Protokoll der Sitzung vom 26.11.2015

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, Sie wollen nach Hause, aber wenn ich jetzt diese wichtige Debatte reduziert führen muss, dann hätte ich sie lieber ausgesetzt, denn die augenblickliche Beratung ist tatsächlich der Schlüssel für die gelungene Integration der Flüchtlinge.

Herr Güngör, ich würde Ihnen am liebsten die goldene Ehrennadel unserer Fraktion überreichen, aber wir haben sie nicht,

(Abg. Güngör [SPD]: Ich nehme auch die silberne!)

ich habe aber erfreut zur Kenntnis genommen, dass Sie sich klar dafür ausgesprochen haben, dass die Klassenfrequenzen nicht erhöht werden sollen, sondern Sie haben sich sogar dafür ausgesprochen, sie zu senken. In den vergangenen vier Jahren war das zwischen uns ein Streitpunkt, denn wir waren immer der Auffassung, das in diesem Bereich nach sozialen Kriterien noch viel mehr passieren muss. Ich habe das zur Kenntnis genommen.

Wir werden natürlich darauf achten, ob Ihre Auffassung sich in den Beschlüssen zum Haushalt widerspiegeln wird. Ich habe zwar noch große Bedenken, dass das wirklich passiert, aber die Absichtserklärung ist sehr zu begrüßen. Es ist genau der richtige Weg.

(Beifall DIE LINKE)

Es gibt zwei, drei Dinge, die ich hier noch einmal ausführen möchte. Das eine ist das Unterstützungssystem ReBUZ. Es wird zu Recht darauf hingewiesen, dass viele geflüchtete Kinder und Jugendliche traumatische Erfahrungen gemacht haben. Ich glaube, dass wir uns darüber unterhalten müssen, ob die Zahl

der ReBUZ-Standorte ausreicht. Wir müssen uns vielleicht auch darüber unterhalten, was mit dem Unterstützungssystem der Förderzentren passiert, deren Förderung demnächst ausläuft. Es ist ja in den Förderzentren ein großer Erfahrungsschatz der Schulleitungen und der Lehrerinnen und Lehrer im Hinblick auf den Umgang mit traumatisierten Schülern vorhanden.

Ich glaube, wir sollten die funktionierenden Systeme nicht abbauen, sondern den Erfahrungsschatz für etwas Neues nutzen. Die normalen Schulen werden mit der Situation überfordert sein, wenn wir keine Antworten finden.

(Beifall DIE LINKE)

Zu Bremerhaven möchte ich noch einen Satz sagen! Wenn man sich die Anzahl der Vorkurse im Verhältnis zu den vorhandenen Schulen anschaut, dann stellt man fest, an einigen Schulen hapert es immens. Frau Böschen, Frau Dogan und ich sind vor circa drei Wochen von den Grundschulleitungen Bremerhavens eingeladen gewesen. Ich formuliere es einmal ganz vorsichtig: Vier Vorkurse in einer Woche an einer Grundschule bedeuten eine Herausforderung. Unabhängig von den Verhandlungen, die bisher zur Wahrnehmung der Landes- und Kommunalaufgaben durch die Polizei und durch Lehrer geführt worden sind, bitte ich darauf zu achten, dass dieser Bereich Eingang in die Haushaltsberatungen findet. Spätestens im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs sind aufgrund der Armutssituation in Bremerhaven für Bremerhaven Lösungen zu finden, denn in Bremen ist die Armutssituation lediglich auf bestimmte Stadtteile beschränkt, in Bremerhaven betrifft sie das Stadtgebiet.

(Beifall DIE LINKE)

Ich stimme Ihnen zu – und damit komme ich zu meinem Vorredner Herrn Dr. vom Bruch –, dass die Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage im Hinblick auf die Sozialarbeit an den Schulen, insbesondere an den beruflichen Schulen, zum Komplex der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nicht aussagekräftig genug ist. Die Zukunftsaussichten sind nicht besonders positiv. Ich sehe es auch so, dass die Sozialarbeit in diesem Bereich zu verstärken ist.

Man muss es sich so vorstellen, dass viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus der Subsahara stammen. Es sind die Fragen zu beantworten, ob die Minderjährigen zur Schule gegangen sind, ob sie die Schulreife besitzen und ob sie alphabetisiert worden sind. Wenn man sich im Übergangswohnheim Theodor-Billroth-Straße umhört, dann stellt man fest, dass die unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen unter einem enormen Druck stehen, sie wollen fast alle eigentlich nur arbeiten, weil sie Geld nach Hause schicken müssen. Sie verstehen das Ausbildungssystem nicht. Sie verstehen nicht, dass man erst einmal eine

dreijährige Ausbildung machen muss und dass die Voraussetzung dafür der Spracherwerb und ein Schulabschluss sind.

Die aufgelegten Bremer Programme werden nicht funktionieren, wenn man die Minderjährigen nicht beruflich begleitet. Ich glaube, hier muss es noch zu einem Umdenken kommen.

