Protokoll der Sitzung vom 13.07.2006

Die Ankündigung der Landesregierung, wie sie jetzt vorgelegt wird, greift zu kurz. Sie wird der Verantwortung des Landes in Bezug auf eine höhere Gewichtung der frühkindlichen Bildung in keinster Weise gerecht. Die Landesregierung legt zulasten der Kommunen ein Förderprogramm für die Eltern auf.Es trägt aber nicht dazu bei,dass die Qualität der Bildung in den Kindertagesstätten steigt. Im Gegenteil, es besteht sogar die Gefahr, dass die Kommunen unter dem Kostendruck die Situation in den Kindertagesstätten noch weiter verschärfen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Die Landesregierung legt kein Konzept vor, wie sie gedenkt, alle Fünfjährigen zu erfassen. Ein Großteil der Kinder, die über ein kostenfreies Jahr in den Kindergarten geholt werden sollen, hätte schon jetzt die Möglichkeit, den Kindergarten kostenfrei zu besuchen, weil ihre Eltern von den Kindergartenbeiträgen freigestellt werden können. Wenn Sie den Besuch des Kindergartens nicht verpflichtend machen, werden Sie diese Familien auch in Zukunft nicht erreichen.

Ich kann nur noch einmal betonen – ein Redner hat es vorhin schon gesagt –: Mehr Bildung in Kindertagesstätten ist nicht zum Nulltarif zu haben. – Deshalb fordere ich Sie auf, dafür zu sorgen, dass der Kostendruck, den Sie mit dem Bildungs- und Erziehungsplan und mit dem kostenfreien Kindergartenjahr bei den Kommunen erzeugen, nicht zu einer weiteren Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die Kindertagesstätten führt. Es reicht wirklich nicht, zu definieren, was das Personal zu tun und welche zusätzlichen Aufgaben es umzusetzen hat, wenn man den Personalschlüssel nicht erhöht und die Rahmenbedingungen für die Kindertagesstätten nicht so ändert, dass mehr Bildungsqualität umgesetzt werden kann. Sie sollten sich deshalb nicht mit den familienpolitischen Wohltaten schmücken, die Sie mit dem Geld der Kommunen finanzieren, sondern Sie sollten den Kommunen den finanziellen Spielraum geben, den Sie brauchen, um mehr Bildungsqualität zu gewährleisten.

(Beifall bei der SPD)

Dass auch dieses BAMBINI-Programm wieder nur eine Ihrer heißen Luftblasen ist, merkt man auch hier, denn seit die Diskussion zu diesem Tagesordnungspunkt begonnen hat, ist die Luft deutlich wärmer geworden.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Kollege Al-Wazir für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als die Sozialministerin eben den Kasseler Oberbürgermeister ausdrücklich genannt hat, ist mir klar geworden, dass sie die Verteilungswirkungen des Kommunalen Finanzausgleichs offensichtlich nicht oder zumindest nicht bis ins Letzte verstanden hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich fand es sehr spannend, Frau Lautenschläger – ich will mich nur auf die finanziellen Fragen, nicht auf die inhaltlichen Fragen konzentrieren –, dass Sie weiterhin nicht gesagt haben,aus welchen Titeln im Kommunalen Finanzausgleich das bezahlt werden soll.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Kommen die 100 Millionen c komplett aus dem Sozialhilfelastenausgleich? Soll ein Teil davon aus dem Ansatz für die Entlastung der Kommunen mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosenzahl kommen? Diese Frage ist nämlich sehr spannend, wenn man berechnen will, wer am Ende des Prozesses Gewinner oder Verlierer ist. Eines steht fest: Die Landkreise können nicht Gewinner sein, denn sie sind zwar Sozialhilfeträger, haben aber keine Kindertagesstätten. Insofern ist völlig klar, dass der Landkreistag mit dieser Operation gar nicht einverstanden sein kann. Ich finde es deshalb, mit Verlaub gesagt, eine Flegelei, wenn der Geschäftsführer der CDU-Fraktion den Geschäftsführer des Landkreistages, der seinen Job macht, als Nörgler beschimpft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU)

Die Landkreise haben, wenn ihr Defizit steigen sollte, immerhin die Möglichkeit, sich einen Teil des Geldes über eine Erhöhung der Kreisumlage von den Gemeinden wieder zu holen. Die kreisfreien Städte haben diese Möglichkeit nicht.

Ich stelle Ihnen diese Fragen, weil Sie Bertram Hilgen, den Kasseler OB,hier genannt haben.Es ist doch eine Geschichte aus Absurdistan, die Sie hier vorgetragen haben. Der Kasseler Oberbürgermeister ist im Wahlkampf mit dem Versprechen angetreten, die Kinderbetreuung kostenfrei zu machen. Das kann man richtig oder falsch finden.

(Michael Boddenberg (CDU): Hat er es gemacht?)

Fragen Sie nicht, ob er es gemacht hat. – Wir GRÜNEN haben immer gesagt, wir sind eher dafür, die Zahl der Betreuungsplätze und deren Qualität auszubauen. Aber das war eben das Wahlversprechen von Bertram Hilgen.Er ist zum OB gewählt worden und hat im Kasseler Stadtparlament den Beschluss hinbekommen, dass das letzte Kindergartenjahr beitragsfrei gestellt wird, also genau das, was Sie jetzt tun wollen. Dann kam das Land Hessen – in Form des Regierungspräsidiums Kassel in seiner Eigenschaft als Kommunalaufsicht – und hat gesagt: Die Stadt Kassel hat ein Defizit. Wir verbieten das. – Das ist die Sachlage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt kommt das Land Hessen, das der Stadt Kassel mit der Begründung, sie habe ein Defizit, verboten hat, das letzte Kindergartenjahr beitragsfrei zu stellen, daher, nimmt der Stadt Kassel 8 Millionen c weg und sagt: „Im Übrigen kriegst du das Geld teilweise“, – nur teilweise, weil die Stadt Kassel angesichts ihrer Sozialstruktur bei dem Sozialhilfelastenausgleich, bei den Ansätzen für Arbeitslose garantiert sehr viel stärker negativ betroffen ist, als sie positiv Geld bekommen könnte – „und zwar 2 Millionen c,zurück,aber nur dann,wenn du das machst, was ich dir vorhin verboten habe.“ – Das ist doch eine Geschichte aus Absurdistan.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der FDP)

Deswegen ist die Tatsache, dass ausgerechnet Sie als Sozialministerin gesagt haben: „Wir helfen Bertram Hilgen, sein Wahlversprechen zu erfüllen“, angesichts der anderen Tatsache, dass das dem Innenminister unterstellte Regierungspräsidium Kassel genau das verboten hat, ein Beweis dafür, dass Sie die Verteilungswirkungen des Sozialhilfelastenausgleiches, insbesondere für die kreisfreien Städte, nicht verstanden haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es kommt noch etwas dazu. Der Finanzminister ist in den letzten Monaten völlig zu Recht daran gewesen, mit den Kommunalen Spitzenverbänden eine Veränderung der Struktur des Kommunalen Finanzausgleichs zu diskutieren, unter anderem damit wir die horizontale Ausgleichswirkung des Kommunalen Finanzausgleichs zwischen reichen und armen Kommunen, die bisher sehr unzureichend ist, stärken. Es gibt nämlich Kommunen, die kein Defizit haben. Ich nenne als Beispiel Eschborn und Bad

Homburg. Diese Kommunen bekommen trotzdem die Mindestzuweisung aus dem Kommunalen Finanzausgleich. Andere Kommunen, die ein großes Defizit haben, bekommen das Geld, das ihnen zur Verfügung stehen müsste, nicht.

Der Finanzminister arbeitet an einer Veränderung des Kommunalen Finanzausgleichs – völlig zu Recht. Jetzt kommen Sie, Frau Lautenschläger, und verstärken die Fehlwirkungen des KFA, die wir jetzt schon haben, zusätzlich dadurch, dass Sie im Sozialbereich bestimmte Sachen wegnehmen und sagen: Ihr bekommt das Geld nur zurück, wenn ihr Sachen macht, die ihr im Zweifelsfall jetzt schon macht oder die ihr euch bisher nicht leisten konntet.

Ich zeige Ihnen das an einem konkreten Beispiel. Meine Heimatstadt, die Stadt Offenbach, hatte ein Riesenproblem, auch nur den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu erfüllen. Als ich 1995 in den Landtag kam, hatte Offenbach eine Versorgungsquote von 53 % bei den Drei- bis Sechsjährigen. Wir stehen jetzt kurz davor, den Rechtsanspruch für die Drei- bis Sechsjährigen zu erfüllen. Bei den unter Dreijährigen würden wir gerne etwas zusätzlich tun. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, dass am Ende die Städte mit einer schlechten Sozialstruktur, die logischerweise gleichzeitig einen defizitären Haushalt haben, mehr weggenommen bekommen, als sie aus diesem Programm zusätzlich bekommen können, und auf der anderen Seite mehr Geld nach Eschborn und nach Bad Homburg geht, an Kommunen, die sich das beitragsfreie dritte Kindergartenjahr schon jetzt leisten können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Ergebnis wird nämlich sein, dass Eschborn und Bad Homburg, die schon bisher kein Defizit gemacht haben

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Und Bad Vilbel!)

und Bad Vilbel –, die sich das schon bisher leisten, mehr Geld in der Kasse haben und sich davon goldene Wasserhähne kaufen können, während die, die es sich bisher nicht leisten konnten

(Zurufe von der CDU und der FDP)

oder was auch immer,Herr Hahn –,am Ende der ganzen Operation ein größeres Defizit haben als heute. Das kann nicht richtig sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, nun hat Herr Kollege Hahn für die FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Diskussion noch auf eine etwas andere Ebene heben und darauf hinweisen, dass wir uns am gestrigen Tage alle gemeinsam über das Thema Föderalismusreform unterhalten haben und dass wir uns alle im Hessischen Landtag, jedenfalls bei dieser Teilmenge, einig gewesen sind, dass es eine Trennung der Zuständigkeiten geben sollte, damit die Bürger und alle Politiker wieder wissen, was Sache ist und wer wofür zuständig ist.

In diesen Zusammenhang – ich weiß, das ist ein bisschen streitig; das sehen die GRÜNEN und die Sozialdemokraten bei diesem Beispiel anders als die Liberalen und, wie gestern gesagt, auch die Christdemokraten – haben wir das Thema Ganztagsprogramm angesprochen. Liebe Frau Sozialministerin, ich habe das Gefühl, dass Silke Lautenschläger nunmehr Edelgard Bulmahn plus der hessischen Politik ist.

(Beifall bei der FDP)

Wie meine ich das? Sie macht zum einen etwas, wofür sie nicht zuständig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Sie macht zum Zweiten etwas – das unterscheidet sie noch von Edelgard Bulmahn – nicht mit ihrem Geld. Edelgard Bulmahn und die damalige rot-grüne Bundesregierung haben gesagt:Wir möchten gerne das Ganztagsprogramm ausbauen. Wir sind dafür zwar nicht zuständig, aber wir schreiben kräftig Schecks. – Weil sie kräftig Schecks geschrieben haben – wenn ich sehe, allein für meinen Landkreis,den Wetteraukreis,über 14 Millionen c –,haben alle mitgemacht. Es wäre relativ dumm gewesen, den Scheck nicht anzunehmen. Das, liebe Frau Lautenschläger, war immer noch Geld des Bundes. Sie toppen das aber noch.

Sie sind erstens dafür nicht zuständig und bezahlen es zweitens auch noch mit dem Geld der Kommunen. (Beifall bei der FDP)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das ist schlicht unkorrekt.

Wir brauchen auch in diesem Bereich eine Trennung. Ich will Ihnen auch sagen:Es ist durchsichtig,dass Sie das Programm schlicht im Hinblick auf die Landtagswahl 2008 auflegen. Es gibt doch keine einzige Begründung dafür, warum Sie zum einen in die Arbeit der Kommunen hereinfummeln und zum Zweiten den Kommunen dafür auch noch ihr eigenes Geld abnehmen.

(Beifall bei der FDP und des Abg.Dr.Thomas Spies (SPD))

Wie gesagt: genau dasselbe System, das wir, Roland Koch und ich – ich in Berlin in der Föderalismuskommission und er als Ministerpräsident noch zwei Jahre länger – immer wieder angeprangert haben, dass mit Scheckbuch Politik gemacht wird, z. B. das Ganztagsprogramm der alten Bundesregierung.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Ich kann Ihnen sagen, und Florian Rentsch hat es schon gesagt: Wir als Liberale haben eine Antwort auf diese Frage, die nicht Scheckbuchdiplomatie heißt. Wir haben eine Antwort, indem wir zum einen sagen, dass nullte Schuljahr, von uns Kinderschule genannt, ist ein Teil der Schule und daher mit hessischen Originärmitteln aus dem Ressort des Kultusministeriums zu bezahlen.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren,wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir es auch bezahlen. Das ist doch ganz klar. Wo leben wir denn, wenn wir immer noch meinen, auf Kosten anderer leben zu müssen.Wenn wir nicht noch die Steuern erhöhen können, nehmen wir wenigstens den Kommunen das Geld weg. Also, Gegenprogramm erster Teil: Das letzte Kindergartenjahr – bzw. wir nennen es das nullte Schuljahr oder die Kinderschule –

wird eine Pflichtveranstaltung und ist deshalb mit Landesmitteln aus dem Ressort des Kultusministeriums zu bezahlen.