Protokoll der Sitzung vom 23.02.2022

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Wir brauchen aber auch die Menschen: die Bremer:innen und die Bremerhavener:innen! Das leitet zum letzten Faktor, ohne den unsere Klimastrategie keinen Erfolg haben kann. Es ist für mich und für uns überhaupt keine Frage, dass die Bekämpfung der Klimakrise zu allererst Aufgabe von Politik ist. Die Umsetzung kann aber nur dann gelingen, wenn auch die Bremer:innen mitmachen, weil sie die politischen Maßnahmen mittragen, aber auch, wenn sie ihren eigenen Beitrag dazu leisten, weil sie Fahrrad fahren, weil sie eine Photovoltaikanlage installieren, weil sie sich vegan ernähren.

Auch darauf wird es ankommen, genau wie auch auf eine Wirtschaft, die Klimaschutz als Chance begreift und die Transformation durch ihren eigenen Beitrag unterstützt. Genauso wie auch auf starke gesellschaftliche Akteur:innen, wie wir sie heute glücklicherweise vor dem Haus der Bürgerschaft schon erleben durften, die von uns einfordern, wann immer es droht, die Klimakrise aus den Augen zu verlieren. Liebe Bremer:innen, Sie können zu Recht von uns erwarten, dass wir die Klimakrise mit höchster Priorität bekämpfen. Das ist unsere Verantwortung. Nehmen Sie uns in die Pflicht!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Sie sehen, das alles wird kein Spaziergang, das wird verdammt anstrengend, es erfordert Überzeugungsarbeit, und das wird auch mal schmerzhaft werden. Ich bin aber überzeugt, wenn wir das geschafft haben am Ende, in gerade einmal 16 Jahren, dann haben wir nicht nur ein klimaneutrales Bremen, sondern wir haben auch ein viel lebenswerteres Bremen, in dem die Menschen Platz zum Leben in den Städten haben, in dem die Menschen mobil sind, auch ohne Auto, in dem die Stadtteile ergrünen, in dem Kinder in modernisierten Schulgebäuden lernen und in dem die Politik russischer Präsidenten nichts mehr mit unseren Heizkosten zu tun hat.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Für dieses Bremen, liebe Kolleg:innen, lohnt es sich auch, durch schmerzhafte Phasen zu gehen und zusammenzustehen. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen! – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Ingo Tebje.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast zwei Jahre lang hat die Klimaenquete unter Beteiligung von Wissenschaftsexpert:innen und Verbänden sowie der Zivilgesellschaft getagt, und zwar unter Coronabedingungen. Manchmal war es sehr anstrengend, aber immer auch ermutigend. Als Erstes möchte daher ein ganz großes Dankeschön an alle Beteiligten, insbesondere auch an alle Mitarbeitenden der Fraktionen und der Bürgerschaftskanzlei aussprechen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will explizit auch meinen Dank an Herrn Michalik und an Herrn Dr. Carsten Sieling für ihre Tätigkeit als Vorsitzende in der Kommission aussprechen. Das war ein fairer, guter Umgang und ein bedeutender Prozess, den wir gemeinsam hatten.

(Beifall DIE LINKE, CDU)

Der jetzt vorliegende Abschlussbericht der Klimaenquete zeigt uns Strategien und Maßnahmenpakete auf, wie das Land Bremen bis 2038 klimaneutral werden kann. Bis 2030 können wir eine Reduktion auf 60 Prozent der Ausgangswerte erreichen, bis 2033 wäre ein Zwischenziel von 85 Prozent möglich, wenn wir die vorgeschlagenen Maßnahmen konsequent umsetzen.

Dass wir bis 2030 nur eine Reduktion auf 60 Prozent erreichen können, ist auch der unzureichenden Klimaschutzpolitik der vergangenen Bundes- und Landesregierungen zuzuschreiben. Dies sind die Folgen des bisher nicht erfolgten Handelns. Die merken wir immer stärker an den entsprechenden Extremwetterereignissen wie Starkregen, Überschwemmung, langen Dürren. Längst sind die Folgen dieses Nichthandelns deutlich zu spüren.

Das verdeutlicht aber auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das uns zum Handeln dahingehend verpflichtet, dass wir der nächsten Genera

tion keine unmöglichen Aufgaben der CO2-Reduktion und keine zerstörte Umwelt hinterlassen dürfen. Die Welt, Deutschland und Bremen befinden sich in einer Klimanotlage.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben als Koalition den Antrag für eine zukunftsweisende Klimaschutzstrategie für Bremen vorgelegt, da wir wissen, dass die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen allen viel abverlangt und wahrlich kein Selbstgänger ist. Sie bereitet dem Land Bremen viele Probleme und birgt viele Risiken, aber sie bietet uns ebenso gute Zukunftschancen, die wir jetzt gemeinsam ergreifen wollen. Ich hoffe – Sie lächeln, Herr Strohmann –, dass Sie da ganz meiner Meinung sind.

Ich werde im Folgenden auf wichtige Teilaspekte näher eingehen, nämlich die Finanzierung der Transformation, die energetische Sanierung, den Ausbau erneuerbarer Energien, die Umsetzung der Wasserstoffstrategie, den Ausbau von Nah- und Fernwärmenetzen mit kommunaler Beteiligung sowie die Mobilitäts- und Ernährungswende.

Ja, wir brauchen eine auskömmliche Finanzierung der Transformation. Der Weg in ein klimaneutrales Bremen 2038 ist nur mit ausreichender Kreditfinanzierung des Landes realisierbar. Sechs bis sieben Milliarden Euro an klassischen Investitionskosten und eine Steigerung der konsumtiven Ausgaben von circa 200 bis 400 Millionen Euro ansteigend sind unter Wahrung der Schuldenbremse und Sanierungsvereinbarung allein aus dem bremischen Haushalt nicht realisierbar.

Wir müssen deswegen auch die von Professor Dr. Wieland aufgezeigten Wege konsequent nutzen, wenn sie zum Erreichen des CO2-Reduktionspfades notwendig sind. Kreditfinanzierte Investitionen der kommunalen Gesellschaften, der Bremer Aufbaubank sind sicherlich ein Mittel, das in erster Linie genutzt wird. Auch öffentliche Partnerschaften sind weiter auszubauen, aber groß angelegten Public Private Partnerships (PPP) erteilen wir eine ganz klare Absage, da sie zu erheblichen finanziellen Nachteilen für die Bürger:innen und den Staat führen werden.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sind uns aber sicher, dass diese Mittel nicht für alle notwendigen Umsetzungen reichen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine Fraktion hier im Hause auf die Idee kommen würde, die

Umstellung auf grünen Stahl infrage zu stellen, wenn zu den entsprechenden Zeitpunkten die notwendigen Kofinanzierungsmittel möglich sind. Wir als LINKE können uns auch nicht vorstellen, dass wir zukünftig die Kita- und Schulfinanzierung gegen notwendige konsumtive Ausgaben, gegen die Klimaschutzpolitik abwägen.

Generationsgerechtigkeit ist für uns keine Frage des Entweder-oder, es gibt keine Klimagerechtigkeit ohne soziale Gerechtigkeit. Es bleibt nur die Option: Entweder bekommen wir für die Umsetzung unserer verfassungsrechtlich zwingenden Maßnahmen höhere Mittel von der EU und auf Bundesebene, oder Bremen bleibt nur die Nutzung der Notlagenklausel, so, wie es mein Kollege Philipp Bruck gerade auch gesagt hat. Klimaschutz ist teuer, kein Klimaschutz ist unbezahlbar.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir müssen außerdem dringend die energetische Sanierung vorantreiben. Ich will aber vorweg eines sagen: Klimaneutrales Wohnen muss dabei für alle leistbar sein. Eines der zentralen Handlungsfelder ist deshalb die Sanierung des gesamten Gebäudebestandes in Bremen. Darunter fallen Gewerbeimmobilien, öffentliche Einrichtungen und Wohnimmobilien.

In Bremen ist besonders auffällig, dass es im Bestand sehr viele sogenannte Worst performing Buildings gibt, also Gebäude, die in einem energetisch sehr schlechten Zustand sind. Das ist für viele Menschen besonders dramatisch, da sie zum einen in einer Wohnung in schlechtem Zustand wohnen und zum anderen erheblich steigende Energiepreise haben, die sie sich zukünftig so einfach nicht mehr leisten können.

Wir schlagen hier als LINKE ein Förderprogramm vor, das Vermieter besonders unterstützt, wenn sie ihre Wohnung warmmietenneutral sanieren. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch sozial gerecht.

(Beifall DIE LINKE)

Wir brauchen den massiven Ausbau erneuerbarer Energien in allen Bereichen. Er ist der Schlüssel der Klimaneutralität. Wenn wir auf Kohle, Erdgas und Erdöl verzichten müssen, bedarf es eines enormen Ausbaus erneuerbarer Energien. Der Strombedarf wird durch die Umstellung auf Wasserstoff aber auch bei der Wärmeerzeugung sowie der Antriebswende beim Verkehr erheblich steigen. Auch

wenn wir als Stadtstaat gemessen an der Fläche schon jetzt sehr viel Windenergie erzeugen, müssen wir dies steigern. Dabei ist Landschaftsschutz keine heilige Kuh mehr, und Wind und Gewerbe rücken zusammen.

Das größte Potenzial liegt aber auf den Dächern. Photothermie und Photovoltaik müssen dort zur Pflicht werden. Mit Mieterstrommodellen und Balkonsolaranlagen können sich dabei auch alle Mieter:innen an der Energiewende beteiligen und profitieren. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern macht uns zukünftig unabhängiger und flexibler in der Energieversorgung. Ich glaube, das muss in der heutigen Zeit ein wichtiges Ziel sein.

(Beifall DIE LINKE)

Des Weiteren ist die Umsetzung der Wasserstoffstrategie immens wichtig. Ohne grünen Wasserstoff wird es nicht gehen. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft ist zur Dekarbonisierung der Industrie und des Verkehrs notwendig sowie eine große Chance für Bremerhaven und Bremen. Meine Vorredner haben gerade auch auf die besondere Bedeutung für Arbeitsplätze und Fachkräfte in Bremen hingewiesen. Das ist einer der ganz wichtigen Sektoren.

Grüner Wasserstoff wird zur Reduktion bei der Stahlerzeugung, für CO2-freies Fliegen, für die Schifffahrt, als Energiespeicher und für viele andere Last- und Industriezweige benötigt. Für Bremen sorgt er für die größte CO2-Minderung, da allein der grüne Stahl der Bremer Stahlwerke im Land Bremen für eine Reduktion von 50 Prozent, also circa vier Millionen Tonnen CO2, sorgt und zusätzlich noch einmal für eine Reduktion von drei Millionen Tonnen CO2 in Eisenhüttenstadt. Damit leisten wir mit diesem großen Vorhaben auch einen guten Beitrag für den bundesweiten Klimaschutz.

Auch die Wasserstoffanwendungserprobung in Bremerhaven, das grüne Fliegen mit Airbus, klimaneutrale Schiffsantriebe, Auswirkung auf die Hafenwirtschaft, Wasserstoff-Lkws und -Loks sorgen nicht nur für Klimaneutralität, sondern bieten im Verbund mit den norddeutschen Ländern wirtschaftlich wichtige Perspektiven. Durch die Nähe zu den Windparks und der neuen nutzbaren Gasinfrastruktur haben wir die besten Voraussetzungen in diesen Wirtschaftsbereichen.

(Beifall DIE LINKE)

Mit den drei erfolgreichen IPCEI-Projekten stehen wir für die Umsetzung in den Startlöchern. Die Kofinanzierung dafür muss aber sichergestellt werden, ohne Wenn und Aber.

(Beifall DIE LINKE)

Außerdem brauchen wir den verstärkten Aufbau von Wärmepumpen und den Auf- und Ausbau von Nah- und Fernwärmenetzen. Der Aufbau von Wärmepumpen aller Größen und alle Tauschmöglichkeiten müssen für die Wärmewende massiv vorangetrieben werden. Dabei hinkt Bremen anderen Städten deutlich hinterher. Hier braucht es Fördermöglichkeiten auf Landesebene.

Daneben braucht es aber auch Nah- und Fernwärmenetze, und das sagen wir ganz deutlich: Ohne eine kommunale Beteiligung ist ein ausreichender Auf- und Ausbau von Nah- und Fernwärmenetzen zum Scheitern verurteilt. Das können wir nicht zulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall DIE LINKE)

Um den Gebäudebestand bis 2038 klimaneutral zu gestalten, müssen wirklich alle klimaneutralen Wärmequellen genutzt werden. Dabei spielen die Müllverbrennung und die Stahlwerke die größte Rolle. Diese können nur über einen massiven Ausbau der Fernwärmenetze nutzbar gemacht werden, mit sehr hohen Investitionen, die sich nur sehr langfristig amortisieren und eine hohe Absicherung für die Betreiber und die Kunden erfordern. Dies ist ohne eine starke kommunale Beteiligung aus unserer Sicht nicht erreichbar, vor allem, da der jetzige Betreiber schon sagt, dass er diese Ziele nicht für realistisch umsetzbar hält.

Ebenso verhält es sich beim Aufbau von Nahversorgungsnetzwerken in den Bestandsquartieren. Dies ist ein zweiter wichtiger Pfeiler der Wärmewende, der aber ebenso mit hohen Investitionsausgaben und Risiken verbunden ist. Auch hier sollte die öffentliche Hand mit allen Liegenschaften und Gesellschaften, insbesondere den Wohnungsbaugesellschaften, anhand der Wärmeplanung prüfen, wo sie solche Aufbauten betreiben könnte. Wärmeversorgung ist Daseinsvorsorge und gehört wieder stärker in die öffentliche Hand.

Ebenso sehen wir die Ermöglichung von klimaneutraler Mobilität als öffentliche Aufgabe. Die Verkehrswende ist für die Erreichung des Klimaziels in Bremen unverzichtbar. Bei dem Begriff Ver

kehrswende geraten gerade in Bremen die Gemüter in Aufregung, das haben wir eben in der Debatte auch schon ein bisschen erlebt. Ich möchte darauf hinweisen, dass sich hinter dem Begriff mehr verbirgt als nur Autos heraus aus der Stadt oder E-Auto statt Verbrenner. Es geht darum, Mobilität neu zu denken: Eine gerechte Flächenverteilung der verschiedenen Mobilitätsarten, die Verlegung von Güterverkehren vom Lkw auf die Schiene und die Verlagerung von kurzen Lieferverkehren auf das Fahrrad. Es geht um neue Antriebsarten auch für Schiffe und Flugzeuge. Ja, und es geht dabei nicht nur um CO2-Einsparung, sondern auch um die Möglichkeiten, die Fläche in der Stadt neu zu verteilen,

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

damit auch Platz für Anpassungsmaßnahmen ist um die Luftqualität zu verbessern und Umweltauswirkungen wie Lärm oder Mikroplastik zu senken. Weil dieses sensible Thema über eine CO2-Einsparung hinausgeht, weil es auf verschiedenen Ebenen so viele positive Effekte hat, ist es meiner Meinung nach so immens wichtig. Eine echte Verkehrswende ist unverzichtbar für das Klima, die Umwelt und eine sozial gerechte und sichere attraktive Umgestaltung des Landes Bremen.

Ohne eine Energie- und ohne eine Ernährungswende mit einer massiven Reduzierung tierischer Lebensmittel, darauf hat auch Philipp Bruck hingewiesen, sind die nationalen und internationalen Schutzziele nicht erreichbar. Das bedeutet auch eine individuelle Lebensstilveränderung. Gerade beim Thema Ernährung wird dies besonders sichtbar.