Protokoll der Sitzung vom 30.05.2018

Es tut mir leid, ich sitze sehr dicht bei Ihnen, ich höre noch mehr Dinge, die ich eigentlich nicht hören will und die in der Titulierung auch nicht in Ordnung sind gegenüber anderen Abgeordneten. Ich bin hier jetzt nicht in der Position Noten zu verteilen, aber ich finde, das Beleidigen von anderen Abgeordneten, das gehört nicht in dieses Haus und auch nicht, dass man die anderen Abgeordneten nicht ausreden lässt.

(Beifall)

Frau Senatorin, wenn Sie das sagen, dann müssen Sie das auch benennen.

(Zurufe Abgeordneter Timke [BIW], Abgeordneter Leidreiter [BIW])

(Abgeordneter Timke [BIW]: Sagen Sie mir noch- mal, wie ich Sie beleidigt habe. Entschuldigen Sie sich!)

Frau Leonidakis ist von Ihnen als Linksradikale bezeichnet worden. Das war absolut unpassend in der Debatte.

(Unruhe)

Ich bitte um Ruhe, die Senatorin hat das Wort.

Ich freue mich über Ihre Aufmerksamkeit, die Sie mir jetzt zuteilwerden lassen.

Die tatsächliche Praxis des Jugendamtes ist es, die Glaubhaftigkeit gemachter Angaben durch eine qualifizierte Inaugenscheinnahme der jungen Menschen zu überprüfen. Bei Vorliegen von Zweifelsfällen wird, wie gesetzlich normiert, von Amtswegen eine ärztliche Untersuchung veranlasst und auch dazu werde ich gleich Zahlen nennen. Die Vorgehensweise entspricht den Qualitätsstandards, die die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter im Frühjahr 2017 herausgegeben hat und wir haben, auch auf Ebene der Ministerkonferenzen im Rahmen der Jugendministerkonferenz bei den Vorkonferenzen über das System der Altersfeststellung gesprochen. Wir brauchen bundesweit einheitliche Standards. Bundesweit wird von den Jugendämtern einheitlich, nach einem Katalog, gearbeitet, auch in Bremen und Bremerhaven. Es wurde ja auch gesagt, hier wird das anders gemacht als anderswo. Das ist nicht so.

Im Jahr 2016 wurden 1 146 Personen durch das Jugendamt Bremen vorläufig in Obhut genommen. Im Rahmen der behördlichen Altersfeststellung wurde bei 364 dieser Personen Volljährigkeit festgestellt. Das entspricht 31,8 Prozent. Im Jahr 2017 wurden 718 Personen vorläufig in Obhut genommen. Durch behördliche Altersfeststellungen wurde bei 291 dieser Personen Volljährigkeit festgestellt, das entspricht 40,5 Prozent. Wegen des Vorliegens von Zweifelsfällen hat das Jugendamt Bremen in 15 Fällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung veranlasst. Das ist bei uns die zahnmedizinische Untersuchung, die wir nach § 42f des 8. Sozialgesetzbuches (SGB 8) anbieten.

In die muss eingewilligt werden, man kann sie nicht gegen den Willen durchführen. Das haben wir in 15 Fällen getan. Wir stehen in ganz wenigen Fällen vor Gericht und die Richter haben in strittigen Fällen auch um eine solche Untersuchung gebeten. Aber man kann sich natürlich in der Diskussion kritisch fragen, will man jetzt den Ärzten die Entscheidung überlassen, ob jemand volljährig ist oder nicht. Das muss man wirklich – und man darf sich da nicht über die Haltung von Herrn Prof. Dr. Montgomery als Präsident der Bundesärztekammer lustig machen – ernst nehmen, was die Ärzte sagen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Wenn keine Krankheit vorliegt, macht man da eine Reihenuntersuchung? Herr Fecker hat die Vorgaben des Grundgesetzes hier vorgestellt.

In der Stadtgemeinde Bremerhaven sind im Jahr 2016 27 und im Jahr 2017 zehn unbegleitete minderjährige ausländische Kinder und Jugendliche neu aufgenommen worden. Bei allen 37 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen konnte anhand von mitgeführten Papieren die Minderjährigkeit bestätigt werden. Die Sachverhaltsdarstellung der Antragstellenden erweist sich somit als offenkundig unrichtig.

Deutlich zurückgewiesen werden muss die Behauptung der Antragstellenden – tut mir leid, Herr Hinners, Sie wissen, ich mag Sie – selbst die Bremer Sozialbehörde gebe zu, dass in Bremen jeder dritte minderjährige Flüchtling nicht so alt ist, wie er angegeben hat. Richtig vielmehr ist, dass behördlicherseits nur in wenigen Einzelfällen Erkenntnisse darüber vorliegen, dass junge Geflüchtete, deren Alter in den genannten Verfahren festgestellt worden ist, tatsächlich älter sind als zuvor jugendamtlich ermittelt. Die Betreffenden wurden nach Korrektur des zugrunde gelegten Geburtsdatums aus der Jugendhilfe entlassen.

