Protokoll der Sitzung vom 26.11.2015

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Kohlrausch.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dr. Güldner, ich kann vieles von dem unterstreichen, was Sie gesagt haben, und die Zielsetzung, denke ich, teilen wir alle.

Ich bedanke mich bei der Fraktion DIE LINKE für die Zusammenstellung der vielen Fragen, gleichwohl lassen die Antworten des Senats noch viele Fragen offen. Ich möchte mich ausdrücklich bei Ihnen für die Würdigung der Arbeit der Lehrkräfte und der Mitarbeiter, die an den Schulen tätig sind, bedanken! Ich muss sagen, dass ich in der Vergangenheit die Würdigung unserer Arbeit vermisst habe. Ich möchte den Politikern und der Bildungsbehörde den Hinweis geben, dass man besser arbeiten kann, wenn die Arbeit ab und zu auch gewürdigt wird.

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Über die Äußerungen von Herrn Güngör habe ich mich ein bisschen gewundert. Ich hoffe, dass es stimmt, dass es dabei bleibt, die Klassen nicht zu vergrößern. Ich war sehr erschüttert, als ich am letzten Samstag im Radio hörte, dass Frau Dr. Bogedan angesichts des

Flüchtlingsandrangs über größere Schulklassen nachdenkt. Ich kann mir nicht vorstellen, was sie damit meint. Sollen Grundschulen, die jetzt schon teilweise 25 Kinder in den Klassen beschulen, und zwar mit Inklusion, mit Kindern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, mit verhaltsauffälligen Kindern, mit Kindern aus zugewanderten Familien, die eventuell traumatisiert sind, ohne zusätzliches Personal zurechtkommen? Das wird nicht gehen!

(Beifall FDP – Vizepräsidentin Dogan übernimmt den Vorsitz.)

Natürlich wissen wir, wie schwierig die Situation im Augenblick ist. Ich muss leider sagen, dass sich jetzt die Einsparungen der letzten Jahre rächen, der Verkauf der Schulgebäude, der Abbau der Förderangebote und die Fehler bei der Umsetzung der Inklusion. Ich höre schon jetzt viele Hilferufe aus den Schulen, es fehlen Vorklassen.

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Die Bildung muss endlich Priorität erhalten. Schon jetzt schaffen wir es nicht, alle jungen Menschen zu erreichen. Hinzu kommt nun die Integration der zugewanderten Menschen. Hierfür muss alle Kraft gebündelt werden. Wir Freie Demokraten sind nicht bereit, unser Ziel der weltbesten Bildung hierfür aufzugeben.

(Beifall FDP)

Es wird viel Geld notwendig sein, Geld, das wir in Berlin einfordern müssen, aber auch Geld, das Bremen bereitstellen muss. Es werden vielleicht neue Straßenbahnlinien und andere Vorhaben warten müssen.

(Beifall FDP – Abg. Senkal [SPD]: Ja, das ist eine gute Idee!)

Natürlich ist es nicht nur eine Frage des Geldes. Ein umfangreiches Konzept muss vor allen Dingen erarbeitet werden. Es muss über Bremen verteilt Wohnungen geben, sodass die Sprachanfänger möglichst auf alle Kindergärten und alle Schulen verteilt werden können. Es muss Lehrkräfte für den Sprachunterricht, aber auch Alphabetisierungskurse für ältere Schüler und „Nachhilfe“ in Mathematik geben. Für einzelne Kinder werden therapeutische Maßnahmen notwendig.

Ich musste schon vor Jahren miterleben, wie ein neues Kind in seiner Klasse durch sein Verhalten einen regulären Unterricht unmöglich machte. Über das schon damals notwendige Unterstützungssystem will ich hier nicht sprechen. Wir werden noch einmal grundsätzliche Überlegungen anstellen müssen, was wir von den Familien erwarten und ihnen vermitteln müssen,

zum Beispiel beim Schwimmunterricht, bei der Verlängerung der Ferien, bei der Teilnahme an Elternabenden, bei Klassenfahrten und so weiter. Es muss bedacht werden – ich habe in Osterholz-Tenever sehr schöne Beispiele dafür gesehen –, wie man Familien mitnehmen kann. Die Beispiele müssen unterstützt werden, das schaffen die Stadtteile nicht allein.

