Protokoll der Sitzung vom 24.09.2014

Dieser Antrag ist sechs Wochen alt, aber trotzdem

ist er sehr aktuell. Die Verfolgung hat in dramatischer

Weise zugenommen. Zahllose Menschen, sowohl im Irak als auch in Syrien, sind getötet worden, wer den in grausamer Weise gequält, werden aus ihren Wohnungen vertrieben, aus ihren Städten vertrieben, Mädchen und Frauen – das wurde hier auch gesagt – werden vergewaltigt und zwangsverheiratet. Geiseln werden von Verbrecherbanden entführt und an die Terrororganisation ISIS verkauft.

Trotz dieser unvorstellbaren Gräueltaten des ISIS

gibt es hier in Deutschland, in Europa Menschen, die das verbrecherische Tun rechtfertigen und sogar da für eintreten, sich ihnen als Kämpfer anzuschließen. Hunderte Muslime und Konvertierte haben sich zur Unterstützung der Terroristen nach Syrien begeben, darunter befinden sich laut Behördenangaben rund 400 Deutsche. Diese Entwicklung, meine Damen und Herren, legt uns auch hier in Bremen eine bisher nicht in dieser Dimension erkannte Verantwortung auf. Wir müssen verdeutlichen, dass wir diese Verbre chen gegen die Menschheit nicht ohne Gegenwehr hinnehmen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Wir müssen überlegen und uns einig werden, was

wir dagegen tun wollen und was unser Beitrag aus Bremen sein kann. Wir müssen eindeutige Positionen für die Aufnahme der Flüchtlinge und der Verfolg ten beziehen, und wir müssen uns gegen Versuche wenden, dass hier bei uns aus den Verbrechen der ISIS fremdenfeindliches Kapital geschlagen wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Es geht ganz klar um einen Völkermord. Jeder

anständige Mensch, egal welcher Religion, muss die Vertreibung aus Syrien und aus dem Irak, die Geiselnahmen, die Hinrichtungen von Journalisten auf das Schärfste verurteilen. Als Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft, die aus einem islamisch geprägten Land kommt, bin ich sehr froh, dass dies hier auch geschieht. In einer gemeinsamen Erklärung haben sich zum Beispiel deutsche Imame vehement gegen Gewalt im Namen des Islam ausgesprochen. Sie fordern die Muslime auf, sich offensiv von jeder Art von Terror und Gewalt zu distanzieren, und war nen davor, diesen Genozid als bloßen Bürgerkrieg zu verharmlosen.

Es gibt in dieser Bürgerschaft niemanden, glaube

ich, der dieses grausame, menschenverachtende Vor gehen dieser Terroristen nicht verurteilt. Wir alle sind uns der Folgen bewusst: Hunger, Mangelernährung, schwere gesundheitliche Schäden, Traumatisierung und Seuchengefahr bei den mindestens zwei Millio nen Menschen, die zurzeit auf der Flucht sind. Von diesen Folgen sind nicht nur die Christen, nicht nur die Jesiden, davon sind auch die Sunniten, Schiiten

und alle betroffen, die sich diesen Terroristen nicht unterwerfen.

Das Kontingent von 20 000 Flüchtlingen, das von

der Bundesregierung bisher nicht erweiterte wurde, ist nur ein Tropfen auf einem heißen Stein, meine Damen und Herren! Das reicht nicht, das habe ich auch heute Morgen gesagt, das Kontingent muss erweitert werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich weiß, wir sind in Bremen in einer schwierigen

Situation. Wir haben sie heute Morgen ausführlich diskutiert, wir haben uns damit auseinandergesetzt. In den vergangenen Monaten haben wir trotzdem darum gekämpft, viele Flüchtlinge aufzunehmen, unterzubringen und zu versorgen. Unser Senat und auch die zuständige Senatorin haben sich rund um die Uhr bemüht, diesen Herausforderungen zu be gegnen. Noch mehr Hilfe, noch mehr Schutz für diese Menschen, die aufgenommen und von uns willkommen geheißen werden sollen, können wir das guten Gewissens von uns selbst, von unserem Bundesland, von unseren Kommunen und von den Bremerinnen und Bremern verlangen? Ja, das können wir, es ist eine Notsituation, wir müssen das von uns verlangen, meine Damen und Herren!

Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Situ

ation sozialverträglich gestaltet wird. Deshalb haben wir uns auch heute Morgen im Rahmen der Debatte über den Entschließungsantrag ausgetauscht, wie wir das besser gestalten können. Wir wollen, dass sich Bremen auf Bundesebene verstärkt für eine er weiterte humanitäre Hilfe einsetzt. Wir wollen, dass sich Bremen für die Aufnahme der Flüchtlinge aus diesen Krisengebieten einsetzt, und natürlich wollen wir in Bremen alle rechtlichen Möglichkeiten für die Angehörigen der Minderheiten, aber auch für alle, die von ISIS-Terroristen verfolgt werden, ausschöpfen, meine Damen und Herren. Wir wollen ihnen Schutz bieten. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall)

Als nächste Rednerin hat

das Wort die Abgeordnete Frau Grobien.

Herr Präsident, liebe

Kolleginnen und Kollegen! DIE LINKE hat mit ihrem Antrag „Verfolgte Minderheiten im Irak und Syrien schützen“ ein ernstes Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Täglich verfolgen wir die Auseinandersetzun gen in den Medien und sind fassungslos angesichts der Gräueltaten der Terrorgruppe mit dem Namen Islamischer Staat. Die persönlichen, betroffenen Worte von Herrn Tuncel haben wir gehört. Zwar existiert diese Gruppe, anfangs noch unter anderem Namen, schon seit über zehn Jahren, doch erst durch die

massive Offensive der letzten Monate gelangte sie nicht zuletzt durch die Friedensdemonstrationen der Jesiden ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit.

Nach ersten schnellen Siegen rief der IS im Juni

ein Kalifat aus und etablierte damit ein Terrorre gime, dem Schätzungen zufolge bereits Tausende Menschen zum Opfer fielen. Insbesondere religiöse Minderheiten wie die Jesiden und Christen sind seitdem massiv bedroht. Die Milizen zwingen die Menschen, zum Islam zu konvertieren, andernfalls droht ihnen der Tod. Jeder, der sich gegen die Ter rorgruppe ISIS stellt, muss mit dem Schlimmsten rechnen. Hier wird Religion in furchtbarster Weise missbraucht, um Mord, Terror und Herrschaftsan spruch zu legitimieren.

(Beifall bei der CDU und bei der LINKEN)

Angesichts dieser Gräueltaten kann und darf die

Staatengemeinschaft nicht tatenlos zusehen. Allein im Irak sollen Schätzungen der Vereinten Natio nen zufolge mehr als eine Million Menschen unter schwersten Bedingungen auf der Flucht sein, wir haben das heute schon gehört. Selbst wenn sie es schaffen, sich in sichere Gebiete zu retten, bleibt ihre Lage bedrohlich und auch die aufnehmenden Staaten stoßen mehr und mehr an ihre Grenzen. In den letzten Tagen – auch das wurde schon gesagt – sind über 100 000 Menschen aus Syrien in die Türkei geflohen, überwiegend Frauen und Kinder in der Hoffnung auf Schutz vor dem IS. Zwar formiert sich nun ein internationales militärisches Bündnis mit den USA und einigen arabischen Staaten, doch ein wirklicher Sieg scheint trotz vereinzelter Erfolge in weiter Ferne.

Ich denke, wir sind uns alle einig, was die Forderung

nach humanitärer Hilfe für die Flüchtlinge angeht. Diesen Menschen beizustehen ist unsere Pflicht. Mit 50 Millionen Euro Soforthilfe und bislang 150 Tonnen Hilfsgütern beteiligt sich die Bundesrepublik an den internationalen Hilfsmaßnahmen.

Wir hier in Bremen stellen uns auch der schwierigen

Aufgabe, wenn es um die Aufnahme von Kriegs flüchtlingen geht. Das ist auch heute Morgen bereits ein Thema gewesen. Angesichts der humanitären Katastrophe dieses Ausmaßes darf die Frage aber nicht heißen, ob wir helfen, sondern allenfalls, wie wir helfen. Den Aufruf, die Hilfsmaßnahmen weiter zu intensivieren, kann ich daher auch nur mit Nach druck unterstreichen.

