Protokoll der Sitzung vom 10.12.2015

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 19/183 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen!

(Dafür CDU, DIE LINKE, FDP, ALFA, Abg. Tassis [AFD])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Menschenrechte der Uiguren schützen! Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, der SPD, der CDU und der FDP vom 4. Dezember 2015 (Drucksache 19/190)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Staatsrätin Hiller.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Mustafa Öztürk.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Tag der Menschenrechte erinnern wir an und gedenken wir der vielen Menschen, die ihr Leben riskieren, um Menschenrechte und Freiheit zu verteidigen. Sie setzen sich weltweit für Meinungsfreiheit, für Religionsfreiheit oder das Recht auf Privatsphäre ein.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Wir sollten sie dabei nach Kräften unterstützen. Jede Menschenrechtsverletzung ist eine zu viel. Menschenrechte sind universell, sie sind unteilbar. Daher betreffen sie alle Lebens- und Politikbereiche.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

In China werden Minderheiten immer wieder Opfer von Unterdrückung und Verfolgung, insbesondere dann, wenn sie nach Unabhängigkeit streben. Die Ereignisse in Tibet sind vielen bekannt.

Die Volksgruppe der Uiguren jedoch hat bislang keine solche öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, obwohl auch sie Opfer von Unterdrückung ist. Die Uiguren leben überwiegend in der autonomen uigurischen Region Xinjiang in China. Sie gehören zu den ältesten Turkvölkern. Kleinere Minderheiten leben auch in der Mongolei, in der Türkei, in Afghanistan und in verschiedenen Ländern Zentralasiens.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Leben auch welche in Bremen?)

Darüber hinaus gibt es nennenswerte Gruppen in Deutschland, Pakistan, Indonesien, Australien, Taiwan und Saudi-Arabien. Die Mehrheit der Uiguren gehört dem Islam an. Der Sufismus ist stark verbreitet.

Die Uiguren stellen heute sieben bis acht Millionen der 20 Millionen in China lebenden Muslime. Heute machen die Uiguren in Xinjiang nach Jahrzehnten zum Teil massiver Siedlungspolitik Chinas nur noch etwa 40 Prozent der Bevölkerung aus. Früher waren es über 90 Prozent. Die seit Langem prekäre wirtschaftliche, soziale und politische Lage der Uiguren hat sich insbesondere seit dem 11. September 2001 sehr verschlechtert. Viele Uiguren haben Angst, sozial, kulturell und politisch überrollt zu werden. Immer wieder kommt es zu Unruhen und Protesten. Meistens werden diese mit großer Härte niedergeschlagen.

Die jüngsten massiven Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang haben zu einer erneuten Flüchtlingswelle geführt. Zu diesen Menschenrechtsverletzungen gehört auch die Einschränkung der Religionsfreiheit, des Religionsunterrichts in den Schulen – diese sind nicht erlaubt –, und schon der Besitz des Korans hat in der Vergangenheit zur Verhaftung von Lehrkräften und von Schülerinnen und Schülern geführt. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sowie Beamtinnen und Beamte dürfen keine Moscheen besuchen. Es ist ihnen verboten, am Ramadan zu fasten.

Mit der Religionseinschränkung gehen weitere schwere Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang einher. Die Bewegungsfreiheit wird durch das Verbot, uigurische Kinder auf Schulen im Ausland zu schicken, massiv eingeschränkt. Die Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit der Uiguren wird äußerst restriktiv gehandhabt. Seit 2003 ist die uigurische Sprache an den Schulen und in den Medien verboten. Es gibt unzählige Aussagen über Folter von Uiguren in Haftanstalten und in Arbeitslagern. In Xinjiang werden landesweit die meisten Todesurteile in China verhängt. Dennoch haben einige südostasiatische Staaten wie Thailand in den letzten Jahren immer wieder Uiguren nach China abgeschoben. Sowohl von der Europäischen Union als auch von den

