Protokoll der Sitzung vom 20.04.2016

Ich will jetzt nicht darüber urteilen, ob es von unserem Bremer Jungen Böhmermann mutig oder doof ist, ein Gedicht zu verfassen, das in seiner Ausgestaltung überhaupt nichts mehr mit konstruktiver Kritik zu tun hat und auch wenig von Würde und Anstand enthält. Vielmehr war das wirklich schlichtweg unter der Gürtellinie. Aber es geht uns auch gar nicht darum, das heute zu bewerten. Das ist auch gar nicht unsere Aufgabe, was mit Böhmermann passiert, aber das, wo wir unsere Aufgabe sehen, ist eben, darüber zu reden, wo wir heute stehen. Was mit Böhmermann passiert, haben Gerichte zu entscheiden. Uns als Freie Demokraten geht es nämlich um unser höchstes Gut: um unsere Freiheit.

(Beifall FDP)

Es gibt dieses schöne Sprichwort, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings ganze Welten verändern, ja sogar Stürme auslösen kann. Wir glauben, dass Böhmis Gedicht so eine Art Flügelschlag war. Denn das, was jetzt passiert ist, ist unglaublich: Wen hat es denn bisher interessiert, wer sich über wen und in welcher Art und Weise auslässt? Bisher niemanden! Der türkische Präsident Erdoğan hat mit seinem Vorstoß gezeigt, was ihn treibt: Es ist der Wille, Macht zu haben und zu zeigen, dass er auch hier massiv Einfluss nehmen kann. Böhmermann ist übrigens nur einer von vielen in dieser Liste der Betroffenen, denn Erdoğan – das gehört auch zur Wahrheit – hat eine ganze Industrie von Anklagen und Ängsten in seinem Land geschaffen.

Bereits jetzt laufen über 10 000 zivilrechtliche und disziplinarische Verfahren wegen Beleidigung. Selbst der Jugendverband der AKP geht auf die Jagd und sucht nach Opfern. Männer zeigen mittlerweile zum Teil schon ihre Frauen an, nur weil sie sich über einen Bericht im Fernsehen aufregen.

Liebe Kollegen, das ist zum Teil der Zustand in der Türkei, und das wollen wir hier auf gar keinen Fall erleben!

(Beifall FDP, ALFA, Abg. Tassis [AfD])

Wir sind ein freies Land. Wir sind ein Land, in dem wir unsere eigene Meinung haben dürfen, und wir dürfen diese vor allem auch laut sagen und mitteilen. Wir sind ein Land, in dem wir über die „heute-show“ lachen und dies Ganze mit Freude ansehen dürfen, und wir sind ein Land, in dem wir eine gepflegte Streit- und Diskussionskultur haben. Ich bin übrigens dankbar, in so einem Land leben zu dürfen.

(Beifall FDP, ALFA)

Freiheit ist unser höchstes Gut, und diese Freiheit will für ewig geschützt werden. Das Grundgesetz ist dabei wie eine Art Seele unseres Staates. Unser Grundgesetz gibt uns den Rahmen vor und schützt die Würde jedes Einzelnen. Es gilt übrigens auch Artikel 3: Vor dem Gesetz ist jeder gleich, und es ist eben egal, ob man arm ist oder reich, ob jung oder alt, schwarz oder weiß, berühmt oder unbekannt – es ist egal. Da ist doch eigentlich auch nur logische Konsequenz, dass es auch egal ist, ob du Majestät bist oder Volk.

(Beifall FDP)

Ein Sonderstatus, wie ihn der Paragraf 103 Strafgesetzbuch einräumt, ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß. In unseren Augen ist das ein Paragraf und ein Relikt der Vergangenheit.

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Für mich sind die Ehre und die Würde jedes Menschen genauso unantastbar und schützenswert wie die eines Staatsoberhaupts, und wir Bremer sollten an dieser Stelle erneut ein Zeichen setzen – wie wir es oft tun –, ein Zeichen für die Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz in unserem Land. Auf jeden Fall setzen wir bereits heute ein Zeichen dafür, dass Politik, wenn es darauf ankommt, auch einmal parteiübergreifend denken kann, und das freut uns wirklich sehr.

(Beifall FDP)

In diesem Zusammenhang setze ich auf Ihre Zustimmung und hoffe, dass wir mit Stolz eine Bundesratsinitiative auslösen können, um wirkliche Gleichheit vor dem Gesetz in unserem Land herzustellen und weiterhin befreit Karikaturen zu zeichnen und Witze zu erzählen. Wir zeigen das Herz für Freiheit. – Danke!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Vogt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Hätte man mir vor einem Jahr gesagt, dass ich hier stehe, weil wir als Fraktion