(Beifall FDP)

Nicht nur hier sollte man erfahrene Schulleiter und Lehrkräfte zur Beratung heranziehen, ich plädiere allgemein dafür, die Schulen viel mehr mit einzubeziehen, sich ihre Erfahrungen zunutze zu machen.

So wichtig die Bildung von Grundlagen in den ersten Schuljahren ist, so wichtig ist auch die Betreuung der älteren Schülerinnen und Schüler und die Unterstützung auf dem Weg in einen Beruf. Vordringlichste Aufgabe ist es, ein Konzept für die nächsten Monate und Jahre zu erarbeiten.

(Präsident Weber übernimmt wieder den Vorsitz.)

Ich habe zu einer ganzen Reihe von Fragen noch Zusatzfragen, aber ich fürchte, die Zeit wird nicht reichen. Ich glaube, ich komme hier zum ersten Mal mit meinen fünf Minuten nicht aus.

Ich würde gern noch etwas zu den pensionierten Lehrern sagen. Dazu stand in der Zeitung „Aus dem Ruhestand an die Tafel“. Es ist diesmal zwar die Presse, aber ich habe es hier auch schon gehört: Ich möchte, dass wir uns alle abgewöhnen, „an die Tafel“ zu sagen! Lehrer stehen heute nicht mehr an der Tafel!

(Beifall FDP, SPD)

Grundsätzlich ist es aber eine pragmatische und begrüßenswerte Aktion, sich an die pensionierten Lehrer zu richten, um Zuwandererkindern und -familien unverzüglich die so dringend benötigten Deutschkenntnisse zu vermitteln. Pensionierte Lehrkräfte sind hoch kompetent und verfügen über einen reichen Erfahrungsschatz. Diese Kompetenz kann aber noch besser genutzt werden, indem die Lehrkräfte ihre Erfahrungen vervielfältigen. Unerfahrene junge Kräfte könnten im Tandem oder auch in Kleingruppen rasch und unkompliziert in die Lage versetzt werden, eigene Schülergruppen zu übernehmen.

(Glocke)

Vorausschauend könnten auch die Lehrkräfte organisatorisch mit einbezogen werden, die in naher Zukunft in den Ruhestand eintreten – –. War das ein Klingeln?

Ja, das war ein Klingeln, Frau Kollegin!

Entschuldigung! Grundsätzlich, denke ich, habe ich klargemacht, wir brauchen ein Konzept, an dem wir alle mitarbeiten sollten, ein langfristiges Konzept, um weiterhin dafür bürgen zu können, dass die Bildung in Bremen für alle besser wird. – Danke!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. vom Bruch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe den strengen Blick des Herrn Präsidenten gesehen und deshalb meine etwa halbstündige Rede beiseitegelegt und – –.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Die lange Version heraus- geholt! – Heiterkeit)

Ich werde mich auf einige wesentliche Punkte beschränken, die aus unserer Sicht allerdings in einem solchen Zusammenhang angesprochen werden müssen.

Herr Güldner, Sie haben in zwei Punkten recht. Sie haben, glaube ich, mit dem Hinweis recht, dass das Bildungssystem – die Bildung, die Schule – das zentrale Instrument der vor uns liegenden Zukunft sein wird, an dem sich sehr maßgeblich die Frage entscheiden wird, ob uns die Integration der vielen jetzt Zugewanderten, insbesondere natürlich der Kinder, gelingt oder ob sie uns möglicherweise eher nicht gelingt.

Wir haben in den letzten eineinhalb bis zwei Tagen intensive Diskussionen über alle möglichen Facetten der Zuwanderung geführt. Sicherlich wird es unabhängig davon, wie man dazu steht und in welchen Facetten es diskutiert worden ist, so sein, dass viele Menschen hier bei uns bleiben werden, und da kommt insbesondere auf die Schulen eine ganz wichtige Aufgabe zu.

