Protokoll der Sitzung vom 13.07.2006

Sie sind aber nicht in der Amtsverpflichtung.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist richtig!)

Genau das habe ich gesagt. – Frau Kollegin Faeser, Sie haben gefragt,und vorher kam es ein bisschen locker über den Tisch: Warum haben Sie nichts vorgelegt? – Ich habe Ihnen das mehrfach erklärt. Nach meiner felsenfesten Überzeugung gibt es bei der Wohnraumüberwachung und bei der Telekommunikationsüberwachung keinen Handlungsbedarf. Jenseits aller Juristerei bin ich auch der Überzeugung, dass ich Ihnen das nicht vorschlagen kann.

Wovon reden wir eigentlich? Das Bundesverfassungsgericht hat sich zunächst mit strafrechtlichen Fragen nach der StPO beschäftigt. Grundgedanke – um den es hier eigentlich geht und der in der Debatte nach meinem Geschmack zu kurz gekommen ist – war die Frage,wovon wir das ableiten, wenn Sie hier von Grundrechten reden. Wessen Grundrechte meinen Sie? Es ist ausdrücklich vom Grundrecht des Störers oder, nach dem Strafrecht, des Straftäters gesprochen worden. Selbstverständlich sind auch dessen Grundrechte zu wahren. Aber ich fordere ausdrücklich ein, dass wenigstens wir uns das in der Debatte nicht so einfach machen. Denn ich muss in dieser Debatte auch die Grundrechte des Opfers dagegenhalten.

(Beifall bei der CDU)

Dies ist bedauerlicherweise hier an keiner Stelle erfolgt. Deshalb ist Ihr Ansatz auch intellektuell und juristisch falsch.

(Günter Rudolph (SPD) und Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das behaupten Sie!)

Sie haben mich ja gefragt. Sie haben mich gefragt, warum ich Ihnen keinen Änderungsvorschlag – ich rede jetzt bewusst über Wohnraumüberwachung und Telekommunikationsüberwachung – vorlege.

(Günter Rudolph (SPD): Es muss nicht stimmen, nur weil Sie es sagen!)

Weil ich nicht bereit bin, einen Weg zu gehen, den ich für grundfalsch halte. Ich halte es für nicht verantwortbar, dass wir wegen der Verfassungsgerichtsurteile, die Sie zitiert haben und die Sie meines Erachtens nicht vollständig zitiert haben,in eine Situation kommen,dass immer dann,

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ich habe nur zur Rasterfahndung zitiert!)

wenn Polizeibehörden im Rahmen einer Abhörung von einer drohenden Gefahr Kenntnis erhalten, wir vor folgendem Sachverhalt stehen, damit das nicht so theoretisch ist: Zwei Brüder unterhalten sich am Telefon, wie sie jemanden kidnappen wollen. Ein Mann unterhält sich mit seinem Sohn, wie sie die Frau umbringen werden. – Das sind doch die Fälle, um die es nach unserem Gesetz geht. Ich werde Ihnen auch sagen, warum das bei uns anders ist als in allen anderen Ländern. Es wird nicht zu bestreiten sein, dass das höchst persönliche Beziehungen sind. Das ist der Kernbereich der intimen familiären Bande, wie es das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Es geht um den Inhalt des Gesprächs!)

Jetzt verlangen Sie allen Ernstes – das entspricht auch Ihrem Gesetzentwurf –, dass wir rausgehen, wenn der Polizeibeamte hört, er unterhält sich jetzt mit seinem Sohn.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Es geht um den Inhalt des Gesprächs!)

Nein, nein. Wir müssen das ganz sorgfältig durchdiskutieren. Sie verlangen, sofort rauszugehen. Wer das verlangt, der muss auch die Antwort geben, dass er dann hinnimmt, dass jemand Opfer eines schlimmen Verbrechens wird. Meine Damen und Herren, das will ich nicht. Deshalb werden wir das nicht machen.

(Beifall bei der CDU)

Sie dürfen sich das nicht so leicht machen. Sie haben in dem Antrag gefordert,wie in Ihrer Rede auch,dass die Telefonüberwachung sofort unterbrochen werden muss.Wir reden jetzt nicht von Verwertung. Wir müssen das fein säuberlich auseinander halten. Die Debatte litt darunter, dass Sie das alles ein bisschen miteinander vermengt haben. Die erste Forderung, die Sie stellen, ist, bei einer Telefonüberwachung herauszugehen, sobald es den grundrechtlich besonders geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung betrifft. Dies halte ich für falsch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Nancy Fae- ser (SPD): Das ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts!)

Frau Faeser, Sie haben die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht zutreffend dargelegt. Warum haben Sie sie nicht zutreffend dargelegt? Sie können es mitschreiben. Ich sage es Ihnen gleich.