Vereinten Nationen und von den Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch wurden sie deshalb auf das Schärfste verurteilt. Die Türkei, ebenfalls ein Land, in dem die uigurische Minderheit beheimatet ist, erklärte sich immer wieder bereit, Uiguren aufzunehmen, um sie vor Exekutionen im Heimatland zu bewahren. Im Sommer 2015 kam es in Istanbul wegen der thailändischen Abschiebepraxis zu massiven Übergriffen auf das thailändische Konsulat. Die Bürgerschaft fordert den Senat auf, sich auf Bundesebene und EU-Ebene dafür einzusetzen, die Türkei auch weiterhin bei der Aufnahme von Uiguren aus China zu unterstützen, die ansonsten aus Südostasien dahin abgeschoben würden. Die Bürgerschaft fordert den Senat weiter auf, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Anerkennungspraxis von Uiguren als politisch Verfolgte überprüft und gegebenenfalls Abschiebehindernisse zuerkannt werden. Ferner möge sich der Senat auf Bundesebene und EUEbene für die Wahrung der Menschenrechte in China und die Einhaltung der völkerrechtlichen Pflichten zum Schutz der Religionsfreiheit für alle Chinesinnen und Chinesen, auch der Uiguren, einsetzen und dafür, dass der ungehinderte Zugang zu allen Haftanstalten und Lagern in Xinjiang für den UN-Sonderbeauftragten für Folter, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte sowie das Internationale Komitee des Roten Kreuzes gewährleistet wird. Im Übrigen fordert die Bürgerschaft den Senat auf, auf allen Ebenen darauf hinzuwirken, dass gegenüber der chinesischen Regierung das absolute Folterverbot und die Abschaffung der Todesstrafe thematisiert werden. Es besteht auch ein Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Handelspolitik. Der Handel hat unzweifelhaft positive Effekte auf die staatliche Entwicklung, auf die Lebensbedingungen in den Staaten und die Lebensbedingungen der Bevölkerung. Er hat aber auch negative Auswirkungen. Wir haben gerade das Thema Milchwirtschaft debattiert, auch sie ist ein Teil dieser Politik. Wir benötigen deshalb für Handels- und Investitionsabkommen gute Instrumente, um Menschenrechte wirksam schützen zu können. Nur auf diese Weise können Deutschland und die EU ihrem Anspruch auf eine menschrechtsgeleitete Handelspolitik besser nachkommen. Wie eben erwähnt, jede Menschrechtsverletzung ist eine zuviel. Am heutigen Tag gedenken wir des Volks der Uiguren in China und wünschen uns, dass China seine Praxis ändert. – Danke schön!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grotheer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mancher mag sich fragen, warum wir heute über die Uiguren reden und was das Thema mit Bremen zu tun hat. Diese Fragen habe ich mir auch gestellt, als der Antrag vorgelegen hat.

Ich habe mich dann – Herr Öztürk hat es schon angesprochen – mit dem Tag beschäftigt, an dem wir den Antrag debattieren. Heute ist der Tag, an dem im Jahr 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Es ist der Tag, an dem die Weltöffentlichkeit gesagt hat, wir gehen davon aus, dass es bestimmte Rechte gibt, die für alle Menschen auf dieser Erde gelten, und zwar unabhängig davon, welcher Religion sie angehören, welches Geschlecht sie haben oder welcher Ethnie sie angehören.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Viele behaupten nun, das sei eine allgemeine Erklärung, die keinerlei Bindungswirkung habe, die von verschiedenen Menschen verabredet worden ist, der die Staaten beigetreten sind oder auch nicht, und um dieser Diskussion aus dem Weg zu gehen, hat es darüber eine lange Debatte gegeben. Diese Debatte hat im Jahr 1966 dazu geführt, dass zwei internationale Pakte verabschiedet worden sind, der Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.

Ich möchte jetzt, weil wir über die Uiguren reden, darauf hinweisen, dass auch China dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte beigetreten ist. Dieser Pakt greift ebenfalls ein generelles Verbot der Diskriminierung ethnischer, religiöser und sprachlicher Minderheiten auf.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir reden über die Uiguren heute als eine Volksgruppe, der die Menschenrechte in China vorenthalten werden. Wir reden über eine Volksgruppe, die darum kämpft, international mit ihren Problemen und Unterdrückungsmechanismen in China wahrgenommen zu werden. Journalisten werden verhaftet und unterdrückt, Anwälte, die sich für die Uiguren einsetzen, werden verhaftet, ihre Arbeit wird unmöglich gemacht. Die Bürgerschaft beschäftigt sich deswegen mit diesem Thema.

Alle wissen es, und dennoch schieben einige südostasiatische Staaten die Uiguren nach China ab. Diese Praxis haben die Vereinten Nationen, Amnesty International und auch Human Rights Watch scharf verurteilt. Die Bürgerschaft hat sich daher in einem gemeinsamen Antrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP dafür ausgesprochen, auf Bundes- und Europaebene die Türkei bei der Aufnahme von Uiguren zu unterstützen. Das Land beheimatet selbst eine uigurische Minderheit und nahm in der Vergan

genheit wiederholt Flüchtlinge auf. Zu dem soll sich unserer Auffassung nach der Senat dafür einsetzen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Anerkennungspraxis von Uiguren als politisch Verfolgte überprüft.

