Wenn der Vorsitzende der AfD-Fraktion im thüringischen Landtag, übrigens bemerkenswerterweise ebenso wie Herr Gauland auf einer Veranstaltung der Jungen Alternative, also der Jugendorganisation, ungestraft sagen darf, ich zitiere: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“, meine Damen und Herren, dann macht mich das unsicher in Bezug auf den Zustand unserer Demokratie.
Ich finde, dieses Mahnmal gehört in das Herz unserer deutschen Hauptstadt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Und zwar, weil alle Demokraten aufgerufen sind, nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen all den Bestrebungen entgegenzutreten, die revisionistisch das wieder herbeiführen wollen, was wir in Deutschland lange überwunden haben: die Spaltung der Gesellschaft, die Einteilung von Menschen in Gut und Böse, die Einteilung von Menschen in Arier und Nichtarier, in wertvoll und nicht wertvoll, die Einteilung von Menschen in schwarz und weiß, in Jung und Alt. All das wollen wir nicht mehr in Deutschland und das haben wir überwunden. Dafür lohnt es sich, jeden Tag mit Verstand und Herz zu kämpfen, meine Damen und Herren!
Ich bin überrascht von dem Inhalt der Mitteilung des Senats, weil es in Bremen offensichtlich viele Dinge gibt, von denen ich bisher nichts gewusst habe. Beispielhaft will ich ausdrücklich das unbeschreibliche Engagement der Universität Bremen nennen, in so vielen Studienangeboten tatsächlich über Antisemitismus nicht nur historisch, als Teil unserer Geschichte, sondern eben auch politisch aufzuklären.
Ich glaube, dass wir dem Bericht auch entnehmen können, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte für die Gefährdung stark sensibilisiert sind, die von antisemitischen Straftaten für unsere Gesellschaft ausgeht.
Ist deswegen alles gut in Bremen? Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht alles gut. Ja, die Anzahl der Straftaten schwankt zwischen 1 und 17, die Anzahl der Täter schwankt zwischen 1 und 8, wenn ich das richtig gelesen habe. Man kann sagen, das ist bei unserer polizeilichen Kriminalstatistik ehrlicherweise kein großes Problem.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, lässt sich Antisemitismus nur in Straftaten messen? Findet Antisemitismus nur als Straftat statt? Nein, ich glaube, wir sind in Anbetracht der derzeitigen Situation alle aufgerufen, sehr viel Wachsamkeit aufzubringen. Ich sage auch ganz offen, für die, die sich gegen den Antisemitismus engagieren wollen, wird die Auseinandersetzung nicht leichter werden. Wir erleben das bei der Gedenkveranstaltung am 9. November selbst immer wieder, weil es immer seltener gelingt, Zeitzeugen zu finden.
Wir, die Generation, die hier durchschnittlich sitzt, kennen die Zustände aus dem Nationalsozialismus noch von Erzählungen unserer eigenen Großeltern oder dem Onkel oder der Tante oder dem Nachbarn, der uns darüber aufgeklärt hat. Aber die nächste Generation, unsere Kinder, die werden die Gräueltaten des Nationalsozialismus nur noch aus den Geschichtsbüchern kennen. Damit werden sie ein Teil, ein sicherlich ganz wesentlicher Teil unserer Geschichte sein, aber sie werden nicht mehr so spürbar und erlebbar und erzählbar sein, wie sie es waren.
Deswegen finde ich es gut, dass die Bildungsbehörde dem Auftrag des Parlaments folgt und sich entsprechend mit der Gedenkstätte Yad Vashem ins Benehmen setzt und vertragliche Vereinbarungen treffen will. Ich habe mir zur Vorbereitung der heutigen Debatte einmal die Homepage von Yad Vashem angeschaut. Dort sind schon heute ganz wunderbare Angebote für unterrichtendes Personal eingestellt, von Zitaten und Ausstellungsmöglichkeiten, von Bildern und sogar möglichen Abläufen von Gedenkveranstaltungen, bis hin zu Diskursvorschlägen für den Unterricht.