(Günter Rudolph (SPD): Oberlehrer!)

Herr Rudolph, Sie halten sich jetzt am besten einmal raus.

(Beifall bei der CDU – Günter Rudolph (SPD): Oberlehrer! – Michael Boddenberg (CDU): Haben Sie etwas gegen Lehrer, Herr Rudolph?)

Wir haben ganz bewusst, als wir das Gesetz zur Wohnraumüberwachung bzw. das HSOG geändert haben, eine andere Regelung gemacht als die anderen Länder. Schauen Sie, eines geht nicht. Wir können hier nicht die höchsten Rechtsgüter miteinander verhandeln und uns dann langsam in Polemik verabschieden. Ich lege Wert darauf, dass unter meiner Verantwortung ein Vorschlag der Landesregierung gemacht wurde, den das Parlament mit Mehrheit beschlossen hat, der anders ist als in den anderen Ländern. Das muss man in der Debatte einmal zur Kenntnis nehmen.

(Silke Tesch (SPD):Wir machen alles anders als andere Länder!)

Nach meiner Überzeugung ist es richtig, und zwar deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahre 2005 zur Telekommunikationsüberwachung – wo sie sich auch zur Frage der Prävention geäußert haben, das Strafrecht lasse ich jetzt weg, und zwar im Zusammenhang mit dem niedersächsischen Polizeigesetz, nicht mit dem hessischen – unter anderem ausgeführt hat, dass es der Auffassung sei, dass im Kernbereich privater Lebensgestaltung eine Überwachung zu unterbleiben habe. Bei dem Beispiel, das ich genannt habe, heißt das: rausgehen. – Das Bundesverfassungsgericht sagt aber selbst, und zwar in Absatz 164 dieser Entscheidung – da können Sie es nachlesen –:Für den Fall des „besonders hohen Rangs eines gefährdeten Rechtsgutes“ kann eine andere Beurteilung zulässig sein. – Genau das ist meines Erachtens unser Thema.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Wo liegt der Unterschied? Der niedersächsische Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung für sämtliche Bereiche der Straftatenverfolgung zugelassen, für sämtliche geschützten Rechtsgüter, also auch z. B. für Sachbeschädigung, ja sogar für allgemeine präventive Maßnahmen. Das heißt, er hat in seinem Gesetz eine umfassende Erlaubnis für die Überwachungsmaßnahmen erteilt. In Hessen ist das anders. Wir haben seinerzeit gesagt, wir konzentrieren uns ausschließlich auf die höchsten Rechtsgüter. Deshalb steht im hessischen Gesetz – Frau Kollegin Zeimetz-Lorz hat das vorhin alles dargelegt; es ist bedauerlicherweise nicht aufgegriffen worden –, dass bei uns das Ganze nur bei einer Gefährdung

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

von Leib, Leben oder Freiheit einer Person geht. Erste Feststellung von mir – das ist wieder die rechtspolitische Debatte. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung eine Öffnung seinerzeit ausdrücklich zugelassen. Glauben Sie ernsthaft, dass, wenn es um Leib, Leben oder um die Freiheit einer Person geht, das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Störers im Polizeirecht oder des zukünftigen Täters im Strafrecht grundrechtlich höher zu bewerten ist als das Recht eines potenziellen Opfers, nicht getötet zu werden, nicht gekidnappt zu werden oder nicht eine schwere Körperverletzung zu erleiden?

Herr Minister, ich wollte Ihnen nur sagen, dass die berechnete Zeit abgelaufen ist.

Frau Präsidentin, das ist ein Thema, wo ich um Nachsicht bitte. Sie merken, dass mich das sehr beschäftigt.

Unser Gesetz stellt allein auf diese drei Rechtsgüter ab. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2005 ist zum niedersächsischen Polizeigesetz ergangen. Wir sehen Absatz 164 der Entscheidungsgründe. Wir haben uns damals etwas dabei gedacht.

(Frank Gotthardt (CDU): Der Rudolph kann der Vorlesung gar nicht folgen! – Günter Rudolph (SPD): Der Gotthardt ist auch da!)

Ich kann mir allen Ernstes nicht vorstellen, wenn jemand abgehört wird, er dieses Gespräch im Kernbereich seiner privaten Lebensgestaltung führt – Ehefrau, Mutter,Vater, Kinder, was auch immer – und sich die Gesprächspartner zu einer Tat verabreden, die das Leben, den Leib oder die Freiheit einer Person gefährdet, dass wir dann rausgehen sollen. Das werde ich Ihnen jedenfalls nie vorschlagen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb komme ich zu dem Ergebnis, hier wird der falsche Ansatz gewählt, sowohl was das Thema Wohnraumüberwachung angeht als auch das Thema Telekommunikationsüberwachung. Denn bei beiden Sachverhalten haben wir im Unterschied zu anderen Ländern genau diese Konzentration auf die höchsten schützenswerten Rechtsgüter vorgenommen.

Frau Kollegin Faeser, Sie haben von Grundrechten gesprochen. Wir befinden uns bei Art. 1 Abs. 1, und wir haben die schwierige Aufgabe, zu entscheiden, wie das in der Verfassung ursprünglich nicht genannte informationelle Selbstbestimmungsrecht, vulgo Datenschutz, abgeleitet aus Art. 1 Abs. 1, in Zusammenhang zu bringen ist mit dem Recht des Menschen, der von uns – Staat – erwarten darf, dass wir alles tun, dass er nicht getötet wird, seine Angehörigen auch nicht, dass er nicht entführt wird. Das haben wir in Art. 1 Abs. 1 und in Art. 2.

Dieses Konkurrenzverhältnis hat das Bundesverfassungsgericht bei seinem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz, also einem extremen Fall,vor kurzem behandelt.Wir haben es, wie ich finde, verfassungskonform – deshalb gibt es für uns keine verfassungsrechtlich unsaubere Lage – gelöst, indem wir uns ausdrücklich nur auf diese höchst persönlichen, wichtigsten Rechtsgüter beschränkt haben und eben keine allgemeine Erlaubnis für die Telefonüberwachung oder die Wohnraumüberwachung eingeräumt haben. Das ist auch der Grund, warum ich Ihnen diesbezüglich keine Änderung vorschlagen werde.

Drittens haben Sie das Thema Rasterfahndung angesprochen. Zunächst einmal der Historie die Ehre. Die Rasterfahndung ist in Hessen durchgeführt worden aufgrund eines Polizeigesetzes, das nicht ich gemacht habe, sondern Rot-Grün. Sie hatten seinerzeit richtigerweise und mit meiner damaligen ausdrücklichen Zustimmung als Oppositionssprecher diese Möglichkeit polizeilicher Tätigkeit 1995/96 in das Gesetz aufgenommen. Das war richtig so.

Die Maßnahme ist seinerzeit von zwei Untergerichten für richtig erklärt worden, vom Oberlandesgericht dann für falsch. Das muss man hinnehmen. Daraufhin haben wir

gemeinsam, CDU und FDP, das Gesetz geändert. Jetzt kommen wir in der Tat an einen schwierigen Punkt; denn das Bundesverfassungsgericht sagt nicht, Rasterfahndung gehe nicht. Nein, so einfach ist es nicht.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das hat es auch nicht gesagt!)

Eben. – Vielmehr hat es gesagt, es bedürfe der konkreten Gefahr, und es legt diesen Begriff nach der alten polizeirechtlichen Terminologie aus, dass sich dabei eine unmittelbare, praktisch durch nichts mehr außer durch diese polizeiliche Notmaßnahme änderbare eintretende Gefahr verwirklicht. Einfacher ausgedrückt: Die Bombe muss sozusagen schon kurz vor dem Zünden sein.

Das kann man juristisch so sehen. Dann muss man fairerweise aber auch hinzufügen: Dann stellen wir bitte sämtliche Debatten über präventive Suche nach Tätern ein. – Man kann es so sehen. Es gibt bis heute keinen einzigen Vorschlag – –

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist nicht die Konsequenz, die man daraus ziehen muss!)

Natürlich. Ich kenne keinen einzigen, und Sie können mir zutrauen, ich übersehe diesen Punkt sehr genau, weil ich mich sehr darum kümmere. – Es gibt keinen einzigen Vorschlag, welche konkrete Gefahr in diesen Bereichen dann noch sein sollte. Ich wiederhole es: unmittelbar, unabänderlich eintretendes Übel, das nur durch diese polizeiliche Maßnahme verhindert werden kann.

Dieser Begriff ist entwickelt worden – das können Sie bei Denninger und anderen lesen, die das ausgearbeitet haben – aus der Diskussion über den so genannten finalen Schuss bei einer Geiselnahme und Ähnlichem mehr, wo Sie als Ultima Ratio nur noch so handeln können. Niemand wird bestreiten, dass es sich bei der Rasterfahndung nicht um eine Ultima Ratio handelt. Sie ist ein Mittel unter vielen.

Wer das näher diskutieren will, dem empfehle ich, die vernichtende Kritik der Verfassungsrichterin Frau Haas an diesem Urteil des Senats zu lesen. Ich kann nur sagen: Da unterstreiche ich jedes Wort.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) und Michael Denzin (FDP): Das hilft aber nichts!)

Das hilft nichts, richtig. – Jetzt kommen wir zum Zweiten.Ich halte diese Entscheidung für falsch,damit es überhaupt keinen Zweifel gibt. Ich hatte eingangs gesagt, sie ist zu respektieren.