Des Weiteren fordern wir natürlich auch China auf, den Einsatz für die Menschenrechte und ihre Wahrung durchzusetzen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Dass wir uns dafür aussprechen, den Uiguren zu helfen, ist gerade heute ein richtiges und wichtiges Zeichen. Ihr Schicksal – und das muss hier auch gesagt werden – ist leider aber nur eines von vielen Beispielen dafür, dass die Menschenrechte doch nicht überall auf der Welt gelten. Deswegen müssen wir uns weiter für die Menschenrechte einsetzen, und zwar nicht nur an einem Tag wie diesem. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grobien.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wiederholen uns jetzt, denn auch ich beginne meinen Redebeitrag mit dem 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte. Die Vereinten Nation erinnern jedes Jahr an den Tag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948.

In der Charta heißt es, ich zitiere: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“

Diese Sätze haben heute die gleiche Gültigkeit wie vor 47 Jahren. Die Charta der Menschenrechte schuf damit ein Wertesystem mit einem gemeinsamen Katalog, auf Grundrechten basierend, auf Gleichheit, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit, der für alle Menschen gelten sollte, und zwar unabhängig von der Herkunft, dem Geschlecht, der Religion, dem Alter, dem sozialen Status oder der politischen Überzeugung.

Für Menschenrechtsorganisationen und uns Parlamentarier ist der internationale Tag der Menschenrechte, den wir heute begehen, auch deshalb Anlass, bezüglich der Menschenrechte noch einmal Bilanz zu ziehen. Angesichts der internationalen Gesamtlage ist das Thema hochaktuell. Derzeit – und das haben wir in diesem Landtag schon mehrfach debattiert – sind circa 20 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Verelendung und Verfolgung, einige von ihnen leben inzwischen in Bremen und Bremerhaven.

Wenn in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und allen darauf folgenden Konventionen große Ziele formuliert wurden und viele Staaten die Dokumente unterzeichnet haben, muss man heute leider

feststellen, dass Dutzende Staaten die Dokumente ignorieren und die Würde und Rechte der Menschen mit Füßen treten. Ich wollte dies gern zu Beginn meines Beitrags erwähnen, weil man den Sinn und Zweck unseres Antrags an diesem besonderen Tag nicht aus den Augen verlieren sollte.

Der Schutz der Minderheiten gehört zu den großen Herausforderungen, wenn es um die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte geht. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass sich an dem Umgang eines Landes mit Minderheiten auch der Umgang mit der Demokratie zeigt.

(Beifall CDU, SPD)

Wieweit viele Minderheiten in der Realität von ihrem Rechtsanspruch auf Würde entfernt sind, zeigt sich heute noch immer in vielen Staaten und Regionen. Viele akzeptieren die Menschenrechtscharta nach wie vor nicht. Für die CDU-Bürgerschaftsfraktion ist es deshalb auch folgerichtig, dass wir an einem solchen Tag interfraktionell einen Antrag unterstützen und auf den Weg bringen.

Der Antrag zeigt das tägliche Unrecht gegenüber einer kleinen Minderheit wie die der Uiguren auf, die häufig in China schutzlos sind. Wenn die Uiguren auch nur eine kleine in China verfolgte Volksgruppe darstellen, setzen wir uns in unserem Antrag für sie ein.

Das Schicksal der Uiguren ist – jedenfalls in Deutschland vielen – nahezu unbekannt. In Deutschland lebt eine Community von mehreren Hundert Uiguren in München, die sich dort zusammengeschlossen haben. Ihr Verein firmiert als Weltkongress der Exil-Uiguren. Sie sind eine muslimische Minderheit in der chinesischen Provinz Xinjiang mit ungefähr zehn Millionen Menschen, auch das hat Herr Öztürk schon gesagt. Die chinesische Zentralregierung geht in der Region gegen alle Autonomiebestrebungen dieser Minderheit mit großer Härte vor. Ähnlich wie in Tibet wird versucht, die kulturelle Identität der Uiguren durch die systematische Ansiedlung von Han-Chinesen strikt zu untergraben. War im Jahr 1949 nur einer von 15 Bewohnern dieser Provinz ein Han-Chinese, hat sich das Verhältnis heute auf eins zu drei reduziert. Infolge dieser Besiedlungspolitik wurde der Ruf der Uiguren nach mehr Autonomie natürlich lauter: Das kann man gut nachvollziehen. Das Vorgehen gegen diese Volksgruppe wird von der chinesischen Regierung als Kampf gegen den Terrorismus deklariert, um der Bekämpfung einen scheinbar guten Grund zu geben.