einen Antrag der FDP unterstützen, hätte ich das nicht geglaubt. Ich hätte das vielleicht noch zu Zeiten von Gerhart Baum für möglich gehalten, aber nicht in den letzten Jahren. An diesem Punkt und auch an einigen anderen Punkten aber, in denen es tatsächlich um wichtige demokratische Errungenschaften geht, habe ich tatsächlich keine inhaltlichen Schwierigkeiten mit der Freien Demokratischen Partei Deutschlands.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Ich möchte ein bisschen auf die Chronologie eingehen, weshalb wir diese Debatte hier eigentlich führen. Der Antrag ist natürlich total richtig. Wir sind daran erinnert worden, dass es den Paragrafen 103 gibt, und man vermutet zu Recht, dass er im Kaiserreich entstanden ist und nicht im Deutschen Strafgesetzbuch. Aber natürlich ist Paragraf 90, die Beleidigung des Bundespräsidenten, genauso ein aus der Zeit geratener Anachronismus. Eigentlich hätten wir nicht diese Affäre haben müssen, um ihn aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen. Aber sei es drum! Wir haben sie jetzt, und wir haben tatsächlich so etwas wie eine Staatsaffäre.

Wenn man sich das chronologisch anschaut, ist das schon ein bisschen irre: Vor drei Wochen las der in Bremen-Gröpelingen geborene Satiriker Jan Böhmermann bei „ZDFneo“ ein Gedicht über den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan unter dem Titel „Schmähkritik“, über dessen Geschmack man sich, wie bei allem, was Kunst und Pressefreiheit angeht, streiten kann. Bereits am nächsten Tag löschte das ZDF diese Passage aus der Mediathek. Drei Tage später telefonierte Angela Merkel mit Erdoğan und entschuldigte sich für den Text. Kurz darauf veröffentlichte das Auswärtige Amt eine hausinterne juristische Einschätzung, wonach der vorgetragene Inhalt angeblich strafrechtlich relevant sei. Was folgte, waren verschiedene Strafanzeigen wegen Beleidigung, und am vergangen Freitag gab es dann diese berühmte Pressekonferenz, auf der Angela Merkel persönlich der Staatsanwaltschaft die Erlaubnis zu Ermittlungen nach dem Paragrafen 103 StGB wegen Beleidigung eines ausländischen Staatschefs erteilte. Dieser Paragraf wird übrigens, wie gesagt, auch Majestätsbeleidigung genannt und wurde zum letzten Mal in den Siebzigerjahren regelmäßig vom persischen Schah in Anspruch genommen. So viel einmal dazu!

Der Clou bei diesem aus der Zeit gefallenen Sonderparagrafen ist nämlich ein deutlich härteres Strafmaß als das bei normaler Beleidigung, die meistens zivilrechtlich verhandelt wird, und Herr Erdoğan hat ja auch als Privatperson einen Antrag gestellt. Ich finde, dabei hätte es auch bleiben sollen. Das höhere Strafmaß sieht nämlich bis zu fünf Jahre Haft vor, und Jan Böhmermann steht seit den ganzen Ereignissen unter Polizeischutz und hat seine Sendung jetzt abgesagt.

(Bürgermeisterin Linnert: Wollte er doch so haben!)

Ich habe nicht gesagt, dass ich jetzt das Gedicht verteidige, Frau Linnert! Ich verteidige aber die demokratischen Werte, die wir haben, und das sind Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Das ist im Grunde das Perfide an der ganzen Geschichte: Es ist zu einer Staatsaffäre geworden, obwohl es das nicht hätte werden müssen, und verschiedene Ministerien haben sich massiv in die Angelegenheiten des ja eigentlich unabhängigen Rundfunks und der Kunstfreiheit eingemischt. Es gibt die öffentliche Vorverurteilung eines Journalisten, in dem Fall durch das Bundeskanzleramt und das Außenministerium. Das finde ich schon einmalig. Das muss ich einmal ganz klar und eindeutig sagen!

Wir haben hier zu Recht zum Beispiel im Januar vergangenen Jahres nach diesen furchtbaren Anschlägen in Paris als demokratische Fraktionen gesagt: Die Freiheit der Presse, die Freiheit des Worts, die Freiheit der Kunst, die Freiheit der Satire ist ein Gut, das wir uns nicht nehmen lassen wollen. Ich finde, das gilt auch in diesem Fall, wenn ein Satiriker ein Gedicht irgendwie herablässt – das mir persönlich überhaupt nicht gefällt –, aber das natürlich nicht dazu führen darf, das wir hier eine Staatsaffäre haben und sich die Bundesregierung so massiv in die Gewaltenteilung einmischt. Ich finde das nicht richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, und deswegen finde ich, das zeigt – –.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Da mischt sich keiner ein! Ich habe gerade eben gesagt, es gab eine öffentliche Vorverurteilung, und das, finde ich, ist schon eine Einmischung! Ich finde, das darf nicht sein! Das ist natürlich möglich, weil wir dieses Gesetz haben. Deswegen stehen wir auch zu Recht hier und sagen: Dieses Gesetz und in dem Zusammenhang natürlich genauso Paragraf 90 müssen abgeschafft werden! (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Ich finde das auch in der Außenwirkung fatal, weil wir zu Recht demokratische Errungenschaften für uns behaupten. Wir sollten sie nicht über Bord werfen, auch nicht im Umgang mit einem türkischen Präsidenten, der Zuhause die Meinungsfreiheit überhaupt nicht achtet. Neben der Legitimierung in der Außenpolitik, wo wir jetzt tatsächlich ein Problem haben, ist es auch ein fatales Signal in die Türkei hinein – das hat meine Vorrednerin Frau Steiner eben schon gesagt –, wo nicht nur Oppositionelle verfolgt

