Protokoll der Sitzung vom 24.06.2016

Ich eröffne die 25. (außerordent- liche) Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Ich begrüße die anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Medien.

(Beifall)

Am 16. Juni 2016 haben die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Abgeordnete Jan Timke, BIW, gemäß Artikel 88 Absatz 2 der Bremischen Landesverfassung in Verbindung mit Paragraf 16 Absatz 2 der Geschäftsordnung der Bremischen Bürgerschaft die Einberufung einer außerordentlichen Sitzung beantragt. Der Vorstand der Bürgerschaft hat daraufhin am 16. Juni 2016 die außerordentliche Sitzung für den heutigen Tag einberufen.

Zur Abwicklung der Tagesordnung wurden interfraktionelle Absprachen getroffen, die Sie dem Umdruck der Tagesordnung mit Stand von heute, 9 Uhr, entnehmen können. – Wird das Wort zu den interfraktionellen Absprachen gewünscht? – Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Wer mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden ist, den bitte ich nun um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) ist mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden.

(Einstimmig)

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich der Abgeordneten Frau Sprehe zu ihrem Geburtstag die Glückwünsche des Hauses aussprechen.

(Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Misstrauensantrag gegen die Senatorin für Finanzen Antrag der Fraktion der CDU und des Abgeordneten Jan Timke (BIW) vom 16. Juni 2016 (Drucksache 19/653)

Dazu als Vertreter der Senats Herr Bürgermeister Dr. Sieling.

Der am 16. Juni 2016 eingegangene Misstrauensantrag ist von allen Abgeordneten der Fraktion der CDU und dem Abgeordneten Jan Timke (BIW), unterzeichnet und allen Abgeordneten und dem Senat am gleichen Tag mitgeteilt worden. Er hat insofern die in Artikel 110 Absatz 2 der Landesverfassung aufgeführ

ten Erfordernisse für einen Antrag erfüllt, einem Mitglied des Senats das Vertrauen zu entziehen.

Die Beratung ist eröffnet. Ich gebe die prozessualen Dinge bekannt: Es gibt verlängerte Redezeit für den jeweils ersten Redner je Fraktion bis zu 30 Minuten. Die Reihenfolge der Redner ist: CDU, Abgeordneter Timke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP, Gruppe ALFA.

Als erstem Redner gebe ich das Wort dem Abgeordneten Röwekamp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU-Bürgerschaftsfraktion hat die heutige Sondersitzung beantragt, um die Vertrauensfrage zu stellen, die Frage, ob Bremens Finanzsenatorin Karoline Linnert bei den vor uns liegenden großen Herausforderungen, bei den Verhandlungen um die Konsolidierung unseres Haushalts mit dem Stabilitätsrat einerseits und bei der Sicherung des Einflusses Bremens auf die Bremer Landesbank andererseits, noch das Vertrauen des Parlaments genießt. Die Dringlichkeit ergibt sich aus den weiteren zeitlichen Abläufen. Der Stabilitätsrat erwartet, dass Bremen bis zum 30. Juli seine Konsolidierungsbemühungen konkretisiert und dem Stabilitätsrat vorlegt. Die Verhandlungen über die Zukunft der Bremer Landesbank müssen bis zum Jahresende abgeschlossen sein, um die Zukunft dieser Bank zu sichern.

Ich weiß, dass es eine Zumutung für den einen oder anderen gewesen ist, heute, in den Ferien, zur Bürgerschaftssitzung zu kommen. Deshalb möchte ich mich für die CDU-Fraktion gleich zu Beginn beim Vorstand – insbesondere bei Ihnen, Herr Präsident, aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen Fraktionsvorsitzenden und den Abgeordneten, die angereist sind – sehr herzlich bedanken, dass wir hier heute vollzählig zu dieser zentralen Frage debattieren und abstimmen können. Ganz herzlichen Dank dafür!

