Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das überrascht uns jetzt!)

Ich bedanke mich für die Stellungnahmen der Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, weil ich die Hoffnung habe,dass dieser Antrag vom ganzen Hause angenommen wird. Das ist wichtig für die Arbeit der Sicherheitsbehörden. Die Sicherheitsbehörden werden mit dieser Aufgabenstellung in den nächsten Jahren nicht weniger,sondern noch mehr zu tun haben. Wenn der Hessische Landtag quer über seine einzelnen politischen Fraktionen hinaus diese Arbeit unterstützt, dann ist das für die Angehörigen dieser Sicherheitsbehörden von großem Wert. Ich füge hinzu: Die Gefahr des Terrorismus ist real. Die Lage hat sich nicht verbessert, sondern wir müssen Anlass zur Sorge haben.

Es ist mehrfach hier ausgeführt worden,dass wir Teil eines allgemeinen Gefahrenraums sind.Aber wir sind nicht nur Teil eines allgemeinen Gefahrenraums. Der Präsident des Bundeskriminalamtes hat es vor Kurzem veröffentlicht. Durch die sehr gute Arbeit der Sicherheitsbehörden sind allein in der Bundesrepublik Deutschland über ein halbes

Dutzend Anschläge verhindert worden. Wir reden hier nicht von Gefahren, die nur vielleicht drohen, sondern es sind reale Herausforderungen. Wenn diese beiden Koffer explodiert wären, hätte dort niemand überlebt.

Deshalb ist es wichtig, dass wir im Rahmen unserer verfassungsmäßigen Ordnung alles tun, damit die Sicherheitsbehörden im Vorfeld Gefahren erkennen und dann vermeiden können. Die Beschlüsse der Innenministerkonferenz,die hier zitiert wurden,sind wichtige Bausteine in diesem Kampf gegen den Terrorismus, und sie sind aus meiner Sicht unverzichtbar. Ich sage sehr offen: Fünf Jahre nach New York ist die Einrichtung einer Antiterrordatei nicht nur notwendig, sie ist längst überfällig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich will aus vielerlei Gründen nicht auf die letzten Jahre eingehen, wer sich wo wie verhalten hat; das hilft heute nicht sehr viel weiter. Aber als Verhandlungsführer der Union war es mir ein Anliegen, dass wir endlich zu einem Ergebnis kommen. Dieses Ergebnis ist aus meiner Sicht gelungen, weil es zwischen Freiheit und Sicherheit, die hier mehrfach zitiert wurden, klug auswiegt.

Herr Kollege Rudolph, ich will bei dem Thema Antiterrordatei kurz auf zwei Punkte eingehen, weil Sie sie angesprochen haben. Ich bestehe darauf, dass im Deutschen Bundestag eine Vereinbarung, die wir getroffen haben, eingehalten wird, nämlich dass die Länder, insbesondere die Flächenländer, auch in die Lage versetzt werden, die zuständigen Behörden zu bestimmen. Wir haben das bis zum Gehtnichtmehr durchdiskutiert. Wovon reden wir hier? Die Behörden stehen im Gesetz; das bedeutet für uns Landesamt für Verfassungsschutz und Landeskriminalamt. Ich halte es nicht für zielführend – wir reden hier von Situationen,wo es in der Regel um einiges geht –,dass wir unsere Staatsschutzbehörden nicht ermächtigen, nach bestimmten Regeln in diese Datei hineinzuschauen.

(Beifall des Abg. Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))

Ich würde es für verfehlt halten, wenn die Staatsschutzabteilung des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main – um es einmal konkret zu machen – eine Information aus dieser Datei benötigt, die in der Regel schnell erfolgen muss, sie aber nur bekommen kann, indem sie vorher beim Landeskriminalamt anfragt, dieses mit dem Sachverhalt vertraut macht und dieses dann sozusagen stellvertretend für den Staatsschutz in Frankfurt arbeitet. Das halte ich nicht für klug.Deshalb muss dies durch den Deutschen Bundestag so umgesetzt werden – das ist jedenfalls meine Überzeugung, und das ist auch das Anliegen einer ganzen Reihe von Ländern –, wie wir es nach langen Diskussionen gemeinsam beschlossen haben.

Eine zweite Bemerkung. Die Stichworte „Indexdatei“ und „Volltextdatei“ sind lange durch die Debatte gegeistert. Ich halte die Begrifflichkeit für wenig zielführend. Das Entscheidende ist, dass wir eine sinnvolle Datei bekommen,mit der die Sicherheitsbehörden etwas anfangen können. Dort müssen alle Daten hinein, die notwendig sind, um sich von einem Gefährder ein Bild machen zu können. Deshalb streite ich hier nicht um die Frage: Religion – ja oder nein?

Sämtliche Daten können im konkreten Fall von Bedeutung sein. Der Kollege Wiefelspütz, Sprecher der SPD im Deutschen Bundestag zu diesem Thema, hat gefordert, dass wir in die Datei die sexuelle Orientierung aufnehmen. Dazu konnten wir uns nicht durchringen. Aber ich

sage einmal ganz schlicht: Es macht wenig Sinn, wenn Sie Gefahrenabwehr betreiben wollen, an einem Symbolpunkt herumzudiskutieren. In einem Fall ist es wichtig, zu wissen, ob jemand Mitglied der Ahmadiyya ist oder einer bestimmten sunnitischen oder schiitischen Richtung angehört. Es macht aber gar keinen Sinn, wenn ich „Muslimgläubiger“ hineinschreibe – nur damit Sie verstehen, wie die Debatte gelaufen ist.

Dritte Bemerkung, zur Videoüberwachung. Wir haben hier im Hause oft darüber diskutiert. Ich stelle mit Befriedigung fest, dass wir viel weiter sind als vor Jahren. Im Kern geht es um die Frage, wo man sie sinnvoll einsetzt. Niemand redet ernsthaft davon, dass man das flächendeckend tut; es wäre auch nicht klug. Aber wir müssen endlich dazu kommen, dass wir einiges vereinheitlichen, z. B. die Aufzeichnungspflichten. Es macht keinen Sinn, 48 Stunden aufzuzeichnen, und dann Tausende von Filmen zu haben, die z. B. die Deutsche Bundesbahn oder das Bundeskriminalamt in dieser Zeit überhaupt nicht überblicken können. Wir haben bei uns im Land Fristen über längere Zeit, wir haben auf der anderen Seite 48 Stunden. Das macht keinen Sinn, wenn man das Instrument vernünftig einsetzen will.

Im Übrigen haben Sie sich zur Frage des Ausländerrechts geäußert. Ich will jetzt zwei Beispiele nennen. In dem Beschlusstext haben wir ausdrücklich aufgeführt, dass es auch um diese Frage geht.Wir wollen das Ausländerrecht im Kern nicht umstrukturieren. Aber Ereignisse aus letzter Zeit haben uns gelehrt, dass wir darin Lücken haben. Es reicht nicht,wenn wir uns nur um diejenigen kümmern, die ins Land kommen, sondern wir müssen uns auch um die kümmern, die z. B. die Einlader und die Bürgen sind. Der eine „Koffermann“ ist von jemandem eingeladen worden, der vor Jahren schon einmal einen eingeladen hat, und dieser ist wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung rechtskräftig zu sieben Jahren verurteilt worden.Deshalb glaube ich,dass wir in diesen Fragen intensiver hinschauen müssen.

Um ein zweites Beispiel zu nennen: Ich halte es für nicht befriedigend, wenn jemand zum Zwecke des Studiums in die Bundesrepublik Deutschland einreist und wir in gar keiner Weise mehr erfahren,ob er jemals ein Studium aufgenommen hat. Deshalb bin ich der Auffassung, wenn wir ein entsprechendes Aufenthaltsrecht zum Studium geben, dass wir dies damit verbinden, dass er der Ausländerbehörde nach Abschluss des Semesters seine Nachweise vorlegt, was er eigentlich gemacht hat. Nur so sind wir überhaupt in der Lage, bestimmte Entwicklungen zu erkennen,um daraus gegebenenfalls Gefahrenlagen abzuleiten.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen, meine Herren, es ist von allen Kollegen darauf hingewiesen worden, dass das Thema viele Facetten hat und wir es wegen der kurzen Redezeit nur sehr allgemein anreißen können.Ich danke dafür,dass wir uns offenkundig – ich hoffe, ich täusche mich nicht – in dieser Frage einig sind. Herr Frömmrich hat Jefferson bemüht; das ist immer gut.Wir haben es oft genug miteinander besprochen: Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze. Sie sind zwei Seiten einer Medaille, sie bedingen sich gegenseitig. Freiheit ohne Sicherheit ist Anarchie. Sicherheit ohne Freiheit ist Diktatur.

Aber jetzt kommt das Entscheidende: Das ist keine statische Angelegenheit, sie ist dynamisch. Das heißt, man muss sie immer wieder neu auswiegen. Als ich vor siebeneinhalb Jahren mein Amt als für Sicherheit in diesem

Land Verantwortlicher antrat, redete kein Mensch von Terrorismus. Heute ist das unsere Kernaufgabe.Wenn wir Herausforderungen haben,die sich vor Jahren so nicht gestellt haben, dann macht es wenig Sinn, wenn wir Debatten entlang der ideologischen Leitlinien von vor zehn oder 20 Jahren führen.Dann müssen wir die Frage prüfen: Ist das, was wir können, klug, um die Aufgabe zu erfüllen? Ist das in der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit so vernünftig abgewogen,dass das eine wie das andere dabei nicht zu kurz kommt? – Wenn Sie so darangehen, bin ich davon überzeugt, dass die Beschlüsse der Innenministerkonferenz und insbesondere das, was dort zur Antiterrordatei vereinbart wurde, sehr vernünftige und im Ergebnis auch notwendige Entscheidungen waren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich ihr Vorsitzender, Herr Al-Wazir, gemeldet. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich finde, dass wir die Debatte über die Frage, ob unser Land fünf Jahre und drei Tage nach dem 11.September sicherer oder unsicherer geworden ist, nicht nur anhand von technischen und gesetzlichen Sicherungsmaßnahmen führen dürfen. Ich will Ihnen die Frage auch gleich beantworten: Fünf Jahre und drei Tage nach dem 11. September ist die Welt nicht sicherer geworden, sondern sie ist unsicherer geworden.

(Axel Wintermeyer und Birgit Zeimetz-Lorz (CDU): Das hat aber auch keiner behauptet!)

Ich glaube, dass wir uns etwas vormachen, wenn wir der Meinung sind, dass uns allein Videoüberwachung oder gesetzliche Maßnahmen Sicherheit bringen.

(Axel Wintermeyer (CDU): Das hat auch keiner gesagt! – Birgit Zeimetz-Lorz (CDU): Es tut mir leid!)

Frau Zeimetz-Lorz, warten Sie. Wir müssen hier keinen Gegensatz aufbauen. – Ich glaube schon, dass man mit der ersten Generation von Terroristen niemals verhandeln kann, sondern sie bekämpfen muss. Aber die spannende Frage ist, ob man es hinbekommt, das Entstehen der zweiten, dritten und vierten Generation von Terroristen zu verhindern. Da sind wir beim Kampf um die Köpfe. Ich sage Ihnen, den Kampf um die Köpfe drohen wir gerade zu verlieren. Stichwort: Aufzeichnung durch Videokameras. Bei den Zügen in Koblenz ist klar, dass diese dazu beigetragen hat, die Täter zu identifizieren. Aber wir wissen auch aus Großbritannien und von den Anschlägen in London, dass, wenn jemand entschlossen ist, sich selbst mit ums Leben zu bringen, Videoüberwachung leider überhaupt nichts hilft.

Deswegen müssen wir fünf Jahre nach dem 11. September einmal kritisch zurückblicken und überlegen, was wir jenseits der Debatten um Polizei, Videoüberwachung und Antiterrordatei noch zusätzlich tun müssen.Ich weiß,dass z. B. der Bundesinnenminister verstanden hat, dass es nicht allein mit irgendwelchen technischen Maßnahmen getan ist. Nicht ohne Grund hat der Bundesinnenminister

gesagt, dass man wieder über die Frage eines Islamunterrichts an deutschen Schulen wird diskutieren müssen. Nicht ohne Grund hat der Bundesinnenminister gesagt, dass wir Ansprechpartner auf der muslimischen Seite brauchen und auch der Staat seinen Teil dazu beitragen muss, dass es diese Ansprechpartner gibt.

Deswegen sage ich: Wenn man wirklich Sicherheit schaffen will, dann darf man sich nicht der trügerischen Gewissheit hingeben, dass man nur die Gesetze verändern oder verschärfen muss, und technische Maßnahmen einführen muss, sondern dann muss man den Kampf um die Köpfe führen. Da muss man sehr aufpassen, dass man mit manchen Maßnahmen nicht das Gegenteil von dem erreicht, was man eigentlich will.

Zu einem Rückblick gehört auch, dass wir uns jetzt wirklich einmal Gedanken machen müssen – ich sage das in die Mehrheitsfraktion hinein –, ob man z. B. bei der Frage des Islamunterrichts weiterhin sagen kann: „Das interessiert uns nicht, und das machen wir auf keinen Fall“, oder ob es nicht dringend nötig wäre, um die Muslime, die in Deutschland leben, zu unseren Verbündeten zu machen, auch einmal eigene vermeintliche Gewissheiten über Bord zu werfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen an diesem Punkt ein sehr ernst gemeinter Appell:Wir haben uns fünf Jahre lang an bestimmten technischen Maßnahmen aufgehalten und uns gestritten. Ich glaube weiterhin, dass diese Diskussion oft auch dazu beigetragen hat, dass etwas überdeckt worden ist. Das, was überdeckt worden ist, ist der eigentliche Kern, nämlich wie man den Kampf um die Köpfe gewinnt.

Ich sage Ihnen von meiner Seite aus sehr skeptisch: Hier sind wir heute nicht weiter, als wir vor fünf Jahren waren. Ich glaube, wir sind heute ein Stück hinter dem, wo wir vor fünf Jahren waren. Deswegen ist es dringend nötig, dass man sich in diesen Kampf der Kulturen gar nicht erst hineintreiben lässt.Aber etliche sind dabei, genau dies zu tun.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen sage ich: Zur Sicherheit gehört weit mehr als eine Videokamera. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Siebel (SPD))

Meine Damen und Herren,es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. – Die CDU-Fraktion hat signalisiert, dass über diesen Entschließungsantrag sofort abgestimmt werden soll. – Es gibt keinen Widerspruch.

Danach rufe ich den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 4. September 2006 als wichtige Bausteine der Terrorbekämpfung,Drucks.16/5948,zur Abstimmung auf. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Antrag bei Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD angenommen.

Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt verabredungsgemäß zu den zweiten Lesungen der Gesetze, die ohne Aussprache behandelt werden sollen.

Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 14 auf:

Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Hessisches Bahngesetz – Drucks. 16/5922 neu zu Drucks. 16/5523 –

Berichterstatter ist Herr Abg. Dr. Lübcke. – Sie haben das Wort.

Vielleicht könnte mal ein Techniker kommen. Ich muss dieses Mikrofon seit anderthalb Stunden festhalten. Das ist nicht mehr zu machen.

(Heiterkeit – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Viagra könnte helfen! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Es wird Zeit, dass wir einen neuen Plenarsaal kriegen! – Axel Wintermeyer (CDU) zum Berichterstatter: Mach das Pult höher! – Das Rednerpult knarrt beim Hochfahren. – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Auch ein Nordhesse muss sich benehmen können! – Heiterkeit)

Herr Hahn, ich glaube, dass Sie diese Geräusche falsch interpretieren.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, der Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr empfiehlt dem Plenum, den Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des wie folgt geänderten Änderungsantrags in zweiter Lesung anzunehmen:

Das Wort „insbesondere“ wird gestrichen.

Der Gesetzentwurf war dem Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr in der 100. Plenarsitzung am 16. Mai 2006 nach der ersten Lesung zur Vorbereitung der zweiten Lesung überwiesen worden.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr hat sich in seinen Sitzungen am 8. Juni sowie abschließend am 31. August 2006 mit dem Gesetzentwurf befasst und ist einstimmig zu dem eben genannten Votum gelangt. Der auf Anregung von den Antragstellern geänderte Änderungsantrag war zuvor ebenfalls einstimmig angenommen worden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)