Protokoll der Sitzung vom 10.07.2003

Dies wäre lediglich ein künstliches In-die-Länge-Ziehen eines mittelmäßigen Systems ohne positive Effekte.

(Beifall bei der FDP)

Der Knackpunkt ist der Schuleingang und die bessere Vorbereitung auf die Schule.Vier Jahre Grundschule sind genug, wenn Kinder ausreichend Vorkenntnisse mitbringen. Das Lernen in der Grundschule könnte weiter ausgebaut und intensiviert werden, wenn die Kinder bereits mit Basiswissen und Grundkompetenzen in die Grundschule einträten, sodass die Grundschulen nicht in erster Linie mit dem Ausgleich von Defiziten beschäftigt sein müssen. So könnte auch die geplante Aufstockung der Stundentafel in den Fächern Deutsch und Mathematik einen stärkeren Effekt erzielen. Hier kann nur ein verpflichtendes Vorschuljahr Abhilfe schaffen und nicht der freiwillige Kindergarten als Biotop der Kindlichkeit mit eingebautem Bildungsauftrag.

(Beifall bei der FDP)

Die Kinderschule holt die Kinder von ihrem jeweiligen Entwicklungsstand ab und macht sie schultauglich. Damit ist keine Gleichmacherei der unterschiedlichen Begabungen gemeint.Vielmehr gilt es, Kinder aus ihren behüteten Verhältnissen abzuholen und ebenso Kinder aus sehr vernachlässigten Verhältnissen. Nur auf diese Weise kann man eine echte Chancengleichheit beim Start in die Schullaufbahn erreichen. Zweifelsohne hat das pädagogische Konzept der Eingangsstufen, zumal es in den Siebzigerjahren von der FDP mit entwickelt wurde, als Modellprojekt wichtige Beiträge für die Frühförderung geleistet. Es sollte in die inhaltliche Ausgestaltung der Kinderschule einbezogen werden.

(Beifall bei der FDP)

Allerdings ist die Eingangsstufe nicht verpflichtend. Sie fördert auch nicht unbedingt die Chancengleichheit am Start, da sie keinen konkreten Auftrag und kein definiertes Ziel hat. Sie verteilt den Lernstoff des ersten Schuljahres auf zwei Jahre. Damit fehlt ihr der gezielte Förderauftrag.

(Beifall bei der FDP)

Eine wichtige Voraussetzung für die Qualität der vorschulischen Bildung im Allgemeinen sowie für den Kinderschulunterricht im Besonderen ist die Aus- und Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher sowie der Grundschulpädagogen. Hier muss dringend Aufbauarbeit geleistet werden.Es wird pädagogisch geschultes Personal für Kinderschule und Kindergarten benötigt. Deshalb muss die Fortbildung landesweit und von Landesseite über das Lehrerbildungsgesetz einheitlich gestaltet werden und aufeinander abgestimmt werden. Die Fortbildung muss für beide Berufe gemeinsam erfolgen, um eine echte Verzahnung des Wissens zu erhalten.

(Beifall bei der FDP)

Die Kinderschule sorgt für ein früheres Rein und folglich für ein früheres Raus aus der Schule. Damit legt sie den

Grundstein für eine insgesamt kürzere und erfolgreichere Schulzeit. Sie ist also eine wichtige Unterstützung für das anstehende Projekt der Schulzeitverkürzung. Eine Verstärkung des Bildungsauftrages des Kindergartens sowie die Einführung eines verpflichtenden Vorschuljahres sind auch deshalb nötig, weil viele Eltern heute ihrem Erziehungsauftrag nicht mehr gerecht werden können oder es auch nicht unbedingt wollen. Es muss der erschreckenden Erkenntnis entgegengewirkt werden, dass 40 % der Eltern sich nicht um die schulischen Leistungen ihrer Kinder kümmern. Das kann man tun, indem man es sehr viel früher anfängt. Man muss eine Bewusstseinsänderung bei der Elternschaft erzielen.

(Beifall bei der FDP)

Bildungseinrichtungen sollen eine Qualität besitzen, um die Versäumnisse der Eltern weitgehend kompensieren zu können. Allerdings dürfen sie die Eltern keineswegs aus ihrer Pflicht entlassen. Eltern müssen wieder mehr Anteil am Lern- und Arbeitsverhalten ihrer Kinder nehmen. Hier muss eine Erziehungsoffensive erfolgen.

Es ist schließlich ein Widerspruch, wenn sich Eltern einerseits zu wenig um die schulischen Leistungen ihrer Kinder kümmern und andererseits aber jeden Vorstoß der Schulen, die Leistungsorientierung zu fördern, kritisieren und boykottieren. Außerdem ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Lesekompetenz in erster Linie im Elternhaus entsteht. Wenn dort keine Bücher vorhanden sind und wenn die Eltern den Kindern nicht vormachen, dass Lesen Freude macht, dann werden dies die Kinder später nicht nachholen können.