Meine Damen und Herren, zurzeit sind wir noch in dem, was man möglicherweise den Ausnahmemodus nennen könnte. Zurzeit ist es noch so – das ist gar nicht zu beanstanden, es ist der Sache geschuldet –, dass wir in einer Situation sind, in der vieles improvisiert wird. Ich möchte an dieser Stelle sagen, Frau Bogedan, auch von uns kommt das Signal, dass die Schulen hier Großartiges leisten, alle miteinander, und das muss an dieser Stelle, glaube ich, interfraktionell auch festgestellt werden!

(Beifall CDU, SPD)

Ich glaube allerdings, dass wir voraussehen können, dass diese Situation, die zurzeit besteht, eben nicht heute oder morgen eine andere sein wird, sondern wir

müssen hier in einen Modus übergehen, der die Ausnahmen dann irgendwann zur Regel macht, das heißt, wir müssen die Schulen, die zurzeit am Limit arbeiten, in die Lage versetzen, diese Situation dann auch zu bewältigen, und ich sage Ihnen ganz deutlich, da habe ich zurzeit Sorge! Ich habe Sorge, dass diese Situation so unendlich lang in die Zukunft zu verlängern ist, weil die Zahl derjenigen, die in den Schulen zu betreuen sind, sich nicht verringern wird, und ich habe auch ein bisschen Sorge, dass sich die Heterogenität, die an den Schulen zu bewältigen ist, ebenfalls noch weiterentwickeln wird.

Ich glaube auch, wir müssen festhalten, unabhängig davon, wann irgendwelche Meldetermine sind, wann irgendeine Aufnahme in irgendeinem Bereich stattgefunden hat, ist ganz zentral, dass die Schule, dass der Bildungsbereich in Bezug auf die hierher zugewanderten Kinder so schnell wie möglich greift. Den Spracherwerb brauchen wir so schnell wie möglich!

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE)

Deshalb ist für mich entscheidend wichtig, dass wir nicht nur die Identität feststellen, sondern dass wir ebenso schnell und ebenso konsequent feststellen, auf welchem Bildungsstand, auf welchem Stand des Spracherwerbs die Kinder sind und wie wir hier möglichst schnell und individuell unterstützen können, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE)

Herr Güngör, ich bin ebenfalls – und das möchte ich eigentlich an dieser Stelle nur für das Protokoll sagen – mit Ihnen einer Meinung, dass wir hier auch nicht zulasten der geltenden Klassenfrequenzen arbeiten dürfen, zumindest nicht dauerhaft, denn wenn wir dies tun, wird es nicht nur eine Überforderung der Klassen und der Schulen geben, sondern es wird auch eine Reduzierung der Akzeptanz bei den Eltern insgesamt geben. Ich finde, das können wir uns nicht leisten.

Meine Damen und Herren, einen Hinweis möchte ich noch zu den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen geben: Auch sie müssen so schnell wie möglich von unserem Bildungssystem erfasst werden. In diesem Zusammenhang halte ich etwas für unerlässlich, und die Antwort auf die Große Anfrage gibt einen Hinweis, der mich etwas besorgt: Ich glaube, dass wir hier insbesondere eben nicht nur den Spracherwerb, die Qualifikation im Auge haben müssen, sondern auch den Erziehungsgedanken. Da halte ich es für unerlässlich, dass wir die Schulen nicht nur mit Lehrerinnen und Lehrern, sondern eben auch für den Bereich der Sozialarbeit so ausstatten, dass insbesondere auch zum Beispiel mit dem Kreis der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge umgegangen werden kann, mit Traumatisierung, mit dieser spezifischen Situation. Das werden die Lehrerinnen und Lehrer

allein nicht bewältigen können, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE)

Lassen Sie mich zum Schluss darauf hinweisen, dass nicht nur die Schulen im Bereich des Spracherwerbs und im Bereich der Qualifikation engagiert sind, sondern ich nehme wahr, dass insbesondere auch bei den Unterkünften vor Ort ganz viele Initiativen ehrenamtlicher Art engagiert sind, sehr spontan für Qualifikationsangebote sorgen, im Bereich des Spracherwerbs tätig sind! An dieser Stelle sollten wir vielleicht in den Dank an die Behörden diesen ehrenamtlichen Kreis mit einbeziehen, der dort ganz Großartiges leistet! – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.