werden, sondern vor allen Dingen massiv Journalisten oder auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, wenn sie sich äußern. Der Grad der Denunziation ist in der Türkei schon enorm hoch – Sie haben eben zu Recht erwähnt –, dass sogar Familien ihre Familienmitglieder anzeigen. Das sind Sachen, die wir hier das letzte Mal im Dritten Reich erlebt haben.

(Abg. Strohmann [CDU]: In der DDR! – Glocke)

In der DDR auch! Stimmt, Herr Strohmann, ich gebe Ihnen Recht! Aber ich finde es total schwierig – ich komme zum Schluss! –, dass wir im Grunde eine außenpolitische Situation heraufbeschwören, die zudem auf einem Paragrafen im Strafgesetzbuch fußt, der unseres Erachtens schon längst abgeschafft gehört hätte. Von daher stehen wir mit vollem Herzen hinter diesem Antrag und hoffen, dass er in diesem Haus Zustimmung findet. – Ich danke Ihnen!

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Yazici.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Steiner, Sie beginnen Ihre Debatte mit dem Beitrag, wir sollten nicht über die Causa Böhmermann sprechen, das sei Aufgabe der unabhängigen Justiz, um dann im nächsten Atemzug über den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan zu diskutieren, der in seinem Land die Grundrechte missachte und dieser Logik folgend in Deutschland eben nicht von den Grundrechten Gebrauch machen könne. Das entlarvt Ihr schlechtes Wissen über das deutsche Verfassungsrecht, und Sie hätten sich in Vorbereitung auf den heutigen Tag eher darauf versteifen sollen, dieses Recht zu studieren, als ein kindisches Gedicht über Erdoğan zu trällern.

(Beifall CDU – Abg. Frau Steiner [FDP]: Finden Sie Herrn Erdoğan so toll? Finden Sie seine Politik so gut?)

Es geht nicht darum, ob ich Erdoğan toll finde! Es geht nicht darum, was er in der Türkei macht! Es geht darum, dass der Schutzraum der Beleidigung ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht für jedermann und damit auch für Erdoğan ist, völlig egal, was er in der Türkei macht.

(Beifall CDU)

Darum geht es, Frau Steiner!

(Zuruf: Es geht um Paragraf 103!)

Es geht um Paragraf 103, genau!

(Abg. Frau Steiner [FDP]: Es gibt ihn immer noch im Strafgesetzbuch!)

Ich möchte gerne fortfahren! Sie können sich gern noch einmal melden und Ihre rechtliche Einschätzung dazu abgeben! Unmittelbar bevor Jan Böhmermann das sogenannte Erdoğan-Gedicht in seiner Satiresendung vorgetragen hat, schickte er folgende Distanzierung voraus: Jetzt kommt das, was man nicht machen darf.

Nach eigener Darstellung wollte Böhmermann damit also den Unterschied zwischen erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik demonstrieren. Damit ist der verfassungsrechtliche Rahmen abgesteckt: Es kommt alleine darauf an, ob diese besondere Einbettung der Schmähkritik deren verletzenden Charakter so weit absenkt, dass das gesamte Verhalten zwar möglicherweise überzogen, aber letztlich zulässig ist.

Nach dieser Distanzierungsformel unterstellte er dem türkischen Staatspräsidenten dann in gereimter Form Folgendes: dass er Mädchen schlage, geschlechtlich mit Ziegen verkehre, Kinderpornos schaue, eine dumme Sau mit Schrumpelklöten sei – das höre ich zum ersten Mal – und zudem schwul, pervers, verlaust, zoophil, und dass er an einer Gangbangparty teilnehme, bis der Schwanz beim Pinkeln brenne.

(Abg. Crueger [SPD]: Gut, dass wir das jetzt einmal gehört haben!)

Ja, das haben die meisten gar nicht gelesen! Aus meiner Sicht gibt es keine Situation, in der man so über einen Menschen reden darf.

(Beifall CDU)

Es steht eben nicht die satirische Äußerung und damit die inhaltliche Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund, sondern einzig die Herabsetzung und Diffamierung der Person Erdoğan. Mehr noch: Der Text enthält so ziemlich alle Klischees über Türken und Muslime in Deutschland und ist daher auch ausländerfeindlich.

(Beifall CDU – Abg. Zicht [Bündnis 90/Die Grünen]: Das sagt er doch gar nicht!)