Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) ist mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden.
Des Weiteren möchte ich Ihnen mitteilen, dass sich die Behandlung des Tagesordnungspunktes 42, „Ein setzung eines nichtständigen Ausschusses gemäß Artikel 125 der Landesverfassung“, durch die Unter brechung der ersten Lesung der Drucksache 19/765, Tagesordnungspunkt 41, erledigt hat.
Weiterhin möchte ich davon Kenntnis geben, dass mir der Landeswahlleiter mitgeteilt hat, dass für den durch Verzicht aus der Bürgerschaft ausgeschiedenen Abgeordneten Wilko Zicht Frau Sahhanim GörgüPhilipp ab 30. September 2016 in die Bürgerschaft (Landtag) eingetreten ist. Ich möchte Sie, sehr geehrte Frau Görgü-Philipp, ganz herzlich beglückwünschen und Sie in unserem Haus herzlich willkommen heißen!
Des Weiteren möchte ich Ihnen mitteilen, dass die Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) heute bereits um 12.15 Uhr unterbrochen wird, um den Abgeordne ten die Möglichkeit zu geben, an der Gedenkfeier anlässlich des Jahrestages der Novemberpogrome am Mahnmal in der Dechanatstraße teilzunehmen.
Bevor wir nun in die Tagesordnung eintreten, möchte ich der Abgeordneten Dr. Henrike Müller zu ihrem
Für die Aktuelle Stunde liegen zwei Themen vor, und zwar erstens „IQB-Bildungsstudie – schulpolitische Leistung des Bremer Senats bleibt mangelhaft“ auf Antrag der Abgeordneten Frau Vogt und DIE LINKE. Als zweites Thema liegt „Bremen entlässt Untersu chungshäftlinge – versagt die Justiz in Bremen?“ auf Antrag der Abgeordneten Schäfer, Leidreiter und Gruppe ALFA vor.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Vor knapp zwei Wochen hat das Berliner Institut zur Qualitäts entwicklung im Bildungswesen, besser unter der Abkürzung IQB bekannt, seinen neuen „Bildungs trend“ für Deutschland veröffentlicht. In diesen re gelmäßigen Studien werden schulische Leistungen der Bundesländer verglichen, und Bremen ist da bei wieder einmal auf dem letzten Platz gelandet. Diesen letzten Platz hat unser Bundesland seit der ersten PISA-Studie, die den Vergleich von Bundes ländern möglich machte, also seit 2001 regelmäßig bei Vergleichsstudien belegt. Seit 15 Jahren klebt Bremen also auf dem Schlussplatz. Ich finde, das ist ein Skandal, und insbesondere finde ich, es ist ein Skandal, dass es den Bremer Senat nicht richtig zu interessieren scheint.
Inzwischen bekomme ich das Gefühl, dass, wenn solche Studien vorgestellt werden, die regelmäßig schlechten Ergebnisse der Bildungsstudien nur noch zur Kenntnis genommen werden und der Senat of fenbar resigniert hat.
zu, was uns veranlasst hat, diese Aktuelle Stunde zu beantragen. Die Jugendlichen, deren Kompetenzen im letzten Jahr überprüft worden sind, haben nämlich ihre gesamte Bildungskarriere in Bildungsinstitutionen verbracht, die in Deutschland nach der PISA-Studie geändert worden sind. Das heißt, erstmalig lässt sich anhand dieser Studie feststellen, ob Bundes länder erfolgreiche Maßnahmen ergriffen haben, um Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler zu erhöhen, und erstmalig lassen sich auch Aussa gen darüber treffen, ob der starke Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund oder einem armen Elternhaus und dem Bildungserfolg der Kinder auf gelöst werden konnte. An diesem „Bildungstrend“ lässt sich zum ersten Mal seit der PISA-Studie 2001 ablesen, ob sich in den Bundesländern etwas bewegt hat oder eben nicht.