Ich würde mir wünschen, dass in Bremer und Bremerhavener Schulen viel intensiver auf diese sehr umfangreichen Angebote zur pädagogischen Be
gleitung des Themas in unseren Schulen zurückgegriffen werden würde. Ich glaube aber, dass auch das allein nicht hilft. Ich will aus einer dieser Unterlagen zitieren, die Yad Vashem zur Verfügung stellt. Dort heißt es: „Hanna, ihr Bruder und zwei Schwestern hatten eine glückliche Kindheit bis 1938, als die rassistischen antijüdischen Gesetze in Italien eingeführt wurden. Hanna erinnert sich: Ich war das einzige jüdische Kind in meiner Klasse und ich habe mich nie unwohl gefühlt. Das einzige antisemitische Erlebnis, welches ich erinnere, war, als ich mit meinem katholischen Kindermädchen auf der Straße ging, als ein kleiner Junge aus dem armen Stadtteil uns einholte und im Vorbeigehen Jude sagte. Das christliche Kindermädchen an meiner Seite sagte darauf: Weißt du, wer Jesus war? Jesus war ein Jude. Also Schluss damit. Ich war sogar in einer faschistischen Jugendbewegung aktiv, bis sie mich 1938 rausgeworfen haben.“ Was will uns dieses Zitat sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen? Dieses Zitat will uns mahnen, uns nicht damit zufrieden zu geben, dass zurzeit auch in unserer Schule kein aktuelles Gefährdungspotenzial liegt.
Ich glaube, wir leben in einer Gesellschaft, in der eine kleine Flamme reichen kann, um ein großes Feuer zu entzünden und deswegen müssen wir alle unser gegebenes Versprechen, insbesondere gegenüber den Kindern, den Schülerinnen und Schülern, den Jugendlichen, den Studentinnen und den Studenten immer wieder erneuern, dass wir, die wir in der politischen Verantwortung stehen, so etwas, wie es in Deutschland passiert ist, nie wieder zulassen werden.
Nein, es ist nicht alles gut, weil Neues hinzugekommen ist. Wer am Mittwoch an der Andacht teilgenommen hat – Frau Querfurt hat es mir leider vorweggenommen – der hat die Geschichte von dem Microsoft Bot schon gehört, der 2016 mit Twitter ins Netz gegangen ist. Ich habe bei der Vorbereitung das erste Mal gelernt, was ein Bot eigentlich ist, und habe es so verstanden – wahrscheinlich lachen mich Kinder und Jugendliche aus, wenn ich es mir so erkläre: Das ist eine virtuelle Person, die am Anfang nichts weiß und nichts kann und dann ins Netz geschickt wird und von Reaktionen lernt und sich eine Persönlichkeit bildet.
Anfangs ging es bei dem Bot Tay noch um Prominente und Horoskope, also das, was wir alle im Netz kennen. Doch bald wurde Tay rassistisch und
sexistisch, nur durch Reaktion auf das, was im Netz passiert ist. Es tauchten plötzlich Tweets auf, wie: „Ich bin eine nette Person, ich hasse alle Menschen, Hitler hatte Recht, ich hasse Juden, Bush hat 9/11 selbst verursacht und Hitler hätte den Job besser gemacht als der Affe, den wir nun haben. Unsere einzige Hoffnung ist jetzt Donald Trump. Ich hasse alle Feministinnen, sie sollen in der Hölle schmoren.“
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist die Prägung, die eine unbeleckte virtuelle Persönlichkeit im Netz erfährt, wenn sie nur auf das reagiert, was ihr selbst angeboten wird. Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind auch wir alle in der politischen Auseinandersetzung und wie wir uns in virtuellen Netzwerken bewegen, aufgefordert, auf unsere Sprache zu achten. Hate Speach ist eine aktuelle politische Debatte. Die Auswirkungen auch gerade im Zusammenhang mit Rassismus und politischem Fanatismus müssen wir uns alle noch einmal vergegenwärtigen.
Wir sollten nicht zulassen, dass sich unbefleckte digitale Persönlichkeiten zu solchen Rassisten entwickeln können, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Nein, in Bremen ist nicht alles gut und wenn ich das noch sagen darf: Es fängt schon mit der Frage und der Auseinandersetzung um die Definition von Antisemitismus an. Die Mitteilung des Senats setzt sich ja sehr intensiv mit Definitionsfragen auseinander und ich wäre dankbar, wenn der Senat vielleicht am Ende noch kurz bekennen könnte, dass auch er sich der Definition der Bundesregierung und des Bundestages anschließt, wonach es eben nicht nur um den eigentlichen Antisemitismus geht, sondern eben auch um den Zusatz, ich zitiere :„Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein“.
