Unverhältnismäßige Strafverfolgung bei Beförderungserschleichung Bericht und Antrag des Rechtsausschusses vom 7. März 2018 (Drucksache 19/1571)
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir debattieren heute einen Entwurf der LINKEN, in dem es um die sogenannte Beförderungserschleichung geht.
Fahrausweis benutzt werden. Wenn diese Benutzung festgestellt wird, führt sie zu einer Beurteilung nach § 265 a des Strafgesetzbuchs und letztendlich zu einem Eintrag in das Strafregister.
Dann muss man dazu sagen, da setze ich die Brille auf, damit ich das auch sehr genau mache: Wir stellen fest, nach der Polizeilichen Kriminalstatistik des Landes Bremen wurden im Jahr 2017 immerhin 3 819 Fälle von Beförderungserschleichung angezeigt. Wir wissen auch, dass diese Beförderungserschleichungen beim Vollzugspersonal, also bei der Polizei, bei der BSAG und auch in der JVA – darauf komme ich gleich noch einmal –, immerhin pro Jahr Kosten von einer Million Euro hervorrufen.
Der Tatbestand ist einfach so: Wenn jemand wegen Beförderungserschleichung angezeigt wird und die verordnete Geldstrafe, die damit verbunden ist, nicht bezahlt, dann wandelt sich diese Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe um, die sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe. Auch dazu noch so eine kleine Zahl, im Monat Juli verbüßten immerhin 49 Personen eine solche Freiheitsstrafe in der JVA in Bremen.
Als Linke haben wir natürlich ein besonderes Augenmerk darauf und müssen feststellen, dass diese Strafe überdurchschnittlich oft arme, hilfsbedürftige Menschen sowie Obdachlose betrifft, die sich schlicht und einfach den Fahrschein nicht leisten können. Da kann man sicherlich sagen, es gibt Modelle, wir versuchen seit Jahren so etwas wie ein wirkliches Sozialticket durchzusetzen, das auch tatsächlich den Namen verdient, es gibt Projekte, um zu versuchen, diese Freiheitsstrafen dann doch noch irgendwie abarbeiten zu können. Ja, das ist so, aber trotzdem haben wir eine Situation, in der man sagen kann, viele dieser Delikte, die sich da aufstauen, betreffen in der Tat arme Menschen, die das nicht bezahlen können, und das führt dann dazu, dass wir uns insgesamt Kosten von einer Million Euro sozusagen selbst erwirtschaften.
Wir müssen feststellen, da das sehr häufig in der Tat arme Menschen sind, geht von dieser Strafe auch keine abschreckende Wirkung aus. Wenn jemand einfach kein Geld oder nicht genügend Geld hat, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, dann wird ihn auch eine Strafe nicht abschrecken, das zu tun. Das ist nun einmal einfach so, da haben wir sozusagen keinerlei Gewinn.
DIE LINKE, aber auch zum Beispiel der Deutsche Richterbund sagen ganz deutlich, dass die Umwandlung der Beförderungserschleichung in eine Ordnungswidrigkeit, vielleicht eine Möglichkeit
wäre, um zu vermeiden, dass man wegen Schwarzfahrens Ersatzfreiheitsstrafen verhängt und Menschen in Gefängnisse steckt.
Wir als Linke sind auch der Meinung, dass wir das tun sollen, und deshalb haben wir diesen Antrag gestellt.
Im Rechtsausschuss haben wir auch entsprechend darüber debattiert, und die Behörde hat sich dann auf die Einlassungen der Generalsstaatsanwältin zurückgezogen. Sie hat vieles gesagt, ich will aber hier nur auf den einen Punkt eingehen, sie hat nämlich gesagt, selbst wenn man eine Umwandlung dieser Ersatzfreiheitsstrafe in eine Ordnungswidrigkeit vornehmen würde, würde am Ende doch auch wiederum die Erzwingungshaft stehen.