Um allen Kindern die Basis für eine erfolgreiche Schullaufbahn zu ermöglichen, muss vorschulische Bildung intensiviert und besonders kurz vor Schuleintritt konkretisiert werden. Das kann am besten ein verpflichtendes Vorschuljahr leisten.

(Beifall bei der FDP)

Die FDP fordert die Landesregierung auf, sich endlich konkret für eine frühere Einschulung auszusprechen und auf der Grundlage des liberalen Kinderschulkonzeptes umgehend eine für alle Fünfjährigen verpflichtende vorschulische Bildungsinstitution einzurichten.

(Lebhafter Beifall bei der FDP)

Herzlichen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Hinz, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Frau Hinz wird das jetzt loben, wird nur sagen, der Name ist falsch!)

Herr Präsident,meine Damen und Herren! Wir haben das Thema bereits mehrfach diskutiert. Wir sind uns darüber einig, dass der Kindergarten ein doppeltes Mandat hat, nämlich für Erziehung und für Bildung zu sorgen.

Auch wir haben bereits im Jahr 2002 ein Konzept vorgelegt, wie die vorschulische Bildung verbessert werden kann: unser Papier zum Bildungsgarten. – Frau Henzler hat darauf hingewiesen. Frau Lautenschläger als zuständige Sozialministerin hat unseren Begriff zumindest übernommen, teilweise sogar unsere Formulierungen in einer Presseerklärung zu diesem Thema. Wir sind sehr erfreut

darüber, dass wir als Stichwort- und Ideengeber für die Landesregierung fungieren.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir werden Honorar fordern!)

Wir erwarten aber auch, dass endlich Worte in Taten umgesetzt werden und dass für die Kinder tatsächlich eine Verbesserung im vorschulischen Bereich erfolgt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir GRÜNE wollen das frühe Lernen fördern. Wir wollen die Qualitätsentwicklung der Kindergärten unterstützen. Wir wollen den Übergang von den Kindergärten in die Grundschulen verbessern. Denn in den frühen Jahren werden die Grundlagen für Defizitausgleich, aber auch für Lernbegeisterung gelegt. Wir wissen, dass in den frühen Jahren die Weichen dafür gestellt werden, wie Kinder später im Bildungssystem zurechtkommen. Das bedeutet, dass im Kindergarten nicht nur der kognitive Bereich gestärkt werden muss, sondern dass auch die soziale Kompetenz, die motorischen Kompetenzen, Fantasie, Kreativität und vor allen Dingen auch das Sprachvermögen unterstützt und gefördert werden müssen.

Hier üben wir Kritik an dem, was die Landesregierung bislang macht. Sie sieht die Verbesserung der Sprachkompetenz ausschließlich unter dem Gesichtspunkt Defizitausgleich für Kinder mit Migrantenhintergrund. Es gibt inzwischen leider auch sehr viele Kinder mit deutschem Hintergrund, die kein echtes sprachliches Vermögen haben. Wenn die Leselust, wenn die Lern- und Sprachlust gefördert werden müssen, dann gilt das für alle Kinder. Deswegen müssen die Erzieherinnen und Erzieher in der Lage sein, im Alltagshandeln in den Kindergärten die Kinder individuell zu unterstützen, damit sie ihr Sprachvermögen auch tatsächlich ausbilden können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Kindergärten müssen gezielte Angebote machen. Dafür brauchen sie ein Curriculum. Die Erzieherinnen und Erzieher müssen in der Lage sein, Defizite und auch Begabungen von Kindern zu erkennen und die Kinder entsprechend zu fördern.An dieser Stelle sehen wir die Pflicht. Wir sehen zum einen die Pflicht der Landesregierung, ein Curriculum aufzustellen, Qualitätsentwicklung für die Kindertagesstätten zu unterstützen, auch im Hinblick auf die freien Träger, und wir wollen zum anderen,dass die Landesregierung ihrer Pflicht nachkommt, die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern auf eine andere, nämlich auf eine akademische Grundlage zu stellen.

Wir sehen nicht, dass die Vorschulpflicht etwas ändert. Wir haben auch die Schulpflicht.Wir wissen,wie wir trotzdem als Bundesrepublik bei der PISA-Untersuchung abgeschlossen haben. Die Pflicht alleine bringt es nicht, sondern die Qualität bringt es.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) – Zuruf des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Wenn die Qualität gut ist und wenn die Kindergärten dann noch zusätzlich von den Elternbeiträgen freigestellt werden können, sind wir sicher, dass Eltern das Angebot auch gerne annehmen. Für die Kinder ist es allemal besser,ab drei Jahre gefördert zu werden als ab fünf Jahre,ein Jahr vor der Schulzeit. Dieses eine Jahr ist aus unserer Sicht viel zu kurz.