(Beifall CDU)

Anlass für die Vertrauensfrage ist aus der Sicht der CDU-Fraktion, dass es in den letzten Tagen und Wochen eine Vielzahl von Fehlern gegeben hat. Ich denke, mit dem Wissen von heute kann man sagen, es war ein Fehler, dass wir in Bremen der Umwandlung unserer stillen Einlage in haftendes Eigenkapital bei der Bremer Landesbank zugestimmt haben. Ich sage gleich vorweg: Die CDU ist diesem Fehler auch erlegen – wir haben zugestimmt.

Ich habe, Frau Senatorin, noch einmal angeschaut, was wir vor vier Jahren, als es um die Umwandlung der stillen Einlage hier im Parlament ging, miteinander debattiert haben, und ich zitiere aus zwei Wortbeiträgen von Ihnen anlässlich der Debatte am 7. Juni 2012:

Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 19. Wahlperiode – 25. (außerordentliche) Sitzung am 24.06.16 1834

„Ja, am Ende möchte ich sagen: Ja, es gibt nichts ohne Risiko in dem Bereich. Aber die mittelfristige Planung der Bremer Landesbank kenne ich, und es gibt auch Rückstellungen für schlechte Zeiten. Diese mittelfristige Planung sieht so aus, dass wir uns in den nächsten Jahren keine Sorgen machen müssen.“

Frau Senatorin, ich glaube, man kann heute sagen: Diese Einschätzung von Ihnen damals war falsch. Wir müssen uns große Sorgen um die Zukunft der Bremer Landesbank machen.

(Beifall CDU)

Sie haben damals gesagt, es gebe Chancen und Risiken: Chancen auf verbesserte Mitgestaltung, Stärkung der Landesbank am Standort Bremen, Gewinne und Teilhabe an einer Wertsteigerung des Unternehmens; Risiken, die vor allem in einer nicht befriedigenden Ertragslage liegen, die dann zu einem Ausschüttungsverbot durch die Bankenaufsicht führen könnte. Dann sagen Sie: „Deshalb ist es für Bremen, Senat und Parlament besonders wichtig, Probleme frühzeitig zu erkennen.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, mit dem Wissen von heute kann man sagen: Frau Senatorin, Sie haben die Probleme dieser Bank eben gerade nicht frühzeitig erkannt, und Sie haben auch das Parlament nicht frühzeitig über diese Probleme unterrichtet.

(Beifall CDU)

Mit dem Wissen von heute kann man sagen: Der zweite Fehler liegt darin, dass das immense Schifffahrtsrisikoportfolio bei der Bremer Landesbank, das ja das Vierfache des haftenden Eigenkapitals ausmacht, zunächst aufgebaut und dann allerdings auch in den Folgejahren nicht abgeschmolzen worden ist. Ja, es hat kein wesentliches Neugeschäft gegeben, aber das Bestandsgeschäft wurde prolongiert, und es wurden zusätzliche Risiken teilweise durch Übernahme weiterer Konsortialanteile übernommen. Mit dem Wissen von heute muss man sagen: Es war ein Fehler, dass dieses Schifffahrtsrisikoportfolio nicht seit 2008 nachdrücklich zurückgeführt worden ist. Wäre das erfolgt, hätten wir heute nicht eine so existenziell bedrohliche Situation für die Bremer Landesbank.

Der dritte Fehler liegt darin, dass weder die Bank noch die Finanzsenatorin Maßnahmen ergriffen haben, als absehbar war, dass die Europäische Zentralbank zusätzliche Anforderungen an die Wertberichtigung bei der Bremer Landesbank stellen wird. Mit drastischem Absinken der Charterraten im zweiten Halbjahr 2015, nicht zuletzt aber durch Ankündigungen der EZB vom Dezember 2015 war klar, dass Handlungsbedarf besteht. Statt aber diesen Handlungsbedarf aktiv anzunehmen und gestalterisch mit den weiteren Gewährträgern in Verhandlungen darüber einzutreten, wie man diese Krise bewältigen kann, wurde abgewar

tet, bis die bezifferte Anforderung der Europäischen Zentralbank für die zusätzliche Wertberichtigung in Höhe von immerhin 700 Millionen Euro im März 2016 eingetroffen ist. Es war ein Fehler, auf diese absehbare und zumindest dem Grunde nach kalkulierbare Reaktion der Europäischen Zentralbank nicht gut vorbereitet gewesen zu sein.