Da sagen wir als Linke: Das stimmt, aber es gibt einen kleinen, feinen, aber sehr wichtigen Unterschied. Der Unterschied ist nämlich: Wenn bei einer Ordnungswidrigkeit Bußgelder erhoben werden, dann prüft im Grunde genommen ein Richter, ob es eine Erzwingungshaft gibt. Da prüft ein Richter, ob diese Person eigentlich bezahlen kann, aber nicht bezahlen will, oder ob diese Person einfach nicht bezahlen kann. Wenn sie einfach nicht bezahlen kann, wird kein Richter eine Erzwingungshaft anordnen.
Auf der anderen Seite muss man sagen, die Erzwingungshaft selbst bedarf auch immer wieder der richterlichen Überprüfung, und das ist ein Unterschied, denn wenn es weiter eine Strafe bleibt, dann muss man feststellen, die Rechtspflege regelt die Umwandlung der Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe, aber kein Richter. Ich finde, das ist ein entscheidender Punkt, wo wir als Linke sagen, wenn wir daraus eine Ordnungswidrigkeit machen, dann wird überhaupt erst diese Frage gestellt, und wir halten es als Linke eben für eine ganz, ganz wichtige Frage, ob ein Mensch bezahlen kann oder nicht, oder ob er es einfach nur nicht tut.
Ich sehe schon die Zeit! Es ist ein etwas schwieriges Thema. Ich möchte noch den einen Satz sagen: Die Koalition wird unseren Antrag heute ablehnen, das ist klar, aber ich denke, wir sind zumindest im Rechtsausschuss so weit gekommen, dass wir uns alle einig sind, uns mit dem Thema noch weiter beschäftigen zu müssen.
Ich habe einen Antrag dazu gestellt. Wir werden wahrscheinlich, wenn alle das so wollen, eine Anhörung veranstalten, in der wir dieses Problem der Freiheitsstrafen nicht nur bei der Beförderungserschleichung,
sondern auch an vielen anderen Punkten noch einmal gemeinsam ansehen werden, und darauf freue ich mich! – Danke!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen, liebe Besucher! Vorab: Gesetzesverstöße wie das Schwarzfahren werden gern als Bagatelldelikte verharmlost, um den Unrechtsgehalt solcher Straftaten zu marginalisieren. Darum geht es auch im Kern im Antrag der LINKEN, die das Schwarzfahren zu einer Ordnungswidrigkeit herabstufen möchte. Dabei wird übersehen, dass es sich bei Schwarzfahren um einen Rechtsverstoß handelt, der in Summe einen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden verursacht.
Vorauszuschicken ist auch, dass nicht jede Schwarzfahrt in Bremen eine Anzeige durch die BSAG nach sich zieht. Sie wird erst erstattet, wenn ein Fahrgast bei einer Kontrolle zum dritten Mal ohne Ticket erwischt worden ist. Es geht also ausschließlich um Personen, die den Bremer ÖPNV wiederholt und damit vorsätzlich unter Missachtung der Beförderungsbedingungen nutzen.
Notorische Schwarzfahrer verhalten sich im höchsten Maße unsozial, und zwar sowohl gegenüber den zahlenden Fahrgästen als auch gegenüber dem Gemeinwesen, weil der öffentliche Nahverkehr mit Steuergeldern bezuschusst wird. In Bremen sind das immerhin 50 Millionen Euro im Jahr. Deshalb müssen die Täter, die bei Kontrollen mehrfach keinen Fahrschein vorweisen können, auch in Zukunft strafrechtlich belangt werden, um ein klares Zeichen zu setzen. Alles andere wäre ungerecht gegenüber den zahlenden Fahrgästen.
Das hätte entsprechende Einnahmeausfälle der BSAG zur Folge. Um diese Ausfälle zu kompensieren, müssten die Fahrpreise angehoben oder der kommunale Zuschuss für den ÖPNV zulasten der Steuerzahler erhöht werden. Beides ist nicht akzeptabel.
DIE LINKE argumentiert in ihrem Antrag, dass die Strafverfolgung von Schwarzfahren allein in Bremen Kosten in Höhe von einer Million Euro verursache. Abgesehen davon, dass für diese Zahl keine Quelle genannt wird, würde der Aufwand nicht einfach wegfallen, wenn die Beförderungserschleichung künftig nur noch eine Ordnungswidrigkeit wäre, denn auch diese müsste verfolgt werden. Die Hauptlast verlagerte sich lediglich von der Staatsanwaltschaft zu den zuständigen Verwaltungsstellen. Außerdem: Sollte der Betroffene dem Bußgeldbescheid widersprechen oder ihm nicht Folge leisten, landet der Fall letztendlich wieder bei der Justiz.