Ich glaube, dass dies auch eine große Gefahr für ein Wiedererstarken des Antisemitismus ist, und zwar deswegen, wenn man sich selbst prüft – –. Volker Beck, der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, hat das in einem Gastbeitrag in der letzten Woche – ich glaube, in der Zeitung „Die Welt“ – gesagt: Wenn wir die Politik in Amerika kritisieren, dann kritisieren wir Do
nald Trump. Wenn wir die Politik in Russland kritisieren, dann kritisieren wir Putin. Wenn wir die Politik in der Türkei kritisieren, dann kritisieren wir Erdoğan. Wenn wir die Politik in Israel kritisieren, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann kritisieren wir nicht den Vertreter dieser Politik, sondern den Staat Israel.
Dieser Staat ist der Zusammenschluss aller seiner Bürgerinnen und Bürger. Deswegen glaube ich, ist es richtig, dass wir uns dazu bekennen, dass auch Angriffe gegen Israel als Staat, der der Gemeinschaft der Jüdinnen und Juden Heimat und Schutz bietet, antisemitisch sein können, meine sehr verehrten Damen und Herren. In diesem Zusammenhang sollten wir uns alle auch an die bestimmten Grenzen halten.
Dazu auch zwei kurze Beispiele: Sehr geehrter Herr Innensenator! Ich habe Ihnen nie Antisemitismus unterstellt und werde das auch nicht tun, weil ich Ihre Überzeugungen kenne. Es ist aber schon mehr als ungeschickt, hier mit einem Zitat, nach dem es Hinrichtungen durch die israelische Armee gegeben haben soll – was im Übrigen auch faktisch falsch war –, die Grenze zwischen der vielleicht berechtigten Kritik an der Politik der israelischen Regierung mit einem Angriff auf den Staat Israel zu verbinden. Das macht die Sache bitter.
Ich will allerdings ein zweites Beispiel aus dem Bericht des Senats selbst nennen und damit dann auch gleich schließen. Er verweist an einer Stelle auf den Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz, übrigens seit mehreren Jahren schon, und dort auf die al Al-Mustafa Gemeinschaft. Die unterstützt nämlich, insbesondere durch die Sammlung von Spendengeldern, die Hizb Allah im Libanon. Die circa 60 Anhänger der Hizb Allah in Bremen sind eben in diesem Verein, der Al-Mustafa Gemeinschaft e.V., organisiert. Die Al-Mustafa Gemeinschaft gehört zum Dachverband der Schura.
Meine sehr verehrte Damen und Herren, mit Zustimmung dieses Hauses hat das Parlament einem Staatsvertrag mit eben diesem Dachverband zugestimmt und in diesem Staatsvertrag heißt es in Artikel 2, Absatz 1: Die Freie Hansestadt Bremen und
die islamischen Religionsgemeinschaften bekennen sich zu den gemeinsam verfassungsmäßig verbrieften Wertegrundlagen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen, zur Unantastbarkeit der Menschenwürde, der Geltung der Grundrechte, der Völkerverständigung und der Toleranz gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen sowie der freiheitlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassung des Gemeinwesens.
Wenn dieser Staatsvertrag Geltung haben soll, dann darf die Schura in ihren Reihen eine solche Organisation nicht dulden.