Die Antragstellenden ziehen heute aus einer bereits missverständlichen Formulierung im „WeserKurier“ falsche Schlussfolgerungen. Die jugendamtliche Altersbestimmung im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme hat im Jahr 2016 zum Ergebnis geführt, dass in etwa jedem dritten Fall die Volljährigkeit festgestellt und die vorläufige Inobhutnahme beendet wurde. Die von den Antragstellenden befürchteten Folgen unberechtigter Inanspruchnahme jugendhilferechtlicher und aufenthaltsrechtlicher Vorteile treten nicht auf, weil die

Volljährigkeit der Betreffenden sehr schnell festgestellt wurde und sie in der Folge weder aufenthalts- noch jugendhilferechtlich als Minderjährige behandelt worden sind.

Demgegenüber scheinen die Antragstellenden anzunehmen, die Sozialbehörde halte einen erheblichen Anteil der minderjährigen Ausländer und Ausländerinnen in der Bremischen Jugendhilfe für älter als angegeben. Dies ist nicht der Fall. Das will ich auch noch einmal ganz deutlich sagen, weil das Jugendamt nie einfach die Selbstauskunft der Betreffenden zugrunde legt, das wurde hier vermutet, sondern das Alter im gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren ermittelt.

Kurz zusammenfasst: Wir halten das bestehende Instrumentarium für ausreichend. Wir lehnen eine generelle rein medizinische Reihenuntersuchung ab. Ich glaube, das ist auch der Stand in vielen anderen Landesjugendämtern. Möglicherweise, Herr Hinners, sehen es die Innenpolitiker anders. Ich habe gesagt, der § 42 f SGB 8 ist für uns handlungsleitend. Der sieht einen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Auf dieser Grundlage arbeiten wir. Es gibt keinen Neuregelungsbedarf zu Punkt zwei in Ihrem Antrag. Auch da sagen wir, die vorläufige Inobhutnahme ist ein hoheitlicher Akt des zuständigen Jugendamtes und die diesem Akt vorausgehenden Sachverhaltsermittlungen sollten nicht an dritte Behörden übertragen werden. Zu Punkt drei Ihres Antrages möchte ich entgegnen, dass wir unseren Aufgaben auch voll umfänglich nachkommen.

Den Versuch, sich dieses Thema rechtspopulistisch zu Nutze zu machen, das werden wir in den nächsten Monaten noch stärker erleben. Wenn Sie sich einmal in die Position der jungen Männer versetzen, die jetzt hier unten vor dem Haus stehen – –. Ich verstehe, dass man, wenn man nach Deutschland geflüchtet ist, versucht hier zu bleiben. Wir haben das vor Jahren schon erlebt, da wurde immer gesagt, hier sind 500 Libanesen und die Eltern haben ein falsches Herkunftsland angegeben. Die Leute versuchen doch eine Heimat zu finden, versuchen –und das ist nicht anders bei Familien als bei diesen jungen Männern – doch in diesem Land zu bleiben. Wir können nicht zulassen, dass die Jugendhilfe dazu missbraucht wird. Ich habe gesagt, wir arbeiten in diesem Bereich ordentlich, wir arbeiten zuverlässig. Wir machen die Altersfeststellung. Ich halte sie rechtlich für geboten und ich halte sie auch für erforderlich.

Aber man muss sich mit der Frage auseinandersetzen, warum es eine große Koalition auf Bundesebene – Herr Hinners, da gehören Sie dazu – oder warum es die CDU auf Bundesebene jahrelang nicht geschafft hat, ein Einwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, BIW)

Das ist etwas, was wir wirklich zwingend brauchen. Ein Gesetz, das regelt, dass qualifizierte Fachkräfte nach Deutschland kommen können, aber dass auch Menschen aus humanitären Gründen, Frauen, die missbraucht und gefoltert wurden, hier ein Recht auf Asyl haben. Ich finde, das gehört in diese Debatte mit hinein.

(Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Wer hier wohl auf Wellen reitet!)

Nein, das ist ein grundlegender Punkt, den wir in den nächsten Monaten auch noch diskutieren werden. – Danke schön für die Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion der CDU mit der Drucksachen-Nummer 19/1476 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür CDU, FDP, BIW, Abgeordneter Schäfer [LKR])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, Abgeordneter Öztürk [SPD, fraktionslos], Abgeordnete Wendland [parteilos],)

Stimmenthaltungen?

