Ein anderes Phänomen ist angesprochen worden. Wie ist es eigentlich mit dem Radikalisierungsprozess, wenn Religion gar keine Rolle spielt? Es ist schön, dass Islamwissenschaftler mir hervorragende Konzepte darüber aufschreiben, wie man mit Radikalisierten umgeht, wenn Religion die tatsächliche Triebfeder ist. Wenn die mehr als Erzählvariante dazukommt, dann komme ich, was den Bereich anbelangt, allein mit einem religiösen, mit einem wissenschaftlichen Ansatz nicht weiter. Das heißt in der Tat, und soweit würden wir auch dem Antrag zustimmen, wir haben noch eine Reihe von Aufgaben vor uns. Es gibt durchaus noch viel zu tun. Wo wir widersprechen würden, ist, dass wir noch nichts getan haben. Wir glauben schon, dass
Wer dem Antrag der Fraktion der CDU mit der Drucksachen-Nummer 19/1477 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!
(SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Abgeordneter Pat- rick Öztürk [SPD, fraktionslos], Abgeordnete Wendland [parteilos])
Bessere medizinische Versorgung in benachteiligten Stadtteilen: Neue Wege in der kommunalen Gesundheitspolitik, zum Beispiel durch Stadtteilgesundheitszentren, prüfen und einschlagen Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 16. Januar 2018 (Drucksache 19/1486)
Gemäß § 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage noch einmal mündlich vorzutragen.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über die Große Anfrage mit dem Titel „Bessere medizinische Versorgung in benachteiligten Stadtteilen: Neue Wege in der kommunalen Gesundheitspolitik, zum Beispiel durch Stadtteilgesundheitszentren, prüfen und einschlagen“, und ich gebe zu, die Überschrift ist ein bisschen sperrig.
Worum geht es dabei? Meine wissenschaftliche Mitarbeiterin und ich haben davon erfahren, dass es sozialmedizinische Experimente in prekären Stadtteilen in Hamburg und Berlin gibt und gegeben hat. Es handelt sich dabei um niedrigschwellige Angebote, die von der Prämisse ausgehen, dass sich Armut und Gesundheit gegenseitig beeinflussen. Über das Berliner Experiment haben wir uns informiert und Informationen gesammelt. Hamburg haben wir besucht und uns das vor Ort angeschaut, und mit den Hamburgern haben wir auch eine Veranstaltung hier in Bremen gemacht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Grundtenor ist dabei eigentlich das, was in den Achtzigerjahren als Spinnerei abgetan wurde – das habe ich noch sehr gut miterlebt –, das ist heute Mainstream. Man könnte eine schöne Leuchtreklame machen: Armut gefährdet Ihre Gesundheit. Das berühmte Beispiel dazu ist, wer Gröpelingen wohnt, stirbt acht Jahre früher als der Bewohner oder die Bewohnerin von Schwachhausen. Akademisch ausgedrückt heißt das dann immer, soziale Determinanten haben einen großen Einfluss auf die Gesundheit von zumeist armen Menschen in sogenannten prekären Stadtteilen.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat in Bremen gerade wieder eine Broschüre aufgelegt, in der er dieses wechselseitige Verhältnis für das Land Bremen noch einmal dokumentiert hat. Er fordert deshalb so etwas wie lokale Gesundheitskonferenzen und eine kommunale Gesundheitsberichterstattung. Er proklamiert aber auch das, was wir uns auch ein bisschen zum Leitfaden gemacht haben: ohne Daten keine Taten, das heißt, wir haben uns gefragt, wie sieht es denn nun mit Daten für Bremen aus. Nachdem wir recherchiert haben, haben wir dann festgestellt, dass es im Jahr 2006 eine sozialräumliche Analyse durch das Gesundheitsamt
gegeben hat. Im Jahr 2010 gab es dann abschließend einen Landesgesundheitsbericht aus dem Ressort selbst, aber mehr nicht.