Am Beispiel Hamburg zeigt diese neue IQB-Studie sehr deutlich, dass es sehr wohl möglich ist, bildungs politisch etwas zu verändern und Fortschritte zu ermöglichen. Das Land Hamburg hatte in der Vergan genheit ebenso wie Bremen und Berlin als Stadtstaat lange auf den Schlussplätzen bei den Bildungsstudien gelegen. Anders aber, als man den Eindruck in Bremen zuweilen haben kann, hat Hamburg nicht die Haltung herausgebildet, dass gute Bildung in Stadtstaaten eben leider nicht zu gewährleisten ist. Im Ergebnis steht Hamburg nämlich heute viel besser da und hat inzwischen einen Platz im Mittelfeld belegt.
Der erschreckende Befund für Bremen lautet dagegen: Es hat sich nicht viel getan. Bei den Leistungen ist Bremen insgesamt weiterhin auf dem letzten Platz, und was viel schlimmer ist: Für die Jugendlichen, deren Elternhaus nicht auf Rosen gebettet ist – sprich, die arm sind –, und für deren Möglichkeiten, Bildungs chancen zu erlangen, hat sich in Bremen überhaupt nichts getan. Insbesondere scheitern in Bremen nach wie vor viele Jugendliche mit Migrationshintergrund und mit ökonomisch benachteiligtem Elternhaus.
Einige Ergebnisse der Studie möchte ich deswegen besonders herausgreifen. Deutsch zum Beispiel! Bei den Leistungen in Deutsch hat sich in Bremen tatsächlich überhaupt nichts getan. Das gilt für alle getesteten Kompetenzen: Lese-, Hörverstehen sowie Rechtschreibung. Besonders bitter sind natürlich die Leseergebnisse. Nur ein Drittel der Jugendlichen in Bremen erreicht das Regelniveau, das von dem Institut als erstrebenswert angesehener Standard herausge stellt wird. Bundesweit schaffen das immerhin die Hälfte aller jungen Leute. In Bremen bleibt ein Drittel der Jugendlichen auf dem Mindeststandard, und ein ganzes Drittel der Jugendlichen erreicht noch nicht einmal das geforderte Mindestniveau, kann also in der neunten Klasse kaum lesen. Ich frage mich, wie diese Jugendlichen im Anschluss an das darauffol gende Schuljahr einen Ausbildungsplatz erhalten sollen, wenn sie in der neunten Klasse noch nicht einmal richtig lesen können.
Englisch! Im Fach Englisch sehen die Leistungen der Bremer Jugendlichen auf den ersten Blick besser aus, aber wenn man genauer hinschaut, erkennt man, dass auch hier die Ergebnisse eher alarmierend sind. Beim Leseverständnis verharrt Bremen auch in Englisch auf dem letzten Platz. Die Lesekompetenzen haben sich verbessert, das gilt aber für alle Bundesländer, und Bremen hat es geschafft, den Anschluss nicht zu verlieren. Im Vergleich verbessert hat sich Bremen aber auch da nicht.
Beim Hörverständnis – das ist der Kompetenzbereich in Englisch, in dem Bremen nicht das letzte Bundes land ist – liegen wir auf Platz zehn. Der Staatsrat hat dieses Ergebnis in der Pressekonferenz besonders herausgestellt und sieht darin einen Beweis, dass bei uns alles gar nicht so schlecht ist. Wenn man sich aber einmal anschaut, wer auf den Plätzen elf bis 16 ist, relativiert sich auch das wieder, weil da nämlich das Saarland und die fünf neuen Bundesländer liegen. Das Saarland hat traditionell eher Französisch als erste Fremdsprache, und in den neuen Bundesländern ist der Englischunterricht auch noch nicht so lange implementiert, weil dort in der Vergangenheit Rus sisch als erste Fremdsprache unterrichtet worden ist.
Wenn wir uns also mit den Bundesländern vergleichen, in denen Englisch immer erste Fremdsprache gewesen ist, liegen wir auch da wieder auf dem letzten Platz.
Am Englischunterricht lässt sich aber auch noch anderes zeigen, zum Beispiel, dass sämtliche Bundes länder beim Lesen einen Sprung nach vorn gemacht haben. Das ist meiner Meinung nach ein Ergebnis des früheren Starts des Englischunterrichts in der Grundschule in ganz Deutschland. Daran zeigt sich doch, dass schulpolitische Entscheidungen durchaus einen messbaren Einfluss auf die Ergebnisse haben und man mit den richtigen Beschlüssen durchaus etwas bewirken kann.