Die von den Antragstellern behaupteten Entlastungseffekte sind also fragwürdig. In Bremen besteht außerdem die Möglichkeit, die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit abzuwenden, wenn eine wegen Schwarzfahrens verhängte Geldstrafe uneinbringlich ist und die Vollstreckungsbehörde zustimmt. Es stellt sich die Frage, warum diejenigen Personen, die eine Ersatzfreiheitsstraße verbüßen, von dieser Option keinen Gebrauch machen.
Würde die Beförderungserschleichung künftig als eine Ordnungswidrigkeit geahndet, dann hieße das nicht, dass die Inhaftierung von Schwarzfahrern gänzlich ausgeschlossen wäre. Zahlt der Betroffene die ihm auferlegte Geldbuße ganz oder teilweise nicht, obwohl er zahlungsfähig ist oder versäumt hat, seine Zahlungsunfähigkeit darzulegen, dann kann Erzwingungshaft angeordnet werden.
Anders als im Strafrecht ist es im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht möglich, eine verhängte Geldbuße in gemeinnützige Arbeit umzuwandeln. Erzwingungshaft kann also auf diesem Wege nicht verhindert werden. Ist der Betroffene dauerhaft zahlungsunfähig und auch nicht mehr kreditwürdig, darf die Erzwingungshaft nicht angeordnet
werden. In solchen Fällen – und genau auf diesen Personenkreis zielt der Antrag der LINKEN offensichtlich offenkundig ab – würden notorische Schwarzfahrer sanktionsfrei bleiben.
Zu erwähnen ist auch, dass es im Bußgeldrecht keine gesetzliche Verpflichtung gibt, einen Rechtsverstoß zu verfolgen. Das würde im Ergebnis gerade im liberalen Bremen auf die teilweise Legalisierung des Schwarzfahrens hinauslaufen, was mit dem Rechtsempfinden vieler Bremer Bürgerinnen und Bürger nicht vereinbar wäre, ebenso wenig wie das 2012 eingeführte StadtTicket Extra, das in der breiten Öffentlichkeit als Belohnung für hartnäckiges Schwarzfahren gesehen wird.
So werden Rechtsstaat und die Bereitschaft der Bevölkerung erodiert, sich an geltende Gesetze zu halten. Dieser Vertrauensverlust dürfte am Ende sehr viel höhere Kosten für den Staat aufwerfen als die Inhaftnahme einer vergleichsweise kleinen Zahl unbelehrbarer Rechtsbrecher. Das Argument, die Abstufung der Beförderungserschleichung zur Ordnungswidrigkeit würde Geld sparen, ist auch aus diesem Grund verfehlt.
Der Antrag der LINKEN ist Teil einer breit angelegten Kampagne, die das Ziel verfolgt, Bagatelldelikte zu entkriminalisieren. An dieser Kampagne wirken auch Politiker anderer Parteien mit. Ein Beispiel ist die Forderung des SPD-Bundesvorstandsmitglieds Ralf Stegner vom Mai letzten Jahres,
Ladendiebstähle aus dem Katalog der Straftaten zu streichen und künftig nur noch als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Sowohl der Vorstoß Stegners als auch der Antrag der LINKEN lassen mangelnden Respekt vor dem Eigentum anderer erkennen.
Anstatt das Strafrecht unter dem Vorwand, Polizei und Justiz zu entlasten, immer weiter auszuhöhlen, müssen deren Kapazitäten an die Erfordernisse der Strafverfolgung angepasst werden und nicht umgekehrt.
Gerade im Bereich der sogenannten Bagatellkriminalität gibt es einzelne Täter, die wiederholt und hartnäckig gegen geltendes Recht verstoßen. In diesen Fällen muss es auch bei leichter Kriminalität
Der Antrag der LINKEN ist nicht zielführend und wird daher von der Gruppe Bürger in Wut abgelehnt. – Vielen Dank!