Es war ein Fehler, dass seit der Bezifferung durch die Europäische Zentralbank am 29. März 2016 bis zur Ad-hoc-Meldung am 2. Juni 2016 über die drohenden Verluste und Notwendigkeiten der Wertberichtigungen keine Einigung zwischen den Gesellschaftern der Bremer Landesbank getroffen worden ist. Die Krise war zu diesem Zeitpunkt greifbar; sie war aber auch noch lösbar. Schlimm ist am Ende nicht gewesen, dass die Bremer Landesbank am 2. Juni eine Gewinnwarnung herausgeben musste; schlimm ist, dass diese Gewinnwarnung der Bank keine Perspektive bot. Es heißt lapidar im letzten Satz, um die Lösung dieser Probleme werde gerade verhandelt.

Die Botschaft an die Banken- und Finanzwelt war: Die Landesbank hat ein Problem, das sie nicht in den Griff bekommt. Das hat dazu geführt, dass die staatliche Aufsichtsbehörde BaFin natürlich alarmiert war und innerhalb weniger Stunden unter Druck eine Lösung gefunden werden musste, die am Ende für Bremen einen großen Schaden bedeutet. Durch rechtzeitiges Handeln, Frau Senatorin, hätte das verhindert werden können.

(Beifall CDU)

Ich halte es für einen Fehler, Frau Senatorin, dass Sie das Parlament nicht in diese Situation eingebunden und es nicht informiert haben. Die Bremer Landesbank und die Anteile an der Bremer Landesbank gehören nicht dem Senat und auch nicht der Finanzsenatorin, sondern sie sind eine öffentliche Beteiligung, die der besonderen Kontrolle auch dieses Hauses unterliegt. Wenn eine solche Beteiligung in diesem Umfang gefährdet ist, dann wäre es notwendig und erforderlich gewesen, eine gemeinsame Lösung mit dem Parlament in dieser Frage zu finden. Es wäre allemal erforderlich gewesen, das Parlament über diesen Umstand seit Dezember 2015 zu unterrichten. Diesen Fehler haben Sie persönlich begangen, Frau Senatorin.

(Beifall CDU)

Wenn Sie dann zu Ihrer Entschuldigung sagen, Sie hätten das aktienrechtlich nicht gedurft, dann frage ich mich: Warum durfte dann eigentlich der Vorstandsvorsitzende der Bremer Landesbank am 20. Mai bei Wege lang, sage ich einmal, zufällig im Haushaltsund Finanzausschuss dieses Risiko offenlegen? Warum durften Sie dann plötzlich am 26. Mai die Fraktionsvorsitzenden der Bremer Bürgerschaft über dieses drohende Risiko informieren?

Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 19. Wahlperiode – 25. (außerordentliche) Sitzung am 24.06.16 1835

Nein, der Hinweis auf das Aktienrecht ist eine Ausrede. Er ist keine Begründung dafür, dass Sie das Parlament nicht frühzeitig unterrichtet haben. Ansonsten hätten Sie nach Ihren eigenen Maßstäben gemeinsam mit Herrn Kaulvers ja spätestens Ende Mai gegen das Aktienrecht verstoßen. Das habe ich aus Ihrem Munde nicht gehört. Sie haben uns vor der Ad-hocMeldung informiert, aber nur wenige Tage vorher, sodass das Parlament in die weiteren Entscheidungsprozesse gar nicht mehr eingebunden war.

Ich halte es für einen Fehler, dass Sie die Option der Kapitalerhöhung so frühzeitig aufgegeben haben. Wir sind Minderheitsgesellschafter dieser Bank; wir haben in dieser Bank nicht viel zu sagen. Schon gar nicht haben wir eine ausgesprochen gute Verhandlungsposition. Wir sind, was die Zukunft dieser Bank betrifft, darauf angewiesen, mit dem Mehrheitsgesellschafter eine gütliche, einvernehmliche und – ich füge hinzu – geräuschlose Lösung für die Bremer Landesbank zu finden.

