Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats mit der Drucksachen-Nummer 19/1075 auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU Kenntnis.
Personalausstattung der Gerichte und der Staatsanwaltschaft Bremen Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 5. April 2017 (Drucksache 19/1015)
Sechs zusätzliche Richterstellen schaffen! Antrag der Fraktion der CDU vom 13. Juni 2017 (Drucksache 19/1117)
Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen. Herr Schulz, möchten Sie das? - Nein, Herr Schulz möchte das nicht!
Bevor wir in die Aussprache eintreten, möchte ich auf dem Besucherrang ganz herzlich Miss Stella Agara begrüßen. Frau Agara bekommt den 15. Bremer Solidaritätspreis. Sie setzt sich für Steuergerechtigkeit ein, und das ist ganz toll.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zentraler Anlass dieser Großen Anfrage war die Tatsache, dass das Landgericht Bremen im letzten
Jahr fast ausschließlich Haftsachen verhandelt hat. Alle neu eingegangenen Strafsachen blieben unerledigt und kamen auf den ohnehin schon großen Berg unerledigter Verfahren, 208 aktuell, und davon sind etwa 50 Prozent Sexual- und Gewaltdelikte.
Eines davon ist durch die Presse gegangen, das Delikt des Sexualstraftäters aus Bremerhaven. Sein Fall datiert aus dem Jahr 2003, und bis heute ist keine Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgt. In diesem Zusammenhang ist das passiert, was eigentlich das Schlimmste ist: Dieser Mann ist dringend tatverdächtig, sich im letzten Jahr zweimal an demselben Mädchen sexuell vergangen zu haben. Meine Damen und Herren, wenn schlichter Personalmangel am Landgericht dazu führt, dass in diesem Land Kinder sexuell missbraucht werden, dann erschüttert das nicht nur das Vertrauen in den Rechtsstaat, sondern das ist auch eine tiefe Demütigung der Opfer! Das ist unentschuldbar!
Mich ärgert das, und mich ärgert gewaltig, wenn ich sehe, wie der Senat auf meine Anfrage reagiert, ich zitiere: „Der in der Anfrage genannte beim Landgericht Bremen anhängige Fall lässt keine Rückschlüsse auf die Personalsituation beim Landgericht zu.“ Ja, was denn sonst? Da hat doch keiner Däumchen gedreht! Ich meine, welcher Richter lässt denn über Jahre so einen Fall einfach liegen? Diese Rhetorik ist dieselbe wie im letzten Jahr, als die Richter des OLG zwei Haftbefehle aufheben mussten, weil die Sechsmonatsfrist wegen Personalmangels nicht eingehalten werden konnte.
Wir können uns natürlich - und Frau Goldmann hat das im Rechtsausschuss ausführlich dargestellt - auch kontrovers über die Frage der internen Organisation unterhalten, aber etwas anderes ist es, wenn sich ein Justizsenator, der persönlich in der politischen Verantwortung für diesen Bereich steht, einfach der Verantwortung entledigen möchte, indem er lapidar sagt, das sei eine interne Organisation im Rahmen der richterlichen Unabhängigkeit. Das ist zu einfach, meine Damen und Herren!
Fakt ist nämlich, dass es im Kernbereich der Justiz seit Jahren kontinuierlich steigende Eingangszahlen gibt, beim Landgericht ein Rekordhoch. Trotz herausragender Erledigungszahlen in einigen Bereichen sind wir seit einem Jahrzehnt deutschlandweit Nummer eins. Das heißt,
die Richter und Staatsanwälte arbeiten seit Jahren richtig fleißig, und dennoch wächst der Bestand, meine Damen und Herren, am Landgericht 59 Prozent über dem Bundesschnitt, bei der Staatsanwartschaft 39 Prozent und selbst beim Amtsgericht für Zivilsachen 30 Prozent über dem Bundesschnitt. Die Verfahrensdauer liegt ebenfalls über Jahre hinweg drei bis vier Monate über dem Bundesschnitt. Das zeigt doch, dass wir über Jahre hinweg - das ist kein Sonderfall, und das ist auch nicht über Nacht über uns hereingebrochen - an Substanz verlieren und der Justizsenator verpasst hat, hier personell nachzusteuern.
Das ist nicht gottgewollt, das ist eine politische Entscheidung, meine Damen und Herren! Deswegen tragen Sie auch die politische Verantwortung dafür!
Weil Sie gebetsmühlenartig immer wieder Statistiken bedienen, sich auf die Eingangszahlen versteifen und sagen, das Landgericht wäre im Bundesvergleich in Bezug auf die Eingangszahlen gut ausgestattet: Wenn man das isoliert betrachtet, haben Sie ja auch recht, aber Sie blenden die gelebte Realität am Landgericht aus! Viele kleine und große Probleme machen das Gesamte erst zur Realität, und Sie können auch nicht einfach die Bestände, die nämlich auch Arbeit machen, einfach so ignorieren! Die Menschen haben natürlich einen Anspruch darauf, dass ihre Sache verhandelt wird, und Altbestände verursachen einen Aufwand. Die Eingangszahlen von heute können Sie auch nicht so einfach mit den Eingangszahlen von vor zehn Jahren vergleichen, weil die Fälle viel komplexer geworden sind und Strafkammern über Jahre blockieren. Deswegen ist die tatsächlich anfallende Arbeit auch statistisch sehr schwer zu messen.
Der Senat hat das eigentlich erkannt und schlägt auch vor, was man unternehmen sollte. Ich habe das im Positionspapier der SPD aus dem Januar 2017 gefunden, unterschrieben vom Justizsenator und vom Innensenator, ich zitiere: „Dem Bedürfnis nach mehr Sicherheit werden wir Rechnung tragen, indem wir auf die bereits jetzt deutlich gestiegenen Fallzahlen bei der Polizei und Justiz mit einer angemessenen Personalaufstockung reagieren und die Strafjustiz signifikant verstärken.“ Signifikant verstärken, meine Damen und Herren, das bedeutet für den Senat 1,1 Richterstellen bis Ende des Jahres. Wollen Sie uns eigentlich veralbern,
Wie wollen Sie diese kontinuierlich gestiegenen Eingangszahlen und den riesigen Berg von Altverfahren eigentlich mit einer zusätzlichen Stelle bis zum Ende des Jahres bewältigen? Deswegen fordern wir Sie auf: Produzieren Sie keine Papiertiger, sondern hinterlegen Sie diese richtige Forderung auch mit vernünftigen Zahlen in den Haushaltsberatungen! Wir haben hier einen Vorschlag gemacht, damit wir endlich von diesem unmöglichen Verfahrensstau wegkommen, der auch dazu führt, dass just in diesem Moment draußen potenzielle Sexualstraftäter herumlaufen und eine Gefahr darstellen. Deswegen hilft es nicht, einfach nur zu reden, sondern wir müssen mit sechs zusätzlichen Richterstellen konkret handeln. Das ist unsere Forderung, und wir freuen uns, wenn Sie uns zustimmen, meine Damen und Herren! - Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich finde ich es sowohl als Richterin als auch als justizpolitische Sprecherin und Vorsitzende als Rechtsausschusses gut, dass wir das Thema, das wir wiederkehrend im Rechtsausschuss debattieren, nämlich die Situation an den Gerichten und Staatsanwaltschaften, auch hier im Plenum diskutieren. Die Art und Weise, wie hier gerade der einleitende Wortbeitrag geleistet wurde, trübt diese Freude jedoch erheblich.
Ich möchte mich aber trotzdem, auch wenn wir hier heute keine Zuhörerinnen und Zuhörer aus dem Bereich haben, noch einmal ausdrücklich bei all denen bedanken, die in der Justiz, bei den Gerichten und den Staatsanwaltschaften mit Herz und Seele, mit viel Kraft und Anstrengung die Arbeit verrichten und dazu beitragen, dass unser Rechtsstaat funktioniert und ein hohes Ansehen genießt, und das sind nicht nur die Richterinnen und Richter! Ich weiß, wie wichtig Richterinnen und Richter sind, aber ich weiß auch, dass unsere Arbeit ohne die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Geschäftsstellen nicht funktionieren könnte, ohne die Wachtmeister, die Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger und alle, die da sonst tätig sind, die nicht im Fokus dieser Großen Anfrage stehen, aber sehr wohl für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.
Jetzt muss ich aber anschließen - und das bedauere ich, weil ich Sie eigentlich, Herr Yazici, im Rechtsausschuss durchaus schätze und auch die Zusammenarbeit, die wir dort beide haben -: Der Duktus der Einleitung der Großen Anfrage, des Antrags und auch dessen, was Sie hier gerade für eine Vorstellung geboten haben, das alles strotzt vor Unterstellungen, und das grenzt wieder einmal an geistige Brandstiftung!
Dass die Justiz für Straftäter gar nicht in Erscheinung tritt und sie dadurch angeblich ermutigt, weitere Straftaten zu begehen, das ist Kokolores, das wissen Sie ganz genau!
Dass Sie wider besseres Wissen in der Begründung des Antrags und jetzt auch noch in einer derart populistischen Weise hier einen Fall aufführen, der im Rechtsausschuss detailliert besprochen worden ist, und zwar fachlich fundiert besprochen und begründet worden ist, dass Sie das jetzt hier als Aufhänger nutzen, weil Sie sich Ihre schön-schaurige Geschichte nicht durch Tatsachen kaputt machen lassen wollen, erschüttert mich in der Tat!
Ich finde, die Personalausstattung unserer Gerichte und Staatsanwaltschaften hat eine sachliche und ernsthafte Auseinandersetzung verdient. Diese haben wir jedenfalls im Rechtsausschuss bislang so geführt, und ich hoffe, wir werden sie dort auch weiter so führen, weil wir es dann dort vielleicht nicht für die Tribünen machen, sondern ernsthaft in der Sache für die Menschen, die in den Gerichten und Staatsanwaltschaften arbeiten.