: Hören Sie auf, immer die Verantwortung auf andere abzuschieben! Bremen muss selbst etwas tun, wenn es die Schuldenbremse einhalten will.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin froh, dass auf beharrliches Drängen der Union die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert wurde. Die CDU-Bürgerschaftsfraktion hat eine solche Regelung auch für die Bremische Landesverfassung immer wieder gefordert, aber wir sind immer an Ihnen gescheitert. Ihren plötzlichen Sinneswandel in der Frage kann ich nur damit erklären, dass Sie es vielleicht nicht ernst nehmen, das wissen wir noch nicht, aber auf jeden Fall, dass Sie Angst davor haben, denn vermutlich erwarten und fürchten Sie eine Niederlage vor dem Staatsgerichtshof und betreiben deshalb jetzt Schadensbegrenzung. Jetzt wollen Sie die Schuldenbremse in die Landesverfassung aufnehmen und mit einer Einnahmesicherungsklausel verbinden, aber wahrscheinlich meinen Sie eher eine Einnahmeausfallversicherung gegenüber dem Bund.

Um es ganz klar zu sagen: Auch die CDU-Bürgerschaftsfraktion spricht sich gegen Steuersenkungen aus, die nicht solide gegenfinanziert sind. Wenn der Bund mit seiner Haushaltskonsolidierung schneller ist und Spielräume für Steuersenkungen sieht, dann kann er das überlegen, aber bitte nicht zulasten von Ländern und Kommunen, sondern zugunsten der kleinen und mittleren Einkommen.

(Beifall bei der CDU)

Was aber eben auch nicht geht, ist, dass Sie immer so tun, als sei der Bund für die Haushaltsmisere in Bremen verantwortlich, das ist nämlich einfach falsch. Der Bund unterstützt Bremen nach Kräften. Bremen erhält als kleinstes Bundesland die höchsten Konsolidierungshilfen, jährlich 300 Millionen Euro von 2011 bis 2019. Der Bund finanziert die Vertiefung der Außen- und Unterweser für 50 Millionen Euro und zwei Drittel der Kosten für die Anpassung der Mittelweser. Der Bund beteiligt sich am Ausbau des Hafentunnels Cherbourger Straße mit 120 Millionen Euro und finanziert den Ringschluss der A 281. Der Bund entlastet Bremen um rund 60 Millionen Euro jährlich durch die schrittweise Übernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter und um jährlich 1,7 Millionen Euro bei den Kosten der Unterkunft für HartzIV-Empfänger im Zuge des Bildungs- und Teilhabepakets. Was ich bis heute nicht verstehe, ist, dass der rot-grüne Senat im Bundesrat hier nicht zugestimmt hat. Das passt aber eigentlich auch ganz gut zur Wirtschaftspolitik frei nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin gespannt, wann Sie die Konsolidierungsauflagen nicht mehr einhalten können. Frau Linnert, wenn Sie aber so weitermachen – –.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Na, da freuen Sie sich, was?)

Nein, leider nicht! Ich befürchte es! Wir werden zu diesem Punkt aber kommen, weil Sie sich die Welt schönrechnen und täuschen und tricksen, wo es eben nur geht. Im neuen Jahresbericht des Rechnungshofs können Sie das schwarz auf weiß nachlesen. Das ist nicht aus meiner Feder geflossen, sondern aus dem Bericht des Rechnungshofs.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Was steht da?)

Weil der Haushalt 2010 die Basis für die Konsolidierung bildet, haben Sie ihn durch vorgezogene Prämienzahlungen für Zinsgeschäfte künstlich um 100 Millionen Euro aufgebläht. Dieses Geschäft war aus der Sicht des Rechnungshofs unwirtschaftlich und verstieß zudem auch noch gegen die Landeshaushaltsordnung.

(Beifall bei der CDU)

So können Sie sich dann jetzt hinstellen und verkünden: Im Jahr 2011 haben wir 120 Millionen Euro weniger Schulden gemacht als im Jahr 2010 und damit den Konsolidierungspfad eingehalten.

(Zuruf des Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/ Die Grünen])

Die Wahrheit ist, ohne diesen Trick würde der Haushaltskarren noch tiefer im Dreck stecken.

Meine Damen und Herren von der Koalition, die Schuldenbremse können Sie mit Taschenspielertricks eventuell einhalten oder vielleicht auch durch steigende Einnahmen. Ich sage aber auch: Verschuldung wird immer nur durch das Senken von Ausgaben zu stoppen sein.