Der wirkliche Streit, der ja auch in den verschie

denen Parteien von links bis rechts sehr intensiv geführt wird, betrifft aber den Einsatz militärischer Mittel. Deutschland hat sich die Entscheidung zur Lieferung militärischen Geräts nicht leicht gemacht, und man kann auch jede kritische Stimme verstehen. Noch vor einem Jahr hätte man die Überlegung, ob Deutschland Waffen in Krisengebiete liefern soll, vermutlich breit abgelehnt, aber wir können vor

einer solchen Auseinandersetzung nicht einfach die Augen verschließen.

Natürlich muss die Priorität immer auf diplomati

schen Lösungen liegen, und deswegen unterstützen wir auch die Strategie der Bundesregierung, die Etablierung einer inklusiven Regierung im Irak zu unterstützen, damit der Irak geeint gegen die Be drohungen des IS vorgehen kann. Doch wie wird dieses Vorgehen aussehen? Eine friedliche Lösung erscheint derzeit unvorstellbar. Der IS verkörpert eine Ideologie des Hasses und der Intoleranz. Der IS greift mit seinem grenzüberschreitenden Herr schaftsanspruch die Souveränität diverser Staaten an. Dies nun als weit entferntes Problem abzutun, wäre nicht nur ignorant und arrogant, sondern auch falsch, denn immer mehr Dschihadisten schließen sich dieser Terrorgruppe an. Mehr als 400 Deutsche sollen mittlerweile in die Region gereist sein, um die Terrorgruppe im Kampf für ihren islamischen Staat zu unterstützen. Da muss man auch einmal fragen, was eigentlich bei uns falsch läuft, wenn junge Menschen in einem solchen Kampf dort ihre Zukunft sehen!

(Beifall)

Selten war die internationale Einigkeit so breit.

Mitte August verabschiedete der UN-Sicherheitsrat eine Resolution, die die Gewalttaten auf das Schärfste verurteilt und Maßnahmen zu deren Bekämpfung vorsieht. Heute bemüht sich der amerikanische Prä sident um die Legitimation der UNO für die militä rischen Luftangriffe der letzten beiden Tage. Auch die Bundesrepublik stellt sich dieser Realität und hat deshalb Anfang September nach sorgsamer Abwägung und Beleuchtung sämtlicher außen- und sicherheitspolitischer Aspekte die Abgabe militäri scher Ausrüstungen – also Fahrzeuge, Waffen und Munition – aus vorhandenen Bundeswehrbeständen an die Autonome Region Kurdistan im Irak beschlos sen. Das ist auch gut so. Heute starten in Leipzig die ersten Flugzeuge mit der Ausrüstung, um die Peschmerga zu unterstützen. Das ist sicherlich ein schwieriger und unpopulärer, in meinen Augen aber angesichts der Alternativen auch der einzig richtige Schritt.

Ich habe lange überlegt, wie wir uns dem An

trag der LINKEN gegenüber verhalten. Wie bereits ausgeführt, stellt sich die Frage nach der weiteren Unterstützung der Flüchtlinge nicht. Diese erfolgt, auch wenn der Antrag der LINKEN dies komplett unerwähnt lässt. Leider fehlt jegliche Aussage, wie man sich im Kampf gegen den IS verhalten soll. Militärische Einsätze, so wenig einem das gefal len mag, scheinen unausweichlich. Man mag auch lange darüber diskutieren, wie es zu einer solchen Situation überhaupt kommen kann, in der die Welt reagieren muss, statt durch präventive Maßnahmen solche Organisationen gar nicht erst entstehen zu lassen oder im Keim zu ersticken. Doch im Kampf

(Glocke)

ich bin gleich fertig – gegen den IS muss ein breites internationales Bündnis bestehen, um dem Terror ein Ende zu setzen. Dabei muss die Bundesregie rung eine aktive Rolle spielen und kann sich nicht hinter der rein humanitären Hilfe verstecken. Jede Entscheidung muss dabei immer wieder aufs Neue sorgfältig abgewogen werden. Ihr Antrag, fürchte ich, ist da keine hilfreiche Grundlage, weswegen wir ihn ablehnen werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat

das Wort der Abgeordnete Tuncel.