Wir wollen natürlich auch, dass der Übergang vom Kindergarten zur Grundschule anders gestaltet wird. Das ist völlig klar. Das ist eine Nahtstelle. In unserem Bildungssystem hapert es an den Nahtstellen. Deswegen ist es notwendig, dass wir zu einer institutionellen Kooperation zwischen Kindergärten, den so genannten Bildungsgärten, und den Grundschulen kommen. Hier müssen Grundschullehrerinnen und -lehrer und Erzieherinnen und Erzieher anders miteinander arbeiten.

Aber das heißt für uns auch, dass die Ausbildung von Erziehungspersonal verändert und auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt werden muss. Erzieherinnen und Erzieher haben heute andere Aufgaben und müssen für diese komplexen Aufgaben entsprechend ausgebildet sein.Auch für die Beratung von Eltern müssen sie anders ausgebildet sein.Deswegen brauchen wir eine Ausbildung auf Fachhochschulniveau. In manchen anderen Ländern gibt es sogar teilweise eine gemeinsame Ausbildung von Grundschullehrkräften und Erziehungskräften. Auch das ist bei einer Akademisierung der Erzieherinnenausbildung möglich.Von daher halten wir das für einen wesentlichen Schritt, um den Qualitätsstandard in den Einrichtungen zu erhöhen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was die Landesregierung damit bezweckt, jetzt im Regierungsprogramm Berufsakademien in diesem Zusammenhang einzuführen, ist uns nicht so ganz klar, außer, sie will die Kosten verschieben. Nach unserem Gesetz über Berufsakademien muss es nicht staatliche Träger geben, die Berufsakademien einrichten. Die Träger müssen das Ganze bezahlen, weil es kein staatliches Geld dafür gibt. Das heißt, die freien Träger, die Kirchen und die Kommunen müssen dann entsprechend für die Ausbildung sorgen. Das können Sie doch im Ernst nicht so gemeint haben. Meine Damen und Herren, deswegen fordern wir Sie auf, diese Ausbildung an die Fachhochschulen zu holen.

Wir erwarten eigentlich von der FDP, wenn sie einen solchen Vorschlag für ein kostenfreies Kinderschuljahr macht, dass sie entsprechende Finanzierungsvorschläge vorlegt, wie das stattfinden soll.

(Heinrich Heidel (FDP): Ja, ja!)

Einfach einen Antrag so einzubringen, das halten wir angesichts des Konnexitätsprinzips, das wir inzwischen in der Verfassung verankert haben, für zu kurz gesprungen.

(Nicola Beer (FDP): Deswegen ist es ja eine Schule!)

Sie müssen genau sagen, wo das Geld herkommen soll, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nicola Beer (FDP):Vom Land!)

Wir haben bereits im Jahre 2002 Anträge zu dem Thema vorschulische Bildung beschlossen. Die Landesregierung hat eine Kommission „frühe Förderung“ eingerichtet. Laut einem Bericht des Kultusministeriums vom 10.07.02 sollen „in dieser Expertenrunde Konzepte der vorschulischen Bildung erarbeitet werden, die nachstehende Ziele verfolgen“. Dann kommen Ziele, die aus unserer Sicht durchaus gerechtfertigt sind.

Wir warten seit einem Jahr gespannt auf die Ergebnisse dieser Expertenkommission. Ich kann nur sagen: Es ist im Prinzip schon wieder ein verlorenes Jahr, wenn Sie nicht bald etwas auf den Tisch legen. Wir erwarten von einer Landesregierung, die sich auf die Fahnen geschrieben hat,

etwas für die Vorschulbildung zu tun, dass sie nicht endlos tagt, sondern endlich einmal sagt, was sie konkret in den nächsten Monaten hier in Hessen einleiten will. Andere Bundesländer sind uns weit voraus.Davon könnte sich die Kultusministerin durchaus eine Scheibe abschneiden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, auf einer guten vorschulischen Bildung in Bildungsgärten baut natürlich eine gute Grundschule auf. Die verlängerte Zeit eines gemeinsamen Lernens muss nicht Grundschule heißen. Frau Henzler, sie kann von mir aus auch Basisschule heißen. Man kann dafür ein neues Wort wählen. Das ist nicht der Punkt. Es geht nur darum, dass Kinder selbst bei einer sehr guten vorschulischen Bildung – das zeigen uns die skandinavischen und angelsächsischen Länder –, die mit drei Jahren beginnt und in den Niederlanden und Großbritannien auch erst mit sechs Jahren oder teilweise mit sieben Jahren endet, auf freiwilliger Basis, in einer längeren gemeinsamen Schulzeit, bei der die Lehrerinnen und Lehrer gelernt haben, auf Heterogenität, d. h. auf Unterschiedlichkeit, Rücksicht zu nehmen mit entsprechenden Förderinstrumenten, z. B. bis zum achten Jahr, hervorragende Ergebnisse bringen.

In diesem Sinne erwarten wir Konzepte von der Landesregierung, bessere vorschulische Bildung, flexible Eingangsphasen und längeres gemeinsames Lernen. Das würde unseren Kindern in Hessen gut tun. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)