(Beifall bei der CDU)

Sie wollen den sozialen Zusammenhalt stärken, ja, das ist wichtig und richtig, aber dafür haben Sie die Weichen auch noch nicht richtig gestellt, denn wenn Sie Zusammenhalt ernst meinen, dann müssen Sie beide Seiten berücksichtigen. Sie müssen den Bedürftigen helfen, und Sie müssen auch diejenigen mitnehmen, die dies durch ihre Steuern ermöglichen.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben erhebliche Zweifel, ob das gelingen wird. Wir setzen dennoch große Erwartungen in die neue

Senatorin, Frau Stahmann, und in die Tatsache, dass das Ressort nicht mehr in der Hand der SPD ist. Ich meine, dadurch kann es nur besser werden. Wir sehen in der Senatorin Frau Stahmann eine Chance, dass ein neues Denken Einzug in das Sozialressort hält, und hoffen, dass ihr der Schritt der Veränderung gegen alle Beharrungskräfte in der Behörde möglich wird. Gleichwohl bleibt die Ressortverteilung aus unserer Sicht ein Manko. Sie haben wieder die Chance vergeben, den Bereich Jugend zum Bildungsressort zu geben. Für die CDU-Bürgerschaftsfraktion ist das eine fatale Fehlentscheidung. Ein Trost ist vielleicht, dass die neue Senatorin eine Bildungspolitikerin ist, und wir hoffen deshalb, dass die neue Sozialsenatorin die Nähe zur Bildungssenatorin suchen und auch finden wird. Frau Stahmann, ich bitte Sie vor allem um eines: Bewahren Sie sich die Sympathie der Grünen für freie Träger, folgen Sie nicht dem Verstaatlichungswahn der SPD, und sorgen Sie dafür, dass die neue Gesundheitssenatorin ihre Privatschulallergie nicht auch noch auf die freien Kliniken überträgt!

(Beifall bei der CDU)

Den freien Trägern – das wissen Sie auch, Frau Stahmann – geht es in erster Linie nämlich nicht um die Struktur, sondern um die Hilfe für den Einzelnen. Von dieser Grundhaltung brauchen wir mehr und nicht weniger, und das gilt für den gesamten Sozialbereich. Es geht nämlich nicht darum, die Träger zu finanzieren, sondern die Hilfe für die wirklich Bedürftigen. Die Koalition sagt, Bildung ist der entscheidende Schlüssel für gerechte Zukunftschancen, Sie sagen aber nicht ein Wort zu den Gymnasien, stattdessen rühmen Sie sich damit, dass 80 Prozent der Schüler auf die Oberschule gehen, und sagen: Damit sind wir unserem Ziel, eine Schule für alle Kinder zu entwickeln, deutlich nähergekommen. Dieser Blickwinkel ist wirklich bezeichnend! Sie vergessen dabei nicht nur die rund 8 000 Schüler der gymnasialen Oberstufe und die rund 6 000 Schüler an den Schulen in freier Trägerschaft, sondern auch die Übergangskapazität nach der Grundschule auf das Gymnasium. Diese ist nicht 80 zu 20 Prozent, sondern 75 zu 25 Prozent.

(Abg. G ü n g ö r [SPD]: Wo haben Sie die Zahlen denn her?)

Im Ergebnis bedeutet das nämlich, dass Sie sich um fast 40 Prozent aller Schüler ausdrücklich nicht kümmern wollen.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage Ihnen für die CDU an dieser Stelle wirklich ganz deutlich: Wenn Rot-Grün in den nächsten vier Jahren versuchen sollte, das Gymnasium kaputt

zu machen oder auch nur ansatzweise aufzuweichen, egal ob in Bremen oder in Bremerhaven, dann riskieren Sie wieder einen Kulturkampf auf den Schultern der Schüler, und den hat selbst die SPD schon zweimal verloren, einmal mit der Gründung des Ökumenischen Gymnasiums im Jahr 1981 und ein zweites Mal im Jahr 2008 nach unserer Gymnasien-Schutzgebiet-Kampagne.

(Abg. G ü n g ö r [SPD]: Das war ein vol- ler Erfolg, Frau Dr. Mohr-Lüllmann!)

Meine Damen und Herren von der Koalition, wir brauchen leistungsstarke Schüler, und wir müssen Hochbegabte viel mehr fördern als bisher!