Wenn man sich dann noch einzelne Bundesländer anschaut, kann man massive Bewegungen sehen. Zum Beispiel hat sich Brandenburg ganz weit nach vorn geschoben. In Brandenburg gab es gezielte Maßnahmen zur Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern, und das im großen Stil. Das hat Geld gekos tet, aber es hat sich offensichtlich gelohnt. Es ist also möglich, schlechte Ergebnisse zu vermeiden und auf Dauer zu verbessern.
Die Ergebnisse der Kinder und Jugendlichen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft schlechtere Start chancen haben, liegen uns als LINKE natürlich be sonders am Herzen. Das gilt sowohl für die Kinder
mit Migrationshintergrund, mit Mehrsprachigkeit, aber auch für die Kinder, deren Eltern wenig verdie nen. Hier wiederholen sich die Befunde der letzten 15 Jahre ständig. In Bremen haben diese Gruppen ganz besonders schlechte Chancen. Keinem ande ren Bundesland gelingt es so wenig wie Bremen, diese schlechten Startchancen auszugleichen. Auch in diesen Bereichen gibt es gegenüber der letzten Studie von 2009 keine besonderen Veränderungen. Diese Ergebnisse sind bedrückend und alarmierend, insbesondere weil wir seit 2009 eine Schulreform angestrebt haben.
Was mich aber richtig umtreibt – ich war nun dreimal oder viermal in den letzten zehn Jahren dabei, als solche Studien veröffentlicht worden sind, in dem Sinne, dass ich bildungspolitisch aktiv war –, ist: Immer wenn diese Studien veröffentlicht werden, werden genau diese Gruppen als Ausreden dafür genannt, dass Bremen in Bildungsstudien besonders schlecht abschneidet nach dem Motto: Wir haben eben besonders viele Migrantinnen und Migranten, und wir haben auch viele arme Jugendliche, dann können unsere schulischen Leistungen gar nicht besser sein! Das sind Entschuldigungsmechanismen, die ich nicht mehr zu akzeptieren bereit bin.
Ich kann Ihnen auch sagen, warum. Der Kieler Bil dungsforscher Olaf Köller hat nämlich direkt nach der Veröffentlichung der letzten IQB-Studie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu Recht darauf hingewiesen, dass der Zusammenhang zwischen schlechtem Abschneiden in der Schule und Migrati onshintergrund nun wirklich nichts Neues ist. Er hat auch betont, dass das der Bildungsforschung nicht nur bereits länger bekannt ist, sondern sie insbesondere auch weiß, wie Migrantinnen und Migranten von gezielter Förderung und gezielten Fördermaßnah men profitieren.
Wenn diese Gruppe bei uns also immer noch so schlecht abschneidet, dann kann man an Bremen eigentlich nur noch ablesen, dass eben keine rich tig gezielte schulische Förderung für diese Gruppe existiert, denn einen anderen Grund für das schlechte Abschneiden in diesen Bildungsstudien stellen Sie nämlich nicht mehr dar, Herr Güngör.
Das muss ich auch als Ergebnis der neuen IQB-Studie festhalten: Die Bremer Bildungspolitik der letzten
Jahre war im Kern nicht wirksam. Es wurde entwe der deutlich zu wenig oder an den falschen Stellen gefördert. Im Mittelpunkt dieser Beobachtungen muss natürlich die Sprachförderung stehen, gerade wenn wir wissen, dass Migrationshintergrund und Mehrsprachigkeit dazu führen, dass Kinder und Ju gendliche schlechter in der Schule abschneiden. Ich weiß, dass das hier oft genug diskutiert worden ist, aber wir müssen immer noch kritisch hinterfragen, ob es die Ansätze zur durchgängigen Sprachförde rung in Kita und Grundschule, die wir irgendwie versuchen zu entwickeln, wirklich gibt und ob sie überhaupt etwas gebracht haben, oder ob wir zwar schöne Konzepte entwickelt haben, die aber in der Praxis der Kindertagesstätten und der Grundschulen keine Wirksamkeit entfalten.