Protokoll der Sitzung vom 20.04.2016

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, FDP)

Das Wort erhält zu einer Kurzintervention der Abgeordnete Dr. Yazici.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte für unsere Fraktion bekannt geben, dass wir getrennte Abstimmungen beantragen. Wir werden Ziffer 1 ablehnen mit der Begründung, dass, solange der Paragraf immer noch im Strafgesetzbuch steht und in Kraft ist, er natürlich angewendet wird. Alles andere wäre rechtsstaatlich nicht haltbar.

Den Ziffern 2 bis 4 werden wir insoweit zustimmen. – Danke schön!

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Aulepp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorwegzunehmen, die

SPD-Fraktion wird dem Antrag der FDP zustimmen, weil wir voll und ganz hinter seiner Intention und Zielsetzung stehen, auch wenn die Begründung an der einen oder anderen Stelle über das Ziel hinausschießt. Das gilt auch für die mündlich hier gegebene Begründung. Darauf komme ich später.

(Beifall SPD)

Die Würde eines jeden Menschen ist nach unserem Grundgesetz unantastbar, alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Der 14. Abschnitt des Strafgesetzbuches schützt umfassend das Rechtsgut der persönlichen Ehre, das Recht auf Achtung der eigenen Person, und das gilt für jedermann und jede Frau, weil in unserer Demokratie und vor unserem demokratischen Rechtssystem alle Menschen gleichwertig sind, auf die gleiche Art und Weise geachtet und geschützt werden müssen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Das gilt für uns alle hier, das gilt für Präsidenten wie Hollande, Erdoğan oder Obama, das gilt für Polizeibeamte und Altenpflegerinnen, für alle Menschen gleichermaßen.

(Abg. Hinners [CDU]: Für mich auch!)

Darüber, ob dieses Rechtsgut verletzt ist, dürfen nur die dafür eingesetzten und grundgesetzlich sowohl geschützten als auch verpflichteten Gerichte entscheiden und nicht Regierungen. Hier wäre in besonderem Maße Zurückhaltung geboten.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Die Sonderbehandlung des Paragrafen 103 Strafgesetzbuch widerspricht diesen Grundsätzen und ist daher, wie hier zu Recht mehrfach erwähnt worden ist, nicht mehr zeitgemäß. Das gilt auch für das Erfordernis einer Ermächtigung zu einer Strafverfolgung durch die Regierung nach Paragraf 104a. Im Übrigen bleibt die betreffende Äußerung auch bei nicht erteilter Genehmigung nicht ungeahndet und, da möchte ich meinem Kollegen Herrn Dr. Yazici widersprechen, denn es bleibt bei dem Grundsatz, dass die Ehre eines jeden Menschen durch die Paragrafen 185 ff. Strafgesetzbuch geschützt ist. Deshalb ist es richtig, Paragraf 103 Strafgesetzbuch so schnell wie möglich abzuschaffen und bis dahin deutlich zu machen, dass durch die Nichterteilung der Ermächtigung allgemeines Strafrecht für alle Menschen gleichermaßen gilt.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist richtig, zu prüfen, ob das nicht auch für die Beleidigung des Bundespräsidenten gilt und ob der

Schutz unseres demokratischen Rechtsstaats nicht auch ohne Paragraf 90 Strafgesetzbuch gewährleistet ist.

Beleidigung, Verleumdung und üble Nachrede stehen unter Strafe, es sei denn, sie sind zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur sogenannten Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht worden und in einem angemessenen Rahmen. So regelt es Paragraf 193 Strafgesetzbuch. Ob die betreffenden Äußerungen eine Straftat darstellen, darf keine politische Frage sein, es muss eine Frage der gerichtlichen Feststellung sein, und zwar unter Beachtung des grundgesetzlichen Schutzes der Presse‑, Meinungs- und Kunstfreiheit sowie des Schutzes der menschlichen Würde und der persönlichen Ehre. Deshalb ist es richtig, dass sich damit Gerichte und nicht Regierungen oder Parlamente beschäftigen, dass Gerichte diese Frage klären und entscheiden. Aus diesem Grund, meine Damen und Herren von der FDP, ist der erste Absatz ihrer Begründung nach unserer Überzeugung fehl am Platze.

Darbietungen, die lediglich geschmacklos, vulgär und unwitzig sind, sind eine Frage des Geschmacks und nicht des Strafrechts. Ehrverletzende Beleidigungen, womöglich mit rassistischem Unterton, sind aber zu Recht nicht erlaubt – von niemandem. Das will ich hier ganz deutlich sagen.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Diese Unterscheidung gilt für alle, unabhängig von der betroffenen Person und unabhängig von der handelnden Person. Ganz konkret: Ich finde es richtig, dass die Justiz prüft, ob man in Deutschland einen türkischen Staatsangehörigen – ich zitiere aus Herrn Böhmermanns Darbietung, mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident – ungestraft einen „stinkenden Ziegenficker“ nennen darf und ob die Intention einer Darbietung im Lichte der Grundrechte derartiges Bedienen rassistischer Klischees rechtfertigt. Zur Klarstellung: dies natürlich aufgrund des für alle geltenden Beleidigungsparagrafen, für dessen Anwendung es keiner Ermächtigung der Bundesregierung gebraucht hätte!