In Hamburg und in Berlin – dazu haben wir uns ja ausführlich informiert – ist es ganz anders. In Hamburg gibt es zum Beispiel eine regelmäßige sozialräumliche Gesundheitskonferenz in verschiedenen Stadtteilen, und in Berlin gibt es Gesundheitsatlanten und Mobilitätsstudien, die auch wiederum in einen Zusammenhang mit Armut und prekären Stadtteilen gesetzt werden.
Um in dieser Datenlage etwas mehr Sicherheit zu finden und gerade in Bremen darauf aufbauen zu können, haben wir diese Große Anfrage gestellt, die Ihnen heute vorliegt, und die Antwort dazu hat hoffentlich nicht nur uns, sondern auch Ihnen und den Fraktionen neue Erkenntnisse gebracht. Für uns war es ein bisschen so, dass wir in der Tat einige neue Dinge erfahren haben, andere haben uns ein bisschen überrascht, aber vieles war durchaus bekannt. So ist es nun einmal mit solchen Großen Anfragen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt aber einen entscheidenden Punkt, bei dem letztendlich auch der Dissens mit Rot-Grün besteht. Wir hatten nämlich in Frage neun nach einer entsprechenden Datenlage wie in Hamburg für Bremen gefragt. Die Antwort des Senats war ganz eindeutig, man habe ausreichend Daten analog zu Hamburg und Berlin. Das hat uns erstaunt. Wir haben noch einmal genau nachgeschaut, was denn geantwortet wurde, und wir müssen eigentlich ganz klar und deutlich feststellen, dass wir das völlig anders sehen.
Für uns existiert an der Stelle einfach keine ausreichende Datengrundlage. Auf Frage neun – um Ihnen das auch einfach zu demonstrieren, das will ich hier ja nicht einfach behaupten – wird geantwortet: Ein dem Berliner Sozialstrukturatlas vergleichbares Dokument liegt mit dem Monitoring „Soziale Stadt Bremen“ auch in Bremen vor. Das Monitoring Soziale Stadtentwicklung ist ein einheitliches Bezugssystem für die Darstellung sozialer Strukturen und deren Entwicklung in der Stadt Bremen. Im Bremer Modell werden anhand von sieben Leitindikatoren aus folgenden Bereichen sozialräumliche Zuordnungen auf Ortsteilebene getroffen. Dann werden diese sieben Kriterien genannt.
Dahinter könnte sich noch etwas verbergen, aber die Kriterien sind Bildung, Sicherheit, Einkommen, Arbeit und Partizipation. Wir haben dann noch einmal in die Studie hineingeschaut, aber Gesundheit kommt dort nicht vor. Die Behauptung also, dass das irgendetwas ähnlich dem wäre, was es in Hamburg und Berlin gibt, ist einfach nicht richtig, und das ist jedenfalls faktisch – auch nach der eigenen Antwort des Senats – nicht nachzuweisen. Daher besteht hier ein Dissens über die Datenlage.
Für uns ist in der Folge klar, wir können uns hier jetzt irgendwie duellieren, aber das ist ja nicht der Sinn und das Ziel. Deshalb haben wir gesagt, wir werden einen Antrag auf den Weg bringen, der sich mit dieser Problematik auseinandersetzt, und dann werden wir uns hier in diesem Haus anhand unseres Antrags erneut mit der Thematik von Armut und Gesundheit auseinandersetzen müssen. Der Antrag ist gestellt, er ist also unterwegs.
Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, klar muss eigentlich sein, wir müssen mehr als bisher tun. Die soziale Spaltung und die gesundheitlichen Auswirkungen in den prekären Stadtteilen erlauben keine Atempause, wir müssen es angehen. – Danke!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren über die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE, und ich möchte die Frage stellen, warum es eine bessere Versorgung in benachteiligten Stadtteilen geben soll. Die Antwort dazu lautet: Weil es einen Zusammenhang zwischen sozialen Indikatoren und Erkrankungen gibt, denn Armut macht krank, und Krankheit macht arm.
