Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich eine Gruppe der Firma Waller Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft,
ehemalige Lehrkräfte der Kooperativen Gesamtschule „KGS Waldschule“ aus Schwanewede, Mitglieder der studentischen Gruppe „Netzwerk“ und eine Gruppe des Kurses „Allein mach ich’s ja doch nicht – gemein sam geht’s besser“ der Volkshochschule Bremen.
Gemäß Paragraf 21 der Geschäftsordnung gebe ich Ihnen folgende Eingänge bekannt, bei denen inter fraktionell vereinbart wurde, diese nachträglich auf die Tagesordnung zu setzen.
Es handelt sich um Tagesordnungspunkte 87, Die Verhaftungen von oppositionellen Abgeordneten in der Türkei gefährden die Demokratie in der Türkei, Antrag (Entschließung) der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der CDU, Drucksache 19/829, und Tagesordnungspunkt 88, Die Verhaf tungen von oppositionellen Abgeordneten in der Türkei sind unvereinbar mit der Demokratie, Antrag (Entschließung) der Fraktionen DIE LINKE und der FDP, Drucksache 19/830.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass heute um 13 Uhr auf dem Marktplatz die Veranstaltung der Aktion „Städte für das Leben – Städte gegen die Todesstrafe“ stattfindet. Abgeordnete, Vertreterinnen und Vertreter des Senats, der Parteien und Amnesty Internatio nal wollen gemeinsam die Todesstrafe ächten. Ihre Teilnahme an dieser Veranstaltung wird gewünscht.
Ich weise darauf hin, dass für den jeweils ersten Redner der Fraktionen eine verlängerte Redezeit von bis zu 20 Minuten vereinbart worden ist.
Herr Präsident, verehrte Abgeordnete, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 14. Oktober ist es nach jahrelangen Ver handlungen gelungen, wofür der Senat in den letzten Jahren konzentriert und zielstrebig gearbeitet hat, nämlich eine Verständigung über die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern ab 2020 zu erreichen, dies mit dem Ziel, Bremens Selbstständigkeit nachhaltig und dauerhaft zu sichern und auf ein festes Fundament zu stellen.
Die Einigung ist aber mehr, sie ist ein Gewinn für ganz Deutschland. Mit ihr gibt es Klarheit über die finanzielle Grundausstattung aller Länder über das Jahr 2020 hinaus. Mit ihr haben Bund, Länder und Kommunen die dringend benötigte Planungssicherheit für die Zukunft unter den dann geltenden Bedingun gen der Schuldenbremse.
Ich bin im Allgemeinen eher vorsichtig mit der Ver wendung großer Worte, aber die vor wenigen Wochen erzielte Einigung ist mehr als nur ein gelungener Kompromiss: Sie ist historisch! Das ist sie nicht nur, weil alle Länder in ihrer Finanzkraft deutlich gestärkt werden – und zwar mit einem Gesamtvolumen von immerhin 9,5 Milliarden Euro bezogen auf das Jahr 2020 –, sondern es ist gelungen, dem im Grundgesetz verankerten Ziel der Gleichwertigkeit der Lebens verhältnisse in allen Ländern weiterhin angemessen Rechnung zu tragen.
Dafür wird der Bund in Zukunft stärker Verantwortung übernehmen. Das ist richtig, und es hat zu vielen Dis kussionen geführt. Entgegen vielfältig vorgetragenen Bedenken handelt es sich nicht um einen Raubzug der Länder, die sich an der Schatulle des Bundes vergreifen, und der Bund wird damit auch nicht zum armen Mann. Ich erlaube mir an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Zahlungen des Bundes für den Solidarpakt II – der bislang ausschließlich den ostdeutschen Ländern diente – bis zum Jahr 2020 sukzessive bis auf null abnehmen werden.
Der Solidaritätszuschlag, der von Ihnen allen gezahlt wird und dessen Aufkommen wiederum zur Finan zierung dieses Solidarpakts diente, fließt aber weiter vollständig in den Bundeshaushalt. Wir reden hier von einem Volumen von knapp 20 Milliarden Euro jährlich. Diese Tatsache machte es möglich, solche Ergebnisse zu erzielen, und war meines Erachtens nach eine wichtige Grundlage. Gleichwohl wird die Zukunft des Solidaritätszuschlags noch diskutiert werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Schlüs sel für die Einigung mit dem Bund war ganz sicher die Geschlossenheit der Länder. Das zeigt auch die Entschlossenheit, mit der bereits Ende vergangenen Jahres auf der Ministerpräsidentenkonferenz der entscheidende Schritt gemacht wurde, und zwar
Mit der Verständigung aller 16 Länder auf ein ge meinsames Reformmodell ist es gelungen, die unter schiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen.
Das nun auch mit der Bundesregierung und den bei den Regierungsfraktionen in Berlin geeinte Modell entspricht fast eins zu eins diesem Länderbeschluss und ist das Ergebnis der von mir angesprochenen Solidarität aller 16 Länder untereinander.
Diese Solidarität hat unabhängig von den in den Ländern regierenden Koalitionen durchgetragen. Zwischen ost-und westdeutschen Ländern, zwischen den Stadtstaaten und den Flächenländern und nicht zuletzt zwischen den finanzstarken und finanzschwa chen Ländern sind die berechtigten Interessen aller berücksichtigt worden. „Einigkeit macht stark“ hatte dazu der Tagesspiegel in der letzten Woche festgestellt.
Meine Damen und Herren, bevor ich auf die Bedeu tung der Neuordnung für unser Bundesland einge he, will ich die Einigung kurz in ihren relevanten Grundzügen ansprechen, weil es doch tief greifende Veränderungen sind.
Im Mittelpunkt des neuen Modells steht die Abschaf fung des bisherigen mehrstufigen Verfahrens mit dem Umsatzsteuervorwegausgleich und dem horizontalen Länderfinanzausgleich. Dieser Systemwechsel ist richtig, denn das bisherige Verfahren war nicht nur kompliziert bis intransparent, es war vor allem auch streitanfällig. Das zeigt die aktuelle Klage von Bayern und Hessen vor dem Bundesverfassungsgericht, die nun zurückgezogen werden soll.
Zukünftig wird der Ausgleich der Finanzkraft bereits im Rahmen der Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer erfolgen. Somit wird das neue System entgegen so manchen Unkenrufen nicht undurch sichtiger, sondern einfacher.
Die Länder erhalten einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer, dieser entwickelt sich dynamisch. Ge stärkt wird auch die Bedeutung der kommunalen Finanzkraft. Weiterhin werden die Städte und die Gemeinden durch die Verlängerung der Gemeinde verkehrsfinanzierung entlastet. Alle hier wissen, wie wichtig das für Bremen ist.
Die Stadtstaatenwertung hat auch bei der Neuord nung Bestand. Mit der Stadtstaatenwertung und ihrer Fortsetzung wird die strukturelle Benachteiligung der „Hauptstadt ohne Umland“ gegenüber den Flä chenländern ausgeglichen.
Für Bremen ist der Erhalt der Einwohnerwertung von 135 Prozent existenziell. Erst durch diese Berücksich tigung kann ein Vergleich mit den Flächenländern in einem bundesstaatlichen Finanzausgleich stattfinden.
Die großen Flächenländer und auch der Bund haben akzeptiert, dass die Stadtstaaten ganz besondere Lasten tragen, die bei der Verteilung der Einnahmen berücksichtigt werden müssen. Das ist ein wichtiges Ergebnis für uns.
Ebenso ist es gelungen, die bereits gestrichene Betei ligung des Bundes an den sogenannten Hafenlasten wieder in die Verhandlungen einzubringen und dau erhaft abzusichern. Für Bremen sind dies immerhin elf Millionen Euro jährlich.
Aber, meine Damen und Herren, was bedeutet das nun alles für das Land Bremen und seine beiden Städte Bremen und Bremerhaven? Unser Stadtstaat wird durch die Einigung ab 2020 487 Millionen Euro zusätzlich erhalten. Dadurch sind wir in der Lage, ab 2020 keine neuen Kredite mehr aufnehmen zu müssen. Wir werden die Schuldenbremse einhalten!
Ein weiteres Kriterium zur Bewertung dieses Er gebnisses bietet die Antwort auf die Frage, was das eigentlich pro Einwohner bedeutet. Während im Durchschnitt der Republik pro Einwohner 116 Euro mehr an die Länder fließen, erhält Bremen für jede Bürgerin und jeden Bürger 732 Euro mehr. Schon hieran sehen Sie, warum nahezu jeder – nicht nur der Senat und die rot-grüne Koalition – dieses Ergebnis als einen großen Erfolg für Bremen bezeichnet.