Ich kann verstehen, dass türkischstämmige Menschen in diesem Land, die wegen ihres Aussehens oder ihres Namens Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht haben und in ähnlicher Art und Weise beschimpft worden sind, bei solchen Äußerungen überhaupt nicht lachen können. Ich kann darüber auch nicht lachen.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen)

Auf der anderen Seite müssen wir selbstverständlich als Demokratinnen und Demokraten Verletzungen der Meinungs- und Pressefreiheit immer wieder und

deutlich kritisieren, wie wir es hier in diesem Hause auch schon getan haben, weil diese Verletzungen empörenderweise in vielen Staaten der Welt stattfinden und leider auch in solchen, die sich demokratisch nennen. Das gilt aber ebenfalls für alle und nicht nur für einzelne Staaten, und das hat mit der Frage, ob eine Äußerung als Beleidigung strafbar ist, nichts zu tun.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss! Um das deutlich zu machen, werden wir am Ende auch die Ziffer 4 Ihres Antrags mit beschließen, auch wenn das überflüssig ist, und bekräftigen, dass sich unser Senat an die Grundsätze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hält, zu denen selbstverständlich auch Presse‑, Meinungs- und Kunstfreiheit gehören. – Ich danke Ihnen!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin zu einer Kurzintervention erhält die Abgeordnete Frau Steiner das Wort.

(Abg. Güngör [SPD]: Bitte jetzt kein Gedicht!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dr. Yazici, wir freuen uns, dass Sie sich entschieden haben, zu differenzieren und einen Teil des Antrags mitzutragen. Uns stellt sich noch die Frage, ob wir jedes Mal die Strafverfolgung zulassen sollten, solange Paragraf 103 noch existiert. Es kann passieren, dass er morgen gegen die „heuteshow“ oder andere Betroffene aufgegriffen wird.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Was ist das denn für ein Unsinn?)

Uns geht es hier um einen funktionierenden und zeitgemäßen Rechtsstaat. Es greifen die Paragrafen 185 bis 187, und da sind wir vom Gesetz geschützt. Was den Paragrafen 103 betrifft, müssen wir doch anerkennen, dass unser Kaiserreich nun seit fast hundert Jahren Geschichte ist. Es geht uns eben um Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz.

Sie sagen, wir wollen nicht über die Causa Böhmermann reden, und dann zitieren Sie sogar noch die abscheulichsten Passagen. Ganz ehrlich, das hat in dem Zusammenhang etwas von Realsatire.

(Beifall FDP, ALFA, Abg. Tassis [AfD] – Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Was hat denn die „heute-show“ mit 103 zu tun? – Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Das wollen wir ja klären!)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Professor Stauch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt Dissens nur bei einer Frage. Es besteht völlige Übereinstimmung, auch mit der Bundeskanzlerin, dass der Paragraf 103 StGB abgeschafft werden soll. Alle sind der Auffassung, er soll abgeschafft werden. Der einzige Dissens besteht darin, zu welchem Zeitpunkt. Die Bundeskanzlerin hat gesagt, im Jahre 2018.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Warum nicht jetzt?)

Wenn der Konsens besteht, ich will einen Straftatbestand abschaffen, muss man sich fragen: Warum wende ich ihn jetzt noch an? Diese Frage muss man beantworten. Es gibt einen gewissen Widerspruch, wenn ich sage, ich möchte das abschaffen, habe aber in einem konkreten Fall eine Ermächtigung für die Verfolgung erteilt. Das erschließt sich mir nicht.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Muss es ja auch nicht!)

Es gibt unter den Ländern Bestrebungen, eine Bundesratsinitiative auf sofortige Abschaffung des Paragrafen 103 anzustoßen. Ich habe erklärt, dass wir dem Senat vorschlagen werden, einen solchen Antrag mitzutragen.

(Beifall SPD, DIE LINKE, FDP)

Wenn diese Initiative kommt, würde sich auch das Verfahren gegen Böhmermann erledigen – nicht hinsichtlich der Beleidigung, sondern hinsichtlich der Beleidigung eines Staatsoberhaupts.

Die zweite Frage ist Paragraf 90 StGB. Auch da ist unter den Ländern vorgeschlagen, dass wir eine Prüfung machen wollen, so wie Sie das in Ihren Antrag geschrieben haben. Das wird auf der nächsten Justizministerkonferenz behandelt werden. Es gibt auch entsprechende Anträge dafür. Ich glaube also, auch dieser Paragraf wird am Schluss gestrichen werden. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, DIE LINKE, FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Es ist getrennte Abstimmung beantragt.

Zuerst lasse ich über die Ziffer 1 des Antrages abstimmen.