(Glocke)

Wir dürfen uns nicht nur auf den schulischen Rahmen und Vorkurse fokussieren, sondern es ist auch eine Begleitung für den beruflichen Bereich gefordert. Findet diese Begleitung nicht statt, befürchte ich bei der hohen Zahl der unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen einen hohen Prozentsatz, der letztlich auf dem Arbeitsmarkt scheitert. Es kommt damit zu Verlierern, und das ist nicht in unserem Sinne.

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Dr. Bogedan.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich insbesondere, dass der interfraktionelle Dank an alle, die im Augenblick das System Schule ausfüllen und Großartiges leisten, hier deutlichen ausgesprochen worden ist. Ich glaube, das war ganz wichtig, denn die Leistung der Schulen ist nicht zu unterschätzen. Ich sage ganz ehrlich, wer hätte im Sommer gedacht, dass die Schulen Bremens einmal bundesweit von sich reden machen, und zwar nicht deshalb, weil sie in einem Vergleich auf dem letzten Platz stehen, sondern weil sie eine Aufgabe exzellent und in vorbildlicher Weise lösen können?

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Ich sage in Ihre Richtung, Frau Kohlrausch, dass wir diese Leistung sehr anerkennen und sie auch im dritten Sonderprogramm des Senats dadurch anerkennen, dass wir für Entlastung gesorgt haben, insbesondere bei den Schulsekretärinnen, die die erste Anlaufstelle sind. Sie werden sehr gern vergessen, weil sie auch von den Medien nicht wahrgenommen werden. Wir werden ihr Engagement entsprechend honorieren.

Frau Vogt, es ist ein dynamisches System. Die Zahlen zu den Vorkursen, die in der Antwort des Senats genannt worden sind, spiegeln insofern nur den augenblicklichen Stand wider. Es werden täglich neue Vorkurse eingerichtet und Schulplätze für Kinder geschaffen. Das ist ganz wichtig. Wir verfahren dabei nach Grundsätzen, die hier bereits genannt worden sind. Ich will sie jedoch noch einmal wiederholen, weil sie existenziell wichtig sind und dazu geführt haben, dass wir im Augenblick bundesweit als Vorbild gelten.

Wir beschulen dezentral. Wir begreifen es als eine Aufgabe aller Schulen, nicht aber einzelner Schulen. Wir beschulen integrativ, das heißt, wir tragen auch dafür Sorge, dass es nicht zu Flüchtlingsklassen an den Schulen kommt. Wir bemühen uns, die Flüchtlingskinder auf möglichst viele Klassen zu verteilen. Das ist eine ziemliche Herausforderung, die eine zentrale Steuerung erfordert, denn wir müssen schauen, dass wir die Kinder entsprechend ihrem Alter in den Klassen unterbringen können.

An dieser Stelle möchte ich etwas zu den Klassenfrequenzen sagen. Die Klassenfrequenzen – und das haben wir in der Kapazitätsverordnung entsprechend formuliert – ermöglichen es uns an dieser Stelle, die Prinzipien aufrechtzuerhalten, und um nichts anderes geht es. Es geht darum, die Ausnahme von der Regel zulassen zu können, um die Möglichkeit zu haben, eben keine Flüchtlingsklassen bilden zu müssen, weil wir es mittlerweile mit einer so großen Kinderzahl zu tun haben, die wir sonst sozusagen nur in Gruppen zusammenführen könnten, wenn wir nicht die Möglichkeit haben, die Belastung auf alle Schulen zu verteilen und die Klassenfrequenz in einzelnen Klassenverbänden zu übersteigen. Ganz klar, es geht nicht darum, eine neu Regel zu schaffen, um die Klassenfrequenzen insgesamt ausweiten zu können, sondern darum, die Möglichkeit zu haben, die Grundsätze weiter leben zu können, sodass wir keine zentralen Flüchtlingsklassen haben, keine zentralen Flüchtlingsschulen bauen wollen und es zu keiner separierten Beschulung kommt, wie es beispielsweise in Hamburg der Fall ist.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Für den zukünftigen Integrationserfolg halten wir es für unabdingbar, dass die Kinder und Jugendlichen mit Gleichaltrigen zu tun haben, dass sie ganz früh in alltäglichen Sprachsituationen lernen, die deutsche Sprache anzuwenden, aber nicht, dass sie separat die deutsche Sprache in dem Sinne lernen – wie es hier eben auch dargestellt worden ist –, dass sie zwar auf Deutsch eine Orange beschreiben können, dass jedoch eine Teilnahme am Fachunterricht nicht möglich ist.

Sie nehmen deshalb sehr früh am Regelunterricht teil, damit sie schnell die deutsche Sprache erwerben. Ich glaube, dass diejenigen, die sich mit dieser Materie befassen, feststellen, dass wir Unterschiede machen müssen. Es ist durchaus unterschiedlich zu bewerten, ob ein Grundschulkind schnell in eine Klasse integriert wird, sich mit enormen Lernerfolgen die Sprache aneignet – und das kann man wirklich beobachten –, sich in der eigenen Altersgruppe zurechtfindet und gemeinsam mit den anderen Kindern, die sich ja auch noch im Spracherwerb befinden, aufwächst, oder ob es sich um ältere Schüler handelt.