Arme Menschen sind häufig krank und sterben früher als wohlhabende. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Bereits im Jahr 1956 kam ein deutscher Spielfilm mit dem Titel „Weil du arm bist, musst du früher sterben“ in die Kinos, der sich kritisch mit der Gesundheitspolitik in der Ära Adenauer auseinandersetzte. Auch im Jahr 2018 geht materielle Armut mit einer deutlich verminderten Lebenserwartung
und überdurchschnittlich häufiger Erkrankung einher. Dass es dieser Bevölkerungsgruppe gesundheitlich deutlich schlechter geht als dem Durchschnitt, ist vielfach belegt. Menschen mit geringem Einkommen und niedrigem sozialen Status tragen ein bis zu dreifach erhöhtes Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden, sie haben häufiger Magengeschwüre, Lungenentzündungen und Diabetes als besser gestellte Altersgenossen. Auch um die Zahngesundheit steht es schlechter, Depressionen und Angstzustände treten überdurchschnittlich häufig auf. Alles das senkt die Lebenserwartung beträchtlich, auch in Bremen.
In der Mitteilung des Senats ist auch dieser Zusammenhang belegt. Danach sterben Frauen und Männer aus sozial schwachen Stadtteilen deutlich früher als Frauen und Männer aus besser gestellten Stadtteilen. Der Kollege Erlanson hat gerade die Zahlen genannt: Frauen in Schwachhausen werden im Durchschnitt 85,3 Jahre alt, in Gröpelingen im Durchschnitt 79,7 Jahre. Bei den Männern sieht es nicht anders aus: In Schwachhausen werden die Männer im Durchschnitt 81 Jahre alt, in Gröpelingen im Durchschnitt 73,5 Jahre. Das ist eine deutliche Diskrepanz zwischen den Stadtteilen und bestätigt dieses Denken.
Wie ich zu Beginn meiner Rede gesagt habe, debattieren wir das Thema auch nicht erst heute, sondern seit über 60 Jahren. Daher wird auch deutlich, dass es in diesem Themenfeld keine einfache Lösung gibt, die von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Wenn wir uns das Handeln der verantwortlichen Senatorinnen ansehen, wird aber deutlich, dass dieser Themenkomplex nicht erst durch die Große Anfrage zum Vorschein kam, sondern dass bereits einige Anstrengungen unternommen wurden, um eine Verbesserung der Situation herbeizuführen.
Hier noch einmal einige Entscheidungen, die wir in der Bürgerschaft getroffen haben, um dieser Entwicklung entgegenzutreten: Die Aktivitäten zur Ambulantisierung der Pflege, zur quartiersnahen Versorgung und zu quartiersnahen Dienstleistungen, auch zur Förderung von Barrierefreiheit in den Wohnungen und Stadtteilen und zur Verbesserung der Kommunikation innerhalb der Quartiere,
Zudem förderte der Senat Einrichtungen wie den Gesundheitstreffpunkt West sowie das Frauengesundheitsprojekt Tenever, durch die unter anderem eine niedrigschwellige kostenlose psychosoziale Gesundheitsberatung für die genannten Zielgruppen erfolgt. Auch hat der Senat im Jahr 2016 auf zunehmende Beratungsbedarfe für neu zugewanderte Menschen reagiert und selbst das berücksichtigt, er hat in den sogenannten WiN-Gebieten acht Beratungsstellen „Ankommen im Quartier“ eingerichtet.
Ein weiterer Bestandteil in diesem Zusammenhang sind in diesen Stadtteilen natürlich auch die Sprach- und Integrationsmittler, also die Sprinter, die den Menschen mündliche und telefonische Hilfestellung geben, ihnen bei der Übersetzung und Bearbeitung von Formularen und Anträgen helfen und sie zu wahrzunehmenden Terminen begleiten. Zudem üben sie eine Verweisberatung aus. Also, die Stellen der Sprach- und Kulturmittler werden ausgebaut und den Bedarfen angepasst.
Nicht nur in Bremen, sondern auch im Rahmen des Zuzugs von EU-Bürgern wurde auch in Bremerhaven eine Beratungsstelle eingerichtet, welche durch die Arbeiterwohlfahrt betrieben und organisiert wird.