Protokoll der Sitzung vom 05.04.2003

Ministerpräsident haben ihre personellen Entscheidungen weitgehend getroffen und die inhaltlichen Leitlinien für die Arbeit der kommenden fünf Jahre festgelegt.

Die Oppositions- und Regierungsfraktionen werden nun ihren jeweiligen verfassungsmäßigen Auftrag erfüllen. Beide Seiten sind aufgerufen, der Versuchung zu widerstehen, mit Bitterkeit auf der einen oder auch mit Überheblichkeit auf der anderen Seite den Wahlkampf fortzusetzen. Der Wähler hat entschieden, und wir haben nun unsere Pflicht zu tun.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen uns nichts vormachen. Auch diese konstituierende Sitzung wird durch die aktuellen Kriegsereignisse am Golf überschattet. Diese bewegen uns als Parlamentarier wie jeden Bürger in unserem Lande. Ich halte es daher für geboten, einige ganz persönliche Worte und Empfindungen zu den Ereignissen der letzten Wochen auszudrücken.

Den ersten Kontakt mit amerikanischen Streitkräften hatten viele meiner Generation in der Zeit zwischen NaziDiktatur und demokratischem Aufbau unseres Landes. Ich persönlich – in Ostpreußen geboren – habe Krieg,Vertreibung und Nachkriegszeit am eigenen Leibe schmerzlich erfahren müssen. Meinen Vater habe ich erst als Neunjähriger, als er aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause kam, kennen lernen können.

Es ist jedem von uns, gerade Vertretern meiner Generation, doch klar: Keiner will Krieg. Ich bitte deshalb auch darum, dass in der Debatte um den Golfkrieg nicht wechselseitig moralisch zweifelhafte Motive unterstellt werden.

Meine Damen und Herren, die Amerikaner mit ihren Streitkräften haben uns Deutschen nach 1945 den Frieden über viele Jahrzehnte gesichert. Trotz aller Kritik in Einzelfragen dürfen wir nicht vergessen, dass es die westlichen Alliierten unter Führung der Amerikaner waren, die uns von der Diktatur befreit, die stabilste Demokratie in der Geschichte unseres Landes, die längste Friedensgeschichte in Europa und die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes gebracht haben. Hierfür sind wir den Amerikanern nach wie vor zu Dank und Respekt verpflichtet. Das schließt selbstverständlich unterschiedliche Positionen in wichtigen Einzelfragen nicht aus.

Als einer der wenigen Vertreter der Kriegsgeneration in diesem Landtag bin ich der Auffassung, dass ein verlässliches Verhältnis im transatlantischen Bündnis eine Grundkonstante unseres politischen Handelns bleiben muss. Dieses gebietet übrigens auch die Wahrung unserer eigenen Interessen in der Weltgemeinschaft.

Meine Damen und Herren, wir beginnen diese Legislaturperiode nicht nur in einer Zeit des Krieges, sondern auch in einer Zeit, in der sich in der Gesellschaft – auch in der Gesellschaft unseres Landes – tief greifende Veränderungen vollziehen: eine Zeit, die auch die Politik unseres Bundeslandes möglicherweise zu weit reichenden Eingriffen in gehütete Besitzstände zwingen wird, um die Zukunft unseres Landes gestaltungsfähig zu erhalten.

Wir werden sehr schnell zeigen müssen,ob wir die Grundlagen unseres Wohlstandes sichern und fortentwickeln können. Mit der Grundlage des Wohlstandes meine ich die Substanz der sozialen Marktwirtschaft, die unsere Eltern und Großeltern in 50 Jahren Nachkriegsgeschichte mühsam erarbeitet haben. Ich meine aber damit auch die Einsicht, dass nur eine prosperierende Wirtschaft auf niedrigem Arbeitslosenniveau die materielle Grundlage

dafür schafft, dass eine erfolgreiche Sozialpolitik betrieben werden kann. Dazu gehört auch, dass der Staat die notwendigen Rahmenbedingungen schafft, damit die Wirtschaft sich frei entfalten kann.

Wir, die 110 Abgeordneten von Regierungs- und Oppositionsfraktionen, haben trotz schwieriger Rahmenbedingungen gemeinsam den Auftrag, unser Land in den kommenden fünf Jahre kraftvoll und kreativ vorwärts zu bringen. Dabei hat nicht nur die Regierung, sondern haben vor allen Dingen auch wir als Parlament, als Vertretung des Volkes, mit allen daraus erwachsenden Rechten und Pflichten eine im wahrsten Sinne des Wortes initiative Funktion.

Meine Damen und Herren, die Politik in den Landesparlamenten von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern wird künftig einen anderen, ich behaupte: einen wesentlich höheren Stellenwert als bisher haben müssen, und zwar dann, wenn wir uns weit intensiver mit unseren eigenen Zuständigkeiten befassen und uns mit den Kompetenzüberschneidungen von Landes-, Bundes- und Europapolitik auseinander setzen, bevor es andere tun. – Sie tun es bereits.

Es kann schon als historische Leistung angesehen werden, dass sich in dieser Woche die Fraktionsvorsitzenden und Landtagspräsidenten aller Bundesländer über die Parteigrenzen hinweg in Lübeck und zur gleichen Zeit die Ministerpräsidenten in Hamburg zusammengefunden haben, um die Rechte der Landesparlamente und damit den Föderalismus zu stärken. Ich kann nur hoffen, dass aus den Beschlüssen, die ich kenne, auch etwas wird und sie umgesetzt werden.

Die Verlagerung von Entscheidungen auf zentrale Ebenen – sei es nach Brüssel oder Berlin –, die besser in den Regionen getroffen werden können, muss ein Ende haben. Die Menschen unseres Landes haben ein Recht auf Bürgernähe, begreifbare Entscheidungen und unmittelbare Kontrolle. Die Einhaltung der Subsidiarität als staatliches Gestaltungsprinzip ist dabei von tragender Bedeutung. Der Föderalismus im Bund und in Europa lebt von der Freiheit und dem Mut zur Übernahme von Verantwortung vor Ort.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,lassen Sie mich einen Aspekt der parlamentarischen Arbeit ansprechen, der meines Erachtens in der Vergangenheit zu kurz gekommen ist.

Ich sagte es bereits.Wir alle wissen: Die wirtschaftliche Situation ist heute schwieriger denn je. – In solchen Zeiten müssen wir Hessen in der Mitte eines zusammenwachsenden Europas aktiver mit unseren Nachbarn zusammenarbeiten. Wir sollten in dieser so eng verzahnten Welt auch als Landesparlamentarier künftig stärker als bisher über unseren Tellerrand hinausschauen. Wenn wir künftig als Landtag engere Beziehungen beispielsweise zu den Generalkonsulaten unseres Landes und den in Hessen ansässigen ausländischen Unternehmen aufbauen, haben wir große Chancen.

Beispielsweise gibt es einen „Club des Affaires“, in dem sich allein im Rhein-Main-Gebiet 700 französische Führungskräfte zusammengeschlossen haben. Ich rege an, dass wir als Parlamentarier mit den französischen Freunden Begegnungen veranstalten, damit sie die Beziehungen zu ihrem Gastland pflegen und vertiefen.Das Gleiche gilt auch für die Vertreter der im Jahre 2004 in die EU eintretenden Länder Polen,Tschechien und Ungarn, und andere.

Einen weiteren attraktiven Kulturkreis und Markt will ich nennen. Ich weiß nicht, wer das weiß. Allein in unserem Bundesland leben,forschen und arbeiten schätzungsweise 10.000 Chinesen. Davon sind ca. 2.000 Studenten. Allein 350 davon studieren an der Hochschule in Kassel. Vielfach sind diese in Regionalverbänden organisiert. Auch hier hielte ich es für wünschenswert, dass wir als Landesparlamentarier von uns aus aktiv werden und es als eigene Aufgabe betrachten, mehr über die Lebensentwürfe eines Milliardenvolkes zu erfahren. Gleichzeitig würden wir vielen hessischen Unternehmen dabei helfen, Zukunftsperspektiven in unserem Land und für unser Land zu eröffnen.

Jeder von uns muss im parlamentarischen Alltag daran arbeiten, dass der Standort Hessen führende Region in Wirtschaft, Bildung und Innovation bleibt. Wir müssen, wie der Präsident der Vereinigung hessischer Unternehmerverbände, Herr Prof. Weidemann, vor wenigen Tagen hier im Kurhaus in Wiesbaden sagte, das „Power-Haus“ Europas bleiben, in dem es sich lohnt, zu arbeiten und zu leben.

Ich möchte noch einen weiteren Aspekt ansprechen, der mir für diese Legislaturperiode wichtig erscheint. Herr Oberbürgermeister, Frau Stadtverordnetenvorsteherin, das sind die Beziehungen des Landesparlaments zur Landeshauptstadt Wiesbaden. Niemandem in diesem Hause brauche ich die Diskussionen des letzten Jahres um den Parlamentsneubau vor Augen führen. Gerade deshalb sage ich: Landeshauptstadt und Landesparlament bilden eine natürliche Gewinnerallianz. – Man muss sie allerdings auch nutzen.

(Beifall bei der CDU und der FDP und bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir, die Abgeordneten dieses Hauses, haben alle Interesse an einem guten Verhältnis zu dieser Stadt, in der der Landtag sehr gerne arbeitet. Andererseits wäre es wünschenswert, wenn sich auch die Stadt und ihre Bürger der Bedeutung und Funktion des Landtages bewusst würden und ein partnerschaftliches Verhältnis pflegen würden.

(Beifall)

Mit dem Bau für die Staatskanzlei ist ein guter Anfang gemacht. Es gibt weitere Projekte, die aber noch nicht so weit sind, dass man sie hier erwähnen sollte. Ich glaube aber, dass wir dabei gut weiterkommen werden. Insofern sind wir da sicherlich auf einem guten Weg.

Als letzten Punkt möchte ich ein Anliegen vortragen, das mir sehr am Herzen liegt. Er wird häufig von vielen Politikern dieses Hauses auch in der Öffentlichkeit angesprochen. Aber lassen Sie mich dies von diesem Platze aus noch einmal sagen. Es betrifft den Stil im Parlament und den Umgang der Abgeordneten untereinander.

Der Hessische Landtag ist mehr als die bloße Summe von 110 Abgeordneten und vier Fraktionen. Die Parlamente eines Landes sind immer auch Ausdruck des hohen Gutes Demokratie. Gerade zu Beginn einer neuen Legislaturperiode sollten wir uns als Abgeordnete des Hessischen Landtages daher immer wieder fragen, ob wir unserem verfassungsmäßigen Auftrag in jeder Hinsicht gerecht werden. Die Würde dieses hohen Hauses zu wahren, ist für jeden von uns Pflicht. Das erschöpft sich nicht in der formalen Einhaltung der Regeln der Geschäftsordnung. Es geht um mehr. Ich meine, das müssen wir – jeder für sich mit seiner Person – deutlich machen und den Bürgern

durch unser Auftreten besser als bisher vermitteln. Die Verantwortung hierfür im parlamentarischen Alltag liegt nicht nur beim Präsidenten. Sie liegt vielmehr bei jedem einzelnen Abgeordneten. Jeder von uns ist schon oft genug von Schülern und anderen Besuchergruppen – es sind immerhin 40.000 hessische Bürger jährlich – darauf angesprochen worden, wie wenig attraktiv – ich habe das jetzt vorsichtig formuliert – wir in Landtagsdebatten oft miteinander umgehen. Falls sich dies bessern sollte, wird von der daraus resultierenden Verbesserung unseres Ansehens die Demokratie in unserem Lande und jeder einzelne Abgeordnete profitieren. Dessen bin ich mir sicher.

Es sollte mich da keiner falsch verstehen: Die Würze der Debatte soll erhalten bleiben. Ein falsches Harmoniebedürfnis fördert die Qualität der parlamentarischen Arbeit sicherlich nicht. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir brauchen den Wettbewerb und das Ringen um den besten Entwurf für die Zukunft. Es soll also hart, aber fair zugehen, hier und da mit einem Schuss polemisierender Zuspitzung, aber niemals mit persönlicher Anfeindung. So wünsche ich mir unsere Arbeit in den nächsten fünf Jahren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jeder von uns und wir alle gemeinsam sollten jetzt freudig, optimistisch, selbstbewusst und unabhängig an unsere Arbeit gehen. Ich wünsche diesem Landtag und jedem einzelnen Kollegen persönlich für die 16. Legislaturperiode Fortune, Erfolg und gute Entscheidungen zum Wohle der Bürger unseres Landes Hessen. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 2:

Beschlussfassung über eine Geschäftsordnung (Art. 99 HV)

Die Geschäftsordnung des Hessischen Landtags in der vorläufigen Ausgabe vom April 2003 befindet sich auf Ihren Plätzen, ebenso ein interfraktioneller Antrag, Drucks. 16/1. Das ist die erste Drucksache dieser Legislaturperiode.Wird das Wort dazu gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann darf ich davon ausgehen, dass Sie damit einverstanden sind, dass diese Geschäftsordnung in Kraft tritt. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das einstimmig so beschlossen.

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 3:

Feststellung der Tagesordnung (§ 58 Abs. 3 GOHLT)

Der Vorschlag für eine Tagesordnung vom 26. März 2003 liegt Ihnen vor. Werden Vorschläge zur Änderung oder Ergänzung der Tagesordnung gemacht? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die heutige Tagesordnung angenommen.

Nun kommen wir zu dem wichtigen Tagesordnungspunkt 4:

Wahl der Präsidentin oder des Präsidenten des Hessischen Landtags (§ 2 GOHLT)

Es meldet sich Herr Abg. Jung. Bitte sehr, Herr Jung.

Herr Alterspräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU-Landtagsfraktion möchte ich zur Wahl des Landtagspräsidenten den Abg. Norbert Kartmann vorschlagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Schönen Dank, Herr Dr. Jung. – Dieser Vorschlag liegt Ihnen auch mit der Drucks. 16/2 der CDU-Fraktion vor.

Es ist der Vorschlag gemacht worden, Herrn Abg. Norbert Kartmann zum Präsidenten des Hessischen Landtags zu wählen. Ich darf Sie fragen, ob weitere Vorschläge gemacht werden. – Das ist nicht der Fall. Dann können wir in die Wahlhandlung eintreten.

Nach § 2 Abs. 1 der Geschäftsordnung wählt der Landtag in geheimer Wahl oder, wenn niemand widerspricht, durch Handzeichen die Präsidentin oder den Präsidenten für die Dauer der Wahlperiode. Ich frage deshalb, ob der Wahl durch Handzeichen widersprochen wird. – Es ist kein Widerspruch erfolgt.

Ich bitte daher um das Handzeichen.Wer dem Vorschlag, Herrn Abg. Kartmann zum Präsidenten dieses Landtags zu wählen, zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, dass Herr Abg. Norbert Kartmann zum Präsidenten des Landtags der 16.Wahlperiode gewählt worden ist.

(Allgemeiner lebhafter Beifall)

Ich frage Sie, Herr Abg. Kartmann: Nehmen Sie die Wahl zum Präsidenten des Landtags an?

(Norbert Kartmann (CDU): Herr Alterspräsident, ich nehme die Wahl an und danke ganz herzlich!)

Im Namen des Landtags beglückwünsche ich Sie zu dieser Wahl und wünsche Ihnen viel Erfolg in Ihrem Amt.

(Allgemeiner lebhafter Beifall – Präsident Norbert Kartmann nimmt Glückwünsche und Präsente ent- gegen.)

Herr Abg. Kartmann, ich darf Sie für Ihre Ansprache an das Rednerpult bitten.