Ich möchte die Worte meiner Vorredner unterstreichen, dass wir ein ganz besonders großes Augenmerk

auf diejenigen Schüler legen müssen, die in einem fortgeschrittenen Alter in das Bildungssystem integriert werden müssen. Mit fortgeschrittenem Alter ist es zum einen nicht einfach, sich zu integrieren, zum anderen können durchaus problematischere Fluchterfahrungen vorhanden sein, häufig ist es aber auch eine gewisse Bildungsferne. Notwendig ist deshalb, dass wir diesen jungen Menschen ein besonderes Augenmerk schenken.

Es kann uns in der Tat überhaupt nicht zufriedenstellen, dass wir im Moment viele Jugendliche bestimmter Altersgruppen nicht erreichen, weil sie bisher in Notunterkünften untergebracht sind, einmal abgesehen davon, dass wir als Senat nicht damit zufrieden sind, dass sie bisher in Notunterkünften untergebracht sind. Unser ganzes Bestreben ist, diese Situation zu verändern, also eine bessere Wohnsituation für diese jungen Menschen zu schaffen, die Verfahren zu beschleunigen – deshalb stellt das dritte Sonderprogramm des Senats für diese Bereich Mittel für zusätzliche Stellen zur Verfügung –, damit schneller die Möglichkeit besteht, Beschulungs- und Integrationsmaßnahmen durchführen zu können.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Dennoch wächst die Herausforderung aber. Wir gehen im Senat davon aus, dass für die nächsten zwei Jahre mit einer Zuwanderung etwa auf dem Niveau zu rechnen ist, wie wir es in diesem Jahr zu beobachten hatten. Das heißt, wenn eine Überschrift im Koalitionsvertrag „Gute Bildung in wachsenden Städten“ war, dann haben wir es jetzt mit einer enorm wachsenden Zahl von Kindern und Jugendlichen in unserem Bildungssystem zu tun, und das erfordert auch eine ganz große Aufmerksamkeit. Es ist nicht zu verachten, was das dann auch für finanzielle Bedarfe erfordert, und da sind wir natürlich in einer besonders schwierigen Situation.

Als Bundesland mit extremer Haushaltsnotlage stehen uns Spielräume, die andere Bundesländer zur Verfügung haben, die die Mehreinnahmen aus den Steuern im Prinzip jetzt unvermindert einsetzen können, derzeit nicht zur Verfügung. Wir werden besonders gut schauen müssen, wie wir diese Herausforderungen innerhalb der bestehenden Strukturen und mit unseren Möglichkeiten bewältigen, und deshalb will ich an dieser Stelle auch sagen, es geht mir auch darum, den Bund nicht aus der Verantwortung zu lassen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich habe eben in allen Redebeiträgen gehört, dass wir zusätzliche Verstärkung im Bereich der Schulsozialarbeit benötigen, und auch das hat meine volle Unterstützung. Allerdings handelt es sich hierbei um eine sozialpolitische Aufgabe, die nicht primär der Bildungspolitik angehängt werden kann, sondern an

der Stelle ist eben auch der Bund massiv gefordert, diese sozialpolitische Aufgabe mit zu schultern. Dann müssen wir nicht über Kooperationsverbote sprechen, sondern der Bund kann in seiner Verantwortung eben auch ganz einfach Unterstützung bei der Bewältigung dieser nationalen Herausforderung leisten.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich könnte noch ganz viel zu dem Thema sagen, weil es mir wirklich auch sehr am Herzen liegt, ich mache es jetzt aber mit Blick auf die Uhr kurz, denn wir haben uns in der Deputation längst verabredet, das Thema beim nächsten Mal dort noch einmal intensiv zu beraten. Ich glaube, dort wird auch noch einmal an vielen Stellen die Möglichkeit bestehen, einige Missverständnisse, die ich mir eben notiert habe, die es offensichtlich noch immer zu bestimmten Einzelfragen gibt, wie es denn im Verfahren alles läuft, dann auszuräumen und gemeinschaftlich zu überlegen, wie wir auch zukünftig die Herausforderungen so gut gemeistert bekommen, wie es bislang gelungen ist. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 19/137, auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE Kenntnis.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte auf, die ohne Debatte vorgesehen sind.

Gesetz zur Änderung des Bremischen Gaststättengesetzes Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 13. Oktober 2015 (Neufassung der Drucksache 19/62) Drucksache 19/114 2. Lesung

Die Bürgerschaft (Landtag) hat den Gesetzentwurf des Senats in ihrer sechsten Sitzung am 14. Oktober 2015 in erster Lesung beschlossen.

Wir kommen nun zur zweiten Lesung.

Die Beratung ist eröffnet. – Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.