Man muss einmal hinterfragen, welche Erziehungsmaßnahmen die Eltern ergreifen, wenn sie beide zwar Deutsch sprechen, deren Kind aber am Tag der Einschulung nicht ein Wort Deutsch spricht. Ich denke, diese Beispiele des täglichen Lebens zeigen, dass nicht allein der Pass, sondern auch die Identifikation mit unserem Land Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration ist.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich denke, das kann es nicht geben! – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Klappt das nicht, was Sie sich vorgenommen haben? Die Ministerin sagt, solche Fälle könne es nicht geben!)
Wenn keine Pflicht zum Besuch eines Kindergartens besteht, dann ist der Weg, das dritte Kindergartenjahr beitragsfrei zu stellen, ein richtiger Weg, um die Eltern, die bislang nicht erreicht wurden, auf diese Weise zu motivieren.
Meine Damen und Herren, im kulturellen Bereich zeichnet sich vor Ort die Entwicklung ab,dass durch Läden,die von Migranten betrieben werden, weitere Läden hinzukommen, dass über das Fernsehen Programme aus den Heimatländern der Eltern und Großeltern ins Wohnzimmer gelangen. Außerdem kommt von den Schulen die Rückmeldung,dass die Erkenntnis zur Notwendigkeit des Erlernens der deutschen Sprache immer rückläufiger geworden ist. Die dritte Generation der hier lebenden Ausländer spricht schlechter Deutsch, als dies zuvor der Fall war.
In diesem Zusammenhang möchte ich den Blick auf den Bildungsbericht von Bund und Kultusministerkonferenz lenken, der zeigt, wie wichtig die Sensibilisierung für Bildung in Migrantenkreisen ist, insbesondere im Ballungsraum Rhein-Main, wo sich ein Strukturwandel am Arbeitsmarkt abzeichnet. Die Arbeitsplätze erfordern nicht mehr einfach qualifizierte Arbeit.Bei Opel zeigt sich mittlerweile eine vollkommen andere Arbeitswelt. Dort werden Migrantenkinder nicht mehr so wie Migranteneltern und Migrantengroßeltern ihr Geld verdienen können. Ich habe mich dort persönlich darüber informiert. Wenn es keine Bewusstseinsveränderung in den Migrantenkreisen gibt, wird sich das erweitern, was wir in der HeisenbergSchule erfahren, aus der jährlich mehrere Hundert Schüler aus der 7. Klasse entlassen werden, weil sie die Vorgabe von neun Pflichtschuljahren erfüllt haben. Die Bundesanstalt für Arbeit zeigt sehr deutlich auf, wie groß der Anteil dieser Migranten ist.
Sie zeigt auch sehr deutlich auf, welche Arbeitsmarktchancen gegeben sind. Herr Kaufmann, das ist die Realität, der Sie sich stellen müssen. Inwieweit Sie diese annehmen, hängt davon ab, inwieweit Sie an diesem Integrationsfortschritt politisch beteiligt sind.
(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind ein bisschen hinter Ihrer Zeit zurück, ein paar Jährchen!)
Es wächst eine verlorene Generation heran, die ohne Perspektiven aufwächst, die nach Anerkennung und Akzeptanz sucht und diese aufgrund der Veränderungen möglicherweise nur noch in einem zweifelhaften Umfeld findet. Bei einem Migrationsanteil von 30 % und mehr in Teilen von Hessen ist das eine Besorgnis erregende Entwicklung. Diese lässt sich nicht nur mit mehr Geld und mehr Angeboten beeinflussen. Es bedarf mehr. Es bedarf einer Bewusstseinsveränderung. Die Konsequenzen, die daraus erwachsen, müssen sich in der Qualität der künftigen Zuwanderung widerspiegeln. Das hat Herr Kollege Rentsch sehr ausführlich dargelegt. Dies kann von meiner Seite nur unterstrichen werden. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Lenhart. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Kollege Al-Wazir gemeldet. Er hat eine Redezeit von zwei Minuten.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Leider wird das, was gar nicht als Falle gedacht war, von Ihnen dazu benutzt, hineinzutappen. Herr Kollege Lenhart, Ihre Rede hat gezeigt, wie dringend erforderlich dieser Antrag ist.
Sie haben wieder einmal nur über die Vergangenheit geredet und gesagt,alles sei wunderbar.Als Sie auf die Frage der Fortschreibung zu sprechen kamen, haben Sie erwähnt, dass Sie die Schulen in Ihrem Wahlkreis besucht haben. Dort habe eine Schule eine Erzieherin mit Migrationshintergrund eingestellt. Dann folgte die lange Philippika, dass alle selbst schuld seien und wir mehr Sanktionen benötigten. Genau das ist Teil des Problems der Integrationsdebatte der vergangenen Jahre in der Bundesrepublik Deutschland.
Ich wünsche mir – wer auch immer seitens der Landesregierung zu diesem Antrag nun reden wird –,dass wir in die Zukunft schauen und überlegen, wie wir gemeinsam die Situation verbessern können. Das wünsche ich mir. – Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Al-Wazir. – Als nächster Rednerin erteile ich Frau Kollegin Waschke für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion in diesem Hause begrüßt den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausdrücklich, die Hessische Landesregierung aufzufordern, alsbald eine Fortschreibung des Integrationskonzepts für Hessen vorzulegen. Grundlage dafür soll der Aktionsplan Integration aus Nordrhein-Westfalen sein. Auch das begrüßen wir ausdrücklich.
In den Grundsätzen der Integration schreibt der christdemokratische Minister Laschet – ich zitiere –: „Die Stärke unseres Landes ist die Vielfalt.“ – Ich glaube, das gilt auch für Hessen.
Er akzeptiert, dass aus den Gastarbeitern der Fünfzigerjahre Menschen geworden sind, die auf Dauer ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland gefunden haben. Das sind ganz neue Töne aus dem Munde eines Christdemokraten, Herr Lenhart. Er schreibt weiter:
Die öffentliche Debatte der letzten Jahre über Probleme im Zusammenhang mit der Integration zeigt, dass es Versäumnisse hinsichtlich der städtebaulichen, der sozialen, der wirtschaftlichen, der schulischen und der kulturellen Integration vieler Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gegeben hat.
Hessen dagegen – das haben wir gerade wieder gehört – stellt zuallererst Forderungen an die Menschen,die zu uns kommen, und negiert völlig, dass auch die Aufnahmegesellschaft gefordert ist und die Politik entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen hat.
Der Aktionsplan Integration aus Nordrhein-Westfalen macht bemerkenswerte Vorschläge.Auf einige möchte ich gerne noch einmal eingehen, weil Herr Lenhart das nach meiner Meinung viel zu kurz getan hat.
Erstens. Nordrhein-Westfalen will mit der flächendeckenden Einrichtung von Familienzentren Anlaufstellen für Bildung, Beratung und Betreuung von Zuwandererfamilien einführen. Die Familienzentren sollen sich in den Stadtteilen zu Integrationszentren entwickeln, wo Kinder insbesondere beim vorschulischen Erlernen der deutschen Sprache gefördert und die Eltern niederschwellig beraten und durch Familienbildung begleitet werden. Das ist etwas anderes, als nur und ausschließlich Deutschkurse anzubieten.
Zweitens. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen will gemeinsam mit den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege die vorhandenen Migrationsfachdienste zu Integrationsagenturen umbauen. Das klassische Beratungsangebot soll in Zukunft flexibler agieren können und stärker auf die Zugewanderten ausgerichtet sein. Es soll dezentral dort tätig werden, wo die Probleme vor Ort auftauchen. Das ist also eine Weiterentwicklung, hin zu aufsuchender Beratung und Hilfe. Hessen tut genau das Gegenteil. Die Hessische Landesregierung hat im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ die finanzielle Unterstützung für die Migrationsberatung um 1,167 Millionen c gekürzt.
Drittens. Mit seinen Vorschlägen zur Integration legt der christdemokratische Integrationsminister Laschet Schwerpunkte im Bereich der Bildung, der Ausbildung und der Integration in den Arbeitsmarkt. Er sagt sehr deutlich, dass unsere Antwort auf die Probleme und Misserfolge bei der Integration von Zuwanderern nur „Integration durch Bildung“ heißen kann.
Ein hoher Prozentsatz der Kinder mit Migrationshintergrund erreicht die Grundkompetenz in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften nicht. Erst kürzlich, Herr Lenhart hat es zitiert,veröffentlichte der Bildungsplan für Deutschland die Erkenntnis, dass Grundschulkinder mit Migrationshintergrund den höchsten Wiederholeranteil haben, dass Kinder mit Zuwanderungsgeschichte viel häufiger Verzögerungen in der Schullaufbahn zu verzeichnen haben als deutsche Kinder. 20 % der Kinder mit Migrationshintergrund verlassen die Schule ohne Abschluss, während es bei den deutschen Jugendlichen 8 % sind.
Diesen Tatsachen will Nordrhein-Westfalen begegnen, indem es den Ausbau von qualifizierten Ganztagsangeboten vorantreibt.Das ist der Unterschied:Nordrhein-Westfalen erkennt die Situation und tut etwas.
Ein besonderer Schwerpunkt soll auf die Grundschulen gelegt werden.Außerdem sollen Haupt- und Förderschulen besonders unterstützt werden. In NRW ist übrigens der Ganztagsschulbetrieb für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich. Der Bildungsbericht Deutschland sagt sehr deutlich, dass das gegliederte Schulsystem der Förderung der Kinder schadet. Gleichzeitig wurde aber auch festgestellt, dass Migrantenkinder in offenen Ganztagsschulen gezielt Förderangebote, wie z. B. die Hausaufgabenbetreuung, wahrnehmen und hier sogar überrepräsentiert sind. Die Kinder – bzw. ihre Eltern – haben also ein sehr großes Interesse an solchen Angeboten. Um Kinder mit Migrationshintergrund besser fördern zu können, und damit eine Integration über das Bildungsniveau besser gelingt, empfiehlt der Bildungsbericht ein möglichst langes gemeinsames Lernen und Ganztagsschulen mit einem hohen pädagogischen Anspruch.
Was macht Hessen? Ich habe den Eindruck, in Hessen werden die IZBB-Mittel des Bundes als gigantisches Schulgebäudesanierungsprogramm missbraucht. Ganztagsschulen mit pädagogischen Konzepten, die einen besonderen Schwerpunkt auf die Förderung eines jeden Kindes je nach seinem Potenzial legen, sind bei uns eher die Ausnahme. Hessische Ganztagsschulkonzepte erschöpfen sich im Angebot einer pädagogischen Mittagsbetreuung. Nordrhein-Westfalen hingegen stellt 3.008 neue Lehrerstellen zur Verfügung, insbesondere für Schulen, die Förderkonzepte vorlegen, die sich an Indikatoren gelungener Integration orientieren. Hessen weist pro Schule mit pädagogischer Mittagsbetreuung gerade einmal eine halbe Lehrerstelle aus. Förderkonzepte, insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund, spielen bei uns praktisch keine Rolle. Das Fundament für ein erfolgreiches Miteinander wird aber schon im Bildungssystem gelegt.
Viertens. Wichtig ist eine verbesserte Vorbereitung auf das Berufsleben. Arbeit und Ausbildung sind neben dem
Erwerb der deutschen Sprache die zentralen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration. Jugendliche mit Migrationshintergrund haben größere Schwierigkeiten beim Übergang in die Berufsausbildung. Die Chancen deutscher Jugendlicher sind mehr als doppelt so hoch, wenn sie eine Berufsausbildung anstreben. Mit gezielten Maßnahmen muss daran gearbeitet werden, die Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt für junge Migrantinnen und Migranten abzubauen.
Eine gute vorschulische Vorbereitung führt zu besseren schulischen Leistungen und damit auch zu einem verbesserten Zugang zum Arbeitsmarkt. Das ist aber nicht umsonst zu haben. In Hessen gibt es einen vorschulischen Bildungs- und Erziehungsplan. Das ist ein erster Schritt und wird insbesondere von der SPD-Fraktion seit Jahren gefordert. Ändert die Sozialministerin die Rahmenbedingungen für die Erzieherinnen aber nicht, lässt sie sich das auch weiterhin nichts kosten, dann werden die Vorgaben des Bildungs- und Erziehungsplans schlichtweg nicht erfüllt werden können.
Fünftens. Integration kann natürlich nicht allein durch die Bildungsinstitutionen erfolgen. Hier sind alle politischen und gesellschaftlichen Akteure gefordert. Deswegen setzt eine erfolgreiche kommunale Integrationspolitik auf die Vernetzung aller Akteure vor Ort, und deswegen müssen die Kommunen bei ihren vielfältigen Aufgaben unterstützt werden. Nordrhein-Westfalen tut das. Hier werden die Kommunen gezielt gefördert. Es geht um die Effektivität vorhandener Angebote und vorhandener Strukturen. In Hessen gibt es eine Hochglanzbroschüre mit dem Titel „Land und Kommunen – Hand in Hand für eine gute Integration“.Das kann man im Antrag der CDU-Fraktion nachlesen. Wir haben heute Morgen schon einmal eine solche Broschüre gesehen. Der durchschnittliche Leser braucht für diese Broschüre 20 Minuten – aber gebracht hat ihm das Lesen hinterher doch nicht viel.
Statt die Kommunen gezielt zu fördern, wie NordrheinWestfalen es tut, werden in Hessen wieder einmal Hochglanzbroschüren aufgelegt und Wettbewerbe ausgeschrieben.
Sechstens. Ein großes Problem für die Christdemokraten in Deutschland ist das Thema Einbürgerung,denn bei diesem Thema spaltet sich die Union. Armin Laschet, Integrationsminister aus Nordrhein-Westfalen, fordert eine Einbürgerungskampagne, denn er vertritt die Meinung, dass „jede Einbürgerung ein Integrationserfolg ist“. Eingebürgert werden nämlich nur Menschen, die Deutsch sprechen und vom Verfassungsschutz überprüft worden sind, die nicht in Parallelgesellschaften leben und keine Sozialleistungen erhalten, sondern selbst arbeiten, sagt Herr Laschet. Hessens Ministerpräsident Koch hingegen behauptet, „eine Einbürgerung macht noch keinen Integrationserfolg“. Laschet sagt, Deutschland ist eine multikulturelle Gesellschaft,denn bei uns leben viele Kulturen. Ministerpräsident Koch sagt in einem Interview in der „Welt“, das ich heute Morgen gelesen habe: „Damit geht er“ – Laschet – „zu weit. Wir sind geprägt von Kirchtürmen und nicht von Moscheen“. Beckstein wiederum spricht von einem „Irrweg all derjenigen, die eine multikulturelle Gesellschaft propagieren“. Meine Damen und Herren,ich glaube,wir alle dürfen sehr gespannt sein,wel
Siebtens. Wir brauchen einen gesicherten Aufenthalt für lange geduldete Menschen in Deutschland – eine Bleiberechtsregelung, für die sich auch der hessische Innenminister einsetzt. Das ist gut so. Es geht insbesondere um Kinder, die in Deutschland geboren wurden, hier zur Schule gegangen sind und zum großen Teil ihre Ausbildung begonnen haben. Wir müssen endlich eine Lösung für diese Menschen finden.Auch das hat Nordrhein-Westfalen in seinen Aktionsplan aufgenommen. Einige christdemokratische Innenminister müssen allerdings noch überzeugt werden. Wenn ein einstimmiger Beschluss der Innenministerkonferenz im November nicht zustande kommen sollte, dann brauchen wir eben eine gesetzliche Lösung.