Sie haben diese Option der Kapitalerhöhung von Anfang an für Bremen nicht verhandelt, deshalb sage ich Ihnen ganz ehrlich: Der Haushalt, der Stabilitätsrat und der Konsolidierungskurs stehen dieser Auffassung nicht entgegen. Diese Mehrheit im Parlament hat beispielsweise beschlossen, die Netze mit einer Beteiligung von 200 Millionen Euro zu rekommunalisieren. Für diese Beteiligung war das Geld da; für diese Beteiligung gab es keine beihilferechtlichen Bedenken; für diese Beteiligung haben der Senat und die Bürgerschaft einen Kredit aufgenommen. Da frage ich: Was hat eigentlich die Netzgesellschaft, was die Landesbank nicht hat? Sind Ihnen die Arbeitsplätze bei der Bremer Landesbank weniger wert als die einer Netzgesellschaft? – Nein, es hätte sorgfältig geprüft werden müssen, ob es rechtlich, wirtschaftlich und vor allem fiskalisch sinnvoll ist, bei der Kapitalerhöhung mitzugehen, anstatt den Bremer Anteil an der Bremer Landesbank nutzlos zu verspielen.

(Beifall CDU)

Zu diesem Fehler in Bezug auf die Verhandlungen um die Zukunft der Bremer Landesbank treten aus meiner Sicht zwei weitere entscheidende Fehler hinzu, die Bremen schwer geschadet haben. Nachdem der Stabilitätsrat bereits in den Jahren 2014 und 2015 Bremen zur nachhaltigen Haushaltskonsolidierung aufgefordert und dies sogar in seinen Berichten dokumentiert hat – ich zitiere –:

„Am 5. Dezember 2013 hatte der Stabilitätsrat an Bremen die Aufforderung gerichtet, seinen Konsolidierungskurs zu verstärken und über die hierzu ergriffenen Maßnahmen zu berichten. Im Dezember 2014 hat er das Land angesichts der unverändert notwendigen Verstärkung seines Konsolidierungskurses dazu aufgefordert, der Haushaltskonsolidierung höchste Priorität einzuräumen und mit der Aktualisierung des Sanierungsprogramms im Herbst 2015 die entspre

chenden Schritte und deren Auswirkung auf die geplanten Einnahmen und Ausgaben nachvollziehbar darzulegen. Der (ergänzte) Sanierungsbericht zeigt auf, dass Bremen zusätzliche Maßnahmen ergriffen hat, um seinen Konsolidierungskurs zu verstärken. Insgesamt wurden die Bremer Sanierungsbemühungen allerdings bislang stark durch externe Faktoren wie hohe Steuereinnahmen, niedrige Zinssätze und die Entlastung der Länder und Kommunen durch den Bund unterstützt.“

2013 sind Sie gewarnt worden, 2014 sind Sie gewarnt worden und 2015 sind Sie noch einmal gewarnt worden. Sie haben alle Warnungen, Frau Senatorin, fruchtlos verstreichen lassen, deshalb hat der Stabilitätsrat im Juni 2016 Bremen einen blauen Brief mit Fristsetzung geschickt. Das ist etwas, das Sie persönlich zu verantworten haben!

(Beifall CDU)

Ich habe ja gehört oder gelesen, dass Sie gesagt haben, es gebe gar keinen blauen Brief. Ich habe den Brief, den Ihnen Herr Dr. Norbert Walter-Borjans und Herr Dr. Wolfgang Schäuble am 8. Juni 2016 geschrieben haben. Der Präsident des Senats hat ihn auch. Ich gebe zu, er ist nicht auf blauem Papier geschrieben. Sie haben vielleicht formal recht, das ist kein blauer Brief. Wenn man aber den Inhalt liest – ich zitiere –: