Lassen Sie mich als ehemaliger Bremer Schüler sagen: Wenn Sie die Studien vergleichen, die es so gibt - ich weiß nicht, wie lange es PISA gibt, bestimmt auch schon seit 15 bis 20 Jahren -,
landen Bremer Schulen immer auf dem letzten, vorletzten oder drittletzten Platz, gleichgültig welche Studie Sie nehmen und ob sie von der freien Wirtschaft finanziert worden ist oder nicht.
Bremen hat seit 30 oder 40 Jahren die schlechtesten Schulen. Wenn Sie sich nicht vergleichen lassen wollen, dann müssen Sie sich wohl als Bundesland abschaffen. Wenn Sie das aber nicht wollen, dann müssen Sie bessere Bildungspolitik machen.
Sie sind so stolz auf Ihre Weltoffenheit. Das haben wir auch vorhin bei der Diskussion um die JUB in Bremen-Nord wieder gehört. Weltoffenheit muss einmal definiert werden. Weltoffenheit ist doch wohl ein Bildungsstandard, für den Deutschland einmal berühmt war. Weltoffenheit kann sich doch nicht dadurch definieren, dass alle paar Jahre neue Bildungsexperimente an Bremer Schulen durchgeführt werden. Das fing schon in der Mitte der 70er Jahre mit der Mengenlehre an und zieht sich seit 40 Jahren durch die Bremer Bildungsgeschichte. Da ist es, wie gesagt, völlig gleichgültig, welche Studie sie nehmen, gleichgültig, ob sie von der freien Wirtschaft finanziert worden ist oder nicht.
Die AfD bekommt die Weltoffenheit in einen Satz. Ich habe ja gesagt: Die Weltoffenheit würde gute traditionelle deutsche Bildung bedeuten, die gerade die Ausländer in diesem Bundesland und auch die Flüchtlinge hier besser integrieren würde. Es geht nicht um irgendwelche Gelder, nicht darum, dass Thüringen oder Sachsen mehr ausgeben, sondern es geht um einen neuen Geist in unseren Bremer Schulen, der die verschiedenen Schichten und auch die verschiedenen Ethnien in dieser Stadt zusammenführt.
(Lachen SPD - Abg. Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Aber AfD und Integration passen auch nicht zusammen! - Abg. Röwekamp [CDU]: Der neue Geist kommt auf jeden Fall nicht aus einer AfD-Flasche!)
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon eine ganze Reihe zu der vorliegenden Studie, dem IW-Bildungsmonitor, gesagt worden. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal verdeutlichen, was diese Studie macht: Sie stellt Leistungswerte in einem fragwürdigen Kontext zusammen, um dann ein Ranking zu bilden.
Ich bin eben schon zitiert worden. Tatsächlich ist es mit dem Marketing so: Alte Daten werden in einem solchen Ranking besonders gut vermarktet. Die Aussagekraft über Bildungsqualität ist aber gleich null, denn diese Daten treffen keine einzige Aussage über Ursachen und Wirkung von guter Bildung. Im Sport ist es genauso: Man kann gute oder schlechte sportliche
Leistungen erzielen, aber damit ist noch keine Aussage darüber getroffen, ob gutes oder schlechtes Training dazu geführt hat.
Deshalb ist es wichtig, dass wir weniger über Rankings und Plätze diskutieren. Gerade die letzten Äußerungen machen noch einmal sehr deutlich, dass das zu den Fehlschlüssen führt, die Herr Tassis vorgeführt hat, und dass man aus einem Ranking ableitet, wir hätten schlechte Schulen im Lande Bremen. Gegen diesen Vorwurf verwahre ich mich im Namen der Schulen, die exzellente Bildungsarbeit hier in diesem Bundesland leisten.
An dieser Stelle möchte ich mich deshalb explizit bei allen Lehrerinnen und Lehrern und allen Kräften, die in den Schulen unterwegs sind und Tag für Tag dafür sorgen, dass unsere Schülerinnen und Schüler gute und faire Bildungschancen haben, ganz herzlich bedanken. Sie tun das unter wirklich schwersten Bedingungen.
Warum sind das schwerste Bedingungen? Bremen hat den höchsten Anteil an Minderjährigen, die weniger als ein Jahr in Deutschland leben. Das bedeutet, dass wir stärker und schneller laufen müssen als andere, mit denen wir verglichen werden. Deshalb müssen wir aufhören, ständig Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
Ich rechne Ihnen das einmal vor: Mein Kind bekommt jeden Abend mindestens eine halbe Stunde vorgelesen. Bis es in die Grundschule kommt, ist das etwa fünf Jahre lang jeden Tag eine halbe Stunde Vorlesen. Das sind 912 Stunden. Ich runde ein bisschen auf, dann sind es rund 1 000 Stunden Vorlesen. Wenn ich umrechne, wie viel die Schule für die Kinder aufholen müsste, denen dieses Vorlesen vorenthalten wird, dann ist das ein ganzes Schuljahr. Das betrifft die Mehrheit der Kinder in unserer Stadtgesellschaft. Somit haben wir ein Problem.
Die Schule muss ein Jahr lang das aufholen, was im Elternhaus nicht passiert. Um dieses aufzuholen, hilft es nicht - das ist genau richtig gesagt worden -, Geld mit der Gießkanne auszubringen, wie Sie es eben pauschal gefordert haben, liebe Frau Steiner. „Viel hilft viel“ hilft an dieser Stelle genau nicht.
(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen - Abg. Professor Dr. Hilz [FPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!)
Wer steht denn dafür, mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland geschaffen zu haben? Wer hat dafür Sorge getragen, dass Leistung zu Aufstieg führt? Ich bin das beste Beispiel.
Ich stehe hier. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn ich nicht von den Errungenschaften sozialdemokratischer Bildungspolitik hätte profitieren können.
Dazu gehört natürlich der kostenfreie Zugang zu Bildung. Dazu gehört aber auch - Bremen ist eines der Bundesländer, die darin Vorbild sind , dass Ressourcen nicht in gleichem Maße auf die Einzelsysteme verteilt werden, sondern dass wir sie nach sozialen Indikatoren verteilen,
und zwar - das ist ganz wichtig - einrichtungsscharf, nicht auf Stadtteile bezogen. Dazu gehört auch, dass für uns die frühkindliche Bildung Teil des Bildungssystems ist und dass wir genau diese stärken.
Geld, das wir in die frühkindliche Bildung und in den Ausbau von Kita-Plätzen investieren, ist für uns Teil des Geldes, das wir für Bildung ausgeben.
Wir wollen Sprachförderung zum Schlüssel machen. Die größte Herausforderung, die wir haben, sind, wie ich eben gesagt habe, Kinder und Jugendliche, die hierherkommen und noch kein Deutsch können, es sind diejenigen, die zu Hause keine Chance hatten, jeden Abend eine halbe Stunde vorgelesen zu bekommen. Wir haben in den letzten Jahren additive Angebote in den Grundschulen implementiert. Das wollen wir weiter verstärken. Auch dies ist ein Beitrag zu einer guten Bildung für alle Schüler.
Welchen Qualitätsmaßstab wollen wir einsetzen? Wir wollen alle Schülerinnen und Schüler optimal fördern, damit sie über sich selbst hinauswachsen können. Der Sozialraumbezug in unseren Bildungseinrichtungen muss gestärkt werden. Wir wehren uns gleichzeitig gegen eine Separation bei der Stadtteilentwicklung, und wir
müssen die Elternarbeit weiter stärken. Dies alles sind Antworten auf die Frage: Wie können wir Bildungsprozesse verstärken, wenn unsere Analyse ergab, dass wir mit besonders schwierigen Ausgangssituationen umzugehen haben?
Talente erkennen und fördern ist erklärtes Programm. Wir werden in der nächsten Deputationssitzung die Qualitätsoffensive, die wir im Hohen Hause bereits an anderer Stelle diskutiert haben, im Detail erörtern. Ich würde mich freuen, Frau Steiner, wenn Sie ebenfalls dabei wären, damit wir eine fachpolitische Auseinandersetzung darüber führen können.
Wir dürfen Lehrkräfte und Schulleitung nicht alleinlassen. Dazu wird es auch notwendig sein - Herr Güngör hat es eben gesagt -, dass wir unsere Aktivitäten zur Stärkung von Qualität in unseren Bildungseinrichtungen bündeln und in einem Qualitätsinstitut zusammenfassen, um Lehrkräfte und Schulleitung evidenzbasiert auf der Grundlage von Daten, die die tatsächliche Information über die Leistung, aber auch über die Prozessqualität unserer Bildungseinrichtungen geben, auf dem Weg zu einer guten Bildung stärken und beraten zu können. Wie eben bereits gesagt wurde, gilt: Nur wer sät, kann ernten! Ich denke, in den letzten Jahren ist reichlich gesät worden, aber man kann nicht erwarten, dass sich kurzfristige Erfolge einstellen. Wer in frühkindliche Bildung investiert, wird die Erfolge der Arbeit erst in einem Jahrzehnt zu spüren bekommen.
(Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Das hilft den Schülern aber heute auch nicht! - Abg. Frau Ahrens [CDU]: Da müsste doch eigentlich ein- mal ein Erfolg zu sehen sein! - Abg. Röwekamp [CDU]: In der GroKo ging das alles schneller! Da hat man für so etwas nicht zehn Jahre ge- braucht!)
Sie pauschalieren für die Schülerinnen und Schüler, die heute in die Schule gehen - vielleicht können wir das einmal festhalten -, die Ergebnisse, als ob jeder Schüler, jede Schülerin im Land Bremen ein Problem damit hätte, sich zukünftig im Leben zu orientieren, zu qualifizieren und auf ein gutes Leben und gute Arbeit zuzugehen.
Das ist nicht der Fall. Wir sprechen von Daten, die den Querschnitt aller Schülerinnen und Schüler darstellen. Bei der Datenanalyse haben wir festgestellt, dass wir insbesondere ein Problem haben, diejenigen, die besondere Unterstützungsbedarfe haben, aus dieser Situation herauszunehmen und zu begleiten. Wir brauchen eine verstärkte Förderung bei denjenigen, die schwierige Ausgangsbedingungen haben. Ich habe es eben vorgerechnet: Es ist ein
Schuljahr, in das wir investieren müssen, um allein die Ausgangssituation am ersten Schultag auszugleichen. Das ist eine Wahnsinnskraftaufgabe, die ansteht, wenn man diese Maßnahmen hochrechnet! Deshalb investieren wir - noch einmal - in frühkindliche Bildung und eine bestmögliche Gestaltung der Übergänge.
Diese Investitionen zahlen sich aus. Wir werden im nächsten Haushaltsjahr pro Kopf 500 Euro mehr ausgeben. Das ist kein kleiner Schluck, sondern ein großer, kräftiger Beitrag dazu, mehr Bildungsgerechtigkeit zu schaffen.
Ich komme zum Ende! Wir können natürlich nicht damit zufrieden sein, wenn Kinder heute noch keine gleichen Chancen haben. Diese Chancengerechtigkeit Tag für Tag immer wieder herzustellen, bleibt Aufgabe einer Bildungspolitik im Land Bremen. Dieser Aufgabe stellen wir uns Tag für Tag. Darauf werden Studien keine schnellen, flinken Antworten finden können. Vielmehr stellt sich die Frage: Wie können wir diese Prozesse kontinuierlich und langfristig begleiten und unterstützen, Bildungsprozesse und gute Maßnahmen verstetigen und schlechte Maßnahmen aussortieren? Das ist die tagtägliche Arbeit meines Hauses, aber es ist auch der verstetigte und intensive Bildungsauftrag, den wir uns für die Zukunft geben und den wir in der nächsten Deputationssitzung hoffentlich nochmals besprechen können.
Es ist aber auch der verstetigte Auftrag - dies besagt die Studie ebenfalls -, den sich das Parlament gegeben hat, nämlich zu schauen, dass wir uns nicht in der Strukturdebatte verlieren, sondern auf der Basis einer Evaluation, die uns Schwachstellen und zukünftige Weichenstellungen benennen soll, eine langfristige Orientierung für Stabilität im Bildungssystem in Bremen schaffen. Ich wünsche mir eine Fortsetzung des Schulkonsenses. Auch die Studie besagt, dass dieser wichtig ist. Auf den anderen Feldern werden wir ebenfalls weiter aktiv sein. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!