(Abgeordneter Tassis [AfD])

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Minderjährige Flüchtlinge, die keine sind: Medizinische Altersfeststellung als Regelfall einführen! Antrag des Abgeordneten Tassis (AfD) vom 27. Februar 2018 (Drucksache 19/1549)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Stahmann.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Tassis.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses! In der Tat frage ich mich auch, wie Senatorin Stahmann, warum Deutschland kein vernünftiges Zuwanderungsgesetz hat. Aber das nur am Anfang und nebenbei.

Der CDU-Antrag, den habe ich vorhin schon in dem Redebeitrag kritisiert. In der Tat hat Kollegin Leonidakis Recht, was auch nicht zu überlesen ist, da ich Berlin auch extra zweimal in Klammern gesetzt habe, da dies Berliner Zahlen sind. In der Tat zum ersten Mal habe ich einen Antrag einer anderen Partei aus einem anderen Parlament wortgetreu abgeschrieben. Mein Antrag ist derjenige der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses Berlin mit der Nummer 180751, was eben zeigt, dass andere Abgeordnetenhäuser und andere Landesparlamente eben noch CDU-Fraktionen haben.

Es ist doch schlicht und ergreifend unsinnig, mit Zweifelsfällen, mit einem verworrenen und sehr abweichenden Antragstext zu kommen, wenn man das Ganze doch sehr einfach formulieren kann. Der Senat der Freien Hansestadt Bremen wird aufgefordert, sich mittels Bundesratsinitiative dafür einzusetzen, dass die medizinische Altersfeststellung gemäß § 42 f Sozialgesetzbuch VIII zum Regelfall wird. Mehr braucht man nicht, um hier Klarheit zu haben.

Sehr schön fand ich auch die Anregung von Kollege Fecker, vielen Dank! Doch einmal aus der Position von Flüchtlingen zu reden, das können Sie gerne haben. Gerade die anständigen Flüchtlinge und gerade auch die Afrikaner verlangen einen Rechtsstaat und Rechtssicherheit hier in Deutschland. Zu unterstellen und das tun nämlich Sie, dass alle Flüchtlinge hier irgendwie Ihren unklaren Gutmenschengesetzen folgen wollen, stimmt doch nicht. Sondern gerade afrikanische Flüchtlinge, die aus Ländern kommen, die keinen Rechtstaat haben, wollen ja Regelungen.

(Abgeordneter Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist unter anderem das Grundgesetz, Herr Tas- sis!)

Die Herrschaften draußen vor der Bürgerschaft sind keineswegs repräsentativ für alle afrikanisch stämmigen Flüchtlinge, das sind in der Tat in der Mehrheit sehr anständige Leute und die haben nichts mit irgendwelchen Krawallprotesten – –. Das sind Ihre Geschöpfe, die durch Anwälte, die sich an der ganzen fehlerhaften Asylgesetzgebung mästen und durch die falschen Anreize der Einwanderungspolitik der Bundesrepublik seit Jahrzehnten durch einen überforderten Staat, meinen, sich irgendwie danebenbenehmen zu können und zu dürfen.

(Abgeordneter Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Danebenbenehmen ist ein schönes Stichwort!)

Das tun anständige Afrikaner genauso wenig und anständige Syrer genauso wenig wie jeder anständige Deutsche. Diese Herrschaften wollen, die Flüchtlinge, die Mehrheit derselben wollen einen funktionierenden Rechtsstaat. Dass gerade im Angesicht vieler deutscher Staatsbürger, die diesen Rechtsstaat tragen, dieser eben nicht funktioniert, ist nicht die Schuld der Flüchtlinge, sondern ihre urdeutsche Schuld.

Daher sieht mein Antrag einfach vor, um wieder darauf zurückzukommen, nicht nur in Zweifelsfällen die ärztliche Untersuchung zu veranlassen, sondern – und ich habe in der Tat, damit das deutlich wird wo ich die Anregung her habe, die Berliner Zahlen zitiert – die Bremer Zahlen sind ja, wie Herr Kollege Timke richtig dargelegt hat und andere auch, noch wesentlich drastischer als die Berliner Zahlen. In Berlin hat es immerhin 39 Untersuchungen medizinischer Altersfeststellungen gegeben, das sind ja dann wohl Faktor 1:39 mal mehr als in Bremen.

Wie dem auch sei, der Antrag ist einfach und klar und besteht aus einem Satz, ich bitte dem zuzustimmen. Gerade daher, ich wiederhole das gern noch einmal, da hat mich Herr Kollege Fecker auf einen netten, guten Gedanken gebracht, gerade auch die Flüchtlinge verlangen von Ihnen eine andere Flüchtlingspolitik.

(Abgeordneter Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Mir würde es schon reichen, wenn Sie auf dem Bo- den des Grundgesetzes stehen würden. Wie Sie mit Gesetzen umgehen, unglaublich!)