Ein drittes Kriterium für die Bewertung ist die Tat sache, dass wir für unser Bundesland ab dem Jahr 2020 nun mit Einnahmen aus dem bundesstaatlichen Finanzausgleich von 2,4 Milliarden Euro rechnen gegenüber den 1,9 Milliarden Euro bisher.
Nun fragen mich viele, wie ich denn darauf käme, dass Bremen 487 Millionen Euro mehr bekäme, denn Bremen erhält doch jetzt schon 300 Millionen Euro Hilfen vom Bund. Somit seien das ja nur 187 Milli onen Euro mehr.
Diese Sicht beruht auf einem Missverständnis, denn besagte 300 Millionen Euro, die der rot-grüne Senat – ich will auch das hier noch einmal betonen – seit 2011 Jahr für Jahr durch Einhaltung der Sanierungs vorgaben zugesprochen bekommen hat, dürfen wir nur zur Absenkung unserer Kreditaufnahme einset zen. Sie fließen nicht in unseren Haushalt, wie Sie, verehrte Abgeordnete, alle wissen.
Anders die 487 Millionen, die unserem Haushalt zufließen werden, 400 Millionen davon ausdrücklich als Belastungsausgleich, den nur Bremen und das Saarland bekommen! Das ist der vierte Grund, warum wir sehr berechtigt von einem großen Erfolg und der
Die 487 Millionen Euro setzen sich also aus zwei Komponenten zusammen: Erstens erhält Bremen innerhalb des Ausgleichssystems ab 2020 strukturelle Mehreinnahmen in Höhe von 87 Millionen Euro. Diese sind dynamisch – darüber ist lang in den Nächten im Kanzleramt gesprochen worden – und werden nach Berechnungen des Bundes Jahr für Jahr steigen und sich sehr bald auf mehr als 100 Millionen Euro jährlich belaufen.
Zweitens erhält Bremen – wie auch das Saarland – ab 2020 eben jene Sanierungshilfen von jährlich 400 Millionen Euro, die in den Beschlüssen auch Belas tungsausgleich genannt werden. Um nun richtig zu verstehen, was das bedeutet, was das auch für uns und Sie bei den Haushaltsberatungen der Jahre ab 2020, also schon in der nächsten Legislaturperiode, bedeuten wird, muss man sich die Höhe und den Charakter dieser Hilfen etwas genauer anschauen.
Sie sind erstens wie die gesamte Neuordnung un befristet und nach Stand der Beratungen erst nach 2030 überhaupt kündbar. Die bisherigen Konsolidie rungshilfen waren dagegen ausdrücklich befristet, festgeschrieben in Artikel 143 d Absatz 2 Grundge setz. Auch die neuen Hilfen sollen im Grundgesetz festgeschrieben werden. Im Beschluss von Bund und Ländern vom 14. Oktober sind hierfür keinerlei Vorgaben formuliert. Bezogen auf die Zielsetzung der Hilfen ist festzuhalten, dass sie, wie ich schon sagte, als Belastungsausgleich dienen sollen. Unsere größte Belastung sind die Zinszahlungen, aber die Hilfen dienen auch dem Ausgleich weiterer Belastun gen, die unserer Haushaltskonsolidierung im Wege stehen könnten. Das alles gilt nicht nur für Bremen, sondern für das Saarland gleichermaßen und schafft die notwendigen finanziellen Spielräume, die wir so dringend brauchen.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich betonen: Bremen ist immer selbstbewusst und mit guten Argumenten in die Verhandlungen gegangen. Wir haben frühzeitig eigene Vorschläge zur Neuord nung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen entwickelt und in den Verhandlungsprozess eingebracht, aber den Erfolg konnten wir nur erzielen, weil wir sehr früh Bündnispartner gesucht und gefunden haben. Der intensiven Zusammenarbeit und dem Austausch mit dem Saarland ist es wesentlich zu verdanken, dass Bremen seine Position im Ausgleichssystem nicht nur hat behaupten, sondern sie deutlich hat verbessern können. Das gemeinsame Vorgehen mit der saar ländischen Ministerpräsidentin Annegret KrampKarrenbauer, aber auch das enge Zusammenwirken unserer Finanzressorts in Bremen und im Saarland war ein Schlüssel zum Erfolg. Darum geht heute mein Glückwunsch und Dank auch in Richtung Saar.