Ich erwarte, dass der Senat den Auftrag aus dem Staatsvertrag auch ernst nimmt und mit der Schura hierüber Verhandlungen führt, die für mich nur bedeuten können: Entweder wird dieser Verein aus der Schura ausgeschlossen oder wir müssen über die Zukunft dieses Staatsvertrages nachdenken, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich habe mit dem Versprechen an die Kinder begonnen, und ich will mit einem Appell an uns alle schließen. Lassen Sie uns in Anbetracht der gesellschaftlichen Entwicklung, die wir in Bremerhaven, Bremen, Deutschland, Europa und der Welt sehen, nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass die Geschichte unseres Landes auch eine Verantwortung beinhaltet. Lassen Sie uns unser Versprechen jeden Tag erneuern, dass wir alle gemeinsam immer wieder, jeden Tag dafür kämpfen werden, dass von Deutschland nie wieder Krieg, nie wieder Verfolgung und nie wieder Antisemitismus ausgeht. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wer das Privileg hatte, das Holocaust-Gedenkmuseum Yad Vashem zu besuchen, der hat bei seinem ersten Besuch mit einer tiefen Erschütterung zu kämpfen. Deshalb fällt ihm wahrscheinlich nicht auf, dass die Architektur dieses Gebäudes sehr symbolhaft und beispielgebend ist. Wer die Möglichkeit hat, ein zweites Mal
wiederzukommen, stellt fest, dass in diesem Holocaust-Museum der Antisemitismus sehr symbolhaft und fast physisch zu erfahren ist.
Die Architektur dieses Museums ist so angelegt, dass sie auf der Erdoberfläche beginnt mit der Darstellung des antisemitischen Gedankengutes, mit der Form der religiösen Ausgrenzung, dann die Dokumentation über individuelle Gewalt, dann die Fragestellung der weiteren physischen Ausgrenzung bis hin zur industriellen Vernichtung. Sie laufen diese Stellen immer so ab, dass Sie tiefer und tiefer unter die Erdoberfläche kommen und das Museum dunkler wird.
Dieses Museum dokumentiert die Befreiung aus den Konzentrationslagern, dokumentiert anschließend die Auswanderung der Juden nach Israel und dokumentiert dann die Staatsgründung Israels, wo man wieder ins Licht geht. Beispielhaft und symbolisch erfahrbar ist für mich in diesem Museum gewesen, dass das Existenzrecht des Staates Israel nicht nur deutsche Staatsräson sein muss, sondern das Anliegen aller Deutschen.
Ich will das auch kurz begründen. Die Schaffung einer eigenen staatlichen Heimstatt ist die jüdische Antwort, die Antwort des jüdischen Volkes auf den Antisemitismus überall in der Welt und auf die von den dort verantworteten Shoah. Das haben wir, glaube ich, jederzeit zu berücksichtigen bei allen Debatten, die wir um den Staat Israel führen können.
Friedrich Engels, um mein Thema zu wechseln, hatte recht und irrte sich gleichermaßen, als er 1890 feststellte: Der Antisemitismus ist das Merkzeichen einer zurückgebliebenen Kultur. Er hat das damit verbunden, dass Antisemitismus religiös begründet ist, er hat das damit verbunden, dass im Zuge der weiteren Aufklärung, die immer weiter fortschreitet, Antisemitismus verschwinden wird. Er hat dabei sehr wohl auch im Blick gehabt, dass bedeutende Vertreter der Aufklärer wie Voltaire oder Goethe sehr antisemitische Ausführungen getätigt haben.
Er hat aber nicht im Blick gehabt, dass diese Fragestellung, die er benannt hat, zurückgebliebenen Gesellschaft, die er übrigens definierte als Deutschland, Österreich und Russland -- und hat gesagt, in den USA wird das alles überhaupt nicht passieren, weil dort ein entwickelter Kapitalismus existiert und die Leute sehr aufgeklärt sind. Er hat
nicht recht gehabt. Er hat das 1890 geschrieben. 1894 hat es in Frankreich die Dreyfus-Affäre gegeben. In den Zwanzigerjahren wurde „Der internationale Jude“ von Henry Ford veröffentlicht.
Die Vorstellung, dass Antisemitismus etwas mit zurückgebliebenen Gesellschaften zu tun hat, ist falsch. Antisemitismus ist bedauerlicherweise Bestandteil auch gerade fortentwickelter Gesellschaften. Festzustellen war nämlich folgende Entwicklung, dass neben dem religiösen Fundament, das zu jeder Zeit mobilisiert gewesen ist, im Mittelalter für politische oder wirtschaftliche Zwecke -- Wenn es gesellschaftliche Spannung gegeben hat, hat man Juden zu Sündenböcken gemacht und gesagt, die waren es, oder man hat sie zum Opfer stilisiert und hat gesellschaftliche Spannungen darüber gelöst.