Protokoll der Sitzung vom 13.07.2006

Ich trage Ihnen ein Zitat eines Vertreters der GEW vor, das eine kleine Wende einleiten könnte.Ich wage kaum,es zu glauben.Im „Rüsselsheimer Echo“ vom 7.Juli heißt es:

Der GEW-Vertreter Harald Freiling, Vorsitzender des Gesamtpersonalrats Groß-Gerau/Main-Taunus hat gesagt, grundsätzlich habe die GEW nichts gegen den Einsatz schulfremder Personen als Vertretungskräfte einzuwenden. Schließlich werde dies bereits mit Übungsleitern von Sportvereinen oder Fachkräften aus Unternehmen praktiziert.

Hört, hört, das haben wir bisher so nicht vernommen. Ich bin gespannt, was da rauskommt.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber doch nicht, um den Regelunterricht abzudecken!)

Geregelt ist auch das Mitbestimmungsverfahren für die Personalräte. Wir haben das ganze Verfahren gestrafft. Wenn ein Verfahren über eine Einigungsstelle eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen ist, können die Interessenten bis zur Entscheidung des Kultusministeriums vorläufig in die Pool-Liste aufgenommen und eingesetzt werden. Dies ist zum Vorteil der Schulen, der Schülerinnen und Schüler. Die Mitspracherechte bleiben bestehen. Jetzt kommt aber der Knackpunkt: Das Personalvertretungsrecht bleibt unangetastet. Es greift im Moment der Aufnahme in diesen Pool. Aber insgesamt ist das Verfahren beschleunigt und vereinfacht worden. Von einer „Aushebelung der Mitbestimmungsrechte“ kann nicht ernsthaft die Rede sein.

Hätte die GEW nicht mit einem generalstabsmäßig geplanten Boykott gedroht und sogar Handreichungen dazu ausgegeben, dann hätten wir gar nichts ändern müssen. Erst die Boykottdrohung hat uns zu dieser Beschleunigung des Verfahrens inspiriert. Wenn ich heute sehe, dass von uns ein Antrag eingebracht werden musste, weil die Worte „Hauptpersonalrat beim Kultusministerium“ durch die Worte „Hauptpersonalrat der Lehrer beim Kultusminister“ ersetzt werden mussten,

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was heißt das? Das ist notwendig, weil Sie schlampig arbeiten! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ist das eigentlich nur eine redaktionelle Änderung. Ich weiß es, das wird auch korrigiert. Ich will aber eigentlich darauf hinweisen, dass das ein Beleg für die Kleinlichkeit

der GEW und für die Absicht ist, das Vorhaben zu boykottieren. Das werden wir heute bereinigen. Damit ist der Weg frei.

(Beifall bei der CDU – Reinhard Kahl (SPD): Das war schlampig gemacht! – Weitere Zurufe von der SPD)

Die Zielsetzung heißt: Wir wollen eine „verlässliche Schule“ haben. Deswegen sollte man nicht so viel über das Projekt reden und nicht versuchen, es zu zerreden, sondern man sollte ihm eine Chance geben. Man sollte das Projekt starten. Der Start wird nach der dritten Lesung erfolgen. Ich sage: Wenn 90 % des ausgefallenen Unterrichts in Zukunft stattfinden, dann bin ich schon zufrieden, denn 90 % gehaltene Stunden sind besser als 100 % ausgefallene Stunden. Dem sollten wir eine Chance geben.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Nächste Rednerin ist Frau Habermann für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst zwei Bemerkungen zu dem Dringlichen Antrag der CDU-Fraktion machen. Verbale Entgleisungen gibt es in allen Parteien. Ich stelle für die SPD-Fraktion fest,dass die Äußerung,die Sie zitiert haben,eine solche Entgleisung ist. Ich stelle auch fest, dass die SPDFraktion der Kultusministerin Dinge dieser Art nicht unterstellt hat und auch nicht unterstellen wird, dass wir aber einen Verzicht auf die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses weiterhin für grundfalsch halten.

(Beifall bei der SPD)

Herr Herr, Sie haben davon gesprochen, dass wir eine Phantomdiskussion führen. Ich hatte eher den Eindruck, dass diese Phantomdiskussion heute von Ihnen ausging. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Der Appell, das emotional niedrig zu halten,stößt bei mir im Moment nicht auf große Akzeptanz, weil ich denke, dass das, was Sie heute beschließen wollen, gravierende Auswirkungen in den hessischen Schulen haben wird. Deshalb kann man sich an dieser Stelle schon noch einmal aufregen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, ich habe in der zweiten Lesung am Dienstag sehr detailliert zu den Bedenken Stellung genommen, die in der Anhörung an uns herangetragen worden sind. Ich habe auch festgestellt, dass es weder von der CDU-Fraktion noch von der Kultusministerin einen Ansatz gegeben hat, in irgendeiner Form auf die Bedenken einzugehen und zu diesen Bedenken Stellung zu nehmen. Ich stelle einmal mehr fest, dass Argumente bei der Mehrheit in diesem Hause anscheinend vergeudet sind. Die Argumente sind vergeudet, weil der CDU-Fraktion in diesem Hause ihre Mehrheit inzwischen so zu Kopf gestiegen ist, dass ihr nicht nur die Fähigkeit, sondern auch der Wille zu einem konstruktiven Umgang mit Kritik abhanden gekommen ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, es war Ihnen in jeder Phase der Beratungen über den Gesetzentwurf zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung die Befriedigung anzumerken – da muss ich die Kultusministerin ausdrücklich einbeziehen –, dass Sie Ihren Willen ungehindert in die Tat umsetzen können, ohne Rücksicht auf die Entwicklung der Bildungsqualität an den hessischen Schulen und nur mit Blick auf Ihre realitätsfernen Wahlversprechen, die nun zumindest auf dem Papier Bestand haben sollen. Ich gestehe Ihnen zu, zumindest die Reden Ihres schulpolitischen Sprechers sind damit für den Rest der Legislaturperiode abgesichert. Es besteht eigentlich nur eine einzige Differenz zwischen der CDUFraktion und der Kultusministerin, nämlich in der Frage, wie groß der Erfolg ist. Während Herr Irmer gestern von 25.000 Stunden gesprochen hat, die zu ersetzen seien, sagte die Frau Kultusministerin – genau wie wir –, es seien 70.000 Stunden.

(Zurufe von der CDU)

Herr Herr, ich habe aber verstanden, dass Sie das alles ohnehin für Lappalien und alle Diskussionen darüber für unnötig halten.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg.Michael Bod- denberg (CDU))

Wir werden das im Protokoll feststellen. Ihre Rechnung, dass die CDU von der Durchsetzung dieses Gesetzesvorhabens profitieren wird, wird nicht aufgehen.

(Beifall bei der SPD)

Sie wird deshalb nicht aufgehen, weil weder die Schulen noch die Schülerinnen und Schüler – die am allerwenigsten – davon profitieren werden. Ihre Rechnung wird nicht aufgehen, weil Sie zum wiederholten Mal Bildungsqualität predigen und Bildungsabbau betreiben. Angetrieben von der Angst, die Schlinge der Unterrichtsgarantie, die Sie sich selbst um den Hals gelegt haben, könnte Sie am Ende strangulieren und Ihre Kultusministerin in den Ruhestand befördern, musste eine Lösung für das Dilemma unerfüllter Versprechen geschaffen werden. Die Erkenntnis, dass das „Bildungsland Hessen“ von Ihnen nur in Landtagsdebatten beschworen wird und die Unzufriedenheit mit Ihrer Bildungspolitik im Lande wächst, hat einen neuen Superlativ erforderlich gemacht. Der heißt „Unterrichtsgarantie plus“.

(Beifall bei der SPD)

Das Gesetz, das Sie heute verabschieden wollen, entspricht einem einfachen Muster. Sie verwechseln Quantität mit Qualität. Sie ordnen der Quantität alle bildungspolitischen Ziele unter, die Sie hier zumindest ab und zu auf den Lippen führen.Wenn die Kultusministerin darauf antwortet, ohne mehr Quantität sei eine Qualitätsentwicklung nicht möglich, dann kann ich ihr nur antworten: Das stimmt, aber das entspricht genau dem, was Sie mit dem Konzept „Unterrichtsgarantie plus“ gerade tun. Sie waren unfähig, Ihr Versprechen einer ausreichenden Lehrerversorgung einzulösen, und deshalb müssen jetzt Unqualifizierte den Unterricht halten, für den keine Lehrer da sind.

Sie wollen Unterrichtsausfall vermeiden.Aber Sie wollen das ohne ausgebildete Lehrer tun. Sie versprechen Qualität zum kleinen Preis durch den Einsatz einer Schar von Engagierten, aber zum größten Teil nicht für das Lehramt Qualifizierten. Stattdessen sollten Sie eine Schulentwicklung fördern, die sich für andere Berufsbereiche öffnet, damit Sozialpädagogen und Schulassistenten beschäftigt

werden können. Dafür könnten die Schulen dieses Budget erfolgreich einsetzen und gleichzeitig die Verlässlichkeit von Schulzeiten gewährleisten. Meine Damen und Herren, Sie haben aber ausschließlich Interesse daran, die abgehakte Stundentafel als Beweis bildungspolitischer Kompetenz der Landesregierung hochzuhalten.

(Zuruf des Abg. Dr. Norbert Herr (CDU))

In den Datenbanken der neuen LUSD wird man keinen Hinweis auf die Qualität von Vertretungsunterricht finden. Hauptsache, er hat stattgefunden. Man wird keinen Hinweis darauf finden, ob Schülerinnen und Schüler, die einen hohen Förderbedarf haben, ein adäquates Angebot bekommen.Man wird auch keinen Hinweis darauf finden, ob eine engagierte Mutter mit dem Einsatz des viel gerühmten Materialpools Schiffbruch erleidet oder ob ein Handwerksmeister an der Aufgabe scheitert, statt einem Auszubildenden eine Gruppe von 25 Jugendlichen vor sich zu haben. Schließlich werden auch alle diese Unterrichtsvertreter keinen Zugang zu Versetzungskonferenzen haben. Ob die Schüler während deren Anwesenheit Fortschritte gemacht haben, ob Schüler den vorgegebenen Unterrichtsstoff aufgrund fehlender didaktischer Kompetenz nicht bewältigen können, wird keine Rolle spielen.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Im Ernstfall wird eine solche Ersatzkraft fünf Wochen lang, also fast ein Viertel eines Schulhalbjahres, auf die Schüler losgelassen – fünf Wochen ohne relevante Reflexion über den Leistungsstand der Schüler,möglicherweise für viele von ihnen fünf vergeudete Wochen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Meine Güte, meine Güte! Unter Ihrer Regierungszeit ist das doch alles ausgefallen!)

Herr Irmer, hören Sie doch bitte wenigstens heute noch einmal zu, wenn Sie es schon sonst nicht fertig bringen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Die Kompetenz zur Eignungsfeststellung der Schulleiter, die Sie immer wieder ins Feld führen, trägt deshalb nicht, weil diese Schulleiter dem Zwang unterworfen sind, einen solchen Personalpool zu bilden.Wenn Schulleiter feststellen: „Wir finden keine geeigneten Leute, und wir halten das Konzept so nicht für umsetzbar“,

(Michael Boddenberg (CDU): Sind Sie auch gefragt worden, Frau Kollegin? – Zuruf des Ministers Karlheinz Weimar)

werden sie unter den Generalverdacht der Unwilligkeit gestellt. Schließlich genügt schon der Hinweis, dass Kollegen der GEW angehören, um ihnen die ehrliche Besorgnis um die Qualität des Lernens und die Entprofessionalisierung des Lehrerberufes abzusprechen.

Meine Damen und Herren, 1.000 Referendare haben in diesem Land vergeblich auf eine Einstellung gehofft. Ihr Konzept gibt den Schulen noch nicht einmal die Möglichkeit, für ihre Schule geeignete Bewerber mit BAT-Vertrag zu beschäftigen. Es ist in der Tat ein Paradigmenwechsel, den Sie an den hessischen Schulen einleiten. Ihr Personalpool für Vertretung erinnert stark an die Einführung des freiwilligen Polizeidienstes, der mehr Sicherheit vorgaukelt und wodurch Stellen von Polizeibeamten, und damit Qualität, abgebaut werden.

(Zuruf der Abg. Brigitte Kölsch (CDU) – Michael Boddenberg (CDU): Als Nächstes wollen wir das bei der SPD-Fraktion machen, Frau Kollegin!)

Der Bundesarbeitskreis der Seminar- und Fachleiter hat in seiner Stellungnahme diesen Aspekt deutlich formuliert. Die Schaffung eines Vertretungspools stellt unseres Erachtens keine wirkliche weiterführende bildungspolitische Perspektive dar. Die Verhinderung von Unterrichtsausfall zielt auf die Quantität und nicht auf die alles entscheidende Qualität. – Frau Kultusministerin, Sie haben strategische Ziele auf den Weg gebracht, denen man auf dem Papier auch zustimmen kann.

(Michael Boddenberg (CDU):Aha!)

Sie wollen die Lesekompetenz stärken. Sie wollen die Zahl der so genannten Risikoschüler vermindern.Sie wollen dafür sorgen, dass mehr Jugendliche einen Hauptschulabschluss machen. Was Sie allerdings versäumt haben, ist, die Schulen für die Erfüllung dieser Aufgaben auszustatten und sie dabei zu unterstützen.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Was haben Sie den Schulen denn an die Hand gegeben, um diese Ziele zu erreichen?

(Michael Boddenberg (CDU): 500 Millionen c mehr, Frau Kollegin!)

Das ist in der Tat etwas, wozu Sie keine Angaben machen können. Herr Boddenberg, die 500 c,

(Michael Boddenberg (CDU): 500 Millionen c mehr, Frau Kollegin!)

in die noch die Pensionsleistungen der Lehrer eingerechnet sind, sind wirklich